Auslegung zu Matthäus 24 - Letzte Worte -

Ausgelegt von Michael Strauch


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Überblick:

1: Letzte Zeit (Verse 1-14)

2: So glaubt es ihnen nicht... (Verse 15-28)

3: Er kommt! (Verse 29-31)

4: Seid bereit! (Verse 32-44)

5: Zu hoch gepokert (Verse 45-51)

Zu 1: Letzte Zeit (Verse 1-14)

Der Tempel. Ort und Wohnung Gottes unter den Menschen. Abgerissen, kein Stein auf dem anderen, zerstört! Noch steht er. Seine großen Mauern, die Herrlichkeit menschlicher Baukunst im Spiel der auf-und untergehenden Sonne beeindrucken das pharisäisch von Ju gend auf geprägte Herz. Auch das Herz des Jüngers. Und Jesus geht hinaus. Es ist mehr als ein räumliches Verlassen, wo wie wir nach dem Gottesdienst die Kirche verlassen. Vers 1: Und Jesus trat hinaus und ging vom Tempel hinweg.

Er ging weg. In diesem weggehen ist beides zugleich. Der Beginn des Neuen und das Ende des Alten. Der Beginn des neuen Bundes und das Ende des Alten. Es ist das Gericht über die althergebrachte Frömmigkeit und das offene Tor zum Kreuz. Gott verlässt den Te mpel, Denn es naht die Stunde, wo der Fromme weder in Jerusalem noch an sonst einem bestimmten Ort Gott anbeten muss (Joh 4,21ff).Jesus verlässt den Tempel. Wer hier den Mut hat, Christus zu folgen, auch wenn die alten, frommen Bindungen stark sind, der w i rd frei für das Neue. Jesus gebraucht schwere Worte für die Zerstörung des Tempels. Die Steine werden aus dem festgefügten Miteinander ausgebrochen. Die Zerstörung ist vollständig, hundertprozentig und erinnert an Situationen im Alten Testament, wenn man v om „Bann vollstrecken“ sprach. Da gab es keine Schonung, alles - Mensch und Tier - wurde der Vernichtung preisgegeben. So wie Mose das Gold des Stieres zerschlug und mit einem Mörser zerrieb, so wird der Tempel vollständig verschwinden. Zerstört wurde n ich t die eckige Ringmauer, sondern allein der Tempel.

Jesus hat im Osten den Tempel verlassen, ist aus der Innenstadt heraus und dann den Ölberg hinauf. Von dort hat man einen guten Blick auf den Tempel. Der Herr wird sich gesetzt haben, seine Jünger waren mit ihm allein. Die Fragen drängen in ihrer Brust: wa nn und wie wird das alles sein? Auch wollen sie wissen, was für alle Jünger keine Frage ist: wann kommt der Herr wieder? Auch wissen sie, dass das Wirken Gottes stets von Vorzeichen und Ankündigungen begleitet wird. Also fragen sie: wann wissen wir, wann D u kommst? Wir wollen uns bereithalten für diesen Tag.

Und der Herr sieht die Zukunft. Er überblickt die Spanne zwischen Kreuz und Wiederkunft. Und er macht deutlich, dass die volle Wucht des Menschenzorn, wenn sie ihn getroffen und ans Kreuz geschmettert, vor den gläubigen Juden nicht halt machen wird. Wie er fahren in der Apostelgeschich-te, wie sehr die junge Gemeinde verfolgt wurde. Der Zorn der Pharisäer überdauert die Hinrichtung des Meisters. Die Gemeinde wird zerstreut, gerät in die Diaspora. Außerhalb der Reichweite der theologischen Spitzbuben. Doch d i e Wiederkunft Jesu, die doch so nah erschien, wird bald zur ungewissen Qual. Wann kommt er denn? Wann sühnt er das Unrecht? So wie ein Publikum im Theater sitzt und die Aufführung nicht beginnen will, darauf anfängt, unruhig zu werden und wütend, so best eh t die Gefahr, dass man selbst die Wiederkunft inszeniert. Schnell wittern Irrlehrer oder Möchtegerngurus ihre große Chance. Inmitten einer großen, angespannten Erwartung den Helden in Form des Wiederkommenden Messias zu spielen, ist klar. Bar Kochba, de r 1 33 n.Chr.als falscher Messias auftrat, ist nur einer der vielen Irreführer. Doch falsche Messiase sind nicht die einzigen Zeichen. Die Wut, die unkontrollierte Zerstörungslust wird auch außerhalb Palätinas zum Zuge kommen. Große Schlachten stehen der G esch ichte der Menschheit noch bevor. Und je älter und scheinbar erfahrener die Menschen werden, desto erbitterter und brutaler werden diese Gefechte geführt. Und der Gläubige steht mal abseits und hört davon, mal ist er mittendrin. Wie auch immer, er soll sich nicht fürchten. Weil alles so sein muss, macht der Herr deutlich, dass Gott, der Vater die Fäden in der Hand hält. Nichts geschieht ohne seinen Willen. Der Herr Jesus benutzt bei alledem den Begriff „Wehen“. Das Bild der Wehen hat im Judentum eine al te Tr adition. Paulus gebraucht es in 1Thess 5,1ff. Die Wehen kommen über eine Frau unerwartet. Sie weiß zwar, dass sie kommen. Sie erfährt an ihrem Körper Veränderungen, eine Art „Begleitumstände“.

Aber sie weiss nie genau, wann die Wehen punktgenau einsetzen. Sie kommen, sie tun „höllisch“ weh und gehen eine bestimmte Zeit. Im Gegensatz zu anderen, Krankheitsbedingten oder Unfall verursachten Schmerzen künden die Wehen etwas an. Der Beginn etwas Neu em. Die Frau weiß, wenn die Wehen durchstanden sind, hat sie ihr Kind im Arm und alle Trauer ist vergessen. Mehr noch. Für eine jüdische Frau war die Geburt eines Kindes das Ende einer Schmach. Keine Kinder zu bekommen war für eine jüdische Frau ein schre cklicher Zustand. Kinder empfanden sie als Ziel, als Gabe Gottes der besonderen Art, ja als Lebenserfüllung. Sie lebt und gibt anderen das Leben weiter. Ihr Leben hat sich gelohnt. So das Denken damaliger Zeit. Das Ende der Wehen ist somit auch Ende der S c hmach. Die Wehen machen deutlich: nun konzentriere dich auf den Moment. Nun fange nichts anderes mehr an. Die Geburt steht bevor. So versteht der Herr seine Wiederkunft. Er sagt nicht, wann genau er kommt. Er sagt, dass die Zeit der „Weltenschwangerschaf t“ beschwerlich sein wird. Doch alle Schmerzen, die Kriege, die Naturkatastrophen künden doch nur davon, dass die Schmach ein Ende haben wird. Und für den Ungläubigen sind die Kriege, die Erdbeben etc., die er ja ebenfalls erleiden muss, ein Wegschlagen se in er Selbstsicherheit. Im Grunde sind alle Katastrophen dazu da, dass der Mensch erkennt, dass er dem Spiel der Naturgewalten hilflos ausgeliefert ist und nur bei Gott wirkliche Rettung ist. So sind diese drohenden Worte Jesu doch durchwirkt von Liebe zu all en Menschen. So ist sein Zorn gemischt mit Erbarmen und mit dem Ringen, den Einzelnen zu gewinnen. Der Herr spricht davon, dass wir in dieser Zeit Angst durchbuchstabieren werden. Aber so wie ein Hebamme zur kreißenden Mutter spricht, sie soll an ihr K ind denken, sie solle zum Kind atmen, so sollen wir auch auf Christus schauen und bei allem erlittenden Unrecht wissen: der Herr wird es richten. Das Schönste kommt noch.

Eines der bedrängensten Wehen wird aber das Zeugnis zu Jesus sein. Paulus selbst, als er noch kein Christ war, weiß um die Kraft und Macht der Verblendung. Er weiss darum, wie es ist, wenn man meint, im göttlichen Auftrag zu handeln und dabei alle Andersde nkenden zu vernichten. Wer den jüdisch-überlieferten Glauben nicht annimmt, der wird es schwer haben in Israel zu jener Zeit. Viele fallen ab, geben nach, verraten andere. In den kommenden Christenverfolung bis zur konstanti-nischen Wende sollte es noch v i el Abfall geben. Der Druck ist stellenweise enorm, die Angst groß, die Bereitschaft, für Christus in den Tod zu gehen, klein. Und doch wird das Evangelium von Jerusalem ausgehen und einstige Inquisitoren werden bekehrt das Evangelium in alle Lande tragen . Es gilt, den Menschen zu retten, zu gewinnen, für Christus und die Ewigkeit. Und so wird man die Jünger in der alten Welt finden, in der Türkei, in Indien, in Mesopotamien, im heutigen Europa. Man wird sie fast alle umbringen, aber die Saat ist gesät, di e Fackel entflammt, das Feuer entzündet.

 

Zu 2. So glaubt es ihnen nicht...

Jesus kehrt thematisch wieder zum Tempel zurück. Er zitiert den Propheten Daniel. Betrachten wir Stellen wie z.B. Daniel 9,27 oder 11,31, so wird deutlich, dass wir nicht in erster Linie spekulieren sollen, wie der Greuel in der Verwüstung sich vorzustelle n sei. Ob die Römer ein Standbild aufstellen würden im Tempel, ob der Antichrist, sich selbst vergottend, im Tempel thront, ob der Felsendom als zweitgrößtes, islamisches Heiligtum an der einstigen Stätte des Tempels das Greuel darstellt, will ich nicht b e stimmend deuten. Tatsache ist, dass der Tempel zweckentfremdet wird. Er ist hohl und leer. Denn durch die Ablehung des Christus hat man auch den Vater abgelehnt. Der Tempel verödet. Entscheidend ist: wenn es soweit sein wird, dann werden es die Betroffen en wissen und sollen reagieren. Reagieren mit Flucht. Der Zorn Gottes trifft den Tempel, trifft Jerusalem,trifft die umliegenden Orte in Judäa, trifft das erwählte Volk der Juden mit großer Härte. Die zu Christus gläubig gewordenen Juden sollen nicht aus n at ionaler Bande in Palästina bleiben, sondern fliehen. Jesus befiehlt es. Jesus befiehlt auch, dass ihre Flucht gleich dem Exodus konzentriert geschehen muss. Ja, im Gegensatz zum Exodus sollen sie nichts mitnehmen. Wie der Vesuv über Pompeji und Herculan eum seine Asche und Lava urplötzlich warf und jeder sein nacktes Leben retten wollte, so sollen die gläubigen Juden fliehen. Beten sollen sie, dass es nicht im Winter noch am Sabbath geschieht. Der Winter mit seiner Kälte tut sein übriges, die Flucht zu er sch weren. Eine Flucht am Sabbath gliche einem hochzeitlichen Hupkonzert am Sonntagmorgen in einem verschlafenen Dorf. Es würde jeder mitbekommen. Weh denen, die schwanger sind in dieser Zeit oder kleine Kinder haben. Die Mütter, die solche Zeiten stets mi t gr oßer Wucht zu treffen pflegt.

Sind diese Ereignisse schon geschehen? Gab es eine geordnete Massenflucht gläubig gewordener Juden in der Geschichte Israels? Als der Tempel zerstört wurde, waren schon viele Christen in der Diaspora. Auch gab es davor und danach immer wieder christliche G emeinden in Jerusalem. So, wie vom Herrn geschildert, ist es historisch meines Erachtens noch nicht eingetreten, steht noch aus. Nur eines ist sicher: die Zeit wird schwer sein. Und in der Not werden - wie so oft in der Menschheitsge-schichte - Menschen o f fen für vielerlei religiöse Einfälle. Auch Christen wollen den Tag, da Jesus wiederkommt, verkürzen. Es ist und bleibt eine Anfechtung, dass wir den Herrn nicht sehen, nicht fühlen und fassen können. Es ist und bleibt eine Anfechtung, dass Christus für u ns fassbar und fühlbar wird durch die Liebe, die mir der christliche Bruder, die Schwester in Christus entgegen-bringt. Anfechtung insoweit, als diese Herzen zunehmend kälter werden. Die Liebe wird verwechselt mit Showeinlagen, mit „Wundern und Zeichen“. W ie die alten Cäsaren das römische Proletariat die Ausbeutung vergessen ließ durch „Brot und Spiele“ und diese ihren Kaiser selig priesen, so werden Ereignisse für Aug und Ohr Ersatz bieten für die echte Hand, die dem Trauernden helfen könnte. Und wer die t ol lsten Einlagen bringt, gemixt mit frommen Worten, ist von Gott scheinbar erwählt. Jesus verheißt uns geistliche Führer, die sich nicht scheuen, selbst als Erlöser aufzutreten. Ihre Verkündigung reisst die Menschen mit, ihre Worte sind fromm und scheinba r g eistgewirkt. Gegen diesen Umstand gibt uns der Herr einen schlichten, aber äußerst wirksamen Hinweis: ich werde kommen mit Macht und Herrlichkeit. Wie ein Blitz aufzuckt, wird alle Welt mich erkennen. Ich werde mich nicht in „Gemächern“ aufhalten, ich werd e nicht an einem besonderen Ort auftreten und von dort alle sammeln. Ich werde für alle sichtbar sein in einer Weise, die dem menschlichen Fas-sungsvermögen entgegensteht. Und: niemand wird mich vorher ankündigen! Niemand wird sagen: der Christus ist gekom men. Er wird da sein. Plötzlich. Unerwartet. Und die Münder werden tonlos offen stehen.

Doch bis dahin geschieht viel Schuld in dieser Welt. Die Sünde, die Schuld, die Verbrechen werden zunehmend zum Himmel stinken wie das Aas einer verwesenden Leiche. Und wie die Geier urplötzlich, wie aus dem Nichts am Himmel kreisen und wie die Geier angez ogen werden von diesem Geruch - kilometerweit entfernt, so wird die begangene Schuld das Gericht herbeirufen. Und wenn Gott diesen Zeitraum nicht verkürzen würde, niemand würde am Ende noch im Glauben stehen.

 

Zu 3. Er kommt! (Verse 29-31)

Jesus zitiert Jesaja 13,10: „Denn die Sterne des Himmels und seine Sternbilder werden ihr Licht nicht leuchten lassen. Die Sonne wird finster sein bei ihrem Aufgang, und der Mond wird sein Licht nicht scheinen lassen.“ Und: „Und alles Heer der Himmel zerge ht. Und die Himmel werden zusammen-gerollt wie ein Buchrolle. Und ihr gesamtes Heer verwelkt wie das Laub am Weinstock verwelkt und wie Welkes am Feigenbaum!“ (Jesaja 34,4). Und: „Ich schaute in Gesichten der Nacht: und siehe, mit den Wolken des Himmels k a m einer wie der Sohn eines Menschen.(Daniel 7,13). Und: „Aber über das Haus David und über die Bewohnerschaft von Jerusalem gieße ich den Geist der Gnade und des Flehens aus, und sie werden den erblicken, den sie durchbohrt haben, und sie werden über ihn w ehklagen, wie man über den einzigen Sohn wehklagt, und werden bitter über ihn weinen, wie man bitter über den Erstgeborenen weint. An jenem Tag wird die Wehklage in Jerusalem groß sein...“(Sacharja 12, 10ff). Und: „Gebt Gott Macht! Seine Hoheit ist über Is rael und seine Macht in den Wolken!“ (Psalm 68,35). Und: „Und an jenem Tag wird es geschehen, da wird in ein großes Horn gestoßen werden, und die Verlorenen im Land Assur und die Vertriebenen im Land Ägypten werden kommen und den Herrn anbeten auf dem Heil igen Berg in Jerusalem.“(Jesaja 27,13). Und: „Und er wird den Nationen ein Feldzeichen aufrichten und die Vertriebenen Israels zusammenbringen und die Verstreuten Judas sammeln von den vier Enden der Erde!“ (Jesaja 11,12).

Fazit: Über das Kommen des Menschensohns redet der Herr fast ausschließlich in prophetischen Zitaten! Das ist von großer Bedeutung für die Auslegung. Jesus benutzt keine neuen Bilder, sondern beschränkt sich auf die Worte der Propheten. Wir wissen z.B. vom „gefallenen Morgenstern“, dass mit Sterne auch mächtige Männer und Frauen in der Menschheitsgeschichte gemeint sein können. Zum Durcheinander der Schöpfungskräfte kommen bei Christi Wiederkunft auch die menschlichen Größen zu Fall. Alles muss die Knie beu gen vor diesem größten Herrn! Das Wehklagen der Stämme Israels muss nun nicht als eine Angst vor dem verdienten Gericht verstanden werden, sondern als eine Scham. Gottes ursprünglich erwähltes Volk erkennt den Messias und muss zu seinem großen Entsetzen f e ststellen, dass der verhasste Nazarener ihr Messias ist. Christus kommt. Er kommt, um sein Volk zu sammeln. Um Israel zu sammeln, um die Gemeinde Jesu zu sammeln und zu vollenden, was er begonnen hat. Er sammelt und trennt damit auch. Er sammelt die Erwä hl ten und trennt sie von den Nichterwählten. Darin liegt Gnade und Gericht. Der Herr verliert hier keine weiteren Worte.

Zu 4: Seid bereit (Verse 32-44)

Die Ungeduld wird von der Himmelfahrt Jesu bis zu seiner Wiederkunft ein schwierig zu kompen-sierendes Gefahrengut für den Glauben darstellen. Der Herr macht den Jüngern deutlich: So un-wie geduldig ihr den Sommer erwartet, so erwartet Jesu Wiederkunft. Es gilt, in dieser Zeit, im Heute und Jetzt zu leben. Es gilt, das Leben als Christ mit Freud und Leid zu führen, so wie es im Winter möglich und Brauch ist. Dabei darf der Christ sich nach dem Sommer sich sehnen und wissen: er wird kommen. So wenig man den Sommer früher herbeizaubern kann, so wenig kann man Jesu Wiederkunft herbei drängeln. Was der Jünger zu tun hat, ist - bereit zu sein. Bereit zu hören und zu sehen. Mit offenen Augen und Ohren durch diese Welt zu gehen und gelassen, und doch achtsam die Ze ichen der Zeit zu merken. Der Christ sieht aufmerksam, wie die Worte Jesu sich erfüllen. Er kann nicht wissen: das oder jenes trifft auf diese oder jene Stelle in der Bibel zu. Doch in jedem Zeichen erkennt er, dass die Erfüllung der Worte Jesu näherrücke n . Denn die Worte Jesu stehen wie ein Felsen in der Brandung. Sie sind gewiss und werden Ereignisse und Taten erfahren. Der Christ beobachtet. Es ist nicht seine Aufgabe, alles haarfein 1:1 zu übertragen, sondern er soll das Ziel ins Auge fassen. Das Ziel a ber ist: der Herr kommt bald. Diese drei Dinge stehen fest: Der Herr kommt. Der Zeitpunkt seiner Wiederkunft ist nur dem Vater bekannt. Mit dem Herrn kommt die Seligkeit. Wenn Gott den Sohn sendet, wird der Sohn aktiv. Auch in diesem Punkt bleibt der He rr Jesus seinem Vater gehorsam und untertan. Darum entwirft der Herr Jesus nicht ein Gesamtbild seiner Wiederkunft in allen Einzelheiten, denn diese Offenbarung obliegt seinem himmlischen Vater zu seiner Zeit. Jedes Rechnen, jedes dogmatisch festgelegte Au sma len über die Grenzen des von Jesus Gesagten verbietet sich.

Der Herr fügt zu den Bildern mit den Adlern, dem Blitz nun noch die Ereignisse zu Zeiten Noahs hinzu. So natürlich, wie ein Blitz am Himmel erscheint, so natürlich, wie die Geier nach Aas streben, so natürlich werden die Menschen ihren eigenen Gesetzen fol gen. Die Menschen hören von Katas-trophen, von Kriegen und Leid und sie erfahren es auch. Sie suchen die Ursache sogar in ihrem falschen Umgang mit Natur und Welt. Aber sie begreifen nicht den Zusammenhang zu Gott. Sie wollen ihn auch nicht verstehen. Sie spotten darüber und gehen ihren eigenen Geschäften nach. Die Gemeinde Jesu wird für sie zunehmend mehr unwirklich. Sie sehen die Christen, sie hören von ihnen, sie wissen, dass sie vom Gericht sprechen. Sie verstehen aber nicht, warum sie auf dem Festland eine „Arche“ bauen. Sie begreifen die Hauskreise, Gottesdienste und Veranstaltungen nicht als Vorberei-tung und Stärkung für die Ewigkeit. Für die Welt sind Christen nunmal „komische Heilige!“ Diese Haltung, die die Mehrheit einnehmen wird, lastet schwer a uf dem Christen. Denn er lebt mit diesen Menschen am Arbeitsplatz. Er wird mit ihnen konfrontiert in der Schule, im Kindergarten, beim Einkaufen und im Urlaub. Solange das Thema um „Essen und Trinken“ geht, also um die profanen Dinge des Lebens, so kann ma n noch mithalten. Aber es ist schwer für den Gläubigen, ständig zu schweigen von dem, was doch für sein Leben das Entscheidende ist. Der Christ geht hier einen einsamen Weg. Und nirgends ist Einsamkeit größer, als wenn man einsam unter Menschen ist.

Wenn der Herr wiederkommt, wird es zu einer Trennung kommen. Zur Zeit Noahs gab es den Zeit-punkt, wo Gott selbst die Tür zur Arche verschloss. Ab da gab es nur noch ein Drinnen und ein Draußen. Die einen überlebten die große Katastrophen, die anderen star ben. Auch wird an dem Bild mit dem Mühlstein und dem Feld deutlich, dass der Christ sich nicht von seiner Tätigkeit vom Nicht- christen unterscheidet. Das Entscheidende geschieht darin, dass der oder die eine bewußt und klar im Hier und Jetzt lebt und auc h nur das Hier und Jetzt interessiert. Während der andere in einer inneren Bereitschaft sich befindet, über das Jetzt hinaussieht und mit Gott in Verbindung steht. Doch bis zum Tag des Herrn wird auch der Christ seiner gewohnten Arbeit nachgehen. Das macht das Bild mit dem Dieb deutlich. Ein König läßt immer Wachen aufstellen. Auch wenn vielleicht in seinem ganzen Leben nie ein Eindringling kommt. Die Wachen stehen für den Fall der Fälle. So soll auch der Christ wachsam sein, den Glauben an den Herrn bewahr e n und nicht müde werden. Denn der Tag des Herrn kommt plötzlich. Eine Haltung, die sich sagt: kurz vor dem Tod ist noch Zeit für Reue und Buße ist ein gefährliches Spiel. Der Herr führt nun genauer aus, wie das Wachen aussieht. In einem Gleichnis von tre ue n und untreuen Knecht.

Zu 5: zu hoch gepokert (Verse 45-51)

In den Aussagen Jesu wird immer wieder eines deutlich: dem Herrn geht es nicht so sehr darum, die Jünger zu belehren, wie alles im Einzelnen aussehen wird, wenn er wiederkommt. Ihm geht es da-rum, den Glauben der Jünger zu festigen. Ihnen deutlich zu mache n, wie wichtig und entscheidend es ist, stets so normal und stets so bereit zu leben. Er will aufdecken, worin die Gefahren für den Glauben bestehen und wie diese Gefahren angepackt und überwunden werden können. Wir wollen das Bild entschlüsseln. Wer ist d er Herr? Der Herr ist der Herr der Kirche: Jesus Christus. Wer ist der Knecht, der treu und klug bezeichnet wird? Der Christ? Achten wir auch den Zusammenhang. Ihm ist das „Gesinde“, sprich also alle Bediensteten im Hause - nicht im negativen Sinne - unt er stellt. Seine Aufgabe ist es, die Mitarbeiter des Hauses zu versorgen. So meine ich, ist mit dem Knecht der Apostel gemeint, fernerhin jeder, der im geistlichem Amt Führungsaufgaben übernimmt über andere. Der Knecht ist ein Hirte, ein Mann oder eine Fra u, die die Gemeinde geistlich mit Brot versorgt. Jesus sagt: dieser Knecht ist glückselig zu nennen, wenn er seine Aufgabe treu ausführt. Glückselig jeder, der ein Amt in der Gemeinde wahrnimmt. Glückselig jede und jeder, dem Kinder, Erwachsene und Alte zu gew iesen sind und er ihnen das Evangelium bringt. Glückselig die Mutter, die ihre Kin-dern auf Jesus verweist. Doch jedes Amt, das scheinbar kleine wie das große, auch und gerade die Ämter in der Gemeinde Jesu, sei es Bischof oder Kinderstundenhelfer, sei es Pfarrer oder Prediger, jedes Amt birgt Macht mit sich. Jeder Hauskreisleiter beeinflusst die Leute. Jeder Jugendkreisleiter führt die Jugendlichen und prägt sie. Jeder Prediger, jeder Pfarrer genießt Vertrauen und die Türen der Gemeindeglieder öffnen s ich dem Boten Gottes. Darin liegt auch Macht. Macht, die die menschliche Natur lockt. Der Reiz ist groß, sich selbst darzustellen. Der Reiz ist groß, sich einen Namen zu machen. Der Reiz ist groß, in die „Wallhalla der frommen Geister“ aufgenommen zu werde n. Männer und Frauen Gottes können sehr beliebt sein. Sie werden herumgereicht, gepriesen und hoch geachtet. Und doch kann es sein, dass von ihnen wenig Liebe ausgeht. Dass die Aus-strahlung nur auf der Bühne wirkt. Warum aber existiert überhaupt diese Ver suc hung?

Der Herr sagt es selbst: weil er „nicht da ist!“ Zwar ist der Herr präsent in seinem Geist. Aber er ist nicht mit den Augen zu sehen, mit der Haut zu fühlen. Der Christ hört ihn akustisch nicht. „Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen..“, hat der Herr gesagt. Er sendet uns seinen Geist. Und doch ist die Abwesenheit des Chefs eine Versuchung für seine Untergebenen, selbst den Chef zu spielen. Es ist nunmal in der Gemeinde Jesu so, dass Ämter, Titel, Begabungen, Erfolg automatisch Rück-schlüsse ziehen la ssen auf die scheinbar besondere Segnung durch den Herrn. Dies ist aber nicht der Fall. Sondern dem einen ist viel an Begabung, Kraft und Zielen gegeben. Von ihm wird viel erwartet und der Herr wird viel bei ihm suchen. Dem anderen ist ein engerer Rahmen g esetzt. Der Herr gibt jedem so, wie er will. Das macht weder den einen noch den anderen heiliger. Es ist der Mensch, der sich blenden läßt. Weil in der Welt nach Erfolg und Leistung gemessen wird, so sickert diese Haltung auch in die Gemeinde. Jesus warn t davor. Denn Macht verändert den Charakter des Menschen. Nicht umsonst ist es gut, wenn alle Macht Gott gehört. Wenn nun aber einem Christen „Macht“ im Sinne von Vollmacht verliehen wurde, so liegt das Gewicht auf der Treue. Es wird von ihm erwartet, dass e r treu die großen wie die kleinen Aufgaben tut. Es wird von ihm erwartet, dass er auch im großen Wirkungsradius dennoch der Doulos (Knecht) bleibt und sich nicht zum König aufschwingt und treu seine Aufgaben bewältigt. Wenn aber der Dienst treu und demü tig verrichtet wird und viele durch diesen Dienst Segen erfahren, dann darf der Knecht sich freuen. Reicher Lohn erwartet ihn.

Worin besteht aber ein möglicher Machtmissbrauch? Jesus sagt, dass der Hirte geistliche Ämter haben und trotzdem wie ein Mensch dieser Welt sich verhalten kann. Zwei Merkmale: Saufen und Fressen mit Gleichgesinnten und Gewalttätigkeit gegenüber den Unterge benen. Die Geschichte der Kirche - ganz gleich welcher Denomination - ist voll von solchen Momenten. Wer allein die Geschichte der Päpste studiert, wird darüber aus dem Staunen nicht herauskommen. Oder der Machtmissbrauch in Zeiten der Inquisition, die br u tale Christianisierung ganzer Völker, die Hexenverfolgung, die Erpressung von Menschen, indem das Beichtgeheimnis als Druckmittel benutzt wurde, die Sexualverbrechen von Priestern etc. Schon unter Calvin gab es den ersten Menschen, der unter reformierter F lagge am Scheiterhaufen brannte. Die Liste ist lang. Der Grund liegt meistens in der Macht. Die Menschen vertrauen in der Regel Männer und Frauen in geistlichen Ämtern und dieses Vertrauen kann missbraucht werden. Und was das Schlimmste ist: für viele s chl ießt sich die Tür zum Glauben. Solche Vergehen wirken schwer. Doch der Herr will ja retten, nicht verlieren. Darum sind solche Entgleisungen so fatal und solche erwartet der Zorn Gottes. Doch solange der Herr nicht gekommen ist, besteht auch für solche Mä nner und Frauen die Möglichkeit der Umkehr. Denn auch Paulus war ein Mann, der seine Macht missbraucht hat. Diese seine Vergangenheit hat ihn ein Leben lang verfolgt. Und gerade diese Seite in seinem Leben half ihm, auf dem Boden zu bleiben.