Exegese zu Markus 10, 13 - 16 anläßlich einer ERF-Andacht Bibel heute im August

von Michael Strauch



Vers 13: Und sie brachten zu ihm Kindlein, damit er sie anrühre. Die Jünger aber schalten sie.



Anmerkungen:


Grammatikalisch sind „sie“ die Väter oder Brüder der Kinder. Es können auch Mütter gewesen sein. Ebenfalls wird hier beim Imperfekt „brachten“ ein erfolgloser Versuch angedeutet, da durch die Jünger behindert.


Kindlein - griech. Paidion sind Kinder im gemischten Alter. Lukas benutzt im 18,15 den Begriff brephos, womit Säuglinge gemeint sind. Es ist wohl an Kinder zu denken, die schon laufen konnten. Denn wenn es heißt, sie brachten zu ihm, damit er sie anrührte, erweckt lt. Pohl diesen Eindruck. Ist meiner Meinung nach kein zwingender Gedanke.


Aganaktein - wütend werden, zornig werden kommt im NT nur hier vor. Ansonsten findet man ihn bei den Jüngern (10,41; 14,4).


Dechesthai - aufnehmen, fürsorglich einer Person (6,11; 9,37), aber auch einer Ermahnung, des Wortes Gottes (Apg 8,14; 1Thess 1,6; Jak 1,21).




Vorbemerkungen:


Kindersegnung, jüdische:


Kindersegnung mit Handauflegung waren im Judentum gut bekannt. Eltern brachten ihre Kinder zu Rabbinen, auch Väter (siehe Isaak, Jakob etc.) segnen ihre Kinder. Die Priester sollten die Kinder segnen, für sie beten und ermahnen, in der Schule fleißig zu sein, die Gesetze genau zu lernen und zu befolgen.


Kinder im alten Judentum


Im Judentum galt das Kind im Unterschied zur griech. Römischen Umwelt als kostbares Geschenk und wurde als Segen Gottes empfangen. 1Mose 22,2 und 1Kö 3,26 erzählen meisterhaft von der Liebe zu den Kindern. Das nachbiblische Judentum hat diese Grundlage aber mindestens überfremdet. Sie waren als Nachwuchs zwar begehrt, aber in ihrer Persönlichkeit wenig geachtet. „Taubstumme, Schwachsinnige und Minderjährige“ gehörten bei jüdischen Gelehrten zu einer Kategorie, also Menschen, die nicht im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind. Höchst selten gab sich ein Schriftgelehrter mit Kindern ab. Kindheit war etwas, was hoffentlich bald vorbei gehen sollte, bis endlich das „Alter der Gebote“ anbrach. Mit 12 Jahren die Mädchen, mit 13 Jahren wurden die Buben auf die Thora verpflichtet, erst dann konnten sie einen Anteil an der kommenden Welt Gottes bekommen.




Jesus sollte die Kinder nach alter jüdischer Sitte segnen. Aber „die Jünger schalten sie...!“ Wie in Kap 8,29 war es eine theologische Entrüstung. Die Jünger, die in Kap 8,27-10,52 dem kommenden Gottesreich entgegen fieberten konnten und wollten sich nicht mit Minderjährigen abgeben. Die Zeit mit dem Rabbi ist zu kostbar. Der Rabbi wurde mit diesem Kindskram in seiner Aufgabe nur unnötig aufgehalten. Die Jünger glaubten sich völlig im Recht, meinten Jesu Sache führen zu müssen, wie es oft die Kirche meinte, wenn sie die Schwächsten verstieß, ihnen Geist und Glaube absprach. Die Eltern waren geschockt. Diesem Schock folgt nun aber ein Schock für die Jünger.


V.14: Jesus sah das und wurde unwillig...


Jesus wird wütend - das einzige mal im NT. Richtig ist, daß Jesus der Meister ist, mehr noch als Prophet und Lehrer. Richtig ist, daß seine Gottesherrschaft mit ihm beginnt. Aber nicht wie die Jünger sich das vorstellten. Zwei Befehle erteilt der Herr:


Laßt die Kinder zu mir kommen - und - wehret ihnen nicht!

Denn solcher ist das Reich Gottes.


Solcher - heißt genau übersetzt: dieser Kinder im Sinne von: aller Kinder gehört das Reich Gottes. Das ist revolutionär in den Ohren der Juden.


1. Lasset die Kinder zu mir kommen: d.h. was es heißt. Wartet nicht mit ihnen, bis sie groß sind, bis sie verstehen können, bis sie Verstand haben etc. Später, wenn du getauft bist, wenn du die Bibel verstehst etc. Nein, jetzt laßt die Kinder zu mir kommen. Die Gottesherrschaft kennt kein Geschlecht, kein Beruf und kein Alter. Jeder ist eingeladen. Es sind keine menschlichen Vorbedingungen zu knüpfen.


2. Jesus sagt, nicht auch, sondern nur Kindern gehört die Gottesherrschaft (Vers 15). Die Kinder bekommen geradezu Modellcharakter. Was aber ist beim Kind so besonders? Wer Kinder hat, weiß, daß Kinder zänkisch, bockig, bösartig und sadistisch sein können. Sie sind verführbar, unvernünftig und wankelmütig. In diesem Zusammenhang kann Paulus sagen, er hat abgelegt, was kindlich war(eph 4,14). Was kann Jesus dann meinen? Objektiv gesehen sind Kinder am Anfang. Sie haben noch nichts, können noch nichts, gelten noch nichts. Jesus will sagen: Wir müssen immer wieder zurück zum Ursprung. Nicht durch Aufstockung zum bereits gelernten Theologie, sondern durch Neugeburt kommt man ins Reich Gottes. Gott nötig haben in allem. Kindlich „Abba“ sagen können. Immer wieder mit leeren Händen staunend vor Gott kommen und von ihm lernen wollen. Immer wissend, daß ich nie der Meister werden kann, er ist und bleibt der Meister. Ein Kind bittet, ringt und läßt sich so gerne beschenken. Ein Kind ist gerne bei den Eltern und erwartet alles von ihnen. Ein Kind kann sich nicht vorstellen, daß Vater und Mutter etwas nicht können. Das soll die Haltung des Glaubens sein unserem Gott gegenüber.


Jesus umarmt die Kinder am Schluß. Er legt ihnen nicht nur die Hände auf. Er umarmt sie ganz fest und tief. Er zieht sie an sein Herz. Ins Zentrum seiner Liebe. Wie er anders predigte wie die Schriftgelehrten, so segnete er auch anders wie die Schriftgelehrten.