Ausgelegt von Michael
Strauch
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Der Tempel. Ort und Wohnung
Gottes unter den Menschen. Abgerissen, kein Stein auf dem anderen, zerstört!
Noch steht er. Seine großen Mauern, die Herrlichkeit menschlicher Baukunst im
Spiel der auf-und untergehenden Sonne beeindrucken das pharisäisch von Ju gend
auf geprägte Herz. Auch das Herz des Jüngers. Und Jesus geht hinaus. Es ist mehr
als ein räumliches Verlassen, wo wie wir nach dem Gottesdienst die Kirche
verlassen. Vers 1: Und Jesus trat hinaus und ging vom Tempel hinweg.
Er ging weg. In diesem
weggehen ist beides zugleich. Der Beginn des Neuen und das Ende des Alten. Der
Beginn des neuen Bundes und das Ende des Alten. Es ist das Gericht über die
althergebrachte Frömmigkeit und das offene Tor zum Kreuz. Gott verlässt den Te
mpel, Denn es naht die Stunde, wo der Fromme weder in Jerusalem noch an sonst
einem bestimmten Ort Gott anbeten muss (Joh 4,21ff).Jesus verlässt den Tempel.
Wer hier den Mut hat, Christus zu folgen, auch wenn die alten, frommen Bindungen
stark sind, der w i rd frei für das Neue. Jesus gebraucht schwere Worte für die
Zerstörung des Tempels. Die Steine werden aus dem festgefügten Miteinander
ausgebrochen. Die Zerstörung ist vollständig, hundertprozentig und erinnert an
Situationen im Alten Testament, wenn man v om „Bann vollstrecken“ sprach. Da gab
es keine Schonung, alles - Mensch und Tier - wurde der Vernichtung preisgegeben.
So wie Mose das Gold des Stieres zerschlug und mit einem Mörser zerrieb, so wird
der Tempel vollständig verschwinden. Zerstört wurde n ich t die eckige
Ringmauer, sondern allein der Tempel.
Jesus hat im Osten den
Tempel verlassen, ist aus der Innenstadt heraus und dann den Ölberg hinauf. Von
dort hat man einen guten Blick auf den Tempel. Der Herr wird sich gesetzt haben,
seine Jünger waren mit ihm allein. Die Fragen drängen in ihrer Brust: wa nn und
wie wird das alles sein? Auch wollen sie wissen, was für alle Jünger keine Frage
ist: wann kommt der Herr wieder? Auch wissen sie, dass das Wirken Gottes stets
von Vorzeichen und Ankündigungen begleitet wird. Also fragen sie: wann wissen
wir, wann D u kommst? Wir wollen uns bereithalten für diesen Tag.
Und der Herr sieht die
Zukunft. Er überblickt die Spanne zwischen Kreuz und Wiederkunft. Und er macht
deutlich, dass die volle Wucht des Menschenzorn, wenn sie ihn getroffen und ans
Kreuz geschmettert, vor den gläubigen Juden nicht halt machen wird. Wie er
fahren in der Apostelgeschich-te, wie sehr die junge Gemeinde verfolgt wurde.
Der Zorn der Pharisäer überdauert die Hinrichtung des Meisters. Die Gemeinde
wird zerstreut, gerät in die Diaspora. Außerhalb der Reichweite der
theologischen Spitzbuben. Doch d i e Wiederkunft Jesu, die doch so nah erschien,
wird bald zur ungewissen Qual. Wann kommt er denn? Wann sühnt er das Unrecht? So
wie ein Publikum im Theater sitzt und die Aufführung nicht beginnen will, darauf
anfängt, unruhig zu werden und wütend, so best eh t die Gefahr, dass man selbst
die Wiederkunft inszeniert. Schnell wittern Irrlehrer oder Möchtegerngurus ihre
große Chance. Inmitten einer großen, angespannten Erwartung den Helden in Form
des Wiederkommenden Messias zu spielen, ist klar. Bar Kochba, de r 1 33
n.Chr.als falscher Messias auftrat, ist nur einer der vielen Irreführer. Doch
falsche Messiase sind nicht die einzigen Zeichen. Die Wut, die unkontrollierte
Zerstörungslust wird auch außerhalb Palätinas zum Zuge kommen. Große Schlachten
stehen der G esch ichte der Menschheit noch bevor. Und je älter und scheinbar
erfahrener die Menschen werden, desto erbitterter und brutaler werden diese
Gefechte geführt. Und der Gläubige steht mal abseits und hört davon, mal ist er
mittendrin. Wie auch immer, er soll sich nicht fürchten. Weil alles so sein
muss, macht der Herr deutlich, dass Gott, der Vater die Fäden in der Hand hält.
Nichts geschieht ohne seinen Willen. Der Herr Jesus benutzt bei alledem den
Begriff „Wehen“. Das Bild der Wehen hat im Judentum eine al te Tr adition.
Paulus gebraucht es in 1Thess 5,1ff. Die Wehen kommen über eine Frau unerwartet.
Sie weiß zwar, dass sie kommen. Sie erfährt an ihrem Körper Veränderungen, eine
Art „Begleitumstände“.
Aber sie weiss nie genau,
wann die Wehen punktgenau einsetzen. Sie kommen, sie tun „höllisch“ weh und
gehen eine bestimmte Zeit. Im Gegensatz zu anderen, Krankheitsbedingten oder
Unfall verursachten Schmerzen künden die Wehen etwas an. Der Beginn etwas Neu
em. Die Frau weiß, wenn die Wehen durchstanden sind, hat sie ihr Kind im Arm und
alle Trauer ist vergessen. Mehr noch. Für eine jüdische Frau war die Geburt
eines Kindes das Ende einer Schmach. Keine Kinder zu bekommen war für eine
jüdische Frau ein schre cklicher Zustand. Kinder empfanden sie als Ziel, als
Gabe Gottes der besonderen Art, ja als Lebenserfüllung. Sie lebt und gibt
anderen das Leben weiter. Ihr Leben hat sich gelohnt. So das Denken damaliger
Zeit. Das Ende der Wehen ist somit auch Ende der S c hmach. Die Wehen machen
deutlich: nun konzentriere dich auf den Moment. Nun fange nichts anderes mehr
an. Die Geburt steht bevor. So versteht der Herr seine Wiederkunft. Er sagt
nicht, wann genau er kommt. Er sagt, dass die Zeit der „Weltenschwangerschaf t“
beschwerlich sein wird. Doch alle Schmerzen, die Kriege, die Naturkatastrophen
künden doch nur davon, dass die Schmach ein Ende haben wird. Und für den
Ungläubigen sind die Kriege, die Erdbeben etc., die er ja ebenfalls erleiden
muss, ein Wegschlagen se in er Selbstsicherheit. Im Grunde sind alle
Katastrophen dazu da, dass der Mensch erkennt, dass er dem Spiel der
Naturgewalten hilflos ausgeliefert ist und nur bei Gott wirkliche Rettung ist.
So sind diese drohenden Worte Jesu doch durchwirkt von Liebe zu all en Menschen.
So ist sein Zorn gemischt mit Erbarmen und mit dem Ringen, den Einzelnen zu
gewinnen. Der Herr spricht davon, dass wir in dieser Zeit Angst
durchbuchstabieren werden. Aber so wie ein Hebamme zur kreißenden Mutter
spricht, sie soll an ihr K ind denken, sie solle zum Kind atmen, so sollen wir
auch auf Christus schauen und bei allem erlittenden Unrecht wissen: der Herr
wird es richten. Das Schönste kommt noch.
Eines der bedrängensten
Wehen wird aber das Zeugnis zu Jesus sein. Paulus selbst, als er noch kein
Christ war, weiß um die Kraft und Macht der Verblendung. Er weiss darum, wie es
ist, wenn man meint, im göttlichen Auftrag zu handeln und dabei alle Andersde
nkenden zu vernichten. Wer den jüdisch-überlieferten Glauben nicht annimmt, der
wird es schwer haben in Israel zu jener Zeit. Viele fallen ab, geben nach,
verraten andere. In den kommenden Christenverfolung bis zur konstanti-nischen
Wende sollte es noch v i el Abfall geben. Der Druck ist stellenweise enorm, die
Angst groß, die Bereitschaft, für Christus in den Tod zu gehen, klein. Und doch
wird das Evangelium von Jerusalem ausgehen und einstige Inquisitoren werden
bekehrt das Evangelium in alle Lande tragen . Es gilt, den Menschen zu retten,
zu gewinnen, für Christus und die Ewigkeit. Und so wird man die Jünger in der
alten Welt finden, in der Türkei, in Indien, in Mesopotamien, im heutigen
Europa. Man wird sie fast alle umbringen, aber die Saat ist gesät, di e Fackel
entflammt, das Feuer entzündet.
Jesus kehrt thematisch
wieder zum Tempel zurück. Er zitiert den Propheten Daniel. Betrachten wir
Stellen wie z.B. Daniel 9,27 oder 11,31, so wird deutlich, dass wir nicht in
erster Linie spekulieren sollen, wie der Greuel in der Verwüstung sich
vorzustelle n sei. Ob die Römer ein Standbild aufstellen würden im Tempel, ob
der Antichrist, sich selbst vergottend, im Tempel thront, ob der Felsendom als
zweitgrößtes, islamisches Heiligtum an der einstigen Stätte des Tempels das
Greuel darstellt, will ich nicht b e stimmend deuten. Tatsache ist, dass der
Tempel zweckentfremdet wird. Er ist hohl und leer. Denn durch die Ablehung des
Christus hat man auch den Vater abgelehnt. Der Tempel verödet. Entscheidend ist:
wenn es soweit sein wird, dann werden es die Betroffen en wissen und sollen
reagieren. Reagieren mit Flucht. Der Zorn Gottes trifft den Tempel, trifft
Jerusalem,trifft die umliegenden Orte in Judäa, trifft das erwählte Volk der
Juden mit großer Härte. Die zu Christus gläubig gewordenen Juden sollen nicht
aus n at ionaler Bande in Palästina bleiben, sondern fliehen. Jesus befiehlt es.
Jesus befiehlt auch, dass ihre Flucht gleich dem Exodus konzentriert geschehen
muss. Ja, im Gegensatz zum Exodus sollen sie nichts mitnehmen. Wie der Vesuv
über Pompeji und Herculan eum seine Asche und Lava urplötzlich warf und jeder
sein nacktes Leben retten wollte, so sollen die gläubigen Juden fliehen. Beten
sollen sie, dass es nicht im Winter noch am Sabbath geschieht. Der Winter mit
seiner Kälte tut sein übriges, die Flucht zu er sch weren. Eine Flucht am
Sabbath gliche einem hochzeitlichen Hupkonzert am Sonntagmorgen in einem
verschlafenen Dorf. Es würde jeder mitbekommen. Weh denen, die schwanger sind in
dieser Zeit oder kleine Kinder haben. Die Mütter, die solche Zeiten stets mi t
gr oßer Wucht zu treffen pflegt.
Sind diese Ereignisse schon
geschehen? Gab es eine geordnete Massenflucht gläubig gewordener Juden in der
Geschichte Israels? Als der Tempel zerstört wurde, waren schon viele Christen in
der Diaspora. Auch gab es davor und danach immer wieder christliche G emeinden
in Jerusalem. So, wie vom Herrn geschildert, ist es historisch meines Erachtens
noch nicht eingetreten, steht noch aus. Nur eines ist sicher: die Zeit wird
schwer sein. Und in der Not werden - wie so oft in der Menschheitsge-schichte -
Menschen o f fen für vielerlei religiöse Einfälle. Auch Christen wollen den Tag,
da Jesus wiederkommt, verkürzen. Es ist und bleibt eine Anfechtung, dass wir den
Herrn nicht sehen, nicht fühlen und fassen können. Es ist und bleibt eine
Anfechtung, dass Christus für u ns fassbar und fühlbar wird durch die Liebe, die
mir der christliche Bruder, die Schwester in Christus entgegen-bringt.
Anfechtung insoweit, als diese Herzen zunehmend kälter werden. Die Liebe wird
verwechselt mit Showeinlagen, mit „Wundern und Zeichen“. W ie die alten Cäsaren
das römische Proletariat die Ausbeutung vergessen ließ durch „Brot und Spiele“
und diese ihren Kaiser selig priesen, so werden Ereignisse für Aug und Ohr
Ersatz bieten für die echte Hand, die dem Trauernden helfen könnte. Und wer die
t ol lsten Einlagen bringt, gemixt mit frommen Worten, ist von Gott scheinbar
erwählt. Jesus verheißt uns geistliche Führer, die sich nicht scheuen, selbst
als Erlöser aufzutreten. Ihre Verkündigung reisst die Menschen mit, ihre Worte
sind fromm und scheinba r g eistgewirkt. Gegen diesen Umstand gibt uns der Herr
einen schlichten, aber äußerst wirksamen Hinweis: ich werde kommen mit Macht und
Herrlichkeit. Wie ein Blitz aufzuckt, wird alle Welt mich erkennen. Ich werde
mich nicht in „Gemächern“ aufhalten, ich werd e nicht an einem besonderen Ort
auftreten und von dort alle sammeln. Ich werde für alle sichtbar sein in einer
Weise, die dem menschlichen Fas-sungsvermögen entgegensteht. Und: niemand wird
mich vorher ankündigen! Niemand wird sagen: der Christus ist gekom men. Er wird
da sein. Plötzlich. Unerwartet. Und die Münder werden tonlos offen stehen.
Doch bis dahin geschieht
viel Schuld in dieser Welt. Die Sünde, die Schuld, die Verbrechen werden
zunehmend zum Himmel stinken wie das Aas einer verwesenden Leiche. Und wie die
Geier urplötzlich, wie aus dem Nichts am Himmel kreisen und wie die Geier angez
ogen werden von diesem Geruch - kilometerweit entfernt, so wird die begangene
Schuld das Gericht herbeirufen. Und wenn Gott diesen Zeitraum nicht verkürzen
würde, niemand würde am Ende noch im Glauben stehen.
Jesus zitiert Jesaja 13,10:
„Denn die Sterne des Himmels und seine Sternbilder werden ihr Licht nicht
leuchten lassen. Die Sonne wird finster sein bei ihrem Aufgang, und der Mond
wird sein Licht nicht scheinen lassen.“ Und: „Und alles Heer der Himmel zerge
ht. Und die Himmel werden zusammen-gerollt wie ein Buchrolle. Und ihr gesamtes
Heer verwelkt wie das Laub am Weinstock verwelkt und wie Welkes am Feigenbaum!“
(Jesaja 34,4). Und: „Ich schaute in Gesichten der Nacht: und siehe, mit den
Wolken des Himmels k a m einer wie der Sohn eines Menschen.(Daniel 7,13). Und:
„Aber über das Haus David und über die Bewohnerschaft von Jerusalem gieße ich
den Geist der Gnade und des Flehens aus, und sie werden den erblicken, den sie
durchbohrt haben, und sie werden über ihn w ehklagen, wie man über den einzigen
Sohn wehklagt, und werden bitter über ihn weinen, wie man bitter über den
Erstgeborenen weint. An jenem Tag wird die Wehklage in Jerusalem groß
sein...“(Sacharja 12, 10ff). Und: „Gebt Gott Macht! Seine Hoheit ist über Is
rael und seine Macht in den Wolken!“ (Psalm 68,35). Und: „Und an jenem
Tag wird es geschehen, da wird in ein großes Horn gestoßen werden, und die
Verlorenen im Land Assur und die Vertriebenen im Land Ägypten werden kommen und
den Herrn anbeten auf dem Heil igen Berg in Jerusalem.“(Jesaja 27,13). Und: „Und
er wird den Nationen ein Feldzeichen aufrichten und die Vertriebenen Israels
zusammenbringen und die Verstreuten Judas sammeln von den vier Enden der Erde!“
(Jesaja 11,12).
Fazit: Über das Kommen des
Menschensohns redet der Herr fast ausschließlich in prophetischen Zitaten! Das
ist von großer Bedeutung für die Auslegung. Jesus benutzt keine neuen Bilder,
sondern beschränkt sich auf die Worte der Propheten. Wir wissen z.B. vom
„gefallenen Morgenstern“, dass mit Sterne auch mächtige Männer und Frauen in der
Menschheitsgeschichte gemeint sein können. Zum Durcheinander der
Schöpfungskräfte kommen bei Christi Wiederkunft auch die menschlichen Größen zu
Fall. Alles muss die Knie beu gen vor diesem größten Herrn! Das Wehklagen der
Stämme Israels muss nun nicht als eine Angst vor dem verdienten Gericht
verstanden werden, sondern als eine Scham. Gottes ursprünglich erwähltes Volk
erkennt den Messias und muss zu seinem großen Entsetzen f e ststellen, dass der
verhasste Nazarener ihr Messias ist. Christus kommt. Er kommt, um sein Volk zu
sammeln. Um Israel zu sammeln, um die Gemeinde Jesu zu sammeln und zu vollenden,
was er begonnen hat. Er sammelt und trennt damit auch. Er sammelt die Erwä hl
ten und trennt sie von den Nichterwählten. Darin liegt Gnade und Gericht. Der
Herr verliert hier keine weiteren Worte.
Die Ungeduld wird von der
Himmelfahrt Jesu bis zu seiner Wiederkunft ein schwierig zu kompen-sierendes
Gefahrengut für den Glauben darstellen. Der Herr macht den Jüngern deutlich: So
un-wie geduldig ihr den Sommer erwartet, so erwartet Jesu Wiederkunft. Es gilt,
in dieser Zeit, im Heute und Jetzt zu leben. Es gilt, das Leben als Christ mit
Freud und Leid zu führen, so wie es im Winter möglich und Brauch ist. Dabei darf
der Christ sich nach dem Sommer sich sehnen und wissen: er wird kommen. So wenig
man den Sommer früher herbeizaubern kann, so wenig kann man Jesu Wiederkunft
herbei drängeln. Was der Jünger zu tun hat, ist - bereit zu sein. Bereit zu
hören und zu sehen. Mit offenen Augen und Ohren durch diese Welt zu gehen und
gelassen, und doch achtsam die Ze ichen der Zeit zu merken. Der Christ sieht
aufmerksam, wie die Worte Jesu sich erfüllen. Er kann nicht wissen: das oder
jenes trifft auf diese oder jene Stelle in der Bibel zu. Doch in jedem Zeichen
erkennt er, dass die Erfüllung der Worte Jesu näherrücke n . Denn die Worte Jesu
stehen wie ein Felsen in der Brandung. Sie sind gewiss und werden Ereignisse und
Taten erfahren. Der Christ beobachtet. Es ist nicht seine Aufgabe, alles
haarfein 1:1 zu übertragen, sondern er soll das Ziel ins Auge fassen. Das Ziel a
ber ist: der Herr kommt bald. Diese drei Dinge stehen fest: Der Herr kommt. Der
Zeitpunkt seiner Wiederkunft ist nur dem Vater bekannt. Mit dem Herrn kommt die
Seligkeit. Wenn Gott den Sohn sendet, wird der Sohn aktiv. Auch in diesem Punkt
bleibt der He rr Jesus seinem Vater gehorsam und untertan. Darum entwirft der
Herr Jesus nicht ein Gesamtbild seiner Wiederkunft in allen Einzelheiten, denn
diese Offenbarung obliegt seinem himmlischen Vater zu seiner Zeit. Jedes
Rechnen, jedes dogmatisch festgelegte Au sma len über die Grenzen des von Jesus
Gesagten verbietet sich.
Der Herr fügt zu den
Bildern mit den Adlern, dem Blitz nun noch die Ereignisse zu Zeiten Noahs hinzu.
So natürlich, wie ein Blitz am Himmel erscheint, so natürlich, wie die Geier
nach Aas streben, so natürlich werden die Menschen ihren eigenen Gesetzen fol
gen. Die Menschen hören von Katas-trophen, von Kriegen und Leid und sie erfahren
es auch. Sie suchen die Ursache sogar in ihrem falschen Umgang mit Natur und
Welt. Aber sie begreifen nicht den Zusammenhang zu Gott. Sie wollen ihn auch
nicht verstehen. Sie spotten darüber und gehen ihren eigenen Geschäften nach.
Die Gemeinde Jesu wird für sie zunehmend mehr unwirklich. Sie sehen die
Christen, sie hören von ihnen, sie wissen, dass sie vom Gericht sprechen. Sie
verstehen aber nicht, warum sie auf dem Festland eine „Arche“ bauen. Sie
begreifen die Hauskreise, Gottesdienste und Veranstaltungen nicht als
Vorberei-tung und Stärkung für die Ewigkeit. Für die Welt sind Christen nunmal
„komische Heilige!“ Diese Haltung, die die Mehrheit einnehmen wird, lastet
schwer a uf dem Christen. Denn er lebt mit diesen Menschen am Arbeitsplatz. Er
wird mit ihnen konfrontiert in der Schule, im Kindergarten, beim Einkaufen und
im Urlaub. Solange das Thema um „Essen und Trinken“ geht, also um die profanen
Dinge des Lebens, so kann ma n noch mithalten. Aber es ist schwer für den
Gläubigen, ständig zu schweigen von dem, was doch für sein Leben das
Entscheidende ist. Der Christ geht hier einen einsamen Weg. Und nirgends ist
Einsamkeit größer, als wenn man einsam unter Menschen ist.
Wenn der Herr wiederkommt,
wird es zu einer Trennung kommen. Zur Zeit Noahs gab es den Zeit-punkt, wo Gott
selbst die Tür zur Arche verschloss. Ab da gab es nur noch ein Drinnen und ein
Draußen. Die einen überlebten die große Katastrophen, die anderen star ben. Auch
wird an dem Bild mit dem Mühlstein und dem Feld deutlich, dass der Christ sich
nicht von seiner Tätigkeit vom Nicht- christen unterscheidet. Das Entscheidende
geschieht darin, dass der oder die eine bewußt und klar im Hier und Jetzt lebt
und auc h nur das Hier und Jetzt interessiert. Während der andere in einer
inneren Bereitschaft sich befindet, über das Jetzt hinaussieht und mit Gott in
Verbindung steht. Doch bis zum Tag des Herrn wird auch der Christ seiner
gewohnten Arbeit nachgehen. Das macht das Bild mit dem Dieb deutlich. Ein König
läßt immer Wachen aufstellen. Auch wenn vielleicht in seinem ganzen Leben nie
ein Eindringling kommt. Die Wachen stehen für den Fall der Fälle. So soll auch
der Christ wachsam sein, den Glauben an den Herrn bewahr e n und nicht müde
werden. Denn der Tag des Herrn kommt plötzlich. Eine Haltung, die sich sagt:
kurz vor dem Tod ist noch Zeit für Reue und Buße ist ein gefährliches Spiel. Der
Herr führt nun genauer aus, wie das Wachen aussieht. In einem Gleichnis von tre
ue n und untreuen Knecht.
In den Aussagen Jesu wird
immer wieder eines deutlich: dem Herrn geht es nicht so sehr darum, die Jünger
zu belehren, wie alles im Einzelnen aussehen wird, wenn er wiederkommt. Ihm geht
es da-rum, den Glauben der Jünger zu festigen. Ihnen deutlich zu mache n, wie
wichtig und entscheidend es ist, stets so normal und stets so bereit zu leben.
Er will aufdecken, worin die Gefahren für den Glauben bestehen und wie diese
Gefahren angepackt und überwunden werden können. Wir wollen das Bild
entschlüsseln. Wer ist d er Herr? Der Herr ist der Herr der Kirche: Jesus
Christus. Wer ist der Knecht, der treu und klug bezeichnet wird? Der Christ?
Achten wir auch den Zusammenhang. Ihm ist das „Gesinde“, sprich also alle
Bediensteten im Hause - nicht im negativen Sinne - unt er stellt. Seine Aufgabe
ist es, die Mitarbeiter des Hauses zu versorgen. So meine ich, ist mit dem
Knecht der Apostel gemeint, fernerhin jeder, der im geistlichem Amt
Führungsaufgaben übernimmt über andere. Der Knecht ist ein Hirte, ein Mann oder
eine Fra u, die die Gemeinde geistlich mit Brot versorgt. Jesus sagt: dieser
Knecht ist glückselig zu nennen, wenn er seine Aufgabe treu ausführt. Glückselig
jeder, der ein Amt in der Gemeinde wahrnimmt. Glückselig jede und jeder, dem
Kinder, Erwachsene und Alte zu gew iesen sind und er ihnen das Evangelium
bringt. Glückselig die Mutter, die ihre Kin-dern auf Jesus verweist. Doch jedes
Amt, das scheinbar kleine wie das große, auch und gerade die Ämter in der
Gemeinde Jesu, sei es Bischof oder Kinderstundenhelfer, sei es Pfarrer oder
Prediger, jedes Amt birgt Macht mit sich. Jeder Hauskreisleiter beeinflusst die
Leute. Jeder Jugendkreisleiter führt die Jugendlichen und prägt sie. Jeder
Prediger, jeder Pfarrer genießt Vertrauen und die Türen der Gemeindeglieder
öffnen s ich dem Boten Gottes. Darin liegt auch Macht. Macht, die die
menschliche Natur lockt. Der Reiz ist groß, sich selbst darzustellen. Der Reiz
ist groß, sich einen Namen zu machen. Der Reiz ist groß, in die „Wallhalla der
frommen Geister“ aufgenommen zu werde n. Männer und Frauen Gottes können sehr
beliebt sein. Sie werden herumgereicht, gepriesen und hoch geachtet. Und doch
kann es sein, dass von ihnen wenig Liebe ausgeht. Dass die Aus-strahlung nur auf
der Bühne wirkt. Warum aber existiert überhaupt diese Ver suc hung?
Der Herr sagt es selbst:
weil er „nicht da ist!“ Zwar ist der Herr präsent in seinem Geist. Aber er ist
nicht mit den Augen zu sehen, mit der Haut zu fühlen. Der Christ hört ihn
akustisch nicht. „Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen..“, hat der Herr
gesagt. Er sendet uns seinen Geist. Und doch ist die Abwesenheit des Chefs eine
Versuchung für seine Untergebenen, selbst den Chef zu spielen. Es ist nunmal in
der Gemeinde Jesu so, dass Ämter, Titel, Begabungen, Erfolg automatisch
Rück-schlüsse ziehen la ssen auf die scheinbar besondere Segnung durch den
Herrn. Dies ist aber nicht der Fall. Sondern dem einen ist viel an Begabung,
Kraft und Zielen gegeben. Von ihm wird viel erwartet und der Herr wird viel bei
ihm suchen. Dem anderen ist ein engerer Rahmen g esetzt. Der Herr gibt jedem so,
wie er will. Das macht weder den einen noch den anderen heiliger. Es ist der
Mensch, der sich blenden läßt. Weil in der Welt nach Erfolg und Leistung
gemessen wird, so sickert diese Haltung auch in die Gemeinde. Jesus warn t
davor. Denn Macht verändert den Charakter des Menschen. Nicht umsonst ist es
gut, wenn alle Macht Gott gehört. Wenn nun aber einem Christen „Macht“ im Sinne
von Vollmacht verliehen wurde, so liegt das Gewicht auf der Treue. Es wird von
ihm erwartet, dass e r treu die großen wie die kleinen Aufgaben tut. Es wird von
ihm erwartet, dass er auch im großen Wirkungsradius dennoch der Doulos (Knecht)
bleibt und sich nicht zum König aufschwingt und treu seine Aufgaben bewältigt.
Wenn aber der Dienst treu und demü tig verrichtet wird und viele durch diesen
Dienst Segen erfahren, dann darf der Knecht sich freuen. Reicher Lohn erwartet
ihn.
Worin besteht aber ein möglicher Machtmissbrauch? Jesus sagt, dass der Hirte
geistliche Ämter haben und trotzdem wie ein Mensch dieser Welt sich verhalten
kann. Zwei Merkmale: Saufen und Fressen mit Gleichgesinnten und Gewalttätigkeit
gegenüber den Unterge benen. Die Geschichte der Kirche - ganz gleich welcher
Denomination - ist voll von solchen Momenten. Wer allein die Geschichte der
Päpste studiert, wird darüber aus dem Staunen nicht herauskommen. Oder der
Machtmissbrauch in Zeiten der Inquisition, die br u tale Christianisierung
ganzer Völker, die Hexenverfolgung, die Erpressung von Menschen, indem das
Beichtgeheimnis als Druckmittel benutzt wurde, die Sexualverbrechen von
Priestern etc. Schon unter Calvin gab es den ersten Menschen, der unter
reformierter F lagge am Scheiterhaufen brannte. Die Liste ist lang. Der Grund
liegt meistens in der Macht. Die Menschen vertrauen in der Regel Männer und
Frauen in geistlichen Ämtern und dieses Vertrauen kann missbraucht werden. Und
was das Schlimmste ist: für viele s chl ießt sich die Tür zum Glauben. Solche
Vergehen wirken schwer. Doch der Herr will ja retten, nicht verlieren. Darum
sind solche Entgleisungen so fatal und solche erwartet der Zorn Gottes. Doch
solange der Herr nicht gekommen ist, besteht auch für solche Mä nner und Frauen
die Möglichkeit der Umkehr. Denn auch Paulus war ein Mann, der seine Macht
missbraucht hat. Diese seine Vergangenheit hat ihn ein Leben lang verfolgt. Und
gerade diese Seite in seinem Leben half ihm, auf dem Boden zu bleiben.