Bibelarbeit
über Lukas 23, 33-49 von Michael Strauch
home |
In blauem Licht hängt der
Gekreuzigte in der Berliner Gedächntinskirche mit
ausgebreiteten Armen über dem Altar. Leidend, voller Schmerz und Folter,
zugleich segnend und voller Erbarmen. Das Kreuz spaltet das innere Empfinden
des Betrachters. Der Christ sieht im Kreuz seine Erlösung, der Fernstehende
einen bestialisch ermordeten Mann.So ist die Berliner
Gedächtniskirche bruchstückhaft einerseits Symbol für den Sieg des Kreuzes,
aber auch "Gedächtnis für Leid und Tod. Das Kreuz spaltet. Wohl dem
Skeptiker, wenn er das Geheimnis des Kreuzes erfaßt. Wohl
dem Christen, wenn das Kreuz noch sein Inneres bewegt. Das Kreuz wird zum
Kreuzesweg für die Menschheit. Es zwingt Nah-wie
Fernstehende zur Stellungnahme. Heute und damals:
1.
Das Kreuz spaltet
Achten
wir einmal auf "die spaltende Wirkung" des Kreuzes. Es beginnt mit
der Hinrichtung des Herrn Jesus. Zwischen ihm werden zwei Verbrecher
gekreuzigt. Der eine begreift in Jesu Leiden und Sterben Jesu Werk, dem anderen
bleibt nur beißender Spott (V.32.39.40). Die Juden lästern Jesus und sprechen
vom Christus (V.37), die Römer lästern und sprechen vom König (V.38). Die Juden
warteten auf einen mächtigen Erlöser, der Israel zur Großmacht führt und die
Römer vertreibt. Die Römer spotten über die Juden und nennen den Gehängten
ihren König. Wenn man bedenkt, dass Israel lange Zeit keinen König über sich
duldete (1Sam 8), weil nur Gott selbst ihr König ist, wird die Schmach auf die
Spitze getrieben. Pilatus wiederum rächte sich durch das Schild mit dieser
Aufschrift an denen, die ihn zwangen, einen Unschuldigen zu ermorden. Auch die
Zuschauer spalten sich in Spötter und solche, die sich an die Brust schlagen
(V.48). Selbst die Natur zeigt zwei Gesichter, als am hellen Tag die Sonne
ihren Schein verliert. Und wo die Römer Jesu letzte Habe "teilen", teilt
sich der schwere Vorhang im Tempel vor dem Allerheiligsten entzwei. Kreuzweg
der Menschheit.
2.
Das Kreuz verbindet
Das
Kreuz durchkreuzt die Pläne der Machthaber wie des einfachen Volkes. Es ärgert
die Menschen bis heute (1Kor 1,18), weil es aufdeckt, was der Mensch verdeckt.
Denn der leidende Christus, der "Allerverachteste
und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit" (Jes
53, 2.3) ist doch ein Spiegelbild unserer selbst. Der Verbrecher am Kreuz
erkennt und bekennt es: " ...der du doch in gleicher Verdammnis bist? Und
wir zwar sind mit Recht darin, denn wir empfangen, was unsere Taten wert
sind!" (V.40.41). So werden die zwei Verbrecher mit Jesus in der Mitte zum
Ausdruck dafür, was " unsere Taten wert sind": der Tod (Rö 3,23). Die Gott-losigkeit und
ihre Folgen, all die Flüche, Gemeinheiten und Ungerechtigkeiten schlagen den
Sohn Gottes mit wilder Kraft ans Kreuz. Christus er-trägt,
was uns vernichtet hätte: die tödliche Epidemie der Auflehnung gegen Gott. Und
als Dank für diese selbstlose Tat erntet Jesus Spott und Lästerung. Und der
Herr? Er spricht das Geheimnis des Kreuzes aus: "Vater, vergib ihnen, denn
sie wissen nicht, was sie tun!" (V.34). Der Mitgehängte sieht tiefer:Kurz vor Eintritt des Todes keimt Hoffnung auf. Er erfaßt, dass Gott die Lästerungen in ihr Gegenteil dreht.
Jesus ist tatsächlich der König der Juden und der Römer, ja der ganzen Welt.
Die Dornenkrone ist die wahre Krone. Das Kreuz durchkreuzt die Worte des
Anklägers und spricht den Sünder frei. Noch kann er es kaum fassen, noch ist manches
schemenhaft. Der Mann ahnt es: die Erlösung der Menschheit geschieht, indem der
Mensch zuerst von der Diktatur der Schuld und von der Sklaverei der Sünde
befreit wird. Jesu Kreuz wird zum Anwalt für den Sünder und zum wirklichen
Befreier der Menschen. Er bittet, wenn Jesus sein Reich aufrichten und er vor
dem himmlischen Richter stehen wird, dass Jesus sein Anwalt ist. Doch der Herr
erfüllt diese Bitte mit dem nun errungenen Sieg: Du wirst mit mir im Paradies
sein. Noch heute. Siehe, der Vorhang im Tempel ist zerrissen. Der Weg zum Vater
ist frei. Das Kreuz verbindet.
3.
Das Kreuz verstehen
Ein
römischer Hauptmann steht ebenfalls vor dem Kreuz. "Er sah, was da
geschah!" (V.47). Auch er ahnt die Größe dieses Menschen, der aus Liebe
sein Leben läßt. Auch seine Freunde und viele andere,
die im Abstand zum Kreuz standen (V.48) sahen tiefer. Noch fassen sie es nicht,
aber sie ahnen die Größe der Erlösungstat am Kreuz und die Größe ihrer Schuld.
Die Größe meiner Sünde, die keinen anderen Weg mehr offen liess
als den bitteren Weg des Kreuzes. Sie schlagen sich an die Brust.Ihn
ihnen keimt, was der Verbrecher am Kreuz aussprach: "Fürchtest du dich
auch nicht vor Gott?" Was am Kreuz geschah, kann nur verstanden werden
durch die Gottesfurcht. Gemeint ist die tiefe Ehrfurcht des Glaubens, die Gott
die Herrschaft einräumt über das eigenen Leben. Diese
Ehrfurcht vor Gott, die bekennt, dass das eigene Tun, der eigene Ruhm und der
eigene Wille Gottes Willen so oft durchkreuzt. Das Kreuz will aber für mich
nicht zum "Kreuz" werden, zur schweren, ungewollten Last meines
Lebens. Es will der Ort sein, wo ich sein kann, der ich bin. Wo ich durchschaut
werde und trotzdem angenommen bin. Der Ort, wo meine Sünden nicht einzeln
aufgelistet werden, sondern wo ich nur sagen muss: Herr, vergib mir und denk an
mich! Der Ort, wo der Herr dir zusprechen will. So ist der Schlüssel zum Kreuz
die Furcht Gottes (V.40), der Glaube. Der Glaube, der tiefer dringt und tiefer
sieht. Der Glaube, der begreift, dass es Gott gefallen hat, die Weisheit dieser
Welt, auch die eigene, geliebte Weisheit, zunichte zu machen. Kreuzweg.
Fragen zum Text:
1.
Kreuzweg: wo durchkreuzt das Kreuz meine Pläne?
2.
Kreuzweg: Hab ich mich ans Kreuz gewöhnt?
3.
Vorschlag: nicht reden, sondern still und betend
nachdenken über das Geheimnis des Kreuzes.