Predigt am 11. Sonntag nach Trinitatis, den  27.8.1995  in Lima über Lukas 7,36-50

Predigttext:  Es bat ihn aber einer der Pharisäer, bei ihm zu essen. Und er ging hinein in das Haus des Pharisäers und setzte sich zu Tisch.  Und siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin. Als die vernahm, daß er zu Tisch saß im Haus des Pharisäers, brachte sie ein Glas mit Salböl  und trat von hinten zu seinen Füßen, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu benetzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küßte seine Füße und salbte sie mit Salböl.
Als aber das der Pharisäer sah, der ihn eingeladen hatte, sprach er bei sich selbst und sagte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüßte er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin.  Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sa-gen. Er aber sprach: Meister, sag es!
Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Einer war fünfhundert Silbergroschen schuldig, der andere fünfzig. Da sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er's beiden. Wer von ihnen wird ihn am meisten lieben?
Simon antwortete und sprach: Ich denke, der, dem er am meisten geschenkt hat. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geurteilt. Und er wandte sich zu der Frau und sprach zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen;  du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; diese aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet.  Du  hast mir keinen Kuß gegeben; dieseaber hat, seit ich he-reingekommen bin, nicht abgelassen, meine Füße zu küssen.  Du hast mein Haupt nicht mit Öl ge-salbt; sie aber hat meine Füße mit Salböl ge-salbt. Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.  Und er sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden ver-geben.  Da  fingen die an, die mit zu Tisch saßen, und sprachen bei sich selbst: Wer ist dieser, der auch die Sünden vergibt?  Er aber sprach zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen; geh hin in Frieden!  (Luthertext)

Liebe Gemeinde!
Sicher kennen die meisten von Ihnen das Tisch-gebet: „Komm`Herr Jesus, sei du unser Gast und segne, was du aus Gnaden bescheret hast.“ Oft habe ich bei diesem Tischgebet den Eindruck, als müßte es bei manchen Leuten: ein wenig erwei-tert werden: „Komm` Herr Jesus, sei du unser Gast, aber komm` mir nicht zu nahe, lieber Herr Jesus. Setz` dich brav und deine Ecke und stör mich nicht bei meinen Geschäften.“ Es gibt näm-lich auch eine distanzierte Frömmigkeit nach dem Motto: „Wasch` mich, aber mach` mich nicht naß!“ Vielleicht, wenn Sie ganz offen und ehrlich vor sich selbst sind, gehören auch Sie zu diesem Typ eines distanzierten Frommen, der gern Christ sein möchte, aber noch seine Vorbehalte hat, in allen Dingen Christus zu folgen.

„Komm`Herr Jesus, sei du unser Gast!“, so bittet ihn der Pharisäer Simon in sein Haus. Er ist neu-gierig auf diesen berühmten Wanderprediger und möchte mit ihm einen theologischen Disput füh-ren. Er bittet ihn also, bei ihm zu essen. Norma-lerweise gehört es sich an heißen Tagen, einem Gast Erfrischungen anzubieten. Damals gehörte es sich im Orient, dem Gast Wasser zur Verfü-gung zu stellen, damit er sich Gesicht, Hände und Füße waschen kann, um sich zu erfrischen.  Ist es Unaufmerksamkeit oder gar Unhöflichkeit - Si-mon unterläßt es einfach. Vielleicht ist er einfach zu aufgeregt, weil in seinem Haus ein theologi-scher Disput stattfinden soll. Das jedenfalls ver-gißt er nicht: Er läßt es im Städtchen hinauspo-saunen, was jetzt in seinem Haus los ist: „Kommt und beteiligt euch an diesem theologischen Streitgespräch im Haus des Simon mit dem Wan-derprediger Jesus.

„Komm` Herr Jesus, sei du unser Gast und segne, was du aus Gnaden bescheret hast, aber komm` mir nicht zu nahe.“, so könnte man sicher die Einladung des Simon umschreiben. Er benutzt Jesus als Mittel zum Zweck, um seine eigene Be-deutung herauszustellen. Es mag viele gute Gründe geben, weshalb Menschen ihr Christsein herausstellen wollen. Ich erinnere mich an diver-se Einladungen auf ein Rittergut in einer früheren Gemeinde oder an Einladungen, bei einem Schützenfest paar Worte und ein Tischgebet zu sagen, wo ich mich dann immer fragte: „Was soll ich da eigentlich? So eine schöne Blume bin doch auch nicht für die Dekoration.“ - „Komm`, aber komm` mir nicht zu nahe!“

Doch es scheint ja alles wunderbar zu klappen. Jesus läßt sich einladen. Das Haus füllt sich mit Leuten. Simon kann zufrieden sein: diesen Tag wird so schnell keiner vergessen. Recht hat, denn sogar nach fast 2.000 Jahren reden wir sogar auf einem anderen Kontinent von seiner großartigen Idee, Jesus zu sich einzuladen. Doch, wie es der große Niedersachse Wilhelm Busch so schön auf dem Punkt gebracht hat: „Erstens kommt es an-ders und zweitens als man denkt!“

Unter die Leute mischt sich eine andere bekannte Person, eine Sünderin, so heißt es in der Bibel, vermutlich eine Prostituierte. Man rümpft die Nase, ob ihrer Anwesenheit, aber man will es nicht zu einem Eklat kommen lassen, solange diese Frau sich ruhig in eine Ecke setzt und still bleibt. Doch dann kommt diese etwas ungewöhn-lich, unappetitliche Szene: sie nähert sich Jesus von hinten, weint und fängt an, seine Füße mit Tränen zu benetzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küßt seine Füße und salbt sie mit Salböl.

Ich kann mir vorstellen, daß´ der Hausherr sie im ersten Impuls am liebsten `rausgeschmissen hätte, doch so dumm ist er nicht. „Jetzt soll sich einmal der große Meister Jesus selbst aus der Affäre zie-hen. Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüßte er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn an-rührt; denn sie ist eine Sünderin.“

Offen gestanden, bleibt es rätselhaft, was diese Frau bewegt, sich in dieses Haus eines Pharisäers zu wagen, Jesus zu dramatisch zu Füßen zu fallen und eine Flasche kostbarsten Parfüms zu opfern. Sicher hat sie sich ihr Leben als Kind einmal ganz anders vorgestellt. Die Not wird sie zur Hu-re gemacht haben. Sie wird gut verdient haben, denn wie sonst hätte sie sich dieses kostbare Par-füm leisten können? Einige Ausleger vermuten, sie sei römischen Offizieren zu Diensten gewe-sen. Für die Pharisäer war sie doppelt schlimm: eine Prostituierte, die sich auch noch mit den feindlichen Besatzungstruppen einließ. Anderer-seits scheint sie doch ihr Auskommen und ihren Luxus gehabt zu haben. Doch sie weiß selbst von ihrer Sündhaftigkeit, von ihrer Schuld.

Das ist wohl auch der Grund, weshalb sie Jesus näher ist als der Pharisäer und ihm auch näher ist als wir alle. Die Frau weiß von ihrer Schuld, wir verdrängen sie oft genug zu gern. Sie weiß, daß sie eine Sünderin ist, wir aber wissen es nicht, daß wir allesamt Sünder sind trotz unserer guten Bürgerlichkeit!  Sicherlich, die Frau hat anschei-nend vor den Leuten nichts mehr an ihrem Ruf zu verlieren, deshalb kann sie sich Jesus auch so vor die Füße werfen. Aber was hindert uns selbst, uns so Jesus gegenüber zu öffnen, ihm und uns selbst gegenüber unsere Sündhaftigkeit uns einzugeste-hen und um seine Vergebung zu bitten? Es ist unser Stolz, der wie ein Gebirge zwischen Gott und uns sich aufgetürmt hat. „Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.
Wenn wir aber  unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit. Wenn wir sagen, wir haben nicht gesündigt, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist
nicht in uns. (1. Johannes 1,8+9)

Jesus erzählt nun dem Simon und wahrscheinlich auch allen Anwesenden im Haus dieses kurze Gleichnis von den beiden zahlungsunfähigen  Schuldnern: Einer war fünfhundert Silbergro-schen schuldig, der andere fünfzig. Da sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er's beiden. Wer von ihnen wird ihn am meisten lieben?

Schadenfroh und etwas unvorsichtig könnten wir sagen: „Tja, lieber Simon, jetzt hat dich Jesus aber ´reingelegt.“ Doch freuen wir uns nicht zu früh. Jesus könnte nun uns fragen: Gehörst du zu denen, die fünfhundertfach oder zu denen, die fünfzigfach gesündigt haben?

Doch kommen wir nun zu Jesus selbst: Wir ken-nen ihn ja als Jesus Christus; Jesus, der Gesalbte. Auf hebräisch:: Messias!  Der Messias ist im Al-ten Testament niemand anders als der König! Die Könige Saul und David wurden vom Richter Sa-muel gesalbt, der Priester Zadok salbte den König Salomo usw., kurzum, Könige werden in aller Welt und zu allen Zeiten von Hohenpriestern o-der Bischöfen gekrönt oder gesalbt. Hier aber wird der König der Welt von einer Sünderin ge-salbt, und das ist das völlig erstaunliche an dieser Erzählung. So weit läßt sich Jesus mit der Sünd-haftigkeit von Menschen ein, daß er sich frei von jeder Distanziertheit von einer Sünderin zum Kö-nig salben läßt. Denn wer Menschen aus dem Dreck holen will, muß sich dabei die Hände schmutzig machen. „Der Menschensohn ist ge-kommen, ißt und trinkt; so sagt ihr: Siehe, dieser Mensch ist ein Fresser und Weinsäufer, ein  Freund der Zöllner und Sünder!“,  sagt Jesus zwei Verse vor unserem Predigttext zu denen, welche ihn wegen seiner Distanzlosigkeit kriti-siert haben. (Lk. 7,34)

Der König dieser Welt kommt auch noch heute, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Lassen wir ihn doch auch zu uns kommen - ohne jeglichen Vorbehalt, ohne jegliche Reserviertheit. „Komm`Herr Jesus, sei du unser Gast!“
Kanzelsegen    Amen.

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