Predigt über Johannes 3,31-36, verfaßt von Georg Kretschmar, St. Petersburg

 

Liebe Gemeinde,

wir feiern Weihnachten, das Fest der Geburt Christi. Vor unsere Augen tritt die alte Weihnachtsgeschichte. Wir denken an das Kind in der Krippe und hören vom Gesang der Engel in der Heiligen Nacht: „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr in der Stadt Davids… Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen Seines Wohlgefallens“ (Lk. 2, 11.14). Das ist eine wundersame Geschichte, weil sie ja von dem Wunder aller Wunder erzählt, dass in einem kleinen Kind damals, vor 2000 Jahren, Gottes Sohn und damit Gott selbst zu uns gekommen ist. Es war der Anfang eines Menschenlebens, von der Geburt zum Tode am Schandpfahl des Kreuzes und dann zur Auferstehung. Es war ein Menschenleben, wie wir es leben, von der Geburt zum Tod. Er hatte eine Mutter, wie wir alle eine Mutter haben. Es ist heute eine gebräuchliche Redensart geworden, Jesus unseren Bruder zu nennen. Das ist wahr, obgleich es besser wäre zu sagen: er hat sich uns zum Bruder gemacht.

Aber neben dieser Linie gibt es eine andere, die im Apostolischen Glaubensbekenntnis so klingt: „ich glaube... an Jesus Christus, Gottes Sohn, unseren Herrn, der geboren ist von der Jungfrau Maria…“. Dazwischen steht noch „empfangen durch den Heiligen Geist“. Das ist dann integraler Teil der Weihnachtsgeschichte in den Evangelien nach Lukas und Matthäus, aber das Johannesevangelium greift dieses Stück der Weihnachtsüberlieferung nicht auf; er redet überhaupt nicht von der menschlichen Geburt Jesu. Der Apostel Paulus schreibt: „als die Zeit erfüllt war, sandte Gott Seinen Sohn, geboren von einer Frau…“ (Gal. 4,4). Jesus Christus ist Gottes und Marien Sohn. Das weiß natürlich auch der Evangelist Johannes. Aber im Vordergrund steht für ihn, dass unser Herr Gottes Sohn ist und vom Verhältnis des Sohnes zum Vater und des Vaters zum Sohn handelt auch unser Evangeliumtext. Das Interesse liegt nicht zu sehr daran, dass diese Sohnschaft der Geburt aus Maria vorangeht und über den Tod hinaus bleibt, so wahr das ist. Aber das Gewicht des Evangeliums liegt darauf, dass dieser Mann Jesus von Nazareth in allem, was er lehrte, handelte und erlitt, aus der Gemeinschaft mit Gott lebte und handelte, dass im Sohn der Vater begegnet.

Ich war vor wenigen Wochen zu einem kirchlichen Treffen in Damaskus, zum ersten Mal wieder nach 33 Jahren. Wie viel hatte sich in dieser Stadt verändert! Vor allem fiel mir auf, dass überall in der Stadt, in den Schaufenstern, an den öffentlichen Gebäuden Bilder hingen von Hafis Assad, dem jüngst verstorbenen Staatspräsidenten, und dem Sohn, der sein Nachfolger wurde und heute die Arabische Republik Syrien leitet. So hatte es der Vater gewünscht, und alle zuständigen staatlichen Organe hatten zugestimmt. Das Ziel der Botschaft dieses Doppelbildnisses ist klar: der noch junge, relativ unerfahrene neue Staatspräsident wird durch den Vater legitimiert. Sehet, unser Staatsoberhaupt hatte den vollen Segen seines allseits verehrten Vaters und er wird unsere Nation in diesen schwierigen Zeiten weiter im Sinne des Vaters führen.

Das mag eine Hilfe zum Verstehen der Worte des Johannesevangeliums sein. Der Vater, das ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Und Er legitimiert den Wanderlehrer und Wundertäter Jesus, so wie es die Geschichten von der Taufe Jesu und seiner Verklärung festhalten: Du bist mein Sohn.

Was das heißt, legt das Johannesevangelium aus. Es geht dabei um die letzte gültige Wahrheit für Himmel und Erde und unser Leben, unser ewiges Leben. Die Möglichkeiten unserer Sprache, ja unseres Denkens werden dabei gesprengt. Deshalb redet der Evangelist wieder in Bildern: Er kommt von „oben“ und bezeugt, was Er doch wohl „oben“ gesehen hat. Die Botschaft Jesu, sein Ruf zur Umkehr in die Gemeinschaft mit Ihm, dem Sohn und damit dem himmlischen Vater ist nicht ein Ausplaudern himmlischer Geheimnisse, wie es der Stil mancher damaliger, sich als Prophetie verstehender Schriften war. Jesu ruft zum Leben, seine Einladung an alle ist Gottes Angebot an die von Ihm geschaffene Welt zur Heimkehr. „Leben“ ist die johannäische Zusammenfassung dessen, was die Engel in der Weihnachtsgeschichte nach Lukas sangen: „Euch ist heute der Heiland, der Retter geboren - Friede auf Erden für alle, an denen Gott Wohlgefallen hat“.

Wir alle verstehen, dass ein relativ junger in höchste Verantwortung berufener Staatsmann Bestätigung, Beglaubigung seiner Autorität braucht. Aber der Weg Jesu war anders. Er endete dem Anschein nach mit der Ausstoßung durch sein eigenes Volk und die Hinrichtung durch die Römer. Aber eben von diesem Mann und dem ganzen Weg, der zu diesem Ende führte, gilt: „Der Vater hat den Sohn lieb und hat Ihm alles in Seine Hand gegeben“ (3,35). Seine Worte, die ihm – menschlich gesprochen – zum Verhängnis wurden, sind Gottes Worte. Es ist der Ruf zur Vergebung, zur Menschlichkeit, zur Umkehr der Gelüste: nicht die Reichen werden selig gepriesen, sondern die Armen.

Aber von diesem Zeugnis des Willens Gottes wird gesagt: niemand nimmt es an. Gemeint ist: die Mehrheit der Menschen hört es nicht; wer aber doch umkehrt, tritt damit an die Seite der Wahrhaftigkeit und Treue Gottes, denn er glaubt ihm und nicht dem, was sonst als Wünsche und Werte verbreitet sind.

Wenn das so ist, was ist das dann für eine Welt, in der wir leben? Hier werden dann viele zustimmen. Früher zogen fahrende Leute, „Bänkelsänger“ nannte man sie, von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf und berichteten, was es alles an Gutem und an Schlimmem in der Welt gab. Heute können wir jeden Tag durch das Fernsehen mit eigenen Augen das Elend von Menschen rund um den Erdball verfolgen. Manchmal sind es Naturkatastrophen, die schreckliche Nöte zur Folge haben. Meist ist es menschliche Feindschaft, Neid, sind es falsche Ansprüche, gottlose Missbrauch mit religiösen Überlieferungen, die zu Krieg, Mord, Zerstörung führen. Damit sind wir doch wieder bei Weihnachten. Die Krippe in Bethlehem steht für den ganzen Weg Jesu und seine Botschaft, seine Heilungskraft, die hier ihren Ausgang hatten, ja noch haben. Die Krippe stand in einem armen Winkel unserer Welt und doch ging von ihr ein Leuchten auf, das durch den Glanz der Auferstehung von Ostern bestätigt und verstärkt wird.

Das älteste Weihnachtslied der abendländischen Kirche stammt aus dem vierten Jahrhundert und wurde nach der Überlieferung von Bischof Ambrosius von Mailand, dem Lehrer Augustins geschrieben. Darin besingt er das Licht, das von der Krippe ausgeht. Martin Luther hat seinen Hymnus ins Deutsche übertragen. Hier lautet der vierte Vers:

„Das ewig Licht geht da herein, gibt der Welt ein´ neuen Schein.
Es leucht wohl mitten in der Nacht und uns des Lichtes Kinder macht. Kyrieeleis“.

Das ist mehr, als Ambrosius zu schreiben wagte. Er hat den letzten Satz nur als Wunsch formuliert. Ein Zeitgenosse Luthers, ein früherer Schüler, der gegen seinen Lehre glaubte, die Erneuerung von Kirche und Gesellschaft mit Gewalt erzwingen zu können und dabei umkam, Thomas Müntzer hat den Hymnus des Ambrosius gleichfalls ins Deutsche übersetzt aber die vierte Strophe ausgelassen: das Licht der Krippe leuchtet eben nicht mehr in unserer Welt, erst eine neue künftige Gesellschaft wird wieder von Licht und Leben sprechen können.

Solche Rede von der erst revolutionär zu erzwingender Zukunft hat sich unter uns längst als Illusion, als Lüge enthüllt. Wir sehen das Dunkel und wir dürfen das Licht sehen. Das ist nichts anderes, als das, was der Evangelist Johannes schreibt: „wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben“ (3, 36). Das ist die Entscheidung zwischen Licht und Finsternis, zwischen ewigem Leben und Gottes Zorn. Die Krippe von Bethlehem ist für uns Wegweiser zum Leben.

Gott sei gelobt, der uns Seinen Sohn gesandt hat, den Retter der Welt, als Kind in der Krippe.

Amen.

D. Georg Kretschmar
Erzbischof der ELKRAS (Ev.-luth. Kirche in Rußland, der Ukraine, in Kasachstan und Mittelasien)
St. Petersburg
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