Bibelarbeit über Markus 2,1-12

von Michael Strauch


Die Heilung eines Gelähmten (Gichtbrüchigen)


  1. Aufteilung in einzelne Handlungs-und Verständnisabschnitte


  1. 1.Szene: Jesus in Kapernaum, offenbar in einem Haus, wo eine große Menge sich um ihn trifft und Jesus lehrt ihnen das Wort Gottes.

  2. 2.Szene: Es kommen eine Gruppe Personen. Vier tragen einen Gelähmten. Sie kommen durch die Menge nicht durch. Sie steigen auf`s Dach, hauen ein Loch und lassen den Gelähmten herunter.

  3. 3.Szene: Jesus sieht den Gelähmten. Heilt ihn nicht sofort. Er sieht den Glauben der Freunde. Er spricht dem Gelähmten die Vergebung seiner Schuld zu.

  4. 4.Szene: Der Dialog mit Jesus und den Pharisäern: Jesus mache sich zu Gott. Nur Gott könne Sünden vergeben. Das Ganze krönt Jesus damit, dass er ihre Gedanken ad absurdum führt und den Gelähmten heilt. Dieser steht dann auch auf und geht heim. Die Menge befällt ein heiliges Entsetzen.


  1. Einzelauslegung


Vers 1:


Er ist wieder da. Wenn man nach antikem Recht 12 Monate in einem Ort sich aufgehalten hat, hatte man das Heimat-bzw Bürgerrecht erworben. Somit konnte man von Kapernaum von „Jesu Stadt“ sprechen. Dort war er in „seinem Hause“, vermutlich das des Petrus. Er ist wieder da. Es ist unmöglich, es geheimzuhalten. Nach alter Sitte des Judentums, wenn ein Gelehrter in den Dörfern auftauchte, brachte man schnell einen Stuhl, dass er sich darauf setzen könne und man von seinen Erkenntnissen profitieren könne.


Vers 2:


Wie ein Bienenschwarm stürzten die Leute sich auf ihn. Er ist wieder da. Die Massen umringten ihn, im Nu platzt das Haus aus allen Nähten. Kein Wunder, ein Mann, der den Ruf hat, von schlimmen Krankheiten zu befreien, muss zu einem Magneten werden. Hier trifft sich nicht ein kleines Völklein, sondern eine zähe Wand aus sich schiebenden und drückenden Menschen. Sie decken Jesus zu – in Sekundenschnelle – mit ihren Bedürfnissen, ihren Wünschen, ihren Sorgen und Lasten. Und Jesus? Er macht deutlich, was bei ihm Priorität hat. Er macht deutlich, dass körperliche Gesundung eine Sache ist, die von der Ewigkeit her gesehen nicht erste Priorität hat. Priorität hat die gute Botschaft vom Kreuz, von der Liebe Gottes. Denn Jesus ist nicht primär gekommen, um unsere irdischen Nöte zu stillen, sondern um uns zu gewinnen für die Ewigkeit. Er lehrt das Wort. Die Leute wenden sich deswegen aber nicht enttäuscht ab. Sie bleiben, hören und versuchen, zu verstehen. Darunter auch eine Schar Pharisäer und Gesetzeslehrer, denen Jesus die Show zu stehlen scheint.


Vers 3:


Und nun passiert ein spannender Aufbau. Eine weitere Schar kommt hinzu. Sie kommen viel zu spät. Die ersten Reihen sowieso sind alle schon besetzt. Vermutlich von den Pharisäern, wie anders könnten sie direkt mit Jesus reden? Sie kommen zu spät, weil sie eine Last tragen. Ein Mensch, der vermutlich vom Scheitel bis zu Sohle gelähmt war. Vielleicht ist er gestürzt, wer weiß. Er ist so hilflos und so bewegungsunfähig, dass er von vier Männern getragen werden muss. Er redet kein Wort. Dieser Mann ist am Ende. Sein Zustand ist voll erbarmungswürdig. Aber sein Elend erregt nicht so viel Mitleid, dass die Leute die Vier durchlassen. Nein, der soll sich genauso anstellen wie alle andren. Zuerst kommen wir. Außerdem ist er ja auch selber schuld an seiner Misere. Hätte er nicht irgend eine Sünde begangen, hätte Gott ihn auch nicht bestrraft. Die Freunde wollen durch. Durch – wie bei der Syrophönizierin direkt zu Jesus. Aber die Gemeinde läßt den Notleidenden nicht durch. Zuerst wollen sie hören.


Vers 4:


Die Freunde beweisen Glauben. Sie wissen, dieser Jesus kann helfen. Sie fragen ihn nicht, sie reden nicht viel. Sie bitten nicht um Erbarmen. Allein, dass sie zu Jesus vordringen wollen und den zeigen, der ihnen leid tut, von dem sie wollen, dass Jesus ihn anrührt, dass sind Worte genug. Wenn ich helfe, muss ich es nicht rum posaunen. Wenn ich spende, soll die Rechte nicht wissen, was die Linke tut. Das ist Glauben. Er dringt direkt zu Jesus vor. Was kann den Glauben aufhalten?

Und wieder ist es so wie bei der Syrophönizierin. Soviele sind bei Jesus. Die Schriftgelehrten in seiner unmittelbaren Nähe. Und wie fern sind die Freunde. Die Vier, die glauben, wo der Glaube des Gelähmten nicht mehr weiter weiß. Das ist der Inbegriff der Gemeinschaft. Der Langsamste bestimmt das Tempo. Wenn einer in der Gemeinde fällt, stehen sofort vier zu Stelle, die ihn auffangen und beginnen zu tragen. Wohin? Zu den Abwechslungen des Lebens? Damit auch der Behinderte möglichst am Leben teilhaben kann wied jeder andere auch? Vielleicht. Aber hier wollen die Vier zu ihm, zu Jesus. Glaube heißt hier: sie steigen Jesus auf`s Dach, sprichwörtlich. Sie schleifen ihren Freund hoch, hauen wider alle Proteste und Kopfschütteln die Decke auf und lassen den Kranken d i r e k t bei Jesus nieder.


Vers 5:


Jesus, inmitten der Menge, sieht Frucht. Noch ehe der Mann geheilt wird, ist ein Wunder geschehen. Ein Wunder des Heiligen Geistes. Vier Männer „glauben“! Sie glauben, dass Jesus für den Kranken der Richtige ist. Somit wird plastisch Glaube offenbar: Der Glaube offenbart die eigene Hilflosigkeit, die elende Sackgasse der eigenen Wege wird vor Gott aufgedeckt. Der Glaube ist kühn. Er bringt den Sünder in Gottes Nähe. Hier bin ich. Was hab ich zu verlieren? Durch meine Sünde habe ich alles verloren. Das erkenne ich wohl. Aber ich komme zu dir. Du kannst mein Leben bereichern. Du kannst mich heilen. Der Glaube offenbart die eigene Hilflosigkeit im Bild des Kranken, und der Glaube offenbart die tätige Liebe zum Verlorenen und der Kampf, diesen Menschen zu Jesus zu bringen, Menschen-und Häusermauern überwindend.

Jesus spricht diesen Mann mit „Kind“ an, ein Zeichen, dass dieser Mensch ganz in die Hausgemeinschaft aufgenommen ist. Und dann erfolgt etwas für die Juden eigentlich wenig Überraschendes: Jesus spricht die Schuldfrage an. Wiederholt hat Jesus darauf hingewiesen, dass er die zwingende Lehre ablehnt, dass auf Sünde Strafe Gottes in Form von Krankheit folgen müsse. Das kann geschehen, ist aber nicht zwingend. Weil aber alle diesen Menschen als einen schweren Sünder ansehen und dabei sich selbst nicht im Blick haben, spricht Jesus die Sündenfrage an. Aber nicht nur deswegen. Sondern weil Jesus gekommen ist, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Was nützt es dem Gelähmten, wenn er wieder laufen kann? Es gibt etwas noch Größeres. Zuerst wird der Glaube mit dem belohnt, was hier an Verheißungen besteht: wer an mich glaubt und an den, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. Dir sind die Sünden vergeben. Diese Gewalt nennt man Passiva Divina. Jesus sagt nicht: Ich vergebe dir, sondern: Dir sind deine Sünden vergeben. Hier, in diesem Moment senkt sich das Kreuz schwer auf Jesu Schultern. Wie ein noch fernes Licht offenbart sich, was in baldiger Zeit sichtbar werden wird: Gott versöhnt die Welt mit sich selbst. Er räumt das uralte Greuel aus dem Weg – das allerdings kostet seinem Sohn das Leben. Dadurch aber, dass diesem Kranken die Gesundheit wieder gegeben wird, der – der wie tot daliegt und plötzlich quicklebendig umherlaufen kann, dieses Geschehen zeichnet über das Kreuz hinauf zum leeren Gab, Ostern, Christi Auferstehung und Überwindung nicht nur der Schuld, sondern auch des Todes. Denn wenn die Schuld erledigt ist, hat auch der Tod kein Anrecht mehr.

Verse 6-11


Das muss nun folgen. Jesus redet zu den Schriftgelehrten, ohne dabei ein gesprochenes Wort zu hören. Er arbeitet damit mit einer typischen, antiken Sprachform, bei der das Unmögliche einem Leichten gegenübersteht. Ist es nicht einfach, zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben? Im Sinne von: reden kann man viel. Beweise müssen her. Wenn also der Zusammenhang von Schuld und Krankheit besteht, dann müsste einem Menschen, dem die Schuld vergeben ist, auch die Gesundheit wieder zuteil werden. Logisch! Jesus geht also auf die pharisäische Anschauung ein und vollbringt nach dem Zuspruch der Sündenvergebung die Heilung. Somit sitzen die Pharisäer im argumentativen Schach-Matt. Jesus will diese aber nicht blamieren, vielmehr sie gewinnen und sie erkennen lassen, wen sie hier wirklich vor sich haben. Jesus hat Vollmacht, die Sünden zu vergeben. Dieser Jesus muss der Menschensohn aus dem Propheten Daniel sein, dem alle Macht übertragen wurde. Doch dieser Menschensohn wird zum Herrn des Unmöglichen durch den Weg des Kreuzes und der Niedrigkeit. Nicht mehr lange, dann wird auch dieser Messias sich kaum mehr bewegen können, weil seine Hände und Füsse gebunden sind. Nicht mehr lange, dann wird dieser gequälte Herr getragen werden und nicht mehr lange, dann wird der verborgene Gott diesen Helden aufwecken zu ewiger Herrlichkeit. Zeichenhaft geschieht hier ein ganzes Evangelium in dieser einzigen Szene.


Vers 12:


Da entsetzten sich alle Mensch. Wie wunderbar und herrlich ist Jesus. Wie geheimnisvoll ist Gott, sein Vater. Er ist der HERR.