Matthäus 15, 21 - 28

Michael Strauch


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Einleitung:

"Wenn auch nur ein Bruder oder eine Schwester mir heute abend sagt, was ich tun oder lassen soll, dann schreie ich!" Das sind meine Gedanken an diesem Hauskreisabend. Ich kann nicht mehr. Bin körperlich, seelisch und auch geistlich ziemlich am Ende. Wir haben 5 kleine Kinder im Alter zwischen 9 Jahren und 15 Monaten. Seit etwa sechs Wochen zahnen unsere Zwillinge und sind deshalb jede Nacht zwischen halb zwölf und vier wach.«

Auszeit -eine Frau findet aus Selbstüberforderung und Leistungsdruck zurück zu Gott. So der spannende Titel eines grundehrlichen Berichtes in der Zeitschrift Aufatmen. Die 40-jährige Antje Balters war wohl das, was man eine christliche Powerfrau nennt. Sie hat eine große Familie, sie geht nebenher noch arbeiten, sie sitzt mit im Elternbeirat, um die christliche Ethik hochzuhalten, ihr Tempusterminplaner zeugt von der Gewichtigkeit ihrer Person. In der Gemeinde arbeitet sie aktiv mit. Sie glaubt, den geistlichen Durchblick zu haben. Dann trifft sie solch eine Erschöpfungsdepression, daß sie ihr ganzes Leben ganz neu und schmerzhaft überdenken muß. Sie bekennt über sich selbst: ich habe mich mit der Leistung identifiziert. Sie wollte diejenige sein, die alles schafft, alles packt und es allen zeigen kann -auch geistlich. Versteht sich. Im Wust der eigenen Selbstdarstellung hat sie im Gewimmel der Jünger Jesu den Meister nicht mehr gesehen. Sie war am Ende und betete am Ende nur noch drei Dinge: Herr, zeige mir, wer ich bin, zeige mir, wer du bist, und zeige mir, wie du mich siehst." Diese Frau hat, nachdem sie mit allen Aktivitäten gebrochen hat, Jesus wieder ganz neu gefunden. Sie selbst hat diesen Artikel geschrieben. Sie hat neu verstanden, was Glaube ist. Auch in unserem heutigen Abschnitt geht es um dieses Thema: Was ist Glaube? Wie sieht er aus? Und wo stehe ich gerade'?

1. Der Glaube dringt direkt zu Jesus vor

Etwas haben die Beiden gemeinsam: Antje Balters und die Griechin aus Syrophönizien mit den kanaanitischen Vorfahren. Sie erleben beide eine Auszeit. Wir wissen nicht viel von der Griechin. Vermutlich hatte sie keinen Mann mehr, denn sie spricht von "ihrer" Tochter. Für eine Frau in diesem Stand sehr schwer. Der tägliche Überlebenskampf war für sie sicher kein Fremdwort. Aber nicht genug. Ihre Tochter hatte immer wieder eigenartige Anwandlungen. Niemand konnte ihr helfen! Die Nachbarn tuschelten schon: das Mädchen ist von einem bösen Geist besessen.

Woher kannte sie Jesus? Im Gegensatz zu Antje Balters dürfte diese kanaanitische Frau Jesus nur vom Hören und Sagen gekannt haben. Vielleicht gab es in den großen Handelsstädten Sidon und Tyrus Synagogen, wo man sicher abfällig von diesem Wunderheiler sprach. Nun erzählte man sich, daß er vor kurzem in Galiläa war und es wieder Ärger mit den Oberfrommen gegeben hatte, den Schriftgelehrten. Er habe sich aus dem Staub gemacht und sei ganz hoch in den Norden gewandert.

Und nun geschieht etwas seltsames: Diese Frau macht sich auf, Jesus zu suchen. Sie weiß nicht, wer er ist. Sie weiß nur von Gerüchten, in welchem Haus er sich aufhält. Etwas sagt ihr: dieser Jesus kann helfen. Er ist barmherzig und weist die Hilfsbedürftigen nicht ab.

Der Glaube in dieser Frau beginnt zu keimen und darin offenbar zu werden, daß sie sich mit ihrer Not sich aufmacht und direkten Zugang zu Jesus sucht.

Das Geschehen wird noch eigenartiger. Da ist Jesus nahezu geflohen vor den Theologen der damaligen Zeit. Die Jünger, die ständig um Jesus waren, brachten Jesus in Unruhe, weil auch sie so wenig verstanden und Jesus nicht nur einmal "Kleingläubige" nennen mußte. Und neben den vielen geistlichen Aktivisten kommt ihnen eine Frau entgegen, die noch fast nichts von Jesus weiß. Die noch frei ist von dem Wust zentnerschweren Bibelwissens, von dem nur ein paar Gramm umgesetzt worden sind. Diese Frau sucht direkten Zugang zu Jesus, während seine Jünger direkt bei Jesus sind und doch so fern. Und sie schreit zu Jesus: "Erbarme dich meiner, Herr, Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem Dämon böse gequält!"

2. Der Glaube hält an Jesus eisern fest

"Antje Balters kann sagen, wenn sie zu Jesus in ihrer Not geschrien hat, dann hat er sie immer gehört. Auch hört Jesus die Syrophönizierin. Und die Menge der Jünger hören diese klagende Frau. Jesus hört sie. Jesus geht nicht weg. Aber er schweigt. Er schweigt einfach. Spricht kein Wort, noch nicht mal ein Wort des Trostes. Selbst die Jünger werden nun aktiv. Sie meinen, Fürbitte einlegen zu müssen. Aber sie tun es nicht, weil sie ein Herz für die Frau haben. Sie tun es aus der ewigen Besserwisserei, mit der Christen anderen Ratschläge geben wollen, ohne dabei aber ein Stück ihres Herzens an den Notleidenden zu verlieren. Jesus ist echt, er ist wahrhaftig. Seine Worte kommen nicht zu schnell. Und diese Frau merkt: dieser Jesus kommt nicht gleich angerannt mit dem überheblichen seelsorgerlichen Timbre in der Stimme. Wenn Jesus schweigt, dann hat er gute Gründe dazu. Er muß nicht seinen Jüngern gefallen. Er muß nicht ständig irgendwas tun, um Akzeptanz zu finden. Jesus ruht ganz im Willen Gottes. Das ist das Geheimnis seiner Kraft, ein Geheimnis, an dem die Frommen jener Tage sich oft gestoßen haben. Und Gott hat seinem Sohn geboten: zuerst erfährt Israel die rettende Botschaft, dann das Volk der Heiden. Alles hat seine Zeit. Gottes Wille zu tun ist ihm wichtig, auch wenn es in dieser Situation heißen kann: Jesus versagt einer bittenden, Hilfe suchenden Frau die Rettung.

Doch der Glaube in dieser Frau zeigt nun eine weitere Seite seiner Echtheit: er hält an Jesus fest. Die Frau fällt vor Jesus nieder. Sie rebelliert nicht gegen das Nein. Sie schimpft und zetert nicht gegen die versagte Hilfe. Aber sie hält dennoch an Jesus fest und offenbart ihm, wie es in ihr aussieht: ich bin am Ende. Hilflos. Ich brauche Dich, Jesus. Wann haben wir zuletzt so gebetet?

Doch der Glaube wird einer Prüfung unterzogen, der hart und unerbittlich zu sein scheint. Erneut kommt das dritte Nein Jesu. Das Heil gilt zuerst den Juden. Jesus ist nicht ein Tausendsassa, ein Hans Dampf in allen Gassen. Er tut genau das, was Gott will. Soviel oder so wenig. Menschen, die nicht nach Gottes Willen fragen, verzetteln sich in ihrem Leben hemmungslos. Menschen, die nach Gottes Willen fragen, finden in ihm ihr Gleichgewicht und machen die Erfahrung: Jesus überfordert niemanden. Nur meine Wünsche und meine Gier überfordert mich grenzenlos.

3. Der Glaube gibt Jesus recht

Jesus sagt klipp und klar: den Kindern Israel nehme ich das Brot nicht weg und gebe es anderen. Ist diese Frau nun am Ende'? Und in diesem Moment erfolgt der Höhepunkt: das große, dramatische Wort dieser Frau: Ja, Herr!! Hier offenbart der Glaube seine dritte Seite.

Er stellt sich ganz und gar in den Willen Gottes. Ja, Herr, es ist ganz genau so, wie du es sagst. Deinen Willen erkenne ich und akzeptiere ihn. Dein Wille ist gut und recht. Und glücklich ist der Mensch, der danach lebt. Diese Frau ist bei Jesus. Sie ist ihm jetzt ganz nahe.

Sie hört seinen Willen und gibt Jesus recht. Und in diesem Moment werden wir Zeugen, wie der Wille Gottes nicht starr ist wie eine Eisenstange. So wie Feuer Eisen zum Glühen bringen kann und der Schmied entscheiden kann, welche Form es bekommt, so hat die Liebe zu Jesus, die durch diesen Glauben zum Ausdruck kommt, Einfluß auf Gottes Willen.

Die Frau bewegt sich ganz in dem Bild Jesu. Aber dieses Bild läßt Bewegung offen. Den Heiden sollst du nicht vor der Zeit das Brot geben. Aber strahlt deine Herrlichkeit und Liebe nicht schon schattenartig über die Landesgrenzen sprichwörtlich hinaus? Die Kinder Israel erleben Dich in deiner ganzen Fülle. Und wie wenig haben sie von dir verstanden. Die Frau will nur einen Krümel seiner Macht. Das reicht. Nur ein Wort. Ich glaube, daß du alles kannst. Nur ein kleines Wort. Und Jesus sagt: "Oh Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst!"

Schluß

Jesus hat auf seinem letzten Gang zum Kreuz ein Stück warmer Liebe erfahren. Denn nichts erfreut Jesus mehr als echter, ehrlicher Glaube. Und wie das aussieht, haben wir heute erfahren: echter Glaube sucht Jesus inniglich. Echter Glaube hält an Jesus fest. Und echter Glaube gibt Jesus recht.

Wo stehst Du? Geht es Dir nicht auch so wie Antje Balters, als sie noch zu den Managern

gehörte, wenn sie sagt: In dieser Haltung ist es unglaublich anstrengend, sich selbst realistisch

wahrzunehmen. Man nimmt die anderen nicht mehr richtig wahr und kann nicht mehr

aufblicken zu Gott.

Komm zu Jesus, bevor eine Auszeit dich erst dazu zwingen muß. Komm zu Jesus und frage ihn: Wie siehst Du mich momentan? Wer bin ich vor Dir? Wie sieht mein Glaube aus? Und zeige mir, ob ich momentan auf einem guten Wege bin. Und besonders: zeige du dich mir selbst. Ich will zu dir kommen, Jesus. Ich will an dir dann festhalten, auch dann noch, wenn dein Wille sich mit meinem nicht deckt. Ich möchte dir recht geben und kann es ohne Ängste tun, denn du nimmst auch meine Wünsche ernst. Jesus, ich will nicht mehr ein bestimmtes Bild von Dir, ich will dich persönlich. Amen.

Einige exegetische Details zu Matth 15, 21 - 28:

Kanaaniterin: Durch Kanaan, wo jenes Volk lebte, das ursprünglich vor dem Kommen des Volkes Israel dort seßhaft war, gingen jene unseligen Strömungen aus wie der Baalskult oder die Fruchtbarkeitsriten. Wie oft hat Israel sich später beeinflussen lassen statt zu beeinflussen.

Hund: Die in Palästina lebenden Pariahunde hatten in der Regel keinen Herrn, sondern streunten in halbwilden Rudeln durch das Land und lebten von dem, was sie an Eßbarem fanden oder ihnen vorgeworfen wurde. Für Israel waren Hunde ein Bild der Unreinheit, des Verächtlichen. Hunde waren - ähnlich wie heute der "reudige Hund" ein verächtliches Schimpfwort.

Tyrus und Sidon: beide Städte an der Küste des Mittelmeeres standen nie unter israelischer Herrschaft. Sie waren im Norden gelegen, wirtschaftlich sehr reich. Folglich befindet sich der Herr Jesus weit oben am Fuße des Hermon.

Das Schwergewicht, der Skopus ist : der Glaube, der Gottes Arm bewegt.

Jesus ging weg. Er entfernte sich. Er befand sich im Gebiet des Herodes Antipas. Um keine Verhaftung zu riskieren, verließ sein Herrschaftsgebiet. Denn eine Verhaftung - entstehend durch ein Bündnis der Herodianer mit den Pharisäern - könnte leicht passieren.

Die Kanaananiterin ist laut Markus (Kap 7) eine Griechin aus Syrophönizien. Sie ist demnach eine Nachfahrin jenes Handelsvolkes. Sie ist demnach auch eine Heidin. Lt. Markus 7 ging sie ein Haus, wo Jesus sich aufhielt. Diese Heidin redet Jesus mit den - von den Pharisäern und Sadduzäern ehrfürchtig genannten Hoheitstitel: Messias.

Vielleicht hat sie schon einiges von Jesus gehört. Aber vom Gehörten bis zum Bekenntnis ist es oft noch ein großer Schritt. Mir scheint, daß sie den Hauptmann von Kapernaum noch überflügelt. Und das zu einer Zeit, wo fieberhaft an Mordplänen gegen Jesus gearbeitet wurde.

Diese Frau ist vermutlich ledig oder Witwe. Ihre Tochter ist das Einzige, was ihr geblieben ist. Nun hat sie in Jesus den gefunden, der ihrem geliebten Kind Heilung schenken kann.

Doch das Unerwartete geschieht: Jesus schweigt zu ihrem Ansinnen. Wollte Jesus nicht verwechselt werden mit den berühmten, jüdischen Zauberern, die in dieser Gegend wirkten und denen sich diese Frau sicher vorher anvertraut hat? Wollte er ihr Vertrauen prüfen? Vermutlich brachte das Schweigen Jesu die Mutter an den Rand der inneren Kapitulation. Aber, gleich dem ringenden Jakob mit dem Engel, sie läßt von Jesus nicht ab, ohne den Segen zu empfangen.

Verse 23b-24:

Vermutlich geht diese glaubende Penetranz den Jüngern auf die Nerven, ähnlich der Wiwe und dem Richter. Jesus macht mehrmals deutlich: er konzentriert sich ganz auf den Auftrag, auf die Wegweisung Gottes. Das heißt konkret: hier besteht kein Auftrag für ihn. Jesus handelt nicht nach seinen Gefühlen oder den Bedürfnissen anderer. Er handelt nach Gottes Willen. Darin liegt das Geheimnis seiner Kraft.

Vers 25-26

Die Frau bleibt dran. Sie schreitet an den Jüngern vorbei. Sie bedarf keiner "Fürbitte der Heiligen". Sie will direkt zum Arzt, zum Heiland und Herrn, zu Jesus. Doch da - wie ein Donner - folgt das dritte Nein. Zuerst komme Israel, mit den Kindern verglichen. Dann die Heiden, mit den Hündlein verglichen. Der Zaun zwischen Israel und den Heiden besteht noch. Zum Nein Jesu sagt die Frau ihr glaubendes "Ja". Dieses Ja, das nicht trotzt, sondern trotzdem an Jesu Person festhält. Dieses Ja zu Gottes Nein, daß den Herrn nicht als etwas statisches, schicksalhaftes an sieht, sondern dynamisch. Ja, Herr, dein Wille und deine Entscheidung sind richtig und gerecht. Sie sind richtig, trotz meines Schmerzes, meiner Dunkelheit und Wirrniss. Und doch, wenn ich das Brot (noch) nicht erwerben darf, so gib mir einen Krümel deiner Liebe, es bewirkt allein alles Wunder. Ein Krümel deiner Kraft muß mein krümeliger Glaube deiner Liebe entlocken können. Welch ein Glaube hat diese Frau!

Und Jesus - darf man es hier so nennen - staunt. Es scheint mir, als wäre er glücklich. Es klingt wie ein Fanfarenstoß: Frau, welch ein Glaube! Groß ist dein Glaube in Wahrheit. Groß der Glaube, der Jesus Christus will. Der bereit ist, scheinbar gegen Gottes Willen zu rebellieren, um Gott selbst zu bekommen. Ein Widerspruch? Im mathematisch logisch deutschem Empfinden vielleicht. Aber hier sehen wir, daß Gottes Wille feststeht und trotzdem ein dynamischer Wille ist. Der Wille Gottes, der unbeirrbar seinen Weg geht zum Ziel, und doch hie und da über die Ufer tritt, wo der Glaubende ihn von Herzen ersehnt. Um letztendlich mit gespült zu werden von der Kraft des Stromes, der über Kreuz und Auferstehung zur Ewigkeit fließt .