home





Das Fischlein im Netz

Ich konnte zappeln, soviel ich wollte. Es gab kein Entrinnen mehr. Ich war gefangen. Wie gerne wollte ich wieder zurück ins weite, tiefe Meer. Aber jetzt lag ich mit vielen meiner Kameraden hier im Netz. Und vor uns saßen zwei riesige Wesen, die uns mit flinken trainierten Händen aussortierten. Das waren aber keine gewöhnlichen Fischer, wie wir immer vermutet hatten, nein es waren seltsame Lichtgestalten. Sie benahmen sich auch nicht wie Fischer. Ein guter Fischer wirft nämlich die kleinen Fische wieder ins Meer zurück. Aber diese da, warfen die Fische, die nichts taugten einfach ins Feuer, das ganz dich neben dem Boot, in dem wir lagen, brannte.

Immer wieder hörte ich meine Kameraden sagen: "Das Netz wird irgendwann kommen und dann bist du gefangen. Dann kannst du machen was du willst. Dann kannst du zappeln soviel du willst. Du bist einfach denen ausgeliefert. Dann ist nichts mehr drin mit: Davonschwimmen wohin du willst. Dann bist du gefangen."

Aber ich habe diesen Warnungen nicht geglaubt. Ich habe gedacht, was geht das den Fischer an, ob ich gedeihe und wachse. Ob ich ein guter Fisch bin oder nicht. Ich bin doch frei. Ich kann doch tun und lassen was ich will.

Jetzt weiß ich es besser. Ich hätte auf die frommen Fische hören müssen. Hätte mich anstrengen sollen ein Prachtexemplar meiner Gattung zu sein. Dann müsste ich die beiden Engel da vorne nicht fürchten. Dann könnte ich mich als stolzer, große Fisch brüsten und sagen, schaut mich an, ich habe nichts zu befürchten. Die werden mich zu den guten Fischen rechnen.

Nun, wenn man so ausgeliefert vor den Fischern liegt, hat man Zeit über vieles nachzudenken und natürlich zu beobachten. Man muss natürlich zu oberst liegen. Und das tat ich gerade. Ich konnte sehen wie die beiden Engel die Fische aussortierten. Da meinte ich, ich sehe nicht recht. Die hatten gerade einen großen Fisch in den Händen. Sie betrachteten ihn eingehend. Ich musste mir sagen, die Sache ist doch sonnenklar. Ein solcher Fisch kann nur zu den Guten gehören. Warum schauen die den so genau an? Hätte ich Hände gehabt, ich hätte meine Augen damit gerieben. Ich hätte gedacht der Wassermangel und die warme Luft trüben zu sehr meine Sinne. Die nahmen tatsächlich den großen Fisch und warfen ihn ins Feuer. Das gibt’s doch nicht. Wieso nahmen sie diesen großen Fisch nicht zu ihrer Sammlung? War er etwa krank? Stank er etwa schon zu sehr? Schließlich griffen sie nach einem wirklich kleinen Fisch. Auch hier dachte ich, ich seh' nicht recht. Es genügte nur ein kurzer Blick, beinahe beiläufig und sie nahmen diesen kleinen Fisch und legten ihn zur ihrer Sammlung.

"Da hast du ja noch Chancen", dachte ich mir. Ich bin wirklich nur ein kleiner Fisch - einer von denen, die sich gar nichts auf ihre Größe einbilden können. Aber worauf kommt es nun eigentlich an, ob man zu den Auserwählten gehört oder nicht?

Da erinnerte ich mich an einem Kollegen, als ich noch in ganzer Freiheit im Meer herumschwamm. Wie sagte er mir noch: "Es ist ganz wichtig, dass du von einem ganz bestimmten Fischer geangelt wurdest. Dieser Fischer ist nicht wie die anderen Fischer. Dieser Fischer will nur dein Bestes. Er will dass es dich immer und ewig gibt und dass du immer und ewig sein Eigentum bleibst. Es ist ein Fischer der für uns selbst zum Fisch wurde und sich fangen ließ. Er ging für uns ins Netz des Feindes. Er ließ sich schikanieren und umbringen und er hat jeden dadurch von vornherein von jedem Fischer freigekauft. Sollte irgendein andere Fischer dich fangen wollen, so muss er dich sogleich wieder freilassen. Doch am Ende wird er alle Fische in sein Netz einholen und aussondern und wehe dem, der dann diesem Fischer nicht gehört. Dieser Fischer heißt übrigens Jesus Christus."

Als mein Kumpel mir diese Geschichte dieses Fischers erzählte, habe ich ihn ausgelacht. "Das ist doch alles nur ein Märchen", habe ich ihm geantwortet. "Dieses Netz wird nie über mich kommen. Wie sollte auch ein Fischer alle Fische fangen wollen. Das geht doch nicht." "Aber dieser eine Fischer ist nicht irgendein Fischer", antwortete mir mein Kollege. "Er ist der Schöpfer aller Fische selbst. Und weil er alle Fische erschaffen hat, hat er auch das Recht alle Fische einzufangen und sie auszusortieren."

Ja jetzt, wo ich hier im Netz dieses Fischers lag, wusste ich es plötzlich, ich gehörte nicht zu den Fischen, die zum Besten ihrer selbst ausgesondert werden. Ich würde im Feuer landen. Schrecklich.

Aber mir war immer noch schleierhaft, warum die einen aufbehalten und die anderen vernichtet wurden. Wieso ließen die beiden da vorne Fische am Leben, obwohl sie doch kleine Fische waren. Und die großen Fische wurden weggeworfen. Dann aber waren es wieder kleine Fische, die weggeworfen wurden und große Fische, die aufbehalten wurden. Ich verstand die Welt nicht mehr.

Da kam mir wieder die Aussage eines anderen Kameraden in den Sinn. "Glaub ja nicht, dass der große Fischer nach guten und schlechten Fischen unterscheidet. Darum geht es gar nicht. Das funktioniert auch gar nicht. Das ist der große Irrtum aller ahnungslosen Fische überhaupt. Die denken alle, dass es genügt, ein guter Fisch zu sein. Aber der große Fischer wird nicht nach guten und schlechten Fischen unterscheiden. Der Fischer unterscheidet nach schlechten und gerechten Fischen."

"Schlechte und gerechte Fische – was soll das nun wieder heißen?" habe ich damals, glaub ich, geantwortet. Ich konnte mit "gerecht" nichts anfangen. Jetzt glaub ich, hab ich es aber begriffen. Es gab im ganzen Meer keinen einzigen guten Fisch. Wir gehörten alle zu den Fischen, die andere kleinere Fische fraßen. Es lag einfach in unserer Natur: Fressen und gefressen werden. Sicherlich mancher fraß noch ein bisschen mehr. Mancher war geradezu darauf versessen sich gegenüber einen anderen Fisch durchzusetzen, selbst wenn dieser größer war. Er behalf sich dann einfach durch raffinierte Tricks, nahm ein paar Kameraden dazu und konnte so auf Kosten des anderen Fisches sein Leben gestalten. So ein Fisch war ich natürlich nicht. Ich versteckte mich lieber. Aber wenn dann doch ein kleiner oder schwächerer Fisch kam, ließ auch ich es mir nicht nehmen seine Schwäche auszunutzen. Insofern war ich auch ein schlechter Fisch.

Jetzt auf einmal erinnerte ich mich was es bedeutete ein gerechter Fisch zu sein. Ja genau irgendein kleines Fischlein hatte es mir erklärt. Er wurde bald darauf gefressen. Aber jetzt weiß ich es wieder, was er gesagt hatte. "Ein gerechter Fisch ist einer", so sagte er, "der sich vom großen Fischer hat fangen lassen und der dann zitternd vor ihm bekannte wie schuldig er war. Dass er auch nur auf das Fressen andere ausgewiesen war. Und dann habe er gedacht: Jetzt ist es aus. Jetzt habe ich verloren. Jetzt geht es mir an den Kragen. Jetzt wird mir die Kehle durchgeschnitten und jetzt lande ich im Kochtopf, wie alle anderen gefangen Fischlein auch. Aber dann hat sich der Fischer liebvoll zu ihm hinuntergebeugt und hat ganz vorsichtig den Fischerhacken aus seinem Maul herausoperiert. Und dann geschah das Unglaubliche, die Wunde in seinem Maul heilte augenblicklich. Schließlich flüsterte ihm der Fischer ins Ohr: "Weil du deine Schuld eingesehen hast, vergeb‘ ich dir. Du bist wieder frei. Du gehörst zwar jetzt mir, dem großen Fischer aber du bist wieder frei. Frei, weil dich deine Schuld nie wieder belasten kann. Und eines Tages kommt der Moment, wo du gleichberechtigt neben mir leben darfst. Freu dich schon jetzt darauf." Und dann nahm der Fischer mich sanft in seine Hand und ließ mich wieder ins weite Meer gleiten.

Jetzt wusste ich, dieses kleine Fischlein hatte es geschafft. Es war in der Hand seines Retters aufgehoben. Es brauchte nicht die beiden Engel dort vor mir zu fürchten es war sicher.

Jetzt war ich an der Reihe. Einer der beiden Engel nahm mich in seine Hand. Jetzt erst merkte ich, dass die beiden Männer mit jedem Fisch der ins Feuer kam, ausgiebig redeten. Bei den anderen Fischen war es eigentlich schon von vornherein eine klare Sache. Sie gehörten bereits dem großen barmherzigen Fischer. Da gab es nicht mehr viel zu diskutieren und zu bereden. Aber bei den anderen Fischen, da mussten die Fronten eindeutig geklärt werden. Mein Herz fing an wie wild zu klopfen. "Und du, mein kleines Fischlein, was ist mit dir?" Fürchterlich, wo würde ich jetzt landen? Im Feuer oder bei den Auserwählten des großen barmherzigen Fischers? Helmut Schilke