Bibelarbeit über Matthäus 15, 1 – 20

Michael Strauch


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Von Reinheit und Unreinheit

Einleitende Gedanken

Da spürt man schon das große Potential an Feindseligkeit und grenzenloser Überheblichkeit, wie hier die Pharisäer und Schriftgelehrten extra aus Jerusalem sich auf den Weg gemacht haben, um den Herrn wegen so einer kleinen Sache anzugreifen. Sie scheinen sich ihrer Sache absolut sicher zu sein. Zum Hintergrund: Jerusalem war damals wie heute eine Art Civitas Die, eine Stadt Gottes, der Mittelpunkt allen Augenmerks. In dieser Stadt ähnlich dem katholischen Rom oder dem islamischen Mekka hat der Synhedrin und überhaupt die wichtigsten geistlichen Persönlichkeiten ihren Sitz. A.Schlatter [1] nennt einige Namen: Eleazar, der von Hyrkan I. den Verzicht auf das Hohepriestertum verlangte, Schemaja, der in dem von Hyrkan dem II. berufenen Synedrion saß und der während der Belagerung durch die Römer zur Übergabe der Stadt an Herodes riet, mit ihm Euthalion, dazu die Pharisäer, unter denen der jüdische Historiker Josephus lernte ("Der jüdische Krieg), Simon, der den Versuch unternahm, Agrippa vom Tempel auszuschließen u.s.w.

Diese geistliche Oberschicht wachte streng über die versprengten Gemeinden im ganzen Land. Es war undenkbar, dass der Herr Jesus irgendwo öffentlich wirken konnte, ohne dass es die Pharisäer nicht wussten oder – wie in diesem gebräuchlichen Fall – Rabbinen losschickte, um die Lehre zu überwachen.

Ferner entwickelte der religiöse Eifer vieler Schriftgelehrten und Pharisäer Zusätze zum AT, die in der jüdischen Mischna ihren Eintrag fanden. Viele Anweisungen gingen schon damals auf die Väter zurück (hier: die "Alten"). Anders als heute waren die Schriftgelehrten nicht sehr bestrebt, Neues in der Heiligen Schrift zu entdecken und zu thematisieren. Vielmehr wurde das, was von den "Alten" akzeptiert und aufgeschrieben war, der Bibel nahezu gleichgestellt und bewahrt. Die Pharisäer und Schriftgelehrten waren also im besten Sinne erzkonservativ. Das Alte musste originalgetreu erhalten und von Generation zu Generation unverfälscht weitergegeben werden. Somit unterlag das Volk einem doppelten Joch – dem des Gesetzes und dem der vielen zusätzlichen Einzelauslegungen der Väter.

Exegese:

Vers 1+2:

Üblich war es, dass nach dem Essen der Gastgeber Wasser in einem Gefäß den Gästen reichte. Dabei wurden Hände und Oberarme benetzt als Zeichen der Reinigung. Ein frommer Jude, die Pharisäer und Schriftgelehrten besonders, waren ständig bestrebt, rein zu sein. Weil nun vor dem Essen ein Gebet gesprochen wurde, wollte man auch mit reinen Händen beten. Also führten "die Alten" ein, dass auch vor dem Essen eine rituelle Waschung vollzogen werden muss. Im Islam kennt man diese Waschungen gut. Es ging um die Reinheit. Wir werden dabei an Naemann erinnert, den syrischen, unter Aussatz erkrankten Hauptmann und wie er durch eine rituelle Waschung im Jordan geheilt wird – sprich rein wird (2Könige 5). Auch gab es im Penthateuch – also den 5.Büchern Mose – eine genau Auflage, wie man sich reinigen solle und durch welche Berührung der Mensch unrein wurde.

Jesus verstieß nicht offensichtlich gegen das mosaische Gesetz, sondern gegen das Zusatzgesetz der Alten.

Gedanke: Dieser Abschnitt erscheint mir ungemein wichtig bei der Frage des Umgangs mit "Kirchlichen Traditionen, Überlieferungen der "Väter". Jesus verurteilt nicht dem Umgang mit denselben. Er verurteilt aber mit scharfen Worten, wenn die Tradition und die Aussagen der Väter mit der Bibel eigentlich nicht im Einklang stehen – und wie versteckt das passieren kann, sehen wir hier – und wenn die einst guten Traditionen nicht mehr zeitgemäß sind, dem Menschen geistlich nicht dienen. Beachten wir die für mich schwierige Sachlage, dass der Herr mit seiner Aussage auch ein Stück mosaisches Gesetz aufhebt und als erfüllt erklärt.

Verse 3-9:

Da kamen also die Gelehrten zu Jesus und legten ohne große Umschweife los. Aus ihren Worten meint man ihre Sicherheit zu hören: endlich haben wir ihn ertappt. "Du übertrittst nicht nur den Sabbath, sondern Du hältst Dich nicht an die Überlieferung der Alten!" Der Gedanke dabei liegt tiefer: Jesus kann nicht der Messias sein, wenn er nicht vollkommen ist, in diesem Fall "rein". Allerdings sprechen sie nicht vordergründig von Jesus, sondern von seinen Jüngern. Doch der Herr pariert – und es scheint mir – mit ziemlichem Ernst, wenn nicht sogar Zorn. Sie werfen den Jüngern vor, dass sie die Gesetze der Alten missachten. Dabei missachten sie das Alte Testament – von Gott gegeben – und heben durch das vergleichsweise neue Gesetz der Alten Worte der Schrift aus den Angeln. Die Tradition, die geistlich-menschlichen, konservativen Mumie Tradition, von den Menschen einbalsamiert, damit sie erhalten bleibe, hat Gottes ursprünglichen Willen "ersetzt!" Und das Schlimme ist, keinem ist es offenbar aufgefallen. Oder doch?

Hiermit macht der Herr sehr deutlich, wie wichtig ihm die Heilige Schrift ist. Sie ist es, die bedacht, weitergegeben und verinnerlicht werden soll. Sola Scriptura, die erste Quelle, davon soll man nicht abweichen. Aber über aller Schrifterkenntnis gibt es noch etwas tiefergehendes zu beachten. Jesus drückt es – und damit schafft er sich Autorität unter den "Grammateus", den Schriftgelehrten – durch die Worte des Propheten Jesajas aus. Es ist ein weiterer, sehr tiefgehender Gedanke. Der erste Denkansatz: sind unsere Traditionen biblisch begründet, wenn nicht, bleibt die Frage: stehen sie gegen die Schrift? Wenn nicht, wenn es also die Bibel einfach offen lässt, bleibt die Frage: dient sie der Sache Jesu Christi und dem Menschen heute? Wenn nicht, gehört sie abgelöst.

Wer nun meint, moderne Formen sind die bessere Alternative, der sei durch das Zitat Jesajas auf anderer Ebene ermahnt: volle Gottesdienste, Power in Liedern und Lobpreis etc. sagen noch nichts aus, ob diese Form dem Menschen hilft, sich auf Gott auszurichten. Oft kann eine offene Kirche in aller Schlichtheit und Stille eine große Gottesbegegnung ermöglichen. Und volle Veranstaltungen haben zwar "Glückshormone" ausgestoßen, aber das Herz dem Mitmenschen gegenüber nicht weiter aufgeschlossen. Das Herz, als Sitz meines Wollens, Tun und Handelns ist gefragt.

Doch es war damals nicht anders als heute. Für "Äußerlichkeiten" war der Fromme zu allem bereit. Dafür kämpfte er, und sei es bis auf`s Blut. Hier einige historische Beispiele: Die Beraubung des Tempelschatzes durch die römischen Beamten galt damals als schwerer Frevel und als schreckliches Unglück.

· Unvergessen blieb der Tempelbrand nach dem Tod des Herodes.

· In der Diaspora wehrten sich die Juden vehement gegen jeden Eingriff der Beamten in die heiligen Gelder.

· Lästerlich empfand es der Fromme, als Kaiser Claudius am Fest der ungesäuerten Brote eine große Menge Mehl in den Tempel brachte.

· Es ging sogar – wie u.U. im Bild Jesu soweit, dass man sogar seinen Hass fromm ausüben konnte:

So konnte ein Sohn seinem Vater jegliche Hilfe verweigern. Denn, so die Schriftgelehrten, Gottes Belange stünden über denen der Eltern. Das ist ja soweit einsichtig. Nur diese Regel galt auch, wenn der Sohn damit seinen Eltern offensichtlich Schaden zufügte. So könnte ein Kind seinen Teil des Unterhaltes für die Eltern einfach der damaligen "Kirche" abtreten. Damit hat er seinen verhassten Eltern eins ausgewischt und der Kirche einen frommen Dienst getan.

Der scheinbar fromme Dienst, der den Nächsten aber nicht einbeschließt, ist kein frommer Dienst, sondern reines, menschliches Machwerk.

Jesus betont, dass im Fall der Missachtung des elterlichen Gebotes die Schriftgelehrten und Pharisäer die Todesstrafe aussprechen müssten, wenn sie ihnen nicht sogar selber gilt.

Verse 10-11:

Nicht allein Gottes Wort hat eine große, schöpferische Kraft, sondern auch des Menschen Wort hat Macht, den Menschen aus der Gemeinschaft mit Gott auszuschließen. Jesus bleibt dabei, was er in Kap 12, 36ff schon einmal gesagt hat. Auch denken wir an Worte aus der Bergpredigt (K 5, 33ff). Denn die Worte sind Ausdruck dessen, was im Herzen ist. Wie die Frucht äußerster Ausdruck des Baumes und seines Zustandes ist, so das ausgesprochene Wort. So ist im Herzen schon all das Böse verankert, dass dann in Worten, und seien sie noch so unscheinbar, doch zum Ausdruck kommen. Die Worte werden dann auch schnell zur Tat. Darum besteht nicht die Frage: was muss ich an äußeren Formen aufrecht erhalten, sondern es steht vielmehr die Frage im Raum: mit welchen Inhalten fülle ich mein Herz. Welche Gedanken lasse ich zu. Damit hat der Herr aber auch die Lehre Moses über das, was den Menschen durch Berührung unrein macht, erfüllt. Hier geht es um das ewige Heil.

Verse 12-20:

Wie groß die Macht der Geistlichen war, zeigt sich daran, dass wie die Jünger das erste Mal besorgt sehen bezüglich Rabbinen. Das gibt in Jerusalem Ärger. Es gibt Situationen, wo man um geistliche Fragen mit Recht kämpfen muss und Männern mit falscher Lehre widerstehen muss. Hier gilt es, den Konflikt auszuhalten. Jesus ging den verärgerten Männern nicht nach und bat um Frieden. Er suchte auch keine Kooperation mit ihnen. Er sagt eigentlich ein schreckliches und beängstigendes Wort: "Lasst sie...Blindenführer...

nicht von Gott gepflanzt...ausgerissen!" Viele Fragen werden mit dieser Situation aufgeworfen. Was können wir, was sollen wir tun, wenn eine Gemeinde nicht mehr in Gottes Willen steht? Und wer kann es beurteilen? Sicher ist: das Studieren der Schrift macht noch nicht selig.

Petrus, als der Wortführer meldet sich beim Herrn. Er versteht das Wort mit der Reinheit nicht. Jesus redet sehr offen und schlicht: was der Mensch isst, davon scheidet der Körper selbst aus, was ihm nicht dient und wirft es aus dem Darm wieder aus. Gott selbst hat einen Reinigungsfilter geschaffen. Darum braucht der Mensch sich keine geistlichen Gedanken zu machen. Viel wichtiger ist, was ich in meinem Herzen, meiner Kardia zulasse. Füttere ich meine Seele mit Hass, Überheblichkeit, Eigensucht, Ehebruch, Zorn etc.? Das sind die gefährlichen Elemente. Werden sie aufgenommen, so dringen sie zu gegebener Zeit nach oben und können einen Menschen aus der Reinheit Gottes ausschließen.


[1] ebenda S. 476