Bibelarbeit zu Philipper 2, 1-4

von Michael Strauch


Ich meine, dass der Luthertext nicht deutlich genug zum Ausdruck bringt,
was im Grundtext steht. Ich möchte versuchen, den Text selbst zu übersetzen,
besonders Vers 1. Dieser Vers betont viermal

eine Bedingung ? Konditionalsätze. Ich frage mich, ob Paulus damit einen
bestimmten Gedanken verfolgt. Wenn wir Luther lesen, so gewinnen wir u.U.den
Eindruck, dass die genannten Begabungen und Regungen in der gesamten Gemeinde
verteilt sind. Im Grundtext meine ich aber herauszuhören, dass besonders
der Einzelne angesprochen wird und ist:


1. Wenn nun irgendjemand eine Ermunterung (hat) in Christus... (auch:Zuspruch,
Trost)

2. Wenn irgendjemand eine Erleichterung durch die Liebe hat1... (auch Trost)

3. Wenn irgendjemand Solidarität2 (hat im) Geist (auch Gemeinschaft, Bereitschaft
zum Mitleiden)

Wenn irgendjemand (so wörtlich) Eingeweide (gemeint: Herz, Sitz der Gefühle)
(hat) und Erbarmungen ? man könnte demnach auch übersetzen: wenn jemand
ein Herz hat für jemanden und erfüllt ist mit Erbarmen...

Es fällt folgendes auf:

Ermunterung in Christus: Mut machen, den Blick aufrichten, auf Christus
sanft hinweisen, wieder fröhlich machen auf geistlicher Basis (in Christus!).
Das kann geschehen durch eine liebe Karte mit einem mutmachenden Vers, das
kann geschehen durch einen Telefonanruf, durch eine E-Mail, durch ein kleines
Geschenk. Ermutigung und Trost durch ein geistliches Wort!

Erleichterung durch die Liebe: hier wird es praktisch. Hier ist ein Mensch,
der schwer zu tragen hat an seinem Los und nun wird praktisch gefragt: wer
will mitanpacken. Wer will die Last für denjenigen leichter machen? Leichter
meint, einen Teil der Bürde auf sich nehmen. Einen Teil der finanziellen
Bürde. Das kann heißen, dass man sich um kleine Kinder mal kümmert. Das
kann sein, dass man einkaufen geht etc.etc. Aber es geschehe ?durch die
Liebe?. Die Liebe ist selbstlos, ohne Hintergedanken, ohne stille Rückforderungen.
Sie tut es, weil es den Menschen gern hat.

Wenn jemand Solidarität hat im Geist: Nicht jeder ist begabt, andere durch
ein geistliches Wort zu ermuntern. Nicht jeder ist geschickt im praktischen
Dienen. Aber er kann sich solidarisch erklären mit dem Leid des christlichen
Bruders oder der Schwester. Solidarität heißt für mich, im Gebet und in
der Fürbitte den Menschen mit seiner Not mit mir zu tragen. Diese Gabe ist
weniger populistisch, aber genauso wertvoll.

Wenn jemand ein Herz hat...: Dieser Vers ist geheimnisvoll. Meint Paulus
das, wie ich ihn im Moment verstehe? Meint er, dass ein Herz voller guter
Gefühle und richtigen Erbarmens Voraussetzung ist dafür, sich einem leidenden
Menschen zu widmen?

Wieviel unguter und schwieriger Trost gibt es unter Christen. Hier will
einer den anderen trösten, aber dieser wehrt sich gegen diesen Trost, worauf
der Tröster schwer beleidigt sich zurückzieht. Aber ein Mensch spürt sehr
deutlich, ob der Trost selbstlos und aus Liebe geschieht. Drum prüfe dein
Herz, bevor zu tröstest. Ein falscher Trost kann mehr kaputt machen als
kein Trost.

Weiter verstehe ich Paulus hier so, dass die Gemeinde reich begabt ist durch
ihre Unterschiedlichkeit. Es gibt bestimmt ?irgendeinen?, der praktisch
ist oder der betet. Darum: spürst du, dass das Leid des Anderen Dich betroffen
macht? Wenn ja, dann wirkt Gottes Geist und Du solltest handeln.



Vers 2 (eigene Übersetzung):

Erfüllet meine Freude, indem ihr das gleiche denkt, indem ihr die gleiche
Liebe (agape- lat.Vulgata: caritas!) habt, einträchtig (seid), indem was
ihr denkt.

Wo noch vorher Paulus viermal durch Konditionalsätze gesprochen hat, so
nun durch eine liebevollen Imperativ: Erfüllet meine Freude...

Wie? Indem ihr...


1. Das Gleiche denkt (eins im Denken, einmütig) (2x)

2. Die gleiche Liebe ausübt

Vorher sprach Paulus das Gefühl an (Stichwort: Eingeweide-Herz), nun das
Denken, die Gesinnung.

Paulus möchte, dass es alle einsehen, alle glauben, alle fest davon überzeugt
sind: die Liebe gehört zum Wichtigsten in der Gemeinde Jesu. Und zwar die
caritative, praktische Liebe durch den Nächsten. Eine Liebe, die zu jedem
gleich ist und sich gleich verteilt. Eine Liebe, die keine Ruhe hat, wenn
ein Glied leidet. Eine Liebe, die keine Ruhe hat, wenn nach dem Gottesdienst
jemand allein steht und keinen Kontakt findet, eine Liebe, die stetig das
Denken beeinflusst. Von der Liebe gesprochen und gesungen wird sehr viel.
Aber die Liebe muss im Denken einen Platz finden. In meiner Überzeugung,
in meinem Willen und in meiner Einsicht muss es ganz tief beginnen und greifen:
die Liebe ist der wesentliche, wesenseigene Wesenszug Gottes.

Im lateinischen wird das Wort caritas gebraucht, mit dem wir alle die tätige
Liebe an den Hilfsbedürtigen verstehen. Im griechischen ist die Agapä die
selbstlose Liebe zu Gott, die unwahr und heuchlerisch ist, wenn sie nicht
ihren Wiederhall im Menschen findet.



Vers 3+4:

Tut aber nichts aus Selbstsucht (Eigennutz), nichts um leerer Ruhmsucht
willen, sondern in der (für Christus so charakteristischen) Demut/Bescheidenheit
? denkt, haltet für, führt und leitet, meint und glaubt ? so dass der Andere
über euren eigenen Interessen steht.


Paulus stellt diese für uns Christen so wichtige Frage nach dem Motiv unseres
Handelns. Und wir sollten nicht zu schnell sein, indem wir behaupten könnten,
das alles sei weit von uns entfernt.

Jeder Mensch denkt an sich ? mehr oder weniger. Jeder Mensch handelt eigennützig.
Auch Christen sind nicht gefeit, vieles im Namen Jesu zu tun um des Ruhmes
und des Ansehens, das damit verbunden ist. Ich empfehle hierin den Film
?Die Dornenvögel?, der die Geschichte eines Geistlichen dokumentiert, der
meint, alles für Gott zu wollen und zu tun und letztendlich sich nicht kennt,
seine Ruhmsucht, seinen Eigennutz. Mancher große Theologe verleugnete seine
Arbeiten im späten Alter, weil er begriff, dass die Motive nicht lauter
waren.

Das Wort Demut wird heute kaum gebraucht, höchstens im negativen Sinn ?demütigen?.
Vielleicht ist die zweite Übersetzungsmöglichkeit auch gut: Bescheidenheit.
Für das griechische Wort ?halten für? kann man auch meine, glauben, führen
und leiten etc. einsetzen. Was würde das aber bedeuten? Heißt das, dass
ich mich stets zurücksetze um des anderen willen? Im Gegenteil: ich setze
meine Gaben ein, damit der Andere sich daran freuen kann und Gott preist.
Ich bereite Predigten und Bibelstunden so vor, dass ich es dem Zuhörer angenehm
und leicht mache, aufzupassen. Ich nehme den Anderen in jeder Hinsicht ernst.
Die persönlichen Gefühle wie Ansehen, Ruhm, Ehre sind nach Paulus schlichtweg
?leer?. Schöne Hüllen ohne Inhalt. Hülsen. Der Ruhm hat keinen Bestand.
Er muss ständig neu gehalten werden, erneuert, übertroffen werden. Welch
ein Stress und muss doch nicht sein. Vielleicht ist umso mehr Ruhmsucht
in der Gemeinde Jesu, je weniger in ihr geliebt wird. Ich glaube, wo die
Menschen angenommen und geliebt sind, findet das Feuer der Eitelkeit wenig
Nahrung.



1Paramüthion agapäs ? siehe ebenda Preuschen-Griech.-deutsches Wörterbuch
zum NT, deGruyter 1976 S.137

2Ebenda S.109