Bibelarbeit zu Matthäus 26, 31-46 erstellt von Michael Strauch


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1. Gliederung

2. Evangeliensynopse - Zusätze? Anderer Blickwinkel?

3. Zur Auslegung

1: Gliederung

  1. Jesus bereitet besonders den Petrus auf sein baldiges Versagen vor (V.31-35)
  2. Der Kampf der Kämpfe im Garten Gethsemane (V.36-46)

2. Evangeliensynopse - Zusätze? Anderer Blickwinkel?

Die Ankündigung der Verleugnung des Petrus bei:

Markus (Mk 14,26-31):

nahezu identisch mit Matthäus

Lukas (Lk 22,31-34):

Bei Lukas werden wir Zeuge, wie die Jünger nach dem Abendmahl sich streiten, wer bei der Aufrichtung des Reiches Gottes, das sie glorreich vor Augen haben, Jesus am nächsten sitzen würde. In diesem Zusammenhang wendet sich der Herr an den, den er gelobt hat, daß Gott, der Vater ihm das Zentrale über die Sohnschaft Jesu offenbart hat. In diesem Moment nennt er ihn zweimal 62;Simon". Der Herr betont, das er für Petrus gebeten habe, dass sein Glaube in der nun bevorstehenden Prüfung nicht untergehe.

Johannes (Joh 13, 36-38):

Johannes fügt die Worte Jesu kurz und liebevoll in die großen Abschiedsreden Jesu ein (Joh 13-16). Hier merken wir, dass der Weg zum Kreuz mit vielen Gebeten, Tröstungen und Stärkungen vorbereitet wurde. Nach meinem Empfinden findet sich bei Johannes die liebevollste Darstellung dieser Situation. Wie ein Kind reagiert Petrus, der seinen geliebten Herrn nicht verlassen will. Ich nenne ihn nicht prahlerisch, glaube viel mehr, dass es ihm ernst war um seine Worte. Doch der Herr weiß, dass die kommenden Not so erschreckend sein wird, dass er eben diesen geliebten Herrn unterm Hahnenschrei verleugnen wird.

Der große Kampf im Garten Gethsemane bei:

Markus (Mk 14,32-42):

Markus betont im ersten Gebet Jesu die Anrede 62;Abba"(V.36).

Bei Matthäus spricht Jesus zu Petrus. In Markus nennt er ihn 62;Simon". Der verzweifelte Zusatz bei Markus: Simon, schläfst du? Bei den Jüngern finden wir noch den kleinen Zusatz, dass sie nach der zweiten Gebetswache nicht wußten, was sie Jesus antworten sollten.

Ansonsten ist der Text weitgehend identisch mit Matthäus.

Lukas (22,39-46):

Lukas erwähnt die Jünger, erwähnt aber nicht Petrus und die Söhne des Zebedäus.

Ein geographischer Zusatz: Jesus befand sich 62;einen Steinwurf" weit von den Jüngern entfernt. Lukas erwähnt nun Einzelheiten, die weder Matthäus noch Markus berichten. Zum einen die Stärkung durch einen Engel (V.43) wie einst nach der Versuchung in der Wüste und darauf der schreckliche Leidenskampf, indem der Herr 62;Blut schwitzte".

Auch hier ein wichtiger Zusatz: Die Jünger übermannte nicht ein Schlaf, wie er kommt, weil man Nächte durchgemacht hat, auch nicht ein Schlaf, weil man müde vom Tagwerk war, sondern eine Müdigkeit, die durch Trauer verursacht wird.

Bei Johannes fehlt eigenartiger Weise der Kampf in Gethsemane.

3. Zur Auslegung

Vers 31+32: Der Tod des Hirten

Die Jünger haben mit Jesus das Abendmahl gefeiert. Sie erlebten eine tiefe Gemeinschaft miteinander und endeten mit dem Lobgesang (siehe Auslegung zu Psalm 113-118). Lob, Anbetung, Dank - mit diesem Herzen gehen die Jünger in die Nacht. So schnell wird das Loben der stumm machenden Angst Platz machen, die tiefe Gemeinschaft auseinander reißen und der noch langsame Schritt schnell werden zur Flucht. Die Jünger werden erleben, was es heißt, sich von ihrem Herrn abzuwenden, die eigene Haut in Sicherheit zu bringen, zu fliehen, zu verlassen. Der Unglaube in ihnen gewinnt Gestalt und muß es auch, damit der Triumph des Kreuzes heller scheine.

Jesus zitiert frei aus Sacharja 13,7, wo es heißt: Schwert, mach dich auf über meinen Hirten, über den Mann, der mir der nächste ist! spricht der Herr Zebaoth. Schlage den Hirten, dass sich die Herde zerstreue, und ich will meine Hand wenden gegen die Kleinen...

Verse 33-35: Die Reaktion des Petrus

Wie gut, dass es Vers 33 gibt. Es deckt auf, wie tief unsere persönlichen Gefühle, Empfindungen und Vorstellungen sind und wie weit entfernt wir doch von der Realität sein können. Wie schmerzhaft empfinde ich die große Differenz zwischen Worten, derer sich die Christenheit gleich einem Füllhorn bedient und den Taten. Wir können die Wahrheit Gottes aber nicht verdrehen. Wenn wir sagen, wir lieben Gott, lassen aber unseren Nächsten links liegen, dann lügen wir. Wann wird auch die evangelikale Bewegung verstehen, dass die Betonung der Evangelisation nur schwer zu ertragen ist, wenn die Diakonie untern Tisch fällt? Wirken unsere Worte dann oft nicht mehr als bloße Besserwisserei? So wie Petrus auftritt als der, der besser wissen will und sich auch über die anderen erhebt. Ich weiß, Herr, dass ich dich so liebe, dass ich allezeit mit Dir gehe. Große Worte, die wir besonders auch in modernen Anbetungsliedern leichtfertig singen. Aber bin ich wirklich bereit, meinem Herrn zu folgen zu den Krankenbetten, zu den Depressiven, zu den Belasteten? Bin ich bereit, ihr Leid auch ein Stück zu tragen? Petrus war bereit, doch das Leid angesichts des Kreuzes überbot auch seine Kraft. Es muß die Kraft und Liebe des Heiligen Geistes sein, die solches aushalten läßt. Darum ist eine Gemeinde geistlich gesund, nicht allein, wenn sie Mission übt, sondern sich liebevoll um die Ihren kümmert. Für Missionare im Ausland ist das kein Thema, weil sie selbstverständlich neben dem Evangelium auch die physische und psychische Hilfestellung anbieten müssen.

Jesus konfrontiert die Jünger, besonders den Petrus klar über sein baldiges Versagen. Er läßt keine Wege offen. 62;Du wirst mich verraten...!" Noch in dieser Nacht. Das Schreien des Hahns, der den nächsten Tag kündet, wird der schreckliche Trompetenruf sein, der Jesu Kreuzigung einläutet. Petrus weigert sich, diesen Gedanken aufzunehmen. Er widerspricht dem Herrn, dieser läßt den Widerspruch stehen. Er liebt den Petrus so sehr und macht nur umso deutlicher, wie groß die Gnade der Erlösung auch für ihn sein wird.

Was wird aus diesem Abschnitt besonders deutlich? Gottes Wille, sein Volk zu retten. Zu retten durch viel Versagen und eigener Schuld. Der Herr erträgt ein Menschenzeitalter die vielen gutgemeinten, frommen Worte und ihre tatsächliche Umsetzung. Der Herr erträgt es, wenn wir meinen, wir könnten den Herrn mit Liedern und Worten schmeicheln, aber an der Tat fehlt es. Was ist aber die Tat? Die Tat ist der Dienst am Menschen, ganzheitlich. Was den Herrn in Gethsemane so schmerzt ist nicht, dass die Jünger müde waren, sondern dass sie nicht für ihn beteten. Wieviel mehr Menschen würden heute im Glauben stehen, wenn die Kirche begönne, das Wort Jesu neu zu verstehen: 62;Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist". Worte kann ich nicht schmecken. Wann lernen wir, das das Wort 62;Fleisch" wurde.

Vers 36-38: Ecce Homo

Jochen Klepper schreibt in seiner 62;Gründonnerstags-Kyrie":

Heut bin ich meines Heilands Gast

zu Brot und Wein und Osterlamm.

Im Garten draußen bricht ein Ast.

Fällt einer schon des Kreuzes Stamm?

Kyrie eleison.

Die Jünger folgen Jesus in den dunklen, lauschigen Garten am Ölberg. Jesus weiß, dort ist der Platz des Verrats. Er geht bewußt diesen Weg. Er heißt seine Jünger lagern, wie einst die Tausenden, die vom Herrn Brot bekamen. Dann entfernt er sich und nimmt nur die drei Jünger mit, die bei der Verklärung dabei waren. Erst bei ihnen zeigt sich der Herr in seiner Not. Wie mag das ausgesehen haben, als der Herr 62;trauerte und zagte"? Ist ein Schütteln und Schluchzen durch seinen geliebten Leib gegangen, hat er sie alle noch einmal fest an sich gedrückt? War es eine lange Stille, wo die Jünger den Meister so verzagt, so schwach sahen?

Der glorifizierten Darstellungen von Märtyrern kennt nicht nur die junge Christenheit, sondern bereits auch das Judentum. Männer und Frauen, die furchtlos für ihren Glauben tapfer in den Tod gingen. Dieses Bild hat sich bis heute erhalten. Das Leiden, die tiefe Trauer wird aus dem Umkreis des Christen verbannt, als käme sie vom Teufel. Doch der Herr hat die Tränen geschaffen, auch die Erleichterung, die es bringt, zu weinen. Und wie gut es, wenn dann Brüder und Schwestern da sind, die einfach da sind. Gleich Hiob steht der Herr der Welt da und weiß, das er bald allem entrissen wird, was ihm lieb und teuer war. Und wie gut, dass die Jünger nicht viele Worte verlieren. Ihn einfach still weinen lassen und aussprechen, was ihn im Tiefsten erfaßt: 62;Meine Seele ist betrübt bis an den Tod!"

Nun verstehen wir auch die Müdigkeit der Jünger. Denn wer nicht gerade ein Herz aus Stein hat, auf den überträgt sich die Trauer. Mitzutrauern kann aber regelrechte Schwerstarbeit sein. Die Jünger weichen nicht von seiner Seite. Wir sind versucht, zu fragen, was wir tun können? Es stand unausgesprochen vielleicht in den Augen der Jünger. Der Herr sagt: Wachet mit mir!

Ich erinnere mich gut an Situationen, wo ich Menschen begleitete, die wußten, dass sie bald sterben mußten. Einem Mann habe ich mit dem Computer ein Bild gemalt, wo ein Hirte mit Schafen zu sehen war. Er hängte es bei sich auf und drehte sich immer zu diesem Bild hin. Ich hielt seine Hand und am Ende war es nur ein Sitzen, ein Schweigen. Unterbrochen von Gebet, Lesungen und Singen. Aber oft nur Schweigen. Das Wissen, das der Kranke nicht allein ist. Doch den Weg des Todes mußte er allein gehen.

Der Herr der Welt, der Toten wieder Leben gab, Kranke heilte, Stürmen und Gewalten gebot, braucht nun die winzige, gebrochene Nähe seiner Geschöpfe. Er geht nun weiter, einen Steinwurf weit, und betet zum Vater. Es gibt Momente, da wünscht man sich nur, dass man weiß, dass für einen gebetet wird. Aber es gibt Nöte, die will man nur allein mit seinem himmlischen Vater besprechen. Das Gebet, das der Herr spricht, ist das Schwerste bisher.

Vers 39; 42; 44: Das 62;Kelch-Gebet" Jesu

Jochen Klepper:

Im Garten von Gethsemane

ist schon der Baum fürs Kreuz gefällt.

Daß noch der Kelch vorübergeh`,

fleht dort der Retter aller Welt.

Kyrie eleison.

Ich erinnere mich, wie ein todkrankes Kind seinen Vater fragte, ob es sterben müsse. Ich weiß nicht mehr, was der Vater darauf antwortete, aber der Gedanke ist für mich der blanke Horror. Und manchmal leidet der Liebende noch mehr als der Betroffene selbst. Hier ist der himmlische Vater seinem Sohn so nahe und darf nicht helfen, weil sonst das Werk der Erlösung nicht vollbracht wird. Wir werden erinnert an das Gemälde Michel Angelos in der sixtinischen Kapelle im Vatikan, wo Gott der Vater seinen Finger ausstreckt nach Adam und doch der Abstand größer wird.

Hier sehen wir den Herrn, wie er in Tränen aufgelöst, schwer sich von den Jüngern trennt. Dann fällt er auf sein Angesicht. Und es dringen die Worte in den Himmel, die wir bis heute-so meine ich, so schwer fassen können: 62;Mein Vater, ist`s möglich, das der Kelch an mir vorübergehe!" Dieses Wort ist für mich fast nicht auszulegen. Ist die Trauer so groß, dass der Herr den Vater bittet, ob es noch einen anderen Weg der Erlösung gibt? Oder soll durch dieses Gebet wie später der Schrei am Kreuz zum Ausdruck bringen, wie schwer und nahezu unterträglich der Leidensweg ist? Geht es hier doch nicht um das physische Leiden, sondern um den Gedanken, dass der Reine, der Sünde und Schuld nur im Abstand kennt und haßt, nun diesselbe an sich ertragen muß? Nicht als ein Täter, sondern als Träger. Für den Sohn Gottes muß es das blanke Entsetzen auslösen. Die Augen der Menschen haben so viel Grauen Erregendes gesehen, doch was Jesu wissende Augen sehen und wahrnehmen, übersteigt unsere Erfahrungswelt und Vorstellungsvermögen. Nun tragen nicht eigene Gefühle, nun trägt nicht mehr der Zuspruch der Jünger, hier trägt nur der Gehorsam. Und der Gehorsam verlangt vom Sohn, dass er die Stätte des Verrats nicht verläßt, bis das langsame Morden seine Forsetzung findet.

Jochen Klepper:

Den Kelch der bittern Todespein

zu trinken, macht er sich bereit.

Des zu gedenken, setzt er ein

das Abendmahl für alle Zeit.

Kyrie eleison

Verse 40-41; 43; 45-46: Wachet auf, ruft uns die Stimme!

Hier ringen zwei Mächte um die Gunst der Jünger: der Geist und das Fleisch. Der Geist Gottes will die Jünger wach halten, das Fleisch vom Wachen abhalten. Der Geist Gottes drängt die Jünger, dem Heiland beizustehen, das Fleisch will das Elend nicht wahrnehmen. Der Geist Gottes gibt Kraft, dem noch Unverständlichen durch Gebet und Wachen ins Auge zu sehen, das Fleisch träumt fromm und wendet sich ab.

In diesen Zwispalt, in diesen Wirbel und der Vermischung dessen, was fleischliche Frömmigkeit und geistliche Haltung ist, vermag die Anfechtung siegreich zu verfahren. Wer das Schlechte nicht wahrhaben will und für sich geistlich verschönert, träumt den Kirchenschlaf. Die Jünger wollen den Anblick ihres leidenden Meisters nicht ertragen. Sie halten innerlich fest an ein glorreiches Beginnen der neuen Zeit. Der Kluft zwischen dem, wie sie sich das Reich Gottes vorgestellt haben und dem wie es sich gestaltet, begegnen sie mit schlafender Ignoranz. Nicht eine Ignoranz, die aus Überheblichkeit geboren wird. Nicht eine gleichgültige Ignoranz dem Leiden Jesu gegenüber, sondern eine fromme Ignoranz. Ein Ignoranz, die sich geistlich im Recht glaubt, jahrzehntelang von Traditionen genährt wurde und nun sich ungleich schwer tut, der Wirklichkeit ins Auge zu blicken.

Diese Schwerfälligkeit ist fleischlich. Aber gerade weil sie fleischlich ist, will der Herr es vergeben. Doch nun rüttelt der Herr die Jünger wach. Denn was nun folgt, ist eine eiskalte Dusche und läßt ihr bisheriges Gottesbild zusammenbrechen. Und dieser Zusammenbruch ist notwendig, damit auf den Trümmern ganz neu gebaut werden kann.