Bibelarbeit über Matthäus 20, ausgelegt von Michael Strauch


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1. Kein Grund zum Neidisch werden (V. 1-16)

2. Kurz vor Zwölf (V. 17-19)

3. V.I.P. - Very important Person (V.20-28)

4. Öffne mir die Augen...(V.29-34)

zu 1: Kein Grund zum Neidisch werden (V.1-16)

Ich kann mir gut vorstellen, dass bei den Jüngern noch viele Fragen offen blieben. Hat doch der Herr ihr ganze jüdisch-fromme Prägung zum einen intensiviert, zum anderen völlig auf den Kopf gestellt. Da wird ein Mann, der von seinem Geld nicht lassen will, für`s Himmelreich als untauglich angesehen. Wiederum sind die Jünger, die alles verlassen haben, über die das seltsame Wort schwingt, das die Ersten die Letzten sein werden. Wie ist dies alles zu fassen und zu verstehen? Der Herr Jesus beginnt in solchen Momenten abstrakte Dinge in Bildern zu erklären.

In der Geschichte vom Weinbauer werden mehrere große Linien gezogen. Verschieden sind die Uhrzeiten, in den der Weinbauer Tagelöhner anheuert. Verschieden sind die Zeiten, wo unterschiedliche Menschen ihre Arbeit beginnen. Gleich ist der Lohn. Der Lohn ble ibt gleich, gleich nicht im Sinne eines prozentualen Verhältnisses, sondern der Festpreis am Morgen gilt den ganzen Tag für jedermann. Und gerade im Zusammentreffen von Gleichem und Unterschiedlichem entsteht die entscheidende Begegnung: die Ersten kontra dem Weinbauer. Die Ersten, die von Anfang dabei waren und gleichgestellt wurden den Letzten. Und der Weinbauer, der sie alle gleich behandelt, nicht weil es gerecht sei, sondern weil er „so gütig ist".

Worin werden nun die Ersten zu den Letzten und die Letzten zu den Ersten? Das Erste, was man vielleicht in seinem Denken korrigieren muß, ist eine Art Rangordnung. Die finden wir hier nicht! Jeder bekommt den gleichen Lohn! Keiner, der zuletzt kommt, ist d eswegen ein Fürst, und keiner, der von Anfang an bei Jesus war, hat den Stand eines Bauern (im Bild des Mittelalters gesprochen). Jeder ist gleich in seinem Lohn. Was den Ersten zum Letzten macht, ist derjenige selbst. Der Weinbauer setzt die Ersten nicht herab, das machen die Arbeiter selbst. Wie? Durch ihr Murren und ihre Bitterkeit. Dadurch, dass sie es den anderen nicht gönnen, das macht sie zu Letzten. Und die Ersten sind nicht mehr oder besser. Sie sind Erste im Sinne von „Rettung in letzter Sekunde!" Sie sind kurz vor Tagesende, bevor die Chance vorbeigeht, noch mitgegangen. Das macht sie zu glücklichen Menschen. So ist der Mann am Kreuz ein Erster, der noch in Todesqualen zu Jesus sagen kann: „Herr, gedenke meiner, wenn Du in dein Reich kommst!" So w ird sich mancher Christ sagen: Der Kerl hat sein Leben lang so gelebt, wie er wollte und kurz vor dem Tod kriegt er noch die Kurve. Und ein Christ hat ein Leben lang kämpfen müssen. Ungerecht? Nach Gerechtigkeit dürfen wir nicht fragen, denn nach der Gerec htigkeit kann niemand vor Gott bestehen, allein aus Glauben. Wenn nun ein Mensch kurz vor seinem Tode glaubt, greift Jesu Erlösungswerk. Warum? Weil Gott so gütig ist. Darum.

Aber es gibt gewiss noch mehr Facetten. Da wird ein Christ sein Leben lang kämpfen, dass in seiner Gemeinde etwas wächst, und es passiert kaum etwas. Da erziehen Eltern ihre Kinder und sie gehen am Ende ihre eigenen Wege. Und dann kommt ein anderer Christ, baut eine eigene Gemeinde auf und es sind plötzlich ganz viele Leute dabei. Es gäbe noch viele Beispiele. Gerecht? Gott, und das macht dieses Gleichnis deutlich, geht mit jedem einen anderen Weg. Dem einen ist es gegeben, über wenige treu zu sein, sich r sie einzusetzen, dem anderen ist es gegeben, für viele Menschen dazu sein. Deswegen ist der andere nicht besser oder bei Gott höher angesehen. Wenn wir zufrieden sind mit dem Weg, den Gott mit uns Gott, werden wir in Gott glücklich sein. Wenn wir aber „ scheel" blicken auf den Erfolg des Anderen, wird uns das verbittert machen.

Zu 2: Kurz vor Zwölf (V. 17-19)

Erneut weist Jesus darauf hin, dass in Jerusalem sein Tod ihr erwartet. Er äußert das nun zum dritten Mal. Worin liegt eine Verschärfung zu seinen bisherigen Leidensankündigungen? Die Betonung liegt darin, dass die Geistlichkeit von Jerusalem sich staatlic her Mittel bedienen wird, um Jesus ans Messer zu liefern. Die Juden und die Römer, die Frommen und die Heiden, vereinen sich - um Gott umzubringen. Ein irrwitziger Gedanke. Voller Tragik, voller Widersinn, voller Teufelei. Die jüdischen Machthaber, die die Römer auf den Tod nicht ausstehen können; die Römer, denen es schlecht wird beim Anblick der hochnäsigen Pharisäer und Schriftgelehrten, die beide sich nicht über den Weg trauen, werden sich handelseinig in der „Verschlußsache Jesu!"

Die Rechnung der jüdischen Geistlichkeit ist schlüssig. Wenn Jesus durch ein jüdisches Gericht verurteilt von jüdischen Männern getötet, sprich hingerichtet wird, besteht die Gefahr einer Heldenverehrung. Das Volk war in vielen Dingen von Jesu Reden sehr a ngetan. Und das Volk achtet seine Geistlichen, aber sie lieben sie nicht. Der Tod innerhalb jüdischer Gesetze beinhaltet noch eine gewisse Ehre für den Delinquenten. Nun aber wird er von Heiden umgebracht. Von Heiden, die ihn töten wie einen Aufständischen , wie einen Verbrecher, wie einen Mörder und Dieb. Jesus stirbt nicht für seine Reden, für sein Wirken, für sein Leben - das versuchen sie aus den Gedanken der Bevölkerung auszumerzen. Sondern Jesus stirbt politisch und wird aus politisch hingerichtet. Näm lich als Volksaufhetzer und Irrlehrer. Er hat sich bei den Römern in Verruf gebracht und ist zum Staatsfeind geworden, er hat sich bei der jüdischen Geistlichkeit zum Staatsfeind gemacht. Er vertritt theologische Irrlehren und will den Römern die Steuern n icht geben. Mehr noch, ihren Kaiser nicht anerkennen. Das ist die Rechnung der Pharisäer und Schriftgelehrten. Man muss es ihnen lassen. Sie haben viel überlegt, wie sie Jesus am geschicktesten umbrächten.

Warum aber wollen sie ihn töten? Einer der Gründe beginnt wieder in der Frage: wer will der Größte sein? Darin steht und fällt die Beziehung zum Christus. Will ich mich verwirklichen, will ich mich verehren, brauche ich den Applaus der Mitmenschen - dann m uss mir Christus im Wege stehen. Wenn ich nicht offen ihm widerstehe, dann werde ich es fromm mit Ausweichmanövern tun. Der Möglichkeiten sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Christus ist Mitte und Ziel. Er ist gut. Durch ihn, in ihm bin ich groß. Das muss mir genügen.

Zu 3: V.I.P. - Very important Person (V.20-28)

Wer möchte es nicht sein? Ein V.I.P.? Ein berühmte, im Rampenlicht stehende Person? Darum ging es doch die ganze Zeit in all den Gesprächen. Wieder mal: Wer ist der Größte? Ist es nicht genug, dass man zum engsten Kreis Jesu gehört? Ist es nicht genug, das s Jesus ihnen allen verheißen hat, dass sie mit ihm Israel richten werden? Nun kommt noch die Mutter der Zebedäussöhne und bittet den Herrn, ihre beiden Söhne mögen nun rechts und links neben seinem Thron sitzen dürfen. Klar, dass die Jünger wütend werden. Und man möchte selber schreien: hat Jesus nicht groß und breit erklärt, wie es sich verhält mit den Ranglisten? Doch halt: wie reagiert der Herr? Dort, wo jetzt ein „Wie lange soll ich euch noch ertragen!" folgen müßte, antwortet der Herr mit einer Gegenf rage: Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke? Und die antworten: Ja, das können wir. Und nun kommt das Unglaubliche. Jesus sagt: ihr werdet tatsächlich diesen Kelch trinken. Wie ist das alles zu verstehen? Der Bild des Kelch Trinkens ist ein altes, im Judentum wohl bekanntes Bild. Wir würden heute von „Schicksal" sprechen. Der Kelch des Leidens wird aber nicht zwanghaft getrunken, sondern der Herr Jesus entschließt sich aus freiem Willen, diesen Weg zu gehen. Das Trinken des Kelches ist Bild für den We g des Kreuzes. Wer hier mit dem Herrn aus dem einen Kelch trinken will, der muss auch bereit sein, den Weg mit Jesus bis zum Letzten mitzugehen. Was das bedeutet, können die Jünger noch nicht fassen. Aber eines faßten sie, und darum reagierte Jesus anders als vielleicht von vielen erwartet. Johannes und Jakobus wußten, dass der Weg Jesu ein Weg des Leidens war. Und sie waren tatsächlich bereit, ihn mitzugehen. Darin lag ihre Größe.

Sie wußten um das Ausmaß des Weges nicht, aber sie wußten, dass der Weg zur endlichen Herrlichkeit Christi durch das Leiden ginge. Darum sagt der Herr: Ihr werdet den Kelch trinken. Jakobus sollte später unter Herodes Agrippa hingerichtet werden als mutige r Zeuge Jesu. Er trank den Kelch bis zur Neige. Johannes wurde drangsaliert, verbannt und verfolgt. Doch sein Kelch bestand im geduldigen Ausharren, Mitleiden und Stärken der damaligen Christenheit. Johannes wurde zur tragenden Säule. Den Kelch des Todes t ranken alle Jünger. Aber ihre Wege waren verschieden. Bereit zum Leidensweg waren aber in besonderer Weise Johannes und Jakobus. Hier wird deutlich, dass Johannes und Jakobus Vorbilder wurden in vollendeter Jüngerschaft. Zur Vollendung gehört aber auch, da ss der Jünger lernt, das zu erstreben, was vom Vater zugedacht wird. Wem der Vater im Himmel was zuteilen wird, bleibt ein Geheimnis, wie der Herr es im Gleichnis deutlich gemacht hat. Am Tage der „Abrechnung" wird es offenbar. Bis dahin soll der Jünger ni cht darüber nachdenken, welchen Status und Lohn er einmal bekommen könnte, sondern soll seine Arbeit tun und seinen Weg mit Jesus treu gehen.

Nun macht der Herr die Ordnung der zukünftigen Gemeinde noch einmal fest. In der Welt herrscht das Prinzip der Ellbogen, der Macht, der Starken und Schwachen. In der Welt dreht sich im Großen wie im Kleinen vieles um das Thema: Macht. In der Gemeinde soll das Gegenteil der Fall sein. Wer eine leitende Persönlichkeit sein möchte, der soll lernen, der Gemeinde zu dienen. Zu dienen mit seinen Gaben, zu dienen mit seinem Besitz, zu dienen mit seiner Kraft. Das heißt nicht, dass andere über dem Christen befehlen können, was er zu tun habe. Auch spricht der Herr nicht von der großen Erwartungshaltung, die die Gemeinde an Geistliche stellt. Jeder Christ sei ein Diener. Es geht um die Haltung des Jüngers, nicht um eine kirchliche Ordnung. Das Denken liegt nahe, beza hlte Diener arbeiten zu lassen. Darum geht es dem Herrn nicht. Jeder Christ soll ein Diener sein. Und wer in besonderer Weise - im heutigen Beispiel vollamtlich für die Gemeinde tätig sein will - der soll ihr in besonderer Weise dienen. Aber Herr aber ist Gott, nicht die Gemeinde. Das Mass des Dienens bestimmt Gott, nicht die Gemeinde. In der Gemeinde soll jeder schauen, wie er die „Dienerhaltung" sich aneignet.

Christus ist unser Vorbild. Er betont, dass er gekommen ist, zu dienen. Er diente den Menschen durch sein Leben, seine Taten, seine Predigten und durch seinen Tod am Kreuz. Zugleich aber war er niemandes Knecht. Niemand konnte dem Herrn befehlen: tu dieses oder jenes. Sondern der Herr wußte um den Willen Gottes, und den tat er. Der Gemeinde zu dienen heißt, den Willen Gottes zu tun zum Wohle der Gemeinde und der Welt. Der Christ ist frei vom Willen, Wünschen und Erwarten der Menschen, aber er soll auch frei sein von seiner Eigensucht. Das ist das Dilemma. Und er kommt aus dieser Drama nur heraus, indem er Gott alleine dient und damit dem Menschen.

Zu 4: Öffne mir die Augen...(V.29-34)

Es ist nicht mehr weit von Jericho bis Jerusalem. Auf dem Wege begegnen der Schar zwei Blinde, die den Herrn Jesus mit dem Messiastitel anrufen: „Herr, Sohn Davids!" Kurz vor seinem Kreuzestod rufen ihm ausgerechnet Blinde diesen Titel zu. Sohn Davids - un d der Herr schiebt den Titel nicht von sich. Denn er ist. Und als er den Blinden ihr Augenlicht zurückgibt, macht er deutlich, dass diese schöpferische Kraft, dieses Herausholen aus der Dunkelheit ans Licht die messianischen Begleiterscheinungen darstellen . Jesus geht nach Jerusalem und der Ruf des Messias verliert sein Geheimnis. Je näher das Kreuz, desto deutlich wird, das er der wirkliche Sohn Gottes ist. Er ist der, der da kommen soll.Einzelne aus der Menge wollen diesen Ruf unterbinden, bauen wieder di e typisch menschliche Hirarchie auf zwischen Oben und unten. Vielleicht wehrten sie sich auch gegen diese messianische Anrede. Doch der Glaube wendet sich direkt an Jesus. Überhaupt wird das bei Matthäus immer wieder sichtbar, dass der Glaube zu Jesus vord ringt. Der Glaube will Jesus haben, nicht seine Peripherie. Und der Glaube will Jesus schauen. Hier sprichwörtlich: ich will sehend werden. Und der Herr wird geehrt, im Tiefsten berührt durch den Glauben. Nicht unsere Werke, nicht unser Einsatz bringt den Herrn zur Rührung, sondern allein der Glaube. Der Glaube, dass Jesus alles kann, alles ist und für mich die Nummer 1 ist. Jesus dient den Beiden, den Schwachen und nicht Ernstgenommenen. Und sie werden sehend und „folgen ihm nach!"