Auslegung von Matthäus
22
von Michael Strauch
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Gliederung:
1. Wer den Sohn nicht ehrt... (Verse 1-14)
Im Gleichnis von den bösen Weingärtnern (Kap 21) sprach der Herr von denen,
die verpflichtet waren, im Weinberg zu arbeiten. In diesem Gleichnis vom
Hochzeitsmahl (Verse 1-14) spricht der Herr vom Verhalten derjenigen, die
eingeladen sind. Bei den Weingärt nern ging es primär um die geistlichen
Führer Israels, bei dem Gleichnis vom Hochzeitsmahl um ganz Israel.
In Vers 2 wird deutlich gemacht, dass das Reich Gottes Ziel und Aufgabe hat,
dem „Sohn ein Fest zu feiern!" Im vorigen Gleichnis ging es darum, die Frucht
der Arbeit einzuholen. In diesem Gleichnis geht es darum, dass etwas angeboten
wird. Der Sohn soll ve rheiratet werden. Ein königlicher Sohn. Der König ist
Herrscher über ein Land, hier über Israel. Er will, dass alle Untertanen
eingeladen werden und sich mitfreuen an der Vermählung des Sohnes. Noch einmal:
Ziel und Sinn des Reiches Gottes ist die Ehrung u nd Verherrlichung des
Sohnes durch den Vater!
Der König sendet seine Diener aus, um das Volk einzuladen. Wir sehen an den
unterschiedlichen Reaktionen, welche Personengruppen angesprochen sein könnten.
Besonders die, die auf den Acker oder ihren Geschäften nachgingen, sind leicht
zu identifizieren. Es sind zum einen Zöllner und schlichtweg der hädonistisch
gesinnte, „moderne" Mensch. Leute, die ihren Wert und ihr Glück allein in der
Materie haben. Menschen, die sich gerne und geschickt zwischen Beruf und
Geldverdienen, Vergnügen und Freizeit bewegen. M enschen, die von geistlichen
Gütern, wie sie der König anbietet, nichts halten.
Und zum anderen die Eiferer. Menschen, die in der Lehre Jesu eine gefährliche
Seuche sehen, einen Irrglauben, eine Blasphemie und in ihrem Eifer es als
göttliches Recht sehen, die Herolde des Königs umzubringen.
Beide Gruppen, die einen argumentativ und freundlich, die anderen definitiv
und gewaltätig, verweigern das Kommen und lehnen die Einladung ab. Das aber ist
eine schwere Schuld. Es ist eine schwere Schuld, die Einladung des himmlischen
Vates zur Hochzeit se ines Sohnes zu kommen, abzulehnen.
In seinem Zorn läßt er die „Mörder" töten und zündet die Stadt an. Die
Betonung liegt auf den Mördern, als die Eiferer, nicht primär auf den
Gleichgültigen. Sie alle erleiden dasselbe Schicksal, aber in den Untergang
Jerusalems hat der Pharisäismus getrieb en. Auf ihnen liegt die Hauptschuld.
Nun lädt der König eine andere Personengruppe ein. Denn eines ist sicher: das
Fest wird stattfinden. Das Evangelium geht in die Welt. Nun muss folgendes
festgehalten werden:
Man könnte den Eindruck gewinnen, als seien die
Heiden eine Art Notlösung. Wenn Israel sich hätte einladen lassen, wäre das
Evangelium nie zu den Heiden gelangt. Nein, sondern die Heiden waren von
Anbeginn im Blickfeld Gottes.Wir werden später in der Apost elgeschichte
feststellen, wie schwer sich der Jude Petrus tut, zu den Heiden zu gehen. Auch
Paulus ging primär zu den Juden. Der Herr selbst wirkte unter ihnen. Es war also
auch wichtig, deutlich zu machen, dass Israel den Messias ablehnt und die
jüdischen Boten mit gutem Gewissen das Heil nun auch zu den Heiden bringen
konnte. Es sei: statt der Bürger werden Ausländer zu Gästen des
Königs!
Wie ist nun aber der Schluss des Gleichnisses zu verstehen, wo unter den
Geladenen einer zu finden ist, der kein Hochzeitskleid anhatte. Zuerst möchte
ich aus meiner Sicht folgende Argumente als nicht stichhaltig ablehnen:
Jeder bekam am Eingang ein Gewand vom König
geschenkt. Der Betroffene hat es abgelehnt und sich irgendwie durchgemogelt.
Diese Auffassung fügt dem Gleichnis Inhalte hinzu, die so nicht dastehen.
Die Geladenen waren bettelarm und konnten sich kein
Gewand leisten. Zuerst sind mit den Geladenen die Heiden gemeint. Darunter gab
es Reiche wie Arme. Und dass er sich kein Gewand leisten konnte, wird ebenfalls
nicht erwähnt.
Wir müssen also klären, was mit dem Gewand gemeint ist. Nocheinmal: bei den
beiden Gleichnissen geht es um das große Thema Himmelreich. Es geht um Israel,
um das Heilige Volk, dass sich stolz auf die Erwählung berief. Es geht um ein
Volk und besonders um i hre geistlichen Führer, die die Güter Gottes angenommen
haben, diese aber für eigenen Zwecke missbrauchten. Es geht um das Volk, dass
seit seiner Erwählung auch „heilig" gesprochen wurde. Also ausgesondert, um in
besonderer Weise Gott zu dienen. Die Güter Gottes nahmen sie gerne an, den
Gehorsam verweigerten sie dem König. Der König nimmt die einmal ausgesprochene
Berufung ernst. Aber das Volk diskreditiert sich selbst, indem sie die Einladung
nicht annimmt. Kurz: das Volk Israel ist berufen, aber die Beruf ung führt nicht
automatisch zum Heil, wenn man den himmlischen König „einen guten Mann sein
läßt!" Denn Israel war auch verpflichtet zum Gehorsam.
Nun beruft Gott aus den Heiden sein Volk. Ein Volk, das zuvor nicht erwählt
war. Ein Volk, dass nicht heilig war. Ein Volk oder besser Völker, die aber auch
nicht unter dem Gesetz standen. Sie zu erwählen, überschreitet jüdisches
Vorstellungsvermögen und F römmigkeit. Aus den Fremden werden zum Gottesvolk
berufen, die sich rufen lassen, und deren sind nicht wenige. Dass sie berufen
werden ohne eine lange Vorgeschichte wie bei Israel ist allein in der Gnade
Gottes begründet (was schaust Du so scheel, weil ic h so gütig bin...). Es ist
reine, unverdiente Gnade, dass der König nun die verachteten und verhaßten
Fremden zum Gottesvolk beruft. Die Gnade schützt den Berufenen aber nicht vor
seiner damit entstehenden Pflicht. Wer der Einladung Jesu nachgeht, wer mit dem
Herrn Jesu ein neues Leben beginnen will, ist auch verpflichtet, ihm zu
gehorchen. Man kann nicht zum Festmahl Jesu kommen, essen und trinken, am Ende
sagen: war ganz nett bei euch, ich geh wieder. Das geht nicht. Wer zu Jesus
eingeladen wird, der soll sein Untertan werden.
So verstehe ich das hochzeitliche Gewand. Es ist ein Bild der Ergebung des
Menschen unter Gott. Indem der Geladene sich bedankt und deutlich macht, ich
möchte in deinem Reich leben und tun, was Du mir sagst, demnach wird er ein
„hochzeitlich" Gewand haben. Wer es nicht tut, wer meint, er können mit Jesus
kokettieren, halb mit ihm leben, der irrt. Er ist zum Gericht fällig. Die
Berufung allein rettet nicht. Die Betonung der Gnade ist wichtig, aber wer dem
Herrn den Gehorsam verweigert, der muss mit den Konse quenzen rechnen.
2. Jedem, was ihm gebührt (Verse 15-22)
Es hat sich bis heute nicht geändert. Heute wie damals gab es
unterschiedliche Glaubensbewegungen, und jeder meint, Gott auf seiner Seite zu
haben. Im Christentum meinen allen, Jesus besonders zu dienen. In der Zeit Jesu
vermutete jeder, dass Jesus die Leh re der anderen Partei vertrat. Die Sadduzäer
dachten, Jesus vertrete die Auferstehungslehre 1:1 wie die Pharisäer. Die
Pharisäer vermuteten, dass Jesus die Auferstehung in Frage stellt wie die
Sadduzäer. Die Rabbiner sahen in Jesus zelotisches Gedankengut. Sie reagieren
auf Jesus allergisch, so wie die christlichen Gruppierungen das heute auch tun,
weil der Herr einzelne Punkte ihrer Frömmigkeit als Sünde offenlegt. Nun aber,
so glaubten die Gelehrten Israels diesmal mit eigenartige Einmütigkeit, hatten
sie „das Ei des Kolumbus" gefunden. Sie stellen ihm die Frage, aus der es nach
ihrer Ansicht kein Entrinnen geben konnte: die Frage nach Jesu Stellung zum
römischen Kaiser. Ein Jude, der den römischen Kaiser verehrt, und sei es allein
durch die Bezahlung der römischen Steuer, kann nicht der verprochene Messias
sein. Dieser würde vielmehr die Römer aus dem verheißenen Land vertreiben.
Würde der Herr aber öffentlich verkündigen, dass man den Römern keine Steuern
zu zahlen brauche, dann würden die geistlichen Herren ihm den römischen Fiskus
an den Hals hetzen. Noch einmal: die Juden gingen vom ersten Gebot aus: Gott ist
einer. Er ist Herr , ihm allein gebührt alle Ehre. Durch die Bezahlung der
Steuer an Rom, so das jüdische Denken, erwies man dem römischen Kaiser, der sich
als alleinigen Pantokrator sah, die Ehre. Für einen frommen Juden kaum denkbar.
So wurde das Judentum in verschiedene L ager geteilt. Die armen Bauern hielt
sich insgeheim zu den Zeloten. Sie verlangten, dass sich die Juden in keine
römische Steuerliste eintragen lassen dürfe, wenn er Gott nicht verleugnen
wolle. Die Schriftgelehrten wiederum sahen Rom als notwendiges Übel. Ein Teil
des Zornes Gottes über sein Volk. Darum duldeten sie die Steuer. Zurück zu
Jesus. Die Frage an Jesus war ein tödlicher Trick. So schlicht und einfach. Sie
werden sich gefragt haben, warum sie nicht früher auf die Idee gekommen waren.
So einfach, und doch so unentrinnbar erschien ihnen diese Versuchung. Die
Herodianer stehen schon Gewehr bei Fuss, so sicher waren sich die Pharisäer.
Wie reagiert nun der Herr auf diese knifflige Frage, ob der Jude Steuern an
den Kaiser zahlen solle? Er läßt sich eine Münze geben. Sie hat das Bild des
römischen Kaisers, was gegen das jüdische Bilderverbot verstieß. Man muss
bedenken, dass Münzen und ihr e Prägungen damals für Propagan- dazwecke
missbraucht wurden. Eine Münze, in Italien hergestellt und geprägt. Das Bild,
der Entstehungsort machen deutlich: das Geldstück gehört dem römischen Kaiser.
Was ihm gehört, muss getrennt werden von dem, was Gott ge hört. Natürlich gehört
Gott im Grunde alles. Aber Gott vergreift sich nicht so einfach am Besitz eines
Menschen. Er gesteht Besitz dem Menschen zu. Die römische Münze gehört in den
Besitz des römischen Kaisers. Man muss dadurch keine Gewissens-konflikte ha ben.
Schwierig wird es doch dann, wenn Gott jemanden ausdrücklich etwas anvertraut
hat aus seinem expliziten Besitz, und diese dann dreist proklamieren, es gehöre
nun ihnen. Das Gleichnis mit den Weingärtnern greift in diesem Moment. Gott
etwas zu nehmen, etwas für sich zu nutzen und als Eigentum zu behandeln, ist
Diebstahl an Gott. Dem römischen Kaiser gibt man durch die Steuer römischer
Münzen zurück, was in seinem Land geprägt wurde. Es geht vielmehr darum, Gott
nicht vorzuenthalten, was ihm gehört. An d er Zahlung der römischen Steuer wird
nicht ersichtlich, ob jemand Gott die Ehre geben will oder nicht. Diese, auf
Äußerlichkeiten beharrende Gedanken sind ganz ähnlich dem des Marktes im
Tempelhof.
Die Frage bleibt nun: was gehört den Gott? Was gebührt ihm? Worin besteht die
Frucht, die Gott sucht? Jesus gibt hier keine Antwort. Er sagt nur: Gebt Gott,
was ihm gehört. Eines scheint sicher zu sein: es ist nicht etwas, was der Mensch
schaffen kann, her stellen und anbauen kann. Wenn also von Gottes Eigentum die
Rede ist, dass er den Seinen gibt und die Frucht aus diesen Gaben fordernt, dann
müssen wir fragen, was Gott dem Gläubigen geschenkt hat. Nun hat Gott uns Gaben
gegeben, natürliche Fähigkeiten und Geistesgaben. Mit ihnen sollen wir Gott
ehren und ihm dienen. Gott hat das Leben gegeben, die Vergebung der Sünden,
sovieles - mit dem sollen wir Gott ehren. Was soll ich Gott geben? Mein Leben!
Jesus gelangt am Schluss beim ersten Gebot: Gott lieben, mit allem, was mich
ausmacht.
Indem er die römische Steuer als römisches Eigentum deklariert, kann der
Zelot den Herrn nicht angreifen. Jesus gibt dem Besitzer sein Eigentum zurück.
Wie die Römer mögen auch die Münzen in ihr Land zurückkehren. Steuern zahlen,
ja. Weil die Steuer die Eh re Gottes nicht antastet. Gott will keine Steuern,
sondern unsere Herzen. Darin konnten auch die Pharisäer und Schriftgelehrten ihn
nicht fassen. Sie sind bass erstaunt und gehen.
Gebt Gott, was Gottes ist!
3: 1:0 für das Leben (Verse 23-33)
Die Pharisäer und Sadduzäer hatten eine große, theologische Differenz: die
Auferstehung der Toten. Erstere glaubten fest daran, Letztere lehnten sie ab.
Diese Differenz ist natürlich ein gefundenes Fressen, um Jesus eine Falle zu
stellen. Nicht minder hint erhältig wie die Frage nach der römischen Steuer. Und
damit wurde dem Herrn eine zentrale Frage gestellt. Zentral, weil sie von
zentralen Dingen handelt: vom Tod und vom Leben. Der Herr Jesus kann nicht den
Weg des Kreuzes gehen, ohne an den Sieg durch die Auferstehung zu denken. Der
Tod ist Gottes Feind, das Leben Gottes Gabe. Gott will, dass der Mensch lebt,
auch wenn er gleich stürbe. Diese Hoffnung vertraten die Sadduzäer nicht und
lehnten somit die eschatologische Theologie der Pharisaer ab.
Nun liegt es am Herrn, anhand der Schrift zu beweisen, dass die Auferstehung
eine Realität sei. Pharisäer und Sadduzäer, die sich auch in den Schriften nicht
einig waren, anerkannten die Thora. Durch die Thora muss Jesus erklären, wodurch
die Auferstehung begründet werden soll. Denn die sadduzäischen Theologen fanden
keinen Hinweis. Mehr noch: durch die Anordnung Gottes, die hier exemplarisch
dargestellt wird, zeigt sich, dass es die Auferstehung nicht geben kann. Der
Gedankengang der Sadduzäer war wie folg t:
Wenn der Mann einer Frau stirbt, ohne Nachkommen erhalten zu haben, so ist
der Bruder des Verstorbenen verpflichtet, dies Witwe zu ehelichen und ihr Kinder
zu gebähren. Sollte auch dieser sterben, geht es so weiter. Soweit, so gut. Nun
ist die Logik folgen de: wenn es eine Auferstehung gäbe, dann könnte die Frau ja
warten, bis sie ihren Mann in der neuen Welt sieht und dort könnten sie Kinder
zeugen. Dass aber für den Toten Ersatz gesucht wird, dass die Frage der
Nachkommen-schaft in diesem Leben gelöst werd en muß, ist für die Sadduzäer ein
klarer Hinweis darauf, dass es keine Auferstehung gibt. Denn sonst würde Gott
diese Art der Lösung für die Witwe nicht anordnen.
Es geht noch weiter. Wenn Gott zulässt, dass eine Frau nach dem Tod ihres
Mannes einen anderen heiraten kann und nach seinem Tod den nächsten, dann würden
ja alle Männer nach der Auferste-hung ein Anrecht auf sie haben. Das würde aber
eine von Gott verbote ne Polygamie nach der Auferstehung bedeuten und das könne
ja wohl nicht sein.
Diese Beweisführung der Sadduzäer klingt leicht zu widerlegen. Aber in
Wahrheit schoben die Sadduzäer dem Herrn eine pharisäische Theologie unter. Die
Pharisäer sagten, dass das, was in der Gegenwart nacheinander geschieht, im
Himmelreich voll vorhanden is t. Was der Tod schmerzhaft zerstört, wird in der
Auferstehung freudig ein Wiedersehen feiern. Wer also mehrmals verheiratet war,
wird im Himmelreich mehrere Ehepartner haben. Die Pharisäer hatten dieser Logik
nichts entgegenzusetzen.
Was auffällt, ist die Absurdität der Frage. Denn bei welcher Frau sterben
nacheinander sieben Männer, sie denn eine Femme fatale. Und welcher Mann hat
soviele Brüder, die alle willig sind, die Frau zu heiraten. Der Beweis ist
bewußt und mit Bedacht hoch ge spitzt. Jesus soll sich daran die Zähne
ausbeißen. Mehr noch. In der Beweisführung liegt Spott. Man hofft, dass Jesus
unter Spott und Gelächter nachgeben muß.
Jesus hebt zur Antwort an. Sein Antwort gründet er wie gewünscht auf die
Thora. Mehr noch. Er bezieht seine Antwort nicht aus irgendeiner Begebenheit aus
dem AT, sondern leitet es vom Gottesnamen selbst ab. Diese Wende kann von seinen
Gegnern nichts entgeg engesetzt werden. Gott bezeichnet sich nach dem Tod der
Erzväter als Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Gott ist aber ein Gott des
Lebens, nicht des Todes. Gott ist nicht ein Gott, der sich nach Toten benennt,
sondern nach Lebenden. Wenn die drei Erzväter im Namen Gottes verewigt sind,
dann müssen sie bei Gott existieren.
Zugleich wirft der Herr einen tiefen Einblick in das Jenseits. Bei Gott ist
der Zustand nach der Auferstehung nicht gebunden an die Natur (sie werden sein
wie die Engel). Alles, was jetzt den Menschen ausmacht, mit seinen Intressen,
Anliegen, Mühen und dem , was ihm wichtig ist, all das wird im Himmel nicht
wichtig sein. Wir werden Gott lieben und ihm dienen wie die Engel es tun. Und
wie geschlechtslosen Engel werden die Auferstandenen keinen Geschlechtsverkehr
kennen, folglich ist auch keine Ehe nötig. Die Auferstehung ist keine Erneuerung
dessen, was der Tod vernichtet, sondern ein neues Leben bei Gott. Frei von
natürlichen, fleischlichen Grenzen. Gott, der Vater wird alles in allem sein.
4. Gott ist Liebe (Die Verse 34-40)
Der Herr Jesus hat den Sadduzäern vortrefflich geantwortet. Der Herr hat sie
nicht dem Spott der Menge preisgegeben. Niemand zeigt mit Fingern auf die
Verlieren, niemand lacht, niemand tritt nach. Jeder weiß oder ahnt, darum ging
es dem Herrn nicht. Doch d as Verhör Jesu ist nicht vorbei. Wie die Pharisäer
sahen, wie die Sadduzäer in ihrer Kerntheologie „baden gegangen" sind, holen sie
nocheinmal aus und wollen von Jesus den Kern des Gesetzes wissen. Denn wie der
Herr Jesus zum Gesetz steht, macht für die Ph arisäer deutlich, wie sie ihn
einzuordnen haben. Wer hier nun annimmt, dass der Herr in irgendeiner Weise bei
den Pharisäern die Chance hatte, ernst genommen zu werden, der irrt. Es blieb
nicht vergessen, dass der Herr in der Bergpredigt das Gesetz eigenmä chtig
verschärfte. Unvergessen seine Worte über die Reinheitsgebote, unvergessen seine
Ansicht über den Scheidebrief des Mose. Doch diesmal brauchen die Pharisäer eine
- nach ihrer Ansicht - fundamen-tale Falschaussage.
Ein Pharisäer tritt auf ihn zu und „versuchte" ihn. Nun müssen wir eine
sprachliche Eigenart anführen: Luther übersetzt mit „das vornehmste
Gebot" nicht schlecht. Denn der Hebräer gebraucht hier keinen Superlativ im
Sinne von „das größte...!" Das Dilemma b estand für den Pharisäer darin, dass er
die Schrift in seiner Gesamtheit als heilig und von Gott in gleichen Maßen
gewichtet sah. Jedes Wort in der Thora ist von Gott gegeben und gleiches
Gewicht. Ob etwas wichtiger oder weniger wichtig, darüber hat der Me nsch nicht
zu urteilen. Der Mensch steht vor jedem Gebot und jedes Gebot ist für ihn von
universaler Bedeutung. Und doch müßte es ein Gebot geben, dass gleich einem
König den anderen vorsteht. Eben das vornehmste Gebot. Die Pharisäer wollen
wissen, ob der Herr Jesus einem Gebot einen besonderen Vorrang gibt und andere
abwertet. Dieses Gebot muss in der Stellung zu Gott von entscheidenster
Bedeutung sein.
Die Antwort Jesu ist so einleuchtend wie tiefgründig. Indem er auf das erste
Gebot hinweist, nämlich dass Gott alles in allem ist, dass Gott alle Ehre
gebührt, damit macht er deutlich, dass das Gesetz heilig ist und von Gott
gegeben. Der Herr Jesus steht n icht wider das Gesetz. Der Herr wäre aber nicht
wider das Gesetz gewesen, wenn er das Sabbathgebot genannt hätte oder ein
anderes. Der Herr hätte sagen können, dass alle Worte der Schrift heilig sind.
Aber der Herr wählt das erste Gebot und wird durch dies es Bekenntnis für die
Versuchungen der Pharisäer unantastbar. Aber: gerade im ersten Gebot liegt die
Freiheit, von der Herr spricht. Gerade im ersten Gebot liegt das „gebt Gott, was
Gottes ist!" Im ersten Gebot wird im Gegensatz zu den anderen Geboten nich t
äußerliche Handlungen und Taten verlangt, sondern das erste Gebot greift tiefer,
ins Herz des Menschen. Im Gegensatz zu den vielen Äußerlichkeiten, auf die
Theologen der Zeit Jesu so großes Gewicht legten, sagt der Herr, dass der Mensch
mit allem, was ih n innerlich ausmacht, Gott lieben soll. Wer Gott liebt, der
handelt nach Gottes Willen. Denn wer liebt, tut, was der Geliebte will. Gerade
in der Liebe zu Gott steht aller Gehorsam und alle Freiheit. Die Pharisäer und
Schriftgelehrten kannten nur das Geset z, den Buchstaben, das blinde Befolgen
von Regeln. Sie liebten Gott nicht. Denn wenn sie Gott lieben würden, dann
würden sie Christus lieben. Und wenn sie ihn lieben würden, dann würden sie die
lieben, die ihnen anvertraut sind.
Der Herr stellt das Gebot der Nächstenliebe dem Gebot der Gottesliebe als
ebenbürtig dar. Auch die Lehrer des Gesetzes haben dagegen keine Einwände. Gott
zu lieben heißt, seinen Nächsten zu lieben wie sich selbst. Gott will geliebt
sein in der Gemeinschaft der Heiligen. Ich kann Gott nicht ehren und meinem
Nächsten die Ehre verweigern. Ich kann nicht Gott lieben, den Bruder hassen. Aus
dem Gebot der Gottes-und Nächstenliebe erwächst alles andere automatisch. Denn
wie kann ich jemanden bestehlen, den ich lie be? Wie kann jemanden belüge, den
ich liebe? Wie kann ich die Ehe brechen, wenn ich meinen Partner nicht weh tun
möchte? Das tiefe Geheimnis wird ein Stück sichtbar. Wer wenig Liebe in sich
trägt, wird im Wort Gottes nur Gesezt und Gebot lesen. Wer in eine r lebendigen
Beziehung mit Gott lebt und mit seinen Mitmenschen, der wird im Wort Gottes den
Herzschlag hören, der wird - wo der Lieblose nur Anorganisches entdeckt - das
Leben spüren. Der wird begreifen, warum Johannes sagen kann, dass das Wort
„Fleisch" werden konnte. Somit gesellt sich der Herr weder zu den Zeloten mit
ihrer gewaltbereiten Rechthaberei, nicht zu den Sadduzäern, die im Tod das Ende
sehen, nicht zu den Pharisäer mit dem Buchstabenglauben.
Jesus erwirgt am Kreuz das Leben. Jesus läßt am Kreuz das erste Gebot und das
Gebot der Nächs-tenliebe sprichwörtlich offenbar werden.
5. Gipfelsturm (Verse 41-46)
Die Gottesfrage ist beantwortet. Die Schriftgelehrten, Pharisäer, Sadduzäer
und übrigen Parteien stellen fest: sein Verhältnis zum Gott Israels ist nicht
anzutasten. Doch niemand stellt die Frage, die vielen auf den Lippen brennt: ist
Jesus der, der da kom men soll. Nun ist es Jesus, der die christo-logische Frage
stellt. Der fragt, worin im alten Testament der Messias zu finden ist und wie er
seine Herrschaft aufrichtet.
Nun gilt es folgendes zu wissen: die Messiasfrage war im Judentum nicht
erschöpfend geklärt. Jeder wußte, dass er kommt. So wie heute der Christ weiß,
dass der Herr Jesus nochmal kommt. Aber sie wußten nicht, wie genau alles
geschehen würde, so wie wir wis sen, dass der Tag des Herrn kommen wird - so
überraschend und unerwartet - wie ein Dieb in der Nacht. Wir haben ungefäre
Vorstel-lungen, aber vieles wird „anders" sein. In der Schrift haben wir ein
Geländer, aber innerhalb dieses Geländers bleibt vieles of fen. Wenn es so weit
sein wird, werden wir es wissen.
Die Pharisäer dachten sich den Messias als politischen Herrscher. Er wird ein
Sohn des israelitschen Königs David sein. Das geben sie dem Herrn Jesus zu
Antwort. Der Herr bewegt sich in seiner Argumentation fest in den Grenzen der
Bibel. Ist der Sohn Gotte s wirklich ein Sohn Davids? Er könnte Jesaja zitieren.
Der Messias, Sohn einer Jungfrau! Aber in den Psalmen gehören auch die
Überschriften als inspiriert. Und wenn im Psalm 110 als Überschrift David steht,
dann schließen die Schriftgelehrten, dass es ein Sohn Davids sein müsse. Und
Matthäus läßt in seinem Stammbaum, wo der Herr aus der genealogischen Linie
Davids entstammt, auch keinen Zweifel an der Richtigkeit. Der Messias ist ein
Sohn Davids. Aber ein leiblicher Sohn? Ein Sohn, für den David ein Ur, ur.
...großvater war? Wie wird der Herr beweisen, dass der Sohn Gottes als Mensch
von David abstammt, aber zugleich der leibliche Sohn Gottes ist? Wir müssen hier
noch etwas wissen: der Schriftgelehrte sah im „Sohn Davids" einen Ehrentitel. Er
ging davon aus, dass der Messias das Königreich Israel wieder aufrichten würde
mit der Ausdehnung, die es unter David hatte. Somit ist der Sohn Davids
eingeschränkt in menschlicher Vorstellungskraft und Überlieferung.
Der Herr Jesus greift nun eine Frage auf, die sich den Pharisäern stellte,
auf die sie aber keine Antwort wußten: wie kann es sein, dass David „im Geist"
ihn seinen Herrn nannte? Gott ist Herr. Und Gott, der Herr sprach zu einem
weiteren Herrn, dass er sic h neben ihn auf den Thron setzen solle. Nocheinmal:
David sah offenbar im Geist eine Wirklichkeit. Prophetisch schaut er Gott, den
Herrn auf dem himmlischen Thron. Zu seiner königlichen Rechten sitzt der Sohn.
Dieser Sohn ist ebenfalls ein Herr. Und David sagt: er ist mein Herr. Wie kann
nun David seinen Sohn zugleich seinen Herrn nennen? Niemand wagte, ihm zu
antworten. Es geht ja noch weiter. Wenn dieser Herr, der der Herr auch über
David ist, wenn dieser Herr zugleich zur Rechten Gottes, des Vaters sitz en
darf, wie ist es möglich, dass dieser Herr als Messias in die Wirklichkeit des
Menschen kommt? Für den Theologen damals hatte der Gedanke keinen Platz, dass
Gottes Sohn Gott gleich ganz Mensch werden kann. Der Pharisäer ging davon aus,
dass der Messias käme, den Cäsar vertrieb und Jerusalem und seine Umgebung in
eine Paradies umwandeln würde. Er würde dies als Gott tun. Dass der Messias als
Mensch in die Welt kommt, und das Paradies durch seinen Tod am Kreuz für den
Menschen erreichbar macht und dieses P aradies dort ist, wo David den Herrn
erblickt, blieb für den Schriftgelehrten ein Rätsel. Ein dunkles, nicht zu
fassendes Rätsel.
Unvorstellbar, dass Gott in seinem Sohn sich so erniedrigt, dass er dem
Menschen gleich würde. Unfassbar, dass er für die Schuld des Menschen büßen
wolle und noch unfassbarer, dass der Weg der Erlösung und des Heils für Israel
über das Kreuz geht.