Bibelarbeit über Philipper 2, 5-11

von Michael Strauch

Eigene Übersetzung aus dem griechischen Grundtext:

Vers 5:

touto (dieses-bezieht sich auf die vorhergehenden Verse) froneite (denkt
? Imperativ) en hümin (in/bei euch) ho kai en Christo Iäsou (wie es auch
in Christus Jesus ist).

Im lateinischen: Hoc sentite in vobis (dies denket in euch), quod et in
Christo Jesu (das auch in Christus Jesus).

Das Verb ?denken? als aktive Form wird im deutschen vielleicht besser mit
einem Substantiv übersetzt, damit deutlich wird, was Paulus sagt: ?Habt
die Denkweise Jesu Christi unter euch?. Man könnte vielleicht auch sagen:
?Die Art und Weise wie Jesus dachte sollt ihr euch aneignen!?

Nun ist es so, dass wenn ich das Wort ?denken? höre, dann verstehe ich zuerst
z.B. das Lösen von mathematischen Problemen darunter. Denken heißt für mich
das Nachsinnen über geistige Hindernisse, Problemfelder etc. Was Paulus
hier meint, ist wohl auch gut übersetzt und leichter verständlich mit dem
Wort ?Gesinnung!? (Luther übersetzt mit ?gesinnt? sein, was ich besser finde
als Paul Murdoch in seinem Kommentar Edition C, Bd 15, ab.S.72).

Luther übersetzt noch: ?wie es der Gemeinschaft mit Jesus Christus entspricht?.
Das griech. Wort koinonia (Gemeinschaft) kommt hier nicht vor. Vermutlich
zieht Luther die Gedanken von Vers 1-4 dazu, auf die sich ja das erste Wort
von Vers 5 ?Touto? (dieses) bezieht. Nocheinmal: wörtlich müßte man übersetzen:
?Dieses denkt unter euch (oder: solches sollt ihr denken), wie auch Christus
Jesus (es tat)/ oder: wie es gegenüber Jesus Christus angemessen ist.

Paulus gebraucht hier erneut das Wort des Denkens! Paulus sprach in Vers
2 von dieser Denkweise oder Gesinnung (siehe Auslegung zu den Versen 1-4).
Der Apostel betont, dass ein Wandel in der Denkweise stattfinden muss. Und
diese Denkweise muss von der Liebe geprägt sein. Die Gesinnung ist ein wichtiger
und nicht zu unteschätzender Bestandteil.

Hier ist es wichtig, dass wir anhand von Bibelstellen eine klare Unterscheidung
treffen: das Wort für Gedanken oder der Akt des Denkens heißt im griechischen
?dialogizomai?. Das hier gebrauchte Wort ?froneo? meint aber eine ganze
Art des Denkens ? eben eine Gesinnung. Wo kommt dieses Wort noch vor? An
einer sehr entscheidenden Stelle in Markus 8,33: ?..denn du meinst nicht,
was göttlich, sondern was menschlich ist!? Petrus, zuvor noch erfüllt mit
dem heiligen Geist, bekennt den Herrn Jesus als den Messias. Es ist eine
geistgewirkte und geprägte Denkart und Einsicht! Doch das menschliche Denkgebäude
schiebt sich dazwischen und wehrt sich gegen Jesu Leidenstod. Dieser Kampf
und Zwispalt drückt Paulus in Römer 8, z.B. Vers 5: ?denn die fleischlich
sind, die sind fleischlich gesinnt (fronousin), die aber geistlich sind,
die sind geistlich gesinnt!

Nun verstehen wir, warum Luther diesen Text so übersetzt! Seid unter euch
so gesinnt (siehe Römer 8,5), wie es der Gemeinschaft mit Christus Jesus
entspricht! Das meint, als Kinder Gottes sollen wir bemüht sein, unser Denken
vom Heiligen Geist prägen zu lassen. Das dies nicht unbedingt automatisch
geht, macht der Imperativ deutlich, den Paulus in Vers 5 gebraucht. Aktiv
heißt das, dass wir uns mit Gottes Gedanken auseinandersetzen und uns dieses
Denken durch Wort und TAT verinnerlichen und umsetzen.

Vers 6:

hos en (der in) morfhä (Form, Erscheinungsform) theou (Gottes) huparchon
(hüparco=bin vorhanden, hier Partizip konz. Obwohl vorhanden war), ouk (nicht)
arpagmon (an sich reißen, rauben) ägäsato (Aorist von ägeomai=meinen, betrachten
als, halten für) to einai isa theo (gleich zu sein mit Gott).

Ich übersetze folgendermaßen: Der, obwohl er der äußeren Erscheinung nach
göttlich war, meinte er nicht, er muss die Wesensgleichheit mit Gott an
sich reißen (gleich einem Raub festhalten).

Ich finde, dieser Vers ist sehr schwer ins Deutsche zu übersetzen, weil
der Gedanke des Raubens drinsteckt. Wieso muss der Herr die Wesensgleichheit
mit Gott rauben, wenn er sie doch besitzt? Hier gefällt mir Murdoch1, der
hier folgendermaßen übersetzt:

?Seiend in der Form Gottes ? das Sein gleich Gott nicht für etwas erachtete,
das an sich festzuklammern wäre..!?

Luthers Übersetzung: ?...hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein!?
ist dem Sinn nach für mich irreführend. Es klingt auf mich so, dass der
Herr die Gottgleichheit an sich geraubt hat, es aber nicht als geistigen
Diebstahl ansieht. Das meint Paulus aber nicht, sondern genau das Gegenteil.
Jesus ist Gott gleich, aber er verzichtete auf diese Gleichheit. Aber inwiefern?
Hier müssen wir uns dem griechischen Wort ?morfä? zuwenden. Murdoch übersetzt
mit ?Form?. Wörtlich heißt es ?Gestalt /äußere Erscheinungsform?. Das Wort
morfhä kommt im NT nur dreimal vor. Zweimal in Philipper 2 und 1 mal in
Markus 16,12. Letzteres beschreibt den auferstandenen Christus. Der Grieche
versteht unter Gestalt das äußere Aussehen und die Art eines Menschen, die
für ihn typisch ist und an der er erkannt wird. An der Grenze des menschlichen,
also bei Göttern und Heroen glaubten die Griechen, dass sie ihre Gestalt
verändern können. Wenn es beim Auferstandenen also heißt, dass er ?in anderer
Gestalt? erschien, dann meint morphä bei Christus seine Göttlichkeit. Da
jeder Mensch ihn aber als Mensch realisierte und einordnete und nicht etwa
als eine Lichtgestalt meint Paulus wohl hier, dass Jesus alle Möglichkeiten
Gottes als Mensch auch hatte, aber bewußt darauf verzichtete!

Vers 7:

alla eauton ekenosen (sondern er entleerte sich selbst/machte sich selbst
arm-gering), morfhä doulon labon (die Gestalt eines Sklaven nahm er an),
en homoiomati anthropon genomenos (wurde gleich einem Menschen) kai (und)
s-chämati (Haltung, Aussehen) euretheis (befunden) os anthropos (als ein
Mensch)

Sondern er entleerte sich selbst/erniedrigte sich selbst, die Gestalt eines
Sklaven nahm er an, er wurde (uns) Menschen gleich und wurde als ein Mensch
befunden.

Das Wort entleeren meint hier tatsächlich das Ausleeren eines Inhalts oder
auch das Zerstören von Dingen. Jesus verzichtete demnach komplett auf seine
Göttlichkeit, seine Hoheit, auf Titel und Ansehen und wurde ganz Mensch,
dennoch Gott bleibend. Er wurde nicht nur ganz Mensch, sondern nahm die
geringste Position der menschlichen Hirarchie ein ? den Sklaven und (morphä)
die Rechte eines Sklaven. Seine Umgebung nahm ihn als Mensch war und bezeugt
es. Er ist wahrer Gott und wahrer Mensch.

Vers 8:

etapeinosen (von tapeino=erniedrigen) eauton (Er erniedrigte sich selbst)
genomenos hypäkoos (ward gehorsam) mechri (bis) thanato(zum Tode) thanatou
de staurou (und zwar den Tod am Kreuz).

Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod
am Kreuz.

Paulus wiederholt den Gehorsam Christi. Jesus war stets gehorsam, Ungehorsam
gibt es bei Jesus nicht. Doch als Mensch ?ward? er gehorsam. Das heißt,
er mußte sich zutiefst erniedrigen, mußte ganz Mensch werden, mußte ?Gehorsam
lernen?. Dieser Gehorsam verlangte vom Sohn Gottes alles ab. Der Atem stockt
beim Kreuz. Denn das Kreuz ist das Fluchholz. Es ist für uns unvorstellbar,
wie weit die Erniedrigung Christi ging, wie der nackte Gehorsam seinem Vater
gegenüber den Sohn durchtrug und ihn etwas tun ließ, worüber er eigentlich
richtet. Vom Vater getrennt, von fremder Sünde belastet, hängt der selbst
Sündlose am Kreuz und kann es ändern. Die ganzen Sprüche der Pharisäer ?
wenn du Gottes Sohn bist ? machen deutlich: der Herr hätte auch anders gekonnt.
Er hätte einen eigenen Weg wählen können. Doch dieser eine Weg führte nur
zum Heil für uns. Jesus blieb gehorsam, bis zum Tode, bis zum Tode am Kreuz.


Vers 9-11:

darum hat Gott ihn über die Maßen erhöht (hyperüpsosen) und ihm (aus Gnaden)
geschenkt (exarisato) den Namen, der über alle Namen ist.

Damit in dem Namen Jesu/ (dem Sinn nach) unter Anrufung des Namens Jesu
(oder auch zu Ehren...) alle Knie sich beugen, im Himmel (epouranion) und
auf Erden und unter der Erde und jede Zunge (Sprache) bekenne (exegolomai)
dass der Herr ist Jesus Christus, zur Herrlichkeit/Ehre des Gottes, des
Vaters.

Durch diesen Weg, den der Herr einschlug, hat Gott der Vater den Sohn erhöht.
Er hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen steht. D.h. Wer diesen
Namen kennt, diesen Namen nennt vor dem himmlischen Vater, sich auf diesen
Namen beruft und an ihn glaubt, wird selig. Der himmlische Vater den Sohn
zum Heilsfürsten, zum Prinz der Seligkeit für uns Menschen gemacht. Christus
aber wurde zum Bettler, um erhöht zu werden.

1Paul Murdoch, Kommentar Edition C, Bd. 15, ab S.72