Bibelarbeit über das Grundwort „Barmherzigkeit“
von Michael Strauch
Das Wort Barmherzigkeit im griechischen Sprachgebrauch
1. Das Wort Eleos definiert (Mitleid, Erbarmen,
Barmherzigkeit) (hebr. Chäsäd)
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1.Wie oft kommt das Wort im NT vor? An 27 Stellen. Das Verb eleao dreimal (Rö
9,16 und Judas 22+23)
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Das
Substantiv und das Verb sind seit Homer bekannt. Gemeint ist im profan
griechischen die Gemütsbewegung angesichts eines Leidens eines Anderen
und die Hilfe, die man diesem aus dieser emotionalen Gemütsbewegung aus gewährt.
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Substantiv
und Verb im Sinne des Mitleids, des Mitleidens angesichts menschlichen Elends
finden wir z.B. in Mk 5,19; 10,47; Mt 20,30.31; Lk 18,38.39; Mt 9,27 etc. Das
Verb besonders in Mt 5,7; Rö 11,30.31; 2Kor 4,1; 1Tim 1,13.16; 1Pt 2,10. Das
Verb als Partizip Perfekt passiv (also eine Handlung in der Vergangenheit, die
in die Gegenwart sich auswirkt) haben wir in 1Kor 7,25 und 1Pt 2,10.
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Das
hebr.Wort chäsäd (Güte) und das griech. Wort eleos sind sich darin einig, dass
der ursprüngliche Sinn folgender ist: Ein Verhalten, dass Gott vom Menschen zum
Menschen fordert! Siehe Hos 6,6 im Zusammenhang mit Mt 9,9-13 (12, 1-8). Gott
will keine Opfer, sondern Barmherzigkeit. Der Glaube muss Tat sein, darf nie
theoretisches Kopfwissen bleiben. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk
10, 25-37).
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In
Mt 18, 23-35 (Gleichnis vom Schuldner) wird deutlich, dass von Gott empfangene
Barmherzigkeit weitergegeben werden will und muss! (Zitat Frankemölle: In der
Annahme des Andern liegt das eigene Glück).
2. Situationen, in den das Wort
auftaucht:
Jesu
Barmherzigkeit dem Menschen gegenüber
1. Der Besessene aus Gerar (Mk 5,1-20)
Jesus befindet sich östlich des Sees Genezareth. In der
stark heidnischen Gegend Gerar lebt ein von Dämonen gefesselter und geplagter
Mensch. Er machte anderen Menschen Angst, er tat sich und anderen Gewalt an, er
lebt einsam in Nekropolen. Jesus kommt und befreit ihn mit messianischer Stärke
und es heißt, er saß vernünftig (V.15) und bekleidet da. Der Geheilte will
Jesus nachfolgen, aber dieser schickt ihn zurück in seine Familie mit den Worten:
„Geh hin in dein Haus zu den Deinen und verkündige ihnen, welch große Wohltat
dir der Herr getan und wie er sich deiner erbarmt hat“ (V.19).
Gottes Erbarmen heißt hier nun das Befreien aus dämonischer
Belastung und die Resozialisation in die Gemeinde/Familie und Gesellschaft.
2. Der Blinde von Jericho (Mk 10,
46-52)
Ein andres Beispiel finden wir auf Jesu letzten Gang nach
Jerusalem. Wieder ist es ein Mensch, der diesmal aufgrund eines körperlichen
Gebrechens aus der Gesellschaft – wenn nicht ausgestoßen – dann doch
„übersehen“ wird. Er gebraucht das Wort des „Erbarmens“ wie ein Gebet, als Teil
einer Gebetsanrufung in V.47 und 48: „Jesus, du Sohn Davids, erbarme
dich meiner!“ Er sagt nicht, was er genau will. Er sagt nicht, komm zu mir und hilf mir. Er sagt nur dieses – darf ich es
so sagen – dieses „Zauberwort“ oder besser dieses Schlüsselwort: „Erbarme dich
meiner!“ Er schreit es hinaus. Die Jünger und die Leute fahren ihn an. Doch der
Blinde erreicht es. Jesus wird innerlich angerührt. Das Elend, die Einsamkeit
und der Kummer dieses Mannes greifen an sein Herz. Und wenn Jesus sich erbarmt,
passiert folgendes V.49:
·
Er
bleibt stehen
·
Er
ruft dich
·
Er
tröstet
·
Er
fragt nach deinem Wunsch
·
Er
hilft
Der Blinde wird wieder eingegliedert in die Gesellschaft. Er
folgt Jesus nach.
Erstes Fazit: Erbarmen meint also klar das tiefe Mitleid und
Mitleiden mit einem Betroffenen und das Stehenbleiben, hören, trösten und
konkret helfen!
Gottes Barmherzigkeit dem Menschen gegenüber
3. Die Barmherzigkeit Gottes im
Römerbrief
Römer 11
Der Apostel Paulus berichtet uns hier von einem (V.25)
Geheimnis. Er führt an, dass die Ablehnung des Messias durch das Volk Israel
dennoch nichts an der Erwählung Israels ändert. Gott hat sein Volk nicht
verstoßen, wohl aber verstockt. Sie sind „Feinde“ des Evangeliums, aber – und
nun kommt ein entscheidendes Wort - „Feinde um euretwillen!“ (V.28). Das heißt,
dass die Verstockung Israels dazu geführt hat, dass die Heiden von Gott erwählt
wurden, als „wilder Ölzweig!“ (V.17). Das wiederum ändert nichts daran, dass
das Volk Israel von Gott geliebt ist „um der Väter willen“, das das Heil (Joh
4) von den Juden kommt und das Israel bei der Vollzahl der Heiden seinen
Messias erkennen wird (V.25f).
Dann heißt es in Vers 30-32:
„Denn wir ihr zuvor Gott ungehorsam gewesen
seid, nun aber Barmherzigkeit erlangt habt wegen ihres Ungehorsams,
so sind auch jene jetzt ungehorsam geworden wegen der Barmherzigkeit,
die euch widerfahren ist, damit auch sie jetzt Barmherzigkeit erlangen.
Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er
sich aller erbarme!“
Viermal das Wort „Ungehorsam“ und viermal das Wort
„Barmherzigkeit“! Hier liegt ein Geheimnis Gottes. Weil das Volk Gottes,
Israel, Gott widerstanden hat und ungehorsam war, obwohl sie von Gott alles
wußten, entbrannte Gottes Liebe für die Heiden, die genauso gottlos, ja noch
schlimmer lebten, es aber nicht besser wußten. Gott erbarmt sich über das
geistliche Elend der Heidenvölker und wendet sich ihnen zu. Nun aber ist Israel
verstockt und blind für seinen Messias, das wiederum läßt Gott barmherzig mit
Israel werden. So ist die Barmherzigkeit die treibende, heilende und rettende
Eigenschaft Gottes. So können wir sagen: so wie ein Kind ungehorsam ist und man
es bestrafen oder zurecht weisen muss, so sagt sich
die Mutter doch: es ist ein Kind und weiß es nicht besser. Es ist das tiefe
Gefühl der Liebe, das dem Kind die Rückkehr immer wieder erlaubt.
Vielleicht ist Römer 11 am besten ausgedrückt in der Parabel
vom verlorenen Sohn, was ja besser übersetzt wäre mit der Parabel von der
Barmherzigkeit Gottes. Der jüngere Sohn, der den Vater verläßt und (Ungehorsam)
seine eigenen Wege geht. Der ältere Sohn bleibt. Die Barmherzigkeit Gottes
kommt darin zum Ausdruck, dass die Treue des Älteren (du bist allezeit bei mir)
und die Verlorenheit des Jüngeren im Vater dieses Mitleid erregt. Der ältere
Sohn appelliert an seine Gerechtigkeit, doch das Herz des Vaters ist voller
Mitleid. Und wie der Sohn zerlumpt nach Haus kommt, so kann der Vater nicht
anders als annehmen, lieben, sich freuen. Der ältere Sohn versteht dies nicht
und ist darin verstockt. In diesem Moment hat der ältere Sohn eine Not, die
wiederum den Vater rührt: Freue dich doch mit, dieser dein Bruder war tot und
ist wieder lebendig geworden...!
Fazit:
Die Barmherzigkeit Gottes ist eine tiefe Eigenschaft Gottes,
die – für uns oft nicht verständlich – gerade durch ungöttliche Not in Gott
entbrennt. Umso mehr ein Mensch Gott ablehnt, meint, er könne alles selber
gestalten und umso mehr er abrutscht in Nöte, Schwierigkeit und Elend, umso
mehr will Gottes Herz sich ihm zuwenden. Gottes Barmherzigkeit drängt sich
allerdings nicht auf. Darum hat Gottes Barmherzigkeit Gestalt bekommen in Jesus
Christus. In Jesus ist Gott stehen geblieben, hat sich die Not der Welt
angeeignet und trug sie ans Kreuz (Rö 3,23f). Gerade weil der Mensch vor Gott
völlig chancenlos war und ist, umso mehr treibt Gottes Barmherzigkeit ihn dazu,
ihm die Chance des Lebens anzubieten in seinem Sohn Jesus Christus.
Die Barmherzigkeit Gottes wieder zielt darauf, dass der
Mensch eingegliedert wird in die Familie Gottes, in die Gemeinschaft mit dem
himmlischen Vater (1Pt 1,3f).
Das beste Beispiel ist Paulus selbst, der ein
Christenverfolger war, und durch Gottes Barmherzigkeit umgewandelt wurde und
eingesetzt wurde zum größter Verkündiger aller Zeiten (2Kor 4,1 und 1Tim
1,13.16).
Ein andere wichtige Stelle ist Mt 9,12+13. Jesus sitzt mit
den Zöllnern an einem Tisch und macht deutlich, dass die Kranken (Sünder sieht
Jesus als „Kranke“) des Arztes bedürfen. Ihr Gottloser Zustand weckt in Jesus
Mitleid und den Wunsch, zu helfen.
Des
Menschen Barmherzigkeit dem Menschen gegenüber
In Mt 9,13 zitiert Jesus Hosea 6,6: „Ich habe Wohlgefallen
an Barmherzigkeit und nicht am Opfer!“ Hier wird deutlich, dass die
Barmherzigkeit von Gott auch vom Menschen untereinander verlangt wird. Der
Mensch soll barmherzig sein mit seinem Mitmenschen. Klassisches Beispiel dafür
ist das Gleichnis vom barmherzigen Samariter aus Lk 10,25-37. Hier wird
deutlich, was Barmherzigkeit im konkreten Fall ist und wer erstaunlicherweise
sie oft ausübt.
Jesus erzählt von einem Menschen, der auf dem Weg von
Jerusalem hinab nach Jericho halbtot geschlagen, ausgeraubt und blutend
liegengelassen wurde. Zur Barmherzigkeit gehört ein Anlass, eine Person in
Not.
Weiter erzählt Jesus drei Männern, die diesen Menschen sehen
und nun die Möglichkeit haben, Barmherzigkeit zu üben. Folgendes passiert:
Ein Priester sah ihn und geht vorrüber.
Ein Levit sah ihn und geht vorrüber.
Also beides Männer, die Gott kennen
und von seiner Barmherzigkeit wissen. Es ist etwas eigentümliches, dass
diejenigen, die Gott kennen, seine Barmherzigkeit
erfahren haben, nicht bereit sind, diese wiederum weiterzugeben.
Nun folgt ein Samariter. Ein von den Juden Verachteter.
Zur Barmherzigkeit gehört ein Mensch, für den ein
Bedürftiger zum Nächsten wird und der die Mittel hat, ihm zu helfen.
Wir sehen hier ganz deutlich, was Barmherzigkeit bedeutet:
1. Als er ihn sah, jammerte ihn! (Gefühlsregung)
2. Er geht zu ihm! (hält inne)
3. Er gißt linderndes Öl und
desinfizierenden Wein auf seine Wunden (praktische Tat)
4. Er verbindet ihn, hebt ihn auf sein
Tier, bringt ihn zur Herberge und pflegt ihn (umfassende Hilfe)
5. Er gibt dem Wirt Geld für die
weitere Pflege (nachhaltige Hilfe)
6. Er bleibt nicht bei der ersten
Hilfe: „wenn ich wiederkomme!“ (wiederholte Hilfe)
Barmherzigkeit hat etwas mit Gefühlen zu tun und mit einer
umfassenden Hilfe gemäß des Herzen.
Das Gewissen hat sicher auch beim Priester und Leviten
geschlagen, aber sie nahmen ihre religiösen Pflichten ernster als die
barmherzige Tat. Das ist heute auch ein Grundproblem. Wir tun sehr viel, machen
viele Aktionen, und können zugleich als Christen auf`s Höchste unbarmherzig
miteinander umgehen. Jesus sagt: tu desgleichen.
Das Lob des Menschen über die Barmherzigkeit Gottes
Zum Schluss will ich erwähnen, dass Menschen – wenn sie
Gottes Barmherzigkeit erfahren und begriffen hatten – Gott darüber lobten. Maria,
die Mutter Jesu, bezeichnet sich als niedere Magd. Sie wurde von Gott erwählt
und preist den Herrn in Lk 1,50+54. Hier im Lk Evangelium wird das Wort eleon
besonders im hebr.Sinn des chäsäd – im Sinne von Güte und Treue Gottes –
zitiert und gebraucht. Maria zitiert aus dem AT zitiert und macht deutlich,
dass das Erbarmen in der Treue Gottes zu seinem Volk und dann durch das
Erwählen des Niedrigen, Unscheinbaren seinen typischen Charakterzug erweist. So
kommt zur Gefühlsregung und zur praktischen konkreten Tat noch die Treue dazu.
Gott bleibt barmherzig. Auf sie darf man immer hoffen. Und sie bleibt dem
souveräne Wesenszug vorbehalten.
Ich schließe mit Hebräer 4,16, wo es heißt, dass wir einen
Hohepriester in Jesus haben, der eben nicht an unserem Elend vorbeigeht,
sondern stehen bleibt und mit uns barmherzig verfährt. Durch diese
Herrn dürfen wir mit Freimut zum Thron der Gnade, „damit wir Barmherzigkeit
empfingen!“