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zu 1:) Der himmlische Maßstab: ein Kind (V.1-5)
Von Mk erfahren wir, dass die Gruppe in Kapernaum eintraf, als Jesus sich umwandte und ihnen die
Frage stellte, was sie auf dem Wege verhandelt hätten. Bei Lukas erfahren wir,
dass der Herr die Gedanken der Jünger erkannte und bei Matthäus heißt es, dass d
ie Jünger zu Jesus kamen und ihn fragten. Es ist
demnach so abgelaufen, dass auf der Wanderung unter den Jüngern die Diskussion
ausbrach, wer im Himmelreich (nach der Jünger Verständnis auf Erden) dann der
Größte sein würde. Jesus wußte um ihre Gedanken un d sprach sie daraufhin an, worauf sie zuerst betreten
reagierten, ihm aber dann erzählten, was der Herr schon wußte. Es ist wie mit den Gebeten. Warum soll man dem Herrn
alle Dinge vortragen, wenn er eh schon alles weiß? Weil er möchte, dass die
Bitte, das Lob, die vielen Fragen aus unserem Mund kommen. Dem Herrn ist es nur
wichtig, dass wir nicht viele Worte machen, als wüßte
der Herr nicht, was wir sagen wollten. Die Frage der Jünger ist darum auch knapp
und präzise: „Wer ist doch der Größte im Himmelreic
h?“
Dieses Verhalten der Jünger wirkt auf uns befrendent. Nicht, dass uns diese Frage in verkappter Form
nicht auch beschäftigen würde, aber wir würden in der Regel diese Frage nie so
stellen, weil sie als Eitelkeit gedeutet und damit einen in Misskredit gerat en
läßt. Das war zur Zeit der Jünger anders. Die Frage,
wer der Größte sei in der Stadt, beim Essen, in der Synagoge war ständiges
Thema. Auch ist die Geschichte der Menschheit ohne den Adel, die besser-und schlechter Gestellten gar nicht vorstellbar. Die
Frage nach der Größe des Menschen durchzieht das menschliche Herz seit dem
Sündenfall. Bei den Jüngern herrscht der Gedanke, dass bei Aufrichtung des
Himmelreiches diejenigen, die von Anbeginn zu den Treuen Jesu gehören, ganz groß
rauskommen werden. Und ei ner wird sogar der Größte
sein.
Die Frage nach der Größe bestimmt auch das Verhalten des Menschen und damit
auch der Christen. Groß ist, wer evangelistisch tätig ist. Evangelistisch tätig
zu sein ist ganz im Sinne Gottes. Nicht im Sinne Gottes ist, wenn der
evangelistisch Tätige dadurch in großer Anerkennung steht. In hoher Anerkennung
kann jemand stehen, der erfolgreich Jugendarbeit betreibt. Geringer geachtet
kann jemand sein, der Kindergottesdienste leitet. Hoch geachtet ist derjenige,
der predigt. Minder geachtet der, der die Liederbü
cher nach dem Gottesdienst einsammelt und versorgt.
Beachtet ist der Moderator und Schauspieler, unbeachtet das Werk des Menschen,
der den Altar geschmückt. Ein „Powertyp“ ist derjenige, der Familie, Beruf,
Gemeinde und viele Ämter zugleich jonglieren kann .
Farblos der Mensch, der bei einer Aufgabe bleibt. Die Jünger diskutieren diese
Fragen ehrlich durch. Und der Herr tadelt sie darum nicht. Ja es scheint, als
würde durch diese mutige Frage die Chance der Richtigstellung gegeben. Schlimm
aber ist es, wenn die Eitelkeit in die engen Kleider der scheinbaren Demut
gezwängt wird. Sie wird sich doch Luft verschaffen müssen. Denn die Eitelkeit
braucht Raum. Die Demut ist mit wenig Platz zufrieden. Kurzum: wer der Größte
sein will beweißt, wie gering er liebt.
Jesus zeigt in diesem Abschnitt auf, was das Kennzeichen der Christenheit
sein soll: die Liebe. Die Liebe „bläht sich nicht auf!“ Der Herr Jesus reagiert
auf das Ansinnen der Jünger mit großer Nachsicht und erklärt ihnen exemplarisch,
wie die Christenheit nach seiner Verherrlichung aussehen kann. Da sie in Kapernaum sind, liegt es nahe, dass ein spielendes Kind in
der Nähe war.
Was aber meint es nun, zu werden „wie ein Kind?“ Man braucht keine eigenen
Kinder zu haben, um zu wissen, dass Kinder keine Engel sind. Sollen wir
„kindisch“ werden? Sollen wir anfangen, zu spielen? Was meint der Herr mit der
Kindwerdung? Matthäus spricht vom „umkehren“. Bei Mk
und Lk steht das Ganze im Zusammenhang des „aufnehmens“, nämlich den Herrn Jesus aufnehmen.
Im jüdischen Rabbinat galten die Kinder als
schuldlos. Natürlich taten Kinder auch damals böse Dinge, aber nach jüdischer
Auffassung war das Böse nicht eine eigene Erfindung. Die Kinder lernen von den
Größen, das Gute wie das Böse. Sie selbst ahmen nach,
s ind aber selbst unmündig. Sie selbst erfinden keine
eigenen, bösen Pläne und setzten diese in die Tat um. Dieser Gedanke ist bei uns
ebenfalls fest verankert. Es gibt ja die Unmündigkeit, die ab einem gewissen
Alter erst greifende Geschäftsfähigkeit, das J ugendstrafgesetz kontra dem
Erwachsenenstrafgesetzt etc. Insofern ist das Kind nicht unbehaftet von der
Erbsünde, aber es ist im Sinne der Unmündigkeit straffrei. Wenn ein Kind z.B.
(ich gebrauche einen starken Vergleich) einen Menschen umbringt, wird es g emäß seiner Mündigkeit bestraft. In unserer Gesellschaft
käme solch ein Kind in ein Erziehungsheim. Wenn nun das Kind die Wahl hätte, zu
sagen, es wolle groß sein und wie ein Erwachsener behandelt werden, so käme das
Kind ins Gefängnis. So ist es mit dem H immelreich.
Wenn die Jünger groß sein wollen, das heißt mündig, das heißt
eigenverantwortlich, dass müssen sie bereit sein, das volle Maß des
Gerichtsurteils zu ertragen. Hier sagt der Herr: keiner würde ins Himmelreich
kommen. Darum sollen sie danach str eben, vor Gott den
Status eines Kindes zu haben. Durch Christi Erlösungswerk werden wir wie die
Kinder und gehen straffrei durch`s Gericht.
Soweit zum Heilsstatus des Jüngers, im Bild des Kindes gesprochen. Was heißt
das aber konkret im täglichen Leben? Der Herr Jesus spricht von der
„Selbsterniedrigung“. Im jüdischen Denken hat ein Kind für die Gesellschaft
nicht viel beizutragen. In der deut schen Gesellschaft
- so ein Artikel in der Wochenzeitung „Die Zeit“ ist kein Synonym mehr für
Glück. Kinder kosten Arbeit und Geld. Kinder haben Fragen, wollen geborgen sein.
Kinder wollen essen und trinken, wollen angehört werden und wollen wachsen in
den Fähigkeiten, die in ihnen liegen. Kinder wollen geliebt werden, aber sie
wollen auch lieben. Ja, Kinder wollen lieben. Und sie sind lernbegierig. Selbst
im Spiel lernen sie. Kinder haben ein schwaches Gewissen, ihre Seele ist leicht
verletzbar, ihr Glaube gewiss und schwerelos. Kinder übernehmen kleine Aufgaben
und sind über die Maßen stolz, wenn ihnen etwas gelingt. Kinder sind Lernende.
Sie haben der Gesellschaft nichts zu bieten. Und doch sind sie ihre Zukunft.
Kinder vertrauen ihren Eltern, dass sie st ark sind
und das Leben meistern.Vielleicht schwingt das alles
mit, wenn Jesus davon spricht, wie die Kinder zu sein. Als Christen sollen wir
Lernende sein und uns nicht geben wie solche, die schon alles wüßten. Lernbegierige und nicht wie solche, die bei d er
Bibel sofort gähnen oder innerlich abwesend sind. Umsatzfreudig. Kinder wollen
sofort umsetzen, was sie lernen. Christen sollen freudig darin sein, Gottes
Worte und Gebote auszuprobieren. Christen sollen sich beim Vater geborgen
fühlen, mit ihm alles du rchsprechen, alles von ihm
erwarten und sich nicht fürchten. Denn der Vater ist stark. Sich selbst
erniedrigen meint, nicht groß sein zu wollen, wenn doch Gott groß ist. Nicht
erwachsen sein zu wollen, wo Gott doch der Vater ist. Nicht für alles sich veran twortlich fühlen, wo Gott
doch sich allem annimmt. Sich erniedrigen meint, sich vor Gott zu erniedrigen,
ihn zu erhöhn. Wer Gott erhöht, wird seine Mitmenschen höher achten als sich
selbst. Der Schlüssel zur Selbsterniedrigung ist die Beziehung zu Gott. Be i der
Frage der Selbsterniedrigung meint man schnell, man solle sich zwanghaft und
zähneknirschend dem Mitmenschen beugen. Man geht selbstverständlich davon aus,
das kein Mensch, sofern Christ, sich über Gott erheben will. Diese Annahme ist
in Zweifel zu z iehen. Wer Gott als einzige Größe
akzeptiert, kann dem Menschen dienen, wie es Gott gefällt.
Weil nun das Kind für das Reich Gottes ein Vorbild ist, sollen Kinder im
Reich Gottes in besonderer Weise gepflegt werden. Darum sagt der Herr: wer ein
Kind aufnimmt in Jesu Namen, der hat den Herrn selber aufgenommen.
Zu 2: „Des Teufels General“: die Verführung (V.6-9)
Weil Kinder „gutgläubig“ sind, weil Kinder schnell vertrauen, ist ihre
Verführung zu schlechten Taten besonders verwerflich. Wenn der Herr von „den
Kleinen“ spricht, die „an ihn glauben“, dann ist sicher nicht allein von Kindern
mehr die Rede, sondern von Christen, die einem „Stärkeren“ vertrauen. Politiker
haben Macht über Menschen, Geistliche haben Macht über Menschen, Lehrer,
Pädagogen, Eltern haben Macht über Menschen. Es ist nicht von der Macht die
Rede, die ein Diktator hat. Sondern die Macht und die Möglichkeit der Einflußnahme in die Gewissen der Menschen. Alle
Verantwortlichen mißbrauchen mehr oder weniger ihre
Macht. All das ist verwerflich. Aber besonders schwer wiegt es, wenn ein
Machthaber seinen Einfluß missbraucht, damit Menschen
nicht an Jesu s glauben. Schwer wiegt es, wenn ein Mensch Interesse für Jesus
zeigt und ein anderer stellt sich zwischen ihn und Christus. Es ist an Schuld
genug, dass ein Mensch selbst für sich und sein Leben entscheidet, dass er
Christus nicht braucht. Noch schwerer w iegt es, wenn
er anderer abhält und seinen Einfluss geltend macht. Denn vom Glauben zu
verführen, das ist des Teufels ureigenster Wille. Wehe den Mächtigen, die zum
Abfall verführen.
Jesus sagt, es wäre für den Menschen ein Gewinn, wenn er - mit einem
Mühlstein beschwert, in die Untiefen des Ozeans eintauchen würde. Ein Gewinn,
ein barmherziger Tod im Vergleich zu dem, was ihn erwartet, wenn er den Zorn
Gottes zu spüren bekommt. Zwei V ergleiche nennt der Herr: Wenn die Hand oder
der Fuß zum Abfall verführt, wäre es besser, beide zu amputieren. Wenn das Auge
verführt, so wäre es besser, das Auge zu amputieren, als mit beiden Augen in die
Hölle zu gehen. Abhacken und ausreißen sind Ausdrü
cke entschlossener Handlung. In der Bergpredigt (Matth 5,27ff) hat der Herr diese Vergleiche sittlich
gebraucht. Im Zusammenhang der Bergpredigt war der Sinn: wer seine erotischen
Gefühle nicht in Zaum zu halten weiß, dem wäre es besser, er würde seine Aug en,
durch die Bilder in sein Herz gelangen, ausreißen. Gemeint kann sein, die
Gemeinschaft mit einer Person, die das unbändige Verlangen weckt, komplett zu
meiden. Auf jeden Fall eine hundertprozentige Entschlossenheit in der Tat. Im
jetztigen Abschnitt is t es
religiös zu deuten. Wer Zweifel hat an Jesu Existenz, an seiner Sohnschaft, an seiner Gottheit - der muss das vor Gott
regeln. Wer aber meint, er müsse andere davon überzeugen, Atheisten zu werden,
der bedenke die Folgen. Ein Beispiel, dass ich ohne P arteinahme anführe, ist vielleicht die katholische Kirche,
die aus ihrer Sicht wie im Fall Küng oder Drewermann
zu drastischen Mitteln greifen kann, wenn sie die rechte Lehre bedroht sieht.
Wann ist die Lehre Jesu bedroht? Nicht in der Tauffrage, nicht in den vielen
theologischen Streitpunkten, sondern in der Tatsache, dass man Christus und sein
Erlösungwerk in Frage stellt und missionarisch andere
davon abhält, an Jesus zu glauben.
Zu 3: „Einer für alle, alle für einen!“ (V.10-14)
Der Drang des Menschen, andere gering zu schätzen, ist groß. Und wer gering
geachtet wird, wird auch leicht und ohne schlechtes Gewissen verdorben. Denen,
die von Menschen gering geachtet sind, stellt der Herr gegenüber, dass sie vor
Gott wichtig sind. So wichtig, das die Engel ihr Schicksal sofort an höchster
Stelle melden. Gottes Auge ruht mit Vorliebe auf dem Schwachen. Ihnen gilt sein
Augenmerk, sein Wille zu schützen und den nicht ungestraft zu lassen, der sich
an des Schwachen Gewissen vergreift. Beim Bild des
verlorenen Schafes sei erwähnt, dass ein Unterschied besteht zwischen Lukas 15
und Matth 18. Bei Lukas liegt das Gewicht auf die
Retterliebe Jesu. Jesus sucht, was verloren ist und will es finden. Die Zöllner
sind im unmittelbaren Kontext erwähnt . Bei Matthäus
liegt das Gewicht anders. Hier geht es um ein Schaf, das einmal gläubig war und
nun von der Herde sich distanziert. Was soll die Gemeinde tun, wenn ein
Hauskreisteilnehmer nicht mehr erscheint, weder im Hauskreis noch im
Gottesdienst? Was so ll die Gemeinde tun, wenn einem
Gemeindeglied die Beziehung zu einem Menschen so wichtig geworden ist, dass es
darüber die Gemeinschaft mit Christen vergißt? Was
soll die Gemeinde tun, wenn einer/eine in ihren Reihen verbittert ist, voller
Zweifel und durc h Krankheit von der Gemeinschaft
ausgeschlossen? Hier gäbe es unzählige Beispiele. Die Gemeinde, der Christ soll
das Verirrte suchen! Der Christ braucht die Gemeinschaft der Herde Christi wie
das tägliche Atmen. Ohne Gemeinschaft kein Christsein.
Was Jesus hier fordert ist, dass die Gläubigen nicht selbstsicher sich sagen:
Hauptsache wir haben unseren Kreis, unsere Gemeinde, unsere christlichen
Freunde. Sondern dass sie sich aufmachen und das Schaf aufsuchen, das fern ist
der Gemeinschaft und damit nahe der Gefahr. Eine Gemeinde, die sich nicht um die
verirrten Schafe kümmert, wird vor Gott gebracht. Eine Gemeinde, die
selbstsüchtig und zufrieden meint, auf das Einzelne verzichten zu können, die
Mühe nicht aufbringen will, die der Anruf, der Besuch, das Gesp räch und die Fürbitte kostet, erntet Gottes Missfallen.
Matthäus macht erneut deutlich, an was die Christenheit zu erkennen ist: an der
Fürsorge und Liebe, die sie füreinander empfinden. Vielleicht wurde noch nie
soviel missioniert und evangelisiert wie he ute. Und
vielleicht kamen im Vergleich zum Aufwand noch nie sowenig Menschen zum Glauben.
Wenn die Liebe fehlt, ist alles ein hohler Klang. Nocheinmal: wenn ein Glied in der Gemeinde sich von der
Herde distanziert, das muss nicht aus Zweifeln sein, jeder K ranke kann von der
Gemeinschaft der Christen abgeschnitten sein, ist zugleich auch in Gefahr, am
Glauben Schiffbruch zu erleiden. Darum soll die ganze Gemeinde sich nicht zu
fein sein, für einen Einzelnen einzustehen. Gerade dann, wenn er weder Rang noch
N amen hat.
Zu 4: Der Gewinner ist...wer den Verlierer zu gewinnen weiß (V.15-20)
Es gibt die Kinder, es gibt die Erwachsenen im Einflussbereich der Starken,
es gibt die Verirrten und von der Gemeinschaft Losgelösten und es gibt
diejenigen, die durch ihre Sünde sich und andere in Gefahr bringen. Auch sie
will der Herr gerettet wissen. A uch bei ihnen soll
man nicht gering reden noch denken. Der Herr will nicht, dass die Gerechten
sagen: der ist ein Sünder. Der wird seinen Lohn schon bekommen. Der Herr will
aber auch nicht, dass die Gerechten falsche Toleranz üben und sagen: wer bin
ich, d ass ich diesen richte. Sondern der Herr will,
wie bei allen anderen auch, dass jeder zur Erkenntnis der Wahrheit gelangt.
Christus ist die Mitte, der Fluchtpunkt, der Maßstab, der Eckstein.
Wie muss man sich das vorstellen? Jesus sagt: sündigt dein Bruder an dir! Es
geht in diesem Fall wohl besonders um die Frage, wie ich mit der Schuld eines
Christen umgehe, die er an mir begangen hat. Hier ist das obere Ziel: die
Versöhnung. Gott will, dass die Sünde angesprochen wird und wenn möglich, aus
dem Weg geräumt. Der Herr betont, dass der Ruf des Schuldigen zu schützen ist.
Der Geschädigte soll also nicht bei Mitchristen den Schuldigen anschwärzen
letztendlich mit dem Ziel, dass dieser zunehmend me
hr Misstrauen ertragen muss. Der Herr will, dass ein
Zweiergespräch stattfindet zwischen dem Geschädigten und dem Schadenverursacher.
Wie es oft so ist, bleibt der Schuldige stur und unversöhnlich. Hier wäre es
eine falsche Demut und auch Ausdruck von fehl ender
Liebe, den Schuldigen in seiner Schuld zu belassen. Darum ruft Jesus dazu auf,
geeignete Brüder als Zeugen zu berufen. Nach alttestamentlichem Recht wird eine
Sache durch zweier Mund bestätigt. Wenn also der Schuldige auch vor den Brüdern
bei seinem Unrecht bleibt, ist damit auch der zweite Versuch gescheitert, die
Sache ohne Öffentlichkeit und damit auch zum Schutz des Schuldigen, zu
beseitigen. Sünde muss beim Namen genannt werden, sonst wird sie zur Gefahr für
die Gemeinde. Also wird die Gemeinde b erufen. Der
Geschädigte wie die zwei Zeugen bringen der Gemeinde die Sache dar. Nicht im
Stil des Richtens, sondern des Kampfes um einen Menschen. Wenn dieser immer noch
bei seiner offensichtlichen Schuld beharrt, soll die Gemeinde ihn ansehen wie
einen Zö llner und Heiden.
Wie ist das aber zu verstehen, wo doch der Herr mit eben diesen
Tischgemeinschaft pflegte und sie sogar in den Dienst des Jüngers berief wie im
Fall des Matthäus? Gemeint ist, dass ein Bruder, der offensichtlich an seiner
Schuld festhält, seine Selbstsucht allen offenbart. Er stellt seinen Willen über
den Willen Gottes und lebt somit egoistisch wie die Zöllner und Heiden, die Gott
nicht kennen wollen. Die Gemeinde soll diesen Menschen nicht verachten, ihn
nicht gering schätzen. Aber sie so ll mit ihm nicht
leben wie mit einem Christen. Er ist wie ein Heide, den es zu bekehren gilt. Er
kann nicht Ämter in der Gemeinde übernehmen und kann nicht am Abendmahl
teilnehmen. Ein Mensch, der ungehorsam ist, stellt seinen Willen über den Willen
Gottes . Sein Vorbild ist gefährlich für die Gewissen
schwacher Christen. Toleranz ist fahrlässig. Genauso gut könnte ich sagen, man
sollen Löwen und Tiger frei herumlaufen lassen, sie haben ein Recht auf Freiheit
wie alle anderen auch. Hinter der gewiss schweren Entscheidung einer Gemeinde
steht Gott. Die Gemeinde soll vergeben und lösen, wenn der Schuldige seine Tat
bereut. Die Gemeinde soll nicht überheblich, aber konsequent durchgreifen und
bindend handeln. Doch Ziel ist es, den Menschen zu gewinnen. Und wo Wo rte nichts mehr vermögen, so
bleibt immer noch die Macht der Fürbitte. Wo Menschen Grenzen gesetzt sind,
vermag das Gebet dieses Grenzen zu brechen. Denn für Gott ist nichts unmöglich.
Das Eins werden der Christen im Gebet hat einen hohen Stellenwert vor G ott. Hier wird das Bild der Drei aufgegriffen: der
Betroffene und die zwei Zeugen, diese Drei treten vor Gott und geben den Sünder
nicht auf. Sie werden für ihn ringen und bezeugen, was Jesus in seinem Gleichnis
des verlorenen Schafes verdeutlicht hat: die Liebe scheut keine Wege, um das
Verirrte zu gewinnen. Der große Gewinner ist, wer den Verlierer gewinnt.
Zu 5: Der Schlüssel wahrer Größe: Vergebung (V.21-35)
Eine Gemeinde kann nicht einträchtig beten, kann nicht einträchtig
zusammenkommen, kann nicht einträchtig wirken, kann nicht einträchtig den
verlorenen Bruder oder Menschen suchen, wenn sie nicht bereit ist, zu vergeben.
Die Vergebung ist der Schlüssel zu wahrer Größe. Die Vergebung ist Gottes
ureigenster Wille und Eigenschaft. Christi Leben, Leiden, Sterben und
Auferstehen bewirkte dieses eine: die Vergebung. Ohne die Vergebung kein Christsein. Ein Christus, der seiner Gemeinde vergibt und
eine Gemeinde, d ie sich nicht untereinander vergibt,
zerreißt das Band der Einheit des Leibes.
Petrus ist vom rabbinischen Judentum geprägt, bei der Zahlen eine große Rolle
spielen. Eine Vergebung, die zahlenmäßig nicht begrenzt ist, konnte das
rabbinische Judentum sich nicht vorstellen. Es wäre einer Lästerung gleich zu
setzen, wenn ein Mensch nach mehrfacher Vergebung erneut dieselbe Sünde tut. Ja
mehr, es wäre eine Beugung des Rechts. Es erinnert an die späteren Zeiten unter
Martin Luther, als vom Dominikaner Tetzel Ablassbrief
verkauft wurden, die Sünden sühnten, die noch gar nicht begangen wurde n. Das
Anliegen des Petrus, der Vergebung eine Begrenzung hinzuzufügen, ist aus
rechtlicher Erfahrung verständlich, aber nicht im Sinne Jesu. Jesus verkündigt
die Vergebung, die jeder empfängt, so oft er kommt. Die einzige Schranke ist:
von Herzen. Wer Got t von Herzen um Vergebung bittet,
empfängt Vergebung. Und es muss auch so sein, denn sonst könnte kein Mensch
selig werden. Die Pharisäer lehrten, dass böse Taten durch gute Taten
aufgewogen, quasi kompensiert werden könnten. Jesus, wie später Paulus, mach t
in seinem Gleichnis deutlich, dass niemand mit seinen Werken vor Gott bestehen
kann. Wenn es keine vollkommene Vergebung gäbe, ist der Mensch verloren.
Dieses Gleichnis, das Jesus hier anführt, beinhaltet aber noch eine tiefere Komponente. Es macht deutlich, was in den vorhergehenden Aussagen deutlich gemacht worden ist: ein Gottesdienst ohne Liebe zum Nächsten ist nicht möglich. Eine Liebe zu Gott ohne d ie Liebe zum Nächsten ist nicht möglich. Die Annahme der Vergebung von Gott ohne die Bereitschaft, seinem Nächsten vergeben zu wollen, ist schwer vorstellbar. Es zeigt ein Dilemma auf, die auch heute in meinen Augen ein großes Problem darstellt. Man meint, durch Lobpreisgottesdienste, evangelistischen Einsatz, Bibellesen und Gebete ein gutes und frommes Christsein zu führen. Aber all das bleibt hohler Klang, wenn die Liebe zum Nächsten fehlt. Ich habe es oft erlebt, dass ich in fremden Gottesdiensten war. D ie Christen haben mit Inbrunst Anbetungslieder gesungen. Als der Gottesdienst vorbei war, standen ich und meine Familie alleine da. Wer das erlebt, für den wird alles hohl und leer. Gott macht deutlich: wenn ein Mensch von Herzen Gottes Zuwendung erlebt un d sie recht erfaßt hat, der wendet sich auch seinem Nächsten zu. Wieviele Aktionen führen Christen durch. Aber ich höre nie von einer Aktion: Besuch der Weisen und Witwen in jedes Haus. Oder: Aktion - Suche nach den einsamen Schafen in unserer Gemeinde etc . Christen bieten Konzerte, Vorträge, Freizeiten, Veranstaltungen etc. All das mit anderen Inhalten bietet die Welt auch. Was die Christen anzubieten hätten ist aber das, von dem Welt nur singen, schreiben und dichten kann: die Liebe, die dem anderen einen völlig neuen Start gibt. Die Liebe ist ein Phänomen, dass die Welt nicht kennen kann. Denn die Liebe ist von Gott. Und sie findet ihren großen Auftritt in der Vergebung. Das Gleichnis wird darin besonders hervor-gehoben, indem gezeigt wird, wie groß die S chuld des Einen war, die ihm vergeben wurde. Auch bekommt der Schuldner die Erlassung seiner Schuld nicht unter Bedingungen zugesprochen, sondern gleich und jetzt und vollständig. Im Vergleich dazu ist die Schuld des Menschen zum Menschen klein. Dass der d ie Vergebung Empfangende genau hier hart reagiert, macht wieder deutlich, dass er selbst die Größe sich aneignet und sich zum Richter aufschwingt. Jeder Christ ist verpflichtet, zu vergeben, weil er selbst aus der Vergebung lebt. Dies ist untrennbar mitein ander verbunden und im Herrengebet fest verankert. Es macht deutlich: ein Christsein ohne Nächstenliebe kann nicht bestehn.