Bibelarbeit gehalten am 7.10.99 im HK Öschelbronn und am 28.09.2000 in der GS Winnenden

Berglen, 28. September 2000 Bibelarbeit über Matthäus 6, 1 - 4,


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Wahre und falsche Frömmigkeit in ihren jüdischen Hauptäuperungen (Kap 6,1-18)

Kapitel 6, 1-4: Das Almosen

Versuch einer eigenen Übersetzung aus dem griechischen. Der Luthertext ist vorab gestellt:

Vers 1:

Habt acht auf eure Frömmigkeit, daß ihr die nicht übt vor den Leuten, auf daß ihr von ihnen gesehen werdet; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel. (Luther)

Prüft eure Motivation, ob ihr eure guten Werke nicht aus dem Grund tut, um von euren Mitmenschen bewundert/angesehen zu werden, denn sonst ist euer Lohn beim Vater im Himmel verloren. (eigene Übersetzung)

Wortexegese (Exegetisches Wörterbuch zum NT, S.410)

Habt acht (prosechete): den Sinn richten auf, sich kümmern um, sich in acht nehmen vor, sich befassen mit. Häufig in der Bedeutung: sich hüten vor, sich in acht nehmen, auch sich befleißigen.

Frömmigkeit (tän eleämosünän): In der Vulgata (lat. Übersetzung) steht eigentlich Gerechtigkeit". Die englische Übersetzung schreibt good works" (gute Werke). Die byzantinisch griechirsche und der Stephanuscodex schreiben Almosen". Nestle Aland gebraucht den griechischen Begriff: dikaiosünä: Gerechtigkeit.

D.h. in den unterschiedlichen Handschriften gibt es unterschiedliche Begriffe und Übersetzungen: Almosen, Frömmigkeit, Gerechtigkeit, gute Werke.

Es liegt der Gedanke nahe, daß Jesus das Gewicht nicht darauf gelegt hat, wie man am frömmsten spendet", sondern es geht ihm um eine geistliche Haltung, von der die Art des Spendens nur ein Beispiel darstellt.

Gesehen werdet (theathänai): Immer bezeichnet der theathänai den Vorgang des sinnlichen Sehens mit den Augen. Allerdings gibt es im griechischen noch andere Verben für diesen optischen Vorgang (orao, blepo). Warum also dieser Begriff? Das Wort, etymologisch gesehen, leitet sich ab von dem Wort thäa - Anblick - siehe auch theatron=das Theater). Die Theatäs sind die Zuschauer. Etymologisch gehört auch das Wort thauma dazu. Es meint staunen, sich verwundern im Sinne von bewundern. Homer gebraucht diesen Begriff für die staunende, verwundert andächtig betrachtende Menge. Im Klartext:

Hier sind Menschen gemeint, die über das fromme Handeln eines anderen Menschen staunen, ihn ehren, ihn mit sinnlich erstaunter Bewunderung betrachten.

Vers 2:

Wenn du nun Almosen gibst, sollst du nicht lassen vor dir her posaunen wie die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Gassen, auf daß sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich, ich sage euch: sie haben ihren Lohn dahin. (Luther)

Wenn du nun eine Gabe gibst, so posaune es nicht in alle Welt herum, so wie es die Schriftgelehrten tun in den Synagogen und auf den Straßen, damit sie von der Menge verehrt werden (doxa doxasthosin). Amen, ich sage euch (apechusin apecho weghaben, entfernt sein), ihr Lohn ist in weite Ferne gerückt. (eigene Übersetzung)

Gabe (eleämosünan): Hier eindeutig Gabe". Gemeint ist hier nicht eine kleine Spende, sondern ein im Judentum übliches, großzügiges Opfer.

Posaunen (salpisäs): Im synagogalen Gottesdienst traten die Spender hervor und kündigten an, was sie willig waren, zu geben. Bei großen Summen durfte der Geber sich nach vorne neben dem Rabbi setzen. Dann konnte es passieren, daß ein Diener ins Schofar" blies und die Gabe der himmlischen Welt meldete.

Heuchler (hypokritäs): Heuchler, Schauspieler

(Lohn) erhalten (apechouoi misthon): kommt aus der Geschäftssprache und meint den Erhalt einer Quittung. Mit apecho" erklärt der Gläubiger sich einverstanden, alles erhalten zu haben.

Vers 3 und 4:

Wenn du aber Almosen/gute Gaben gibst, laß deine Linke nicht wissen, was die rechte tut.

Auf daß dein Almosen verborgen sei; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir`s vergelten. (Luther)

Wenn du aber Almosen/gute Gaben gibst, laß deine Linke nicht wissen, was die rechte tut.

Damit es im Unscheinbaren geschieht und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dich dafür belohnen. (eigene Übersetzung)

Was meint Jesus? Ein Versuch einer Deutung:

Jesus wünscht die volle Ungebundenheit des Jüngers von der Anerkennung durch Gemeinde und der eigenen Selbstbeschauung (Vers 3). Jesus erlebt die Gemeinde als eine Art Theater. Da gibt es die Zuschauer, das sind die Gemeindeleute und die Schauspieler, das sind Einzelne, die mit großer Publikumswirksamkeit agieren können. Es können Menschen sein mit ausgeprägter Begabung, mit Ehrentitel oder auch - wie in diesem Fall - mit viel Geld. Der Einsatz von Gaben, Geld und Wissen macht noch nicht zu einem Heuchler. Es geht um die Haltung. Was für einen Schauspieler beruflich verständlich ist, soll in der Gemeinde keinen Platz haben. Der Schauspieler spielt, so gut er kann, irgend eine Rolle. Er setzt all sein Talent ein. Sein Ziel ist die Anerkennung durch das Publikum. Denn durch deren Anerkennung steigt seine Nachfrage und sein Ruhm.

Jesus sagt: wenn ein Gemeindeglied auf seinen Ruhm aus ist und ihn durch die Gemeinde erhält, dann hat er seinen Lohn von den Menschen schon erhalten. Gott geht geradezu kaufmännisch vor. Gott ist nicht jemand, der Menschen, die eh schon im Rampenlicht stehen, auch noch in der himmlischen Welt besonders belohnt.

Der Christ muß sich entscheiden, von wem er seinen Ruhm" bekommen will. Paulus konnte sagen: ich rühme mich des Herrn. Diese Anerkennung, die Gott zollt, ist eine ganz andere wie der Menschen. Gottes Anerkennung (Ei, du guter Knecht...) bleibt und wird durch Mißerfolge nicht erschüttert. Gott kennt nicht Applaus und Buhrufe, sondern Gott sieht warmherzig auf das Wenige, was wir durch ihn bewirken können.

Anerkennung durch den Menschen versklavt entsetzlich. Ich denke an Roy Black, der gegen Ende nur noch Auftritte auf Hochzeiten oder kleineren Festen hatte und sich vom Fenster stürzte. Anerkennung, Macht und Ruhm sind auch heute in der Gemeinde weit verbreitet.

Es gilt als ehrenhaft, in der Gemeinde von Pastor soundso zu sein. Es scheint, als würden die Taten dieses Pastors mich zusätzlich heiligen. Das ist falsch, weil jeder selbst vor Gott einmal stehen wird und mein Leben und mein Glaube zählen wird. Die Zugehörigkeit von Gemeinde wird keine Rolle spielen.

Noch einmal:

Es geht dem Herrn Jesus n i c h t primär um die Taten der Barmherzigkeit. Darum ging es den Juden mehr oder weniger. Was Jesus kritisiert, ist das Motiv, die Antriebsfeder für mein Handeln. Am Beispiel des Almosengebens (weil damals höchst öffentlich), stellt er zwei Ebenen dar: die typisch menschliche und die einzig gültige, göttliche Ebene. Beide Ebenen bringen etwas ein. Die menschliche Ebene bringt Bewunderung, Ansehen, Mittelpunkt - schlichtweg: Applaus (Stichwort: ehrenkäsig). Dieser Lohn ist j e t z t greifbar, erlebbar, genießbar. Auf der göttlichen Ebene bleibt er aber ohne Wert und Wirkung.

Die göttliche Ebene dagegen bringt das Wohlgefallen Gottes, den Applaus der Engel, das ewige Leben mit all seinen Reichtümern. Dieser Lohn steht noch aus, er ist im vollen Maße in diesem Leben nicht zu genießen. Im Gegenteil - der Lohn soll sogar unbehelligt bleiben. Die Tat der Barmherzigkeit ist top secret", eine Sache, die nur Agent und Auftraggeber kennen - also Christ und Christus.

Neben der Frage, ob es sich nun lohnt, auf das Bessere" zu warten, kommt noch eine dritte Ebene hinzu: die schon jetzt erfahrbare, göttliche Ebene in Form der Freiheit eines Christenmenschen". Jesus sagt das alles nicht, weil er dem Menschen die Anerkennung neidet, sondern weil der Christ auf der menschlichen Ebene ein Sklave seiner Mitmenschen wird. Ständig wird sein Werk und Leben beurteilt, gewogen, applaudiert oder in den Schmutz gezogen. Er ist nicht mehr frei. Ein Mensch, der von Gott abhängig ist, erlebt hier eine große Freiheit.

Wie gehen wir nun praktisch vor?

Mein Lehrer für NT, Thomas Richner, pflegte immer zu sagen: was ist dein Motiv? Dabei reiche es nicht, mit dem Allwetterschwamm drüber zu wischen, indem man sagt: wir sind alles kleine Sünderlein, war immer so, war immer so. Was ist mein Motiv? Das erkennt nur, wer in einer intensiven Begegnung mit Gott in Wort und Gebet lebt und sich von Gottes Geist erleuchten läßt.

Wie gehen wir mit dem um, wenn uns eine Tat eines Anderen begeistert? Ich meine, wir müssen Menschen, Gottesdienste, Hauskreisabende, Gemeinschaftsstunden etc. nicht immer bewerten. Meistens ist diese Bewertung unsachlich und subjektiv. Ich kann mich fragen: hat mich der Hauskreis, die Predigt etc. Jesus ein Stück näher gebracht? Wenn ja, dann war es der Herr, der durch einen bekannten Redner gleichermaßen wie durch einen einfachen Stundenbruder vollmächtig sprechen kann.

Bewunderung für andere und Bewundert werden wollen hat oft sehr viel mit mir zu tun. Mit meiner Selbstannahme und Selbstliebe. Jesus will mich befreien. Befreien von Menschen, die ich heute bewundere und die mich morgen gräßlich enttäuschen. Befreien von mir selbst, weil ich von Gott geliebt werde, auch ohne Leistung. Und befreien von Menschen, die mich bewundern, weil diese Bewunderung Erwartungshaltungen im Hintergrund bergen und ich diese niemals erfüllen kann und muß.