In seinem Verhör vor Pilatus gab Jesus seinem heidnischen
Richter auf dessen Frage: "Bist Du dennoch ein König?" die
bedeutungsvolle Antwort: "Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu
geboren und in die Welt gekommen, daß ich die Wahrheit bezeugen soll."
(Joh 18,37). Ja, dazu also ist der Sohn Gottes als Mensch zu uns Menschen
gekommen, damit er uns die volle Wahrheit über Gott und das Woher und Wozu
unseres Lebens offenbare. Diese uns durch Jesus Christus authentisch
mitgeteilte Wahrheit allein kann den Nebel unserer Orientierungslosigkeit
lichten; sie allein vermag unserer Gebundenheit durch die dämonischen Mächte
der Lüge zu sprengen kann, damit wir in Jesu Nachfolge wahrhaft frei werden
(Joh 8,31f).
Ebenso wie Jesus selbst wesentlich dazu in die Welt gekommen war, um die
Wahrheit zu verkünden, so sandte er nach seiner Auferstehung auch seine
Apostel als seine Zeugen zu allen Völkern. Sie sollten unter diesen das
Evangelium von der Erlösung durch Christi Kreuz und Auferstehung predigen und
die gläubig Gewordenen lehren, alles zu halten, worin er seine Jünger zuvor
unterwiesen hatte. Darum nennt der Apostel Paulus (1Tim 3,15) die Gemeinde
des lebendigen Gottes einen "Pfeiler und eine Grundfeste der Wahrheit".
Darum scheut sich die Kirche auch nicht, für die ihr aufgetragene Botschaft
einen universalen Wahrheitsanspruch zu erheben. Sie erhebt ihn im Namen
dessen, der gesagt hat: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben,
niemand kommt zum Vater denn durch mich" (Joh 14,6).
Über diesen Wahrheitsanspruch ist nun aber schon seit den Erdentagen Jesu ein
gewaltiges Ringen ausgebrochen; denn an seiner Kühnheit scheiden sich die
Geister. Denn die Menschheit ist in der Vielheit und Unterschiedenheit ihrer
Kulturen und Religionen in dem zunehmend engeren Raum der einen Welt
zusammengerückt. Überall begegnen sich im Miteinander der Menschen
vielfältige Wahrheitsbegriffe; es sind solche wissenschaftlicher,
ideologischer und - nicht zuletzt! - religiöser Art. Je tiefer nun die
Anhänger der jeweiligen Richtung von ihrer Wahrheit überzeugt sind, um so
leidenschaftlicher versuchen sie, diese allgemein zu Anerkennung zu bringen:
mit werbenden Worten, mit dem beglaubigenden Vorbild oder unter Umständen
auch gewaltsam. Über solchem Durchsetzungsbemühen kann es dann zu
gefährlichen Konflikten kommen, ja sogar zu blutigen Auseinandersetzungen. -
Vor diesem explosiven Hintergrund wird deutlich, warum heute von vielen
Seiten her die Forderung Toleranz zum wichtigsten Gebot der Stunde erklärt
wird.
Was versteht man allgemein darunter? Tolerant sein heiße, so sagt man, für
Versöhnung, Koexistenz und Zusammenarbeit eintreten; denn nur so könne der
bedrohte Frieden bewahrt werden. Wer dagegen nicht "tolerant"in
diesem Sinne ist, sondern auf der Gültigkeit seines weltanschaulichen
Standpunktes besteht, wird alsbald als sog. "Fundamentalist"
verpönt. Das aber ist einer der schlimmsten Vorwürfe, die man heute einem
Menschen machen kann. Häufig heftet man- und hier wird unser Thema gerade für
uns hier Versammelte hochbrisant! - dieses Etikett gerade den sich als
"bibeltreu" bezeichnenden Christen an. Darum ist es unverzichtbar,
daß wir uns heute einmal Klarheit darüber gewinnen, wie das mit der Toleranz
eigentlich ist. Sind bibeltreue Christen wirklich so verbohrt, eng und
verständnislos andern gegenüber, wie man uns vielfach vorwirft? Darum wollen
wir uns erst einmal bewußt machen, was diese meist gedankenlos gebrauchten
und zu Schlagwörtern verkommenen Vokabeln eigentlich meinen. Wir müssen uns
um eine saubere Begriffsbestimmung bemühen, nicht aus Wortklauberei, sondern
aus Verantwortung gegenüber dem uns Christen aufgegebenen Zeugnis für die
lebenswichtige Wahrheit. So fragen wir also:.
- Was heißt Toleranz?
- Was ist
Fundamentalismus?
- Wie sollen sich
bekennende Christen zur Forderung nach Toleranz und zum Vorwurf des
Fundamentalismus stellen?
1.
Was heißt Toleranz?
Das Fremdwort Toleranz leitet sich ab von
dem lateinischen Verbum tolerare, das zu deutsch "tragen",
"ertragen", "erdulden" bedeutet. Ein toleranter Mensch
ist also jemand, der bereit ist, eine Last auf sich zu nehmen, was er
natürlicherweise nicht mag. Schon diese sprachliche Herleitung zeigt an, daß
Toleranz kein charmantes Vergnügen ist, wie aus gewissen zweideutigen
Zeitungsannoncen hervorzugehen scheint: "Lebensbejahender Er sucht
tolerante Sie". Nein, echte Toleranz ist stets mit einem Opfer
verbunden, zumindest einem Verzicht.
Wichtig ist es nun, zu unterscheiden zwischen zwei Formen oder Verständnissen
von Toleranz, nämlich der persönlichen und der sachlichen Toleranz. Die eine
bezieht sich auf unser Verhalten gegenüber den Menschen, die eine uns fremde
Überzeugung vertreten; die andere auf unsere geistige Beurteilung ihrer
Wahrheit.
A. Beginnen wir mit der persönlichen Toleranz. Sie urteilt nicht über
die Überzeugung eines anderen, sondern sie gilt seiner Person. Die Menschen
in unserer Umgebung vertreten alle irgend eine ihr Empfinden und Handeln
bestimmende Wertvorstellung. Solche können vom künstlerischen Ideal bis zur
Weltmeisterschaft im Fußball variieren. So lange eine Person das als ihre
Privatangelegenheit für sich behältund nur gelegentlich darüber spricht, wird
uns das nicht stören. Wir werden sie ausreden lassen und es wird uns nichts
kosten, "tolerant" zu sein. Problematisch dagegen wird es, wenn der
betreffende Mitmensch seine Meinung ständig penetrant in Wort und Verhalten
zur Darstellung bringt. Eine solche Person - wie z.B. ein Werber für eine
bestimmte Sekte! - kann uns bald schwer erträglich werden. Denn es kostet ein
Maß innerer Selbstüberwindung, ihre Gegenwart auszuhalten. Man denke an einen
Menschen, der auch in der Nähe anderer ständig Knoblauch kaut, vielleicht aus
lebensreformerischen Grundsätzen!
Vielleicht kann uns dieses harmlose, aber drastische Beispiel einen Hinweis
geben sowohl auf die Berechtigung als auch die Grenzen der Forderung nach
persönlicher Toleranz. Menschen sind nun einmal sowohl aufgrund ihrer
Veranlagung als auch ihrer kulturellen Prägung verschieden. Unsere
pluralistische Gesellschaft läßt uns jedoch keine andere Wahl, als mit
unseren uns zu Nachbarn gewordenen fremden Mitmenschen zusammenzuleben. Wir
sollen uns bemühen, mit ihnen gemeinsam das Wohl unserer Gesellschaft zu
suchen. Wir können unsere Bereitschaft zur Koexistenz nicht davon abhängig
machen, daß die anderen zunächst so werden wie wir, daß sie also unsere
Kultur, unseren Lebensstil und unsere Religion übernehmen. Das, was uns eint,
ist unser gemeinsames Menschsein und unser gesellschaftliches Zusammenleben.
Das müssen wir so gut wie möglich gemeinsam zu bewältigen suchen. Im Übrigen
soll ein jeder das Recht und die Freiheit genießen, nach seinen persönlichen
Überzeugungen zu leben, solange er damit nicht verletzend in die Sphäre
anderer eingreift.
Dieses Toleranzverständnis entspricht jedenfalls unserer neuzeitlichen
Rechtsordnung, die auf den Grundwerten des Gewissensschutzes und der
demokratischen Freiheiten aufgebaut ist. Es kann sich zugleich auch auf das
Vorbild Jesu berufen. Nahm er seine Umwelt doch zunächst einmal so, wie sie
war, ohne sie in allen Stücken verändern zu wollen. Vor allem aber
verzichtete er bewußt darauf, den Menschen sein Evangelium mit Gewalt
aufzuzwingen (Lk 9, 54-56). Vielmehr begegnete er auch Heiden oder den
Samaritern mit menschlichem Respekt, den er sogar den Zöllnern und Dirnen nicht
versagte. Jesus konnte deswegen menschlich tolerant sein, weil er ganz auf
die geistliche Wirkung seines evangelistischen Bemühens vertraute.
Andererseits entband er die Ungläubigen nicht von ihrer eigenen Verantwortung
für die zeitlichen und ewigen Folgen ihrer Ablehnung seiner Botschaft. Er
appellierte an ihr Gewissen: "Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine
Stimme" (Joh 18,37).
Im Bezug auf diese erstgenannte menschliche Toleranz gegenüber Anhängern
anderer Lebensanschauungen und Religionen können wir uns sicher mit der
Mehrheit unserer Zeitgenossen einigen, - jedenfalls bisher. Christen sollten
solche den Angehörigen einer anderen Religion erwiesene Toleranz nicht
prinzipiell in Frage stellen. Leider ist das in der Geschichte der Kreuzzüge,
Konfessionskriege und auch Judenpogrome lange Zeit geschehen. Denn wir
sollten nicht vergessen, daß ja auch das Ende der altkirchlichen
Christenverfolgungen einem Toleranz-Edikt, nämlich dem 312 n.Chr. in Mailand
von Kaisers Konstantin erlassenen, zu verdanken war. Deswegen können wir
heute das Recht der von uns als Gastarbeiter ins Land gerufenen muslimischen
Mitbürgern nicht bestreiten, ihre Freitagsgebete in ihren vielerorts erbauten
Moscheen zu verrichten. Hier ist die Forderung nach persönlicher Toleranz gegenüber
sowohl einzelnen als auch Gemeinschaften berechtigt. Begründeten Einspruch
sollten wir allerdings dagegen erheben, wenn von den Minaretten wie in
islamischen Ländern nun auch inmitten unserer Städte fünf mal am Tage- durch
Lautsprecher verstärkt - die Muezzime in Ohren betäubendem Ton ihre Shahadah
verkünden, in der mit antichristlicher Spitze der Eingott Allah zum einzigen
Gott und Mohammed als sein Prophet proklamiert wird. Denn hier ist die Grenze
der persönlichen Toleranz eindeutig überschritten.
B. Nun stehe ich allerdings unter dem Eindruck, daß viele Leute beim
Einfordern von "Toleranz" nicht mehr allein deren soeben behandelte
persönliche Gestalt im Auge haben. Vielmehr denken sie zunehmend eher an die
zweite, d.h. sachliche Toleranz, die man besser auch als "inhaltliche
Toleranz" bezeichnen kann. Damit verbindet sich vielfach die
Vorstellung, daß alle Religionen und sich moralisch begründenden Lebensstile
gleichberechtigt nebeneinander bestehen können; denn - so meint man - ihre
Inhalte seinen doch alle in gleichem Maße wahr, bzw. ethisch verantwortbar.
Ja, auch ihre verschiedenen Gottesvorstellungen und Namen bezeichneten doch
letztlich ein und dieselbe übermenschliche Macht.
Oder aber man bezweifelt wie Pilatus relativistisch, daß es überhaupt eine
objektive und deswegen universal gültige Wahrheit gibt. Man hat nämlich seit
der Aufklärung im 18. Jahrhundert den Glauben an eine von Gott der Menschheit
gegebene Offenbarung preisgegeben. Deswegen ersetzt man mit G. Ephraim
Lessing (1729-81) die Wahrheit als solche mit der beständigen Suche nach ihr.
Das Maß der dabei gefundenen Wahrheit solle - wie Nathan der Weise in seiner
Ringparabel lehrt - sich daran erweisen, inwieweit eine bestimmte Religion -
heiße sie Christentum, Judentum oder Islam - dem einzelnen Wahrheitssucher zu
einem tugendhaften und sinnvollen Leben verhilft. Praktisch solle dann jeder
nach der Religion leben, die ihm am meisten gibt. Welche dies ist, könne
letztlich nur jeder für sich persönlich beantworten. Da schließlich, wo über
diesen privaten, innerseelischen Bereich hinaus nach Maßstäben für eine von
allen Bürgern verbindliche sittliche Ordnung gesucht wird, gelte es, im
Dialog zwischen den Vertretern möglichst vieler Religionen und
Weltanschauungen einen Konsensus darüber zu finden, wozu jeder von seinen
Voraussetzungen her ja sagen kann. Das Ergebnis sind dann so allgemein
akzeptable Maximen wie: Freiheit, Humanität, Friedensbereitschaft,
Menschenwürde, Gleichberechtigung, Solidarität. Mit dem Tübinger Theologen
Hans Küng kann man sie wohlformuliert in einem universal zu akzeptierenden
"Weltethos" zusammenfassen.
Verborgen bleibt dabei allerdings, daß diese Parolen in unterschiedlichen
Situationen und von unterschiedlich geprägten Voraussetzungen her ganz
widersprüchlich gefüllt werden können. Um nur zwei heute umstrittene
Prüfsteine für solches Weltethos zu nennen: Wie steht es z.B. mit dem heute
von vielen postulierten Recht auf Abtreibung unerwünschten menschlichen
Lebens und um dessen Tötung auf Verlangen, d.h. der kürzlich in Holland und
Belgien legalisierten Euthanasie? Was heißt in diesem Falle "sachliche
Toleranz"? Bedeutet es etwa, daß jede Mutter autonom entscheiden darf,
ob und bis zu welchem Wachstumsstadium sie das Kind in ihrem Leibe töten
lassen darf? Bedeutet es, daß der unheilbar Kranke selber oder sein Arzt oder
seine Angehörigen stellvertretend entscheiden dürfen, ob ihm die sogenannte
Sterbehilfe zu gewähren sei? Was sagt hierzu das viel berufene Weltethos?
Es ist deutlich, daß bekennende Christen eine so relativ verstandene
"sachliche Toleranz" von ihren dogmatischen Voraussetzungen her
nicht akzeptieren. Sie dürfen es weder auf religiösem noch auf moralischem
Gebiet. Für sie ist es nicht egal, ob man durch die Versöhnung durch Jesus
Christus zu einer ewigen Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott kommt, oder
aber ob man durch die buddhistische Erleuchtung über die Wesenlosigkeit der
sichtbaren Welt, ja sogar des eigenen Ichs sich am Ende von tausend
Reinkarnationen auflöse, um in das leere Nichts, das Nirvana einzugehen.
Auch dürfen gläubige Christen nicht darauf verzichten, unter den Angehörigen
anderer Religionen zu missionieren - wohl wissend, daß genau das von vielen
Zeitgenossen als Ausdruck unerträglicher Kultur-Arroganz betrachtet wird.
Gilt es doch, die dämonische Trugbilder zu entlarven und zur Bekehrung zu dem
lebendigen Gott aufzurufen Das heißt also: Inhaltliche Toleranz hat es, wenn
es um den Glauben geht, unüberschreitbare Grenzen.
Ebenso dürfen Christen in der öffentlichen Debatte um die Zulässigkeit
unterschiedlicher Formen des Sexualverhaltens nicht verschweigen, daß Gott
uns für unser Zusammenleben klare Weisungen in Gestalt von Gebot und Verbot
erteilt hat. Über deren heutige Gültigkeit und Anwendbarkeit hat deswegen
nicht etwa ein vom Bundeskanzler einberufener "Ethikrat" und auch
kein Parlament demokratisch gewählter Volksvertreter zu entscheiden. Vielmehr
müssen die Kirchen und Gemeinden vor Ort unbeirrbar für die bleibende
Verbindlichkeit des biblisch geoffenbarten Willen Gottes eintreten, notfalls
im öffentlichen Protest. Die Konferenz Bekennender Gemeinschaften hat dies
erst kürzlich getan, indem sie eine ethische Orientierungshilfe erarbeitete
und nun verbreitet unter dem Titel: "Die Zehn Gebote - Gottes Wegweisung
in unserer Zeit".
Was aber passiert, wenn wir weiterhin konsequent Gottes Wort als Maßstab
sowohl zur Beurteilung religiöser Wahrheit als auch für die sittliche
Gesetzgebung herausstellen? Als bekennende Christen, ob Protestanten oder
Katholiken, werden wir alsbald erfahren, daß uns der Zeitgeist wie ein
Sturmwind ins Gesicht bläst. Dann wird uns der Vorwurf entgegengeschleudert,
wir verstießen mit unserer unbeugsamen Haltung gegen das Grundgebot der
Toleranz. Man empört sich darüber, daß wir gegenüber den von uns Differierenden
die Gleichberechtigung ihres Verständnisses von Wahrheit abstreiten und
folgert daraus, daß wir ihnen letztlich das Existenzrecht aberkennen.
Ungeachtet unseres freundlichen Verhaltens anders Denkenden gegenüber werden
hier inhaltliche und persönliche Toleranz flugs in eins gesetzt.
Und nun entdecken wir die überraschend, daß die Anwälte der inhaltlichen
Toleranz gegenüber denen, die ihren Relativismus nicht anerkennen, plötzlich
sehr intolerant auftreten können. Man schließt sie aus der Gemeinschaft der
an der öffentlichen Meinungsbildung Beteiligten, z.B. im Lehrberuf oder in
der Medienarbeit aus. Man schneidet ihnen das Wort ab oder betreibt ein
existenzbedrohendes Mobbing gegen sie. Aus der im modernen Sinne gedeuteten
sachlichen Toleranz, die der amerikanische Autor Josh McDowell als die
"neue Toleranz" bezeichnet und beschrieben hat, wird also im
Umschlag in ihr eigenes Gegenteil eine totalitäre Ideologie. Diese sucht
allen Menschen das Bürgerrecht zu entziehen, die sich aufgrund ihrer unwandelbaren
ethisch-religiösen Überzeugungen nicht ihrem Grundgebot fügen, auch andere
Denk- und Verhaltensweisen als gleich wahr und gleich berechtigt
anzuerkennen, die ihnen widersprechen. So veranstaltet z.B. an der
amerikanischen Universität Stanford die "Schwulen- und
Lesbenallianz" jedes Frühjahr einen "Shorts-Tag", an dem alle
Dozenten und Studenten ihre Solidarität mit ihren homosexuellen Kommilitonen
öffentlich demonstrieren sollen, und zwar dadurch daß sie in Shorts zu den
Vorlesungen kommen. Und Schande über den, der hier aus der Reihe tanzt! Wie
aber soll in einer solchen Situation ein gewissenhafter Christ sich
verhalten, der sich nicht darüber hinwegsetzen kann, daß in der Heiligen
Schrift sowohl im Alten wie im Neuen Testament der homosexuelle Verkehr als
eine schwere Sünde vor Gott gebrandmarkt wird, die vom Reich Gottes
ausschließt (3. Mose 18,22; Röm 1,26f. 1. Kor. 6,9) ? Es ist überhaupt
erstaunlich und bestürzend, wie heute in aller Welt und in allen
Institutionen, - einschließlich der Kirchen! - die Anerkennung der
praktizierten Homosexualität - geradezu ein Schibboleth geworden ist, an dem
sich die Tugend der "neuen Toleranz" zu erweisen hat! Könnte es
sein, daß der altböse Feind sich diesen Punkt als das infame Mittel ausgeklügelt
hat, mit dem er einzelnen Christen und ganzen Kirchen das geistliche Rückgrat
zu brechen sucht, um sie moralisch gefügig zu machen?
Eine schon eingangs erwähnte Waffe, die man gegen solche Christen anwendet,
welche unbeirrt an der bleibenden Gültigkeit der geoffenbarten Wahrheit in
Gesetz und Evangelium festhalten, ist, daß man sie hämisch als
"Fundamentalisten" brandmarkt. Das bringt uns zu unserer zweiten
Leitfrage:
2.
Was ist Fundamentalismus?
"Fundamentalismus" wird
allgemein als Synonym gebraucht für Engstirnigkeit, intellektuelle
Rückständigkeit, mangelnde Sensibilität für die Erfordernisse unserer zur
Einen Welt zusammenrückenden Menschheit. In schlimmen Fällen steckt man seit
der Revolution des Ayatollah Khomeini im Jahre 1979 die christlichen
"Fundamentalisten" - ganz gleich ob diese sich selber so bezeichnen
oder nicht - in die gleiche Kategorie wie auch zur Gewalttätigkeit greifende
reaktionäre Fanatiker anderer Religionen. Man verdächtigt sie des Rassismus,
Sexismus und Rechtsextremismus und läßt sie so als Gefahr für den Weltfrieden
erscheinen.
Weil es aber gleichzeitig immer noch - besonders in Amerika - konservative
Kirchen und Theologen gibt, die sich selber unbeirrt als
"Fundamentalisten" bezeichnen, ist es wichtig, sich auch hier um
eine Klärung des Begriffs zu bemühen. Das Wort hat seinen geschichtlichen
Ursprung in einer in den Jahren 1910-15 auftretenden Bewegung angesehener
evangelikaler Theologen in den USA. Aus Besorgnis über den in die Kirchen
eindringenden Liberalismus veröffentlichten sie unter dem übergreifenden
Titel "The Fundamentals" eine Reihe von zwölf Bänden. Hierin
stellten sie jene zentralen biblischen Wahrheiten heraus, welche nach
allgemeiner evangelischer Überzeugung die unaufgebbaren Grundlagen des
christlichen Glaubens überhaupt bilden: Die Autorität der Bibel, die
göttliche Dreieinigkeit, die Göttlichkeit Christi, sein Sühneopfer am Kreuz,
seine leibliche Auferstehung und Wiederkunft zum Jüngsten Gericht. Diese
Bewegung trug wesentlich dazu bei, die evangelikalen Christen in Amerika in
ihren bibeltheologischen Überzeugungen zu festigen.
Wie ist es dann aber dazu gekommen, daß das Wort "Fundamentalismus"
später einen so negativen Beigeschmack bekam? Leider versäumte man es später
an den konservativ-evangelikalen Bibelschulen, sich ernsthaft mit den
geistigen Herausforderungen durch den Fortschritt der Naturwissenschaften und
die philosophischen Zeitströmungen auseinanderzusetzen. Deswegen gerieten die
Evangelikalen bei ihren modernistischen Gegnern weithin in den Verruf
mangelnder akademischer Kompetenz. - Hier ist allerdings nach dem II.
Weltkrieg durch die Gründung neuer theologischer Seminare und durch eine
beachtliche Forschungstätigkeit eine bemerkenswerte Wandlung eingetreten.
Noch verhängnisvoller wurde für die bibeltreue Bewegung die Tendenz, ihre
theologisch konservative Haltung eng zu verbinden mit sozial-politischem
Konservatismus. Auch beharrten sie vielfach auf traditionellen Formen der
Gemeindeordnung sowie des persönlichen Lebensstiles. Am fatalsten wirkte der
Hang gerade auch kleinerer Geister, sich selber als alleinige Repräsentanten
der unverfälschten protestantischen Kirche auszugeben, während sie bei ihren
Mitchristen schon die leiseste Abweichung von ihrer eigenen Position unter
den Verdacht des Glaubensverrats stellten. So griff man solche deswegen an,
die in ihrem Streben nach umfassender evangelikaler Gemeinschaft und
Zusammenarbeit eine etwas großzügigere Haltung einnahmen, indem sie z.B.
gelegentlich bei Evangelisationen unter kirchlich entfremdeten
Bevölkerungsschichten zusammen mit erwecklich gesonnenen Katholiken
auftraten. Davon blieb sogar ein Billy Graham nicht verschont.
"Fundamentalismus" kann in der Tat von innen heraus entarten zu
einem verknöcherten Strukturkonservativismus, der allen geistlichen
Neuaufbrüchen prinzipiell abhold ist. Unbiblischer Separatismus aber lähmt
die evangelistische Stoßkraft und gibt die bekennenden Christen schließlich
dem öffentlich Gespött preis.
Ich möchte aber betonen, daß dies Erscheinungen sind, die man weder den
geistigen Vätern dieser Bewegung noch ihren heutigen besonnenen Vertretern
anlasten darf. Denn sie vertraten bzw. vertreten ja das durchaus berechtigte
Anliegen, die wirklich unaufgebbaren Fundamente des christlichen Glaubens zu
schützen. Und es geht ihnen zugleich darum herauszustellen, daß die
Christus-Wahrheit ihre immer aktuelle Bedeutung gerade auch in den Nöten
einer zunehmend gottentfremdeten Gesellschaft nicht verloren hat.
Das Bild von der Kirche als geistlichem Haus, das auf dem festen Fundament
Jesus Christus und dem apostolischen Bekenntnis zu ihm erbaut ist, stammt ja
unmittelbar aus Jesu Mund selber (Mt 16,16-18), und die neutestamentlichen
Episteln spielen mehrfach darauf an (1. Kor. 3,10f.; Eph 2,20; 1. Pt 3,4-6).
Letztlich gilt ja für jede Kultur, für jede Philosophie und Religion und auch
jede weltanschaulich bestimmte politische Partei, daß sie nur so lange
Glaubwürdigkeit und Bestand haben kann, wie sie ihren ursprünglichen
Grundlagen treu bleibt. Zerbröckelt jedoch das Fundament, stürzt schließlich
der ganze Bau zusammen. Das könnte sehr wohl das baldige Schicksal unserer
europäischer Völker sein - in unserem weitverbreitenden Spandauer Bußwort vom
Oktober 2000 haben wir davor gewarnt! - ja, es könnte auch das Schicksal
unserer evangelischen Volks- und Freikirchen werden. Ihren Hirten und Lehrern
rufen wir deswegen zu: Gebt acht auf die Fundamente!
3.
Wie sollen sich bekennende Christen zur Toleranzforderung und zum
Fundamentalismusvorwurf verhalten?
Nachdem wir uns bewußt geworden sind, wie vieldeutig die
Begriffe "Toleranz" und "Fundamentalismus" sind und welch
agitatorischer Mißbrauch mit ihnen getrieben wird, kann mein erster Ratschlag
nur lauten: Lassen wir uns nicht aus der Fassung bringen, wenn man sie uns
schlagwortartig oder gar als Totschlag-Keule vorhält in der Absicht, uns für
ein anderes Wahrheitsverständnis gefügig zu machen. Prüfen wir zunächst
einmal, was überhaupt gemeint ist und welches Ziel die Gesprächspartner
verfolgen. Wir haben als Christen keinen Anlaß, uns den Wertmaßstäben des
Zeitgeistes blind zu unterwerfen. Wir stehen unter einem höheren Auftraggeber
und gewinnen unser Wahrheitsverständnis allein aus seinem heiligen Wort. Was
wahre Toleranz ist, wenn andere uns böswillig der "Intoleranz"
zeihen, lernen wir nirgends besser als bei Jesus, der als Lamm Gottes die
Last der Sünde der Welt auf sich genommen und weggetragen hat (Agnus Dei qui
tollis peccata mundi - Joh 1,29). Und welches die wahren Fundamente sind, auf
die wir unser Vertrauen im Leben und Sterben setzen dürfen, sagt uns Paulus:
"Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus
Christus" (1Kor 3,11).
Mein zweiter Ratschlag lautet: Wenn wir aber spüren, daß unser
Gesprächspartner wirklich ein ernstes Anliegen verfolgt und er Anstoß an
unserem Reden und Verhalten gegenüber anders Eingestellten nimmt, prüfen wir
uns dann, ob in seinem Einwand ein Korn von Wahrheit liegen könnte. Geht es
uns in unserem missionarischen Zeugnis wirklich darum, daß Jesus in seiner
Rettungsabsicht gewinnend zu Worte kommt? Oder aber wollen ihm gegenüber
arrogant die Richtigkeit unseres eigenen Standpunktes demonstrieren? Nur aus
einer demütigen Haltung heraus können wir deutlich machen, daß es die Liebe
Jesu ist, die uns treibt, sie auch den erfahren zu lassen, der Ihm noch
ablehnend gegenüber steht. Paulus ermahnt uns (Eph 4,15), "wahrhaftig zu
sein in der Liebe". Das gilt sowohl für die missionarische Begegnung mit
Andersgläubigen und Skeptikern als auch für das theologische Gespräch mit
teilweise andersdenkenden Mitchristen. Diesen gegenüber ist es mitunter sogar
angebracht, nicht nur persönliche, sondern auch inhaltliche Toleranz zu üben.
Denn wir sollten nicht vergessen, daß die in der Heiligen Schrift
geoffenbarte Wahrheit weiter ist, als sie ein einzelner Christ oder auch eine
ganze kirchliche Gemeinschaft oder Frömmigkeitsrichtung erschöpfend erfassen
kann.
Wenn wir uns in hitzige Streitgesprächen mit unseren Mitchristen verwickeln,
seien wir darum vorsichtig mit dem Häresie-Vorwurf. Denken wir vielmehr
daran, daß ja auch der Bruder und die Schwester die Bibel lesen und den
Heiligen Geist anrufen, sie der Pfingstverheißung entsprechend in alle
Wahrheit zu führen (Joh 16,13).
Mein dritter und abschließender Ratschlag lautet: Da, wo man uns im Namen der
Toleranz eindeutig dazu drängen sucht, den biblischen Standpunkt zugunsten
eines zeitgeistig veränderten Wahrheitsverständnisses preiszugeben, haben wir
als bekennende Christen vollmächtig zu widerstehen.
Aktuell gilt das heute zum einen für den Glauben an Jesus Christus als den
einzigen der Welt zum Heil gesandten Erlöser. Diesen Glauben dürfen wir unter
keinen Umständen zugunsten einer der Welteinheit dienenden
Religionsvermischung opfern, selbst wenn Papst und Ökumenische Konzilien uns
dazu ermuntern sollten.
Es gilt zum andern, gerade heute einzutreten für das biblische Ethos
besonders im fünften und sechsten Gebot des Dekalogs. Das fünfte schützt die
unaufgebbare Würde des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum Tode,
das sechste die von Gott gestiftete Ordnung der Ehe. Als lebenslange
Verbindung eines Mannes mit einer Frau zur gegenseitigen Stütze begründet sie
auch die Familie, die Keimzelle des Volks. Niemals dürfen Christen einer
"neuen Moral" zustimmen, welche andersartige geschlechtliche
Verbindungen als ebenfalls gottgewollt behauptet. Denn dann gerieten in der
Tat die sittlichen Grundlagen der menschlichen Gesellschaft aus ihren Fugen.
Ich weiß sehr wohl, daß bekennende Christen, die es wagen, hier zu
widerstehen, den Verruf der Intoleranz und des Fundamentalismus auf sich
ziehen. Ja, in England und Schweden ist die Lage bereits eingetreten, daß
Leute mit gerichtlicher Verfolgung bedroht werden, wenn sie es wagen, die
biblische Sicht der Homosexualität als auch heute gültig zu betonen. Auch
Prediger würden davon betroffen sein. Hier kommt Christen ihr Zeugnis für die
Wahrheit im wörtlichen Sinne teuer zu stehen. Das läßt - nicht nur in
Schweden! - sogar manche Bischöfe zurückschrecken.
Doch das Zeugnis für die Christus-Wahrheit konnte schon immer teuer sein. In
manchen Zeiten führte es zum Martyrium. Echte Nachfolger bestanden auch diese
äußerste Glaubenserprobung im Blick auf ihren Herrn, der als König der
Wahrheit vor Pontius Pilatus ein unerschrockenes Zeugnis für die Wahrheit
abgelegt hat. Er mußte dafür durch die Nacht des Todes gehen. Doch nicht
einmal der Tod konnte die Wahrheit zum Schweigen bringen. Am dritten Tage
erstand Jesus aus dem Grabe; er erschien seinen Jüngern und bevollmächtigte
sie durch den Heiligen Geist, die Wahrheit in alle Welt zu tragen. Daß die
Wahrheit gegen alle Mächte der Lüge am Ende auch sichtbar triumphieren wird,
ist gewiß. Wenn Christus in Macht und Herrlichkeit wiederkehren wird, werden
sich alle Knie beugen vor Ihm, der die lebendige Wahrheit in Person ist.
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