Bibelarbeit zu Matthäus 11, 1 - 19

A: Kapitel 11, 1-6:


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A.1. Die Situation:

Jesus hat seine lange Rede beendet. Es war eine reiche und sicher nicht leicht zu verarbeitende Rede, die der Herr an seine Jünger sprach. Was der Herr nach Beendigung seiner Missionspredigt tut: er tut genau das, wovon er gesprochen hat. Er geht los, predigt und lehrt in den Städten. Plötzlich kommt es zu eine Szenenwechsel: Johannes der Täufer sitzt im Gefängnis. Er ist jetzt schon beredtes Zeugnis von dem, was einem Zeugen geschehen kann. Er hat auf die Wahrheit hingewiesen, man hat ihn vor den König gebracht und in den Kerker geworfen. Nun sendet er "seine Jünger". Er will wissen, ob es der Messias ist, den er sich vermutlich anders vorgestellt hat. Ähnlich wie die Jünger erwartete er das Schwert über die Heiden, nicht der Heiden Schwert über ihm. Jesus antwortet mit den Begleiterscheinungen des Messias. Aber das Schwert ist nicht nur in den Händen der "Welt". Einer der großen Gegner Jesu sieht Matthäus in den Pharisäern. Mit ihnen das Volk, weil das Volk den Pharisäern größtenteils folgt. Schlatter führt treffend an, wie Matthäus seine Reihenfolge "genial" gewählt hat(4) Zuerst wird Johannes schwankend, der doch so treu und mit Feuerseifer den Christus verkündigt hat. Dann folgen die Städte, die der Herr bevorzugt hat, wo er viele Taten getan hat. Auch sie fallen von Jesus zunehmend ab. Der Täufer schwankt, die bevorzugten Städte schwanken, so wird es für das Volk schwierig, an diesen Sohn zu glauben.

A.2: Exegese der Verse:

Vers 1:

Matthäus ist das Evangelium der großen Reden Jesu. Wir haben schon oft festgestellt, daß es Matthäus nicht um die Schilderung von Taten, Nebensächlichkeiten etc. geht. Ihm ist es wichtig, zu schildern, daß der Herr seinen Jüngern die wichtige Lehre weitergegeben hat. Wie es den Jüngern ergangen ist, erfahren wir von Matthäus nicht.

Verse 2 - 6: der Kampf Jesu mit dem Volk und dem Pharisäismus

Bei der Frage des Johannes muß unbedingt beachtet werden, daß diese Frage ihre Berechtigung hat. Im übrigen hat nur einer nochmal so gefragt: Kajaphas vor dem dem Hohen Rat. Diese Frage stellte man nicht leichtfertig. Kajaphas wußte um das Gewicht dieser Frage und stellte sie Jesus mit dem Ziel, ihn damit die letzte Schlinge zu legen. Johannes hatte wirklich Zweifel und stellte die Frage, weil er willig war, zu glauben. Doch in ihm stritten eine Vielzahl von Widersprüchen. Johannes hat Dinge verkündigt, die sich mit dem Leben und Wirken Jesu nicht vollständig deckten. Er fragte sich, ob er "von Gott alle Macht übertragen bekommen habe". Noch schien Johannes berechtigterweise im Dunkeln zu tappen, da er noch nicht wußte, daß das Reich Gottes noch im Verborgenen sich vollzieht. Und doch ist die Frage des Johannes die Frage eines Mannes, der glauben will. Es ist dieser schwer zu verstehende Widerspruch, wie Jesu errichtet wird, wenn doch seine Macht nicht offenbar wird. Dieses Senden der Schafe unter die Wölfe, dieses nahe Reich Gottes, das doch noch so fern zu sein scheint, macht Johannes schwer zu schaffen. Schlatter: "Im Volk schafft er nicht nur Glauben, sondern auch erbitterten Widerstand, verzichtet aber auf Macht und Sieg, verpflichtet die Seinen zum Leiden und Sterben und stellt vor die Herrschaft Gottes, die doch nahe war, wieder eine Zeit der schwersten Not. Hier mußte jeder Glaubende zweifeln, weil das dem widersprach, was das supranaturale Christusbild der Täuferrede verheißen hatte, und der Zweifel hatte um so mehr peinigende Kraft, je stärker der auf Jesus gerichtete Glaube war."(5)

Jesus antwortet mit großer Ruhe und Sicherheit. Durch nichts läßt er sich beirren. Hört und seht. Und was ihr hört und seht, das sagt dem Johannes. Jesus verteidigt sich nicht. Er lädt ein zum intensiven Hören seiner Botschaft und zum Sehen, ob Wort und Tat nicht bei ihm eine Einheit bilden.

Jesus macht dem Johannes Mut, an ihm - den Christus - festzuhalten. Gewiß, Johannes hätte sich gewünscht, daß Jesus sich allen als der Sohn Gottes offenbart. Aber er tut es nicht. Die Menschen sollen hören und sehen, urteilen und folgen. Wer andere Vorstellungen von Jesus hat, kann an ihm Schiffbruch erleiden. So wie die Jünger, so wie Petrus an Jesus Schiffbruch erleidet, als der Herr vor dem Hohen Gericht stand, so auch jetzt Johannes.

B.1: Verse 7 - 19

Vers 7-9:

Diese Worte sind für uns alle gut zu hören. Sie sind wichtig zu hören für alle, die meinen, daß der Vollzug der Taufe das Innere des Menschen in irgend einer Weise bessere. Jesu Worte wirken auf mich fast sarkastisch. Er beschreibt das typische Verhalten vieler Leute, sicher auch vieler Gläubigen: sie rennen über all hin, wo es was zu sehen gibt. Die einen haben gehört, in der Wüste predige ein Mensch, der in besonders eindrucksvoller Weise dem Wort Gottes gehorche. Das sehe man äußerlich. Die anderen hörten von einem "Heiligen in himmlischen Gewändern". Unter diesen Umständen ließen sich viele mitreißen, meinten es auch wirklich ernst, ihr Leben neu zu ordnen und ließen sich taufen. Doch nachdem ein paar Wochen und Monate verstrichen waren, hätte es kein Unterschied gemacht, ob sie den Propheten sehen wollten, oder ob sie sich Schilfrohr betrachten wollten. Ohne Johannes hörte die Massenbuße auch schon wieder auf. Die Menschen verneinen natürlich und geben streng geistliche Gründe an. Sie wollten einen Propheten sehen. Jesus bescheinigt dem Johannes diese Berufung. Ja, noch darüber hinaus.

Vers 10:

Johannes war keine Erscheinung für sich allein. Gott hat ihn nicht geschickt, damit er als einzelner Prophet agiere. Dieser Prophet hat einen ganz bestimmten Auftrag. Den Weg zu ebnen für den Christus. Wenn er aber den Weg zu Christus geebnet hat, dann muß Jesus der Christus sein.

Vers 11:

Auch diese sind gewaltig und müssen eine Anschauung der Zuhörer erneut ins Wanken gebracht haben.

All die hochgepriesenen Namen der Väter, die man mit Bewunderung nennt, an die man nie heranreicht, all diese sind kleiner als Johannes der Täufer. Das würde bedeuten, daß Johannes noch größer ist als Elia, als Moses, als David - unvorstellbar. Wie aber ist das für uns nachvollziehbar? Alle Propheten dienten und lebten mit Gott und Gott machte mit ihnen Geschichte. Johannes aber ist der Übergang des alten zum neuen Bund. Er ist wie Mose, der am Berg steht und hinüberschaut ins gelobte Land. Er sieht das Reich Gottes von ferne. Er ist gewürdigt, dem Messias den Teppich auszurollen. Wohl hat Johannes keine Völker durchs Meer geführt, ist nicht mit dem Feuerwagen gen Himmel gefahren, hat nicht ewige Psalmen gedichtet. Vielmehr war Johannes weder König, Dichter und Held. Er lebte in selbstgewählter Armut und Kasteiung. Er vollbrachte keine Wunder, taufte und predigte nur. Er wurde nicht entrückt, sondern enthauptet, weil es eine dumme Teenagerin so wollte. Aber gerade darin liegt die Größe des neuen Bundes. Was klein ist vor der Welt, ist groß vor Gott. Und Johannes hatte menschlich gesehen noch einen schönen Erfolg. Die vielen Taufen würde ich als Prediger auch gern verbuchen. Aber der Gemeinde ist noch mehr Geringschätzung verheißen. Sie wird äußerlich noch kleiner, unbedeutender, erfolgloser sein als Johannes. Vielen wird gerade das zu schaffen machen. Aber gerade darin werden sie von Gott geachtet sein, ja sie werden darin noch größer sein eben als Johannes.

Vers 12:

Das Königreich Gottes erleidet Gewalt. Wenn man den Anlaß der Rede bedenkt, nämlich das Johannes der Täufer im Gefängnis sitzt, dann wird die Rede anschaulich und real. Hier haben wir einen König, der ganz bewußt der Rede des Propheten sich widersetzt, auch wenn er Johannes immer gerne zuhörte. Man muß dazu wissen, daß es damals einen religiösen Freisinn gab. Heute würde man es "liberale Theologie" nennen. Aber vielleicht trifft das Wort nicht zu. Es ist eine Art geistlicher Schizophrenie. Man hört den Predigten zum einen gerne zu, auch den Reden vom Gericht. Man unterstellt sich irgendwelchen Zeremonien, aber lebt letztendlich doch, wie man will. Damit das geht, braucht man jemanden, der einem das Rückgrat stärkt. Das ist in diesem Fall das Rabbinat, die damalige Kirche. Sie lebten und wirkten in enger Zusammenarbeit mit dem Staat, mit den Herodianern. Diese unselige Verbindung von Kirche und Staat muß auch meiner Meinung nach in unserem Land neu bedacht werden. Ist es gut, daß ein Geistlicher einen "staatlich anerkannten Abschluß" hat? Ist es gut, daß die Kirche Gelder von Menschen bekommt, die eigentlich mit der Kirche nichts zu tun haben will? Nicht, daß die Menschen zu verurteilen wären. Gewiß nicht. Aber die Bibel kennt diese Vorgehensweise nicht, im Gegenteil.

Diese Gewaltigen benutzten ihre Macht, um die Verkündiger des Wortes Gottes zu beseitigen. Beseitigen sie aber die Verkündiger, so beseitigen sie auch das gepredigte Wort und damit wird es schwer, für Menschen den Weg zu Christus zu finden. Das Reich Gottes geschieht durch das Wort.

Vers 13-14:

Das war das vornehmste Amt des Propheten: die Verkündigung des Wortes Gottes über die Jahrhunderte hinweg. Doch Johannes hat nicht nur gepredigt, sondern das Reich Gottes als erster Prophet verkündet, ja die Menschen darauf vorbereitet und sie getauft. Das macht ihn größer als alle Propheten zuvor. Er wird als ein strahlender Schlußstein, als Bindeglied dargestellt zwischen altem und neuen Bund. Er ist die Erfüllung der Weissagung von Maleachi 3,23. Aber wenn er die Erfüllung ist, dann kommt Gottes Werk, dann kommt ja der "große und schreckliche Tag des Herrn", von dem Johannes ausging.

Vers 15-19:

Jesus ruft alle auf, die "Ohren" haben. Er macht damit deutlich: Hören und Hören ist zweierlei. Es hat ein Gemeindeglied zu einem Prediger mal gesagt, er solle aufhören, auf der Kanzel gewisse Kritik zu üben, sonst würde man ihn nicht mehr ernst nehmen. Wer Ohren hat, muß noch lange nicht hören. Zuviel persönliche Skepsis, Vorurteile etc. stehen dem Hören im Weg.

Das Bild mit den Kinder macht folgendes deutlich:

Die Jünger Jesu, auch der Meister selbst, werden wie Kinder betrachtet. Zur Zeit Jesu fanden diese nicht viel Beachtung. Diese Kinder haben zum Fest aufgespielt, zuerst fröhliche Melodien, den das Kommen Jesu ist ein Grund zur Freude. Sie aber saßen nur da, mit stummen, skeptischen Gesichtern. Essen und Trinken mit den Zöllner, das ist weltlich, das tut man nicht, davon hält sich ein frommer Mensch fern. Dann haben die Kinder des Reichs mit Klageliedern begonnen, mit Fasten, mit Enthaltsamkeit - wie bei Johannes dem Täufer. Dann sagten die Leute, so eine Enthaltsamkeit ist vom Teufel. Der gönnt sich nichts, legt anderen Gesetze auf, ist ein Trauerklos, so einer kann doch kein fröhlicher Christ sein? Man konnte das eine tun und das andere lassen: die Zuhörer waren wie Kinder, die an allem was zu nörgeln haben und bockig und stur in ihrer Ablehnung verharren. Aber das ist Gottes Weisheit: ein Jünger Jesu hat durch Jesus die Sünde überwunden, damit auch die in Sünde gefallene Schöpfung. Er lebt als gerechtfertigter Mensch mit ihr in Frieden. So kann ein Christ mit den Dingen der Welt umgehen. Frei nach Paulus, dem alles erlaubt ist, solange die Dinge nicht dem Herrn Konkurrenz schaffen. Der Christ ist befreit. Aber diese Freiheit hat er in Christus. Er macht den Christen gerecht, und damit lebt er in Frieden mit der Schöpfung Gottes.



1. A.Schlatter: Der Evangelist Matthäus, S. 337, 1982

2. A.Schlatter, ebenda, S. 342

3. Ebenda, S. 345, unten

4. Ebenda, S. 358 oben

5. Ebenda, S. 360 oben