Von Michael Strauch
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Kürzlich hatte ich ein Telefonat mit einem langjährigen Freund aus Mannheim. Er erzählte mir, dass er bald ein Gespräch habe mit einem christlichen Ehemann, der sich von seiner Frau scheiden lassen wolle. Grund: sein Kind hat eine Aufmerksamkeitsstörung, genannt ADS und seine Frau wollte dem Kind das Medikament Ritalin geben. Wenn sie das tun würde, so der Ehemann, würde er sich von ihr trennen. Ich fand das happig und fragte nach weiteren Motiven. Mein Freund sagte: Prestige. Er wollte eine Vorzeigefamilie haben, gerade auch in der Gemeinde. Weiter erzählte er von einem China -Missionar, den er und seine Frau lange Zeit unterstüzten. Der Missionar zerbrach an seinem Auftrag und lebt heute getrennt von seiner Frau und seinen Kindern. Ich war ziemlich erschrocken nach dem Gehörten, als mein Freund gegen Ende des Telefonats einen schlichten Satz sagte. Dieser Satz kam von Herzen, wirkte nicht aufgesetzt, sondern echt. Er sagte: „Gell, Michel, wie gut, dass Gott trotz alledem eine bleibende Konstante in unserem Leben ist!“ Trotz alledem, trotz der Wölfe, von denen Jesus erzählt, trotz der falschen Freunde, trotz der „Mietlinge“ in Politik und Gesellschaft, die nicht unser Wohl, sondern das Eigene im Auge haben. Trotzdem, dass Jesus all das zuläßt, bleibt er die bleibende Konstante in unserem Leben. Oder wie er es ausdrückt: der gute Hirte!
1. Der Hirte liebt dich
Wir leben ja in einer Zeit großer Widersprüche. Selten war unsere Gesellschaft so unterkühlt wie heute und selten benutzt man so leichtfertig Wertbegriffe in großem Stil. Wo der Verehrer von etlichen Jahrzehnten noch mit dem Satz: Ich mag dich sehr! Seine große Liebe verkündigte, so sagt man heute: ich liebe dich megageil! Auf einer christlichen CD, die ich gut gemacht finde, sagt der Christ zu seinem Flämmchen: Du bist eine Superfrau. Vieles ist heute megageil, supercool, affenstark u.s.w. Was da aber in der Superlative beschrieben wird, ist oft nichts weiter als heißer Wind. Da wirkt die Selbstbeschreibung Jesu sehr nüchtern, wenn er sich als der „Gute Hirte“ bezeichnet. Also nicht der geniale, nicht der supergute, sondern einfach nur der „gute Hirte“. Auch ein Blick ins griechische half nicht weiter. Es bleibt beim guten Hirten. Jesus spricht nie von sich selbst im Superlativ. Obwohl das, was er ist, der eigentlichen Superlative entspricht. Denn was Jesus unter „gut“ versteht, folgt in seiner weiteren Beschreibung: ich gebe mein Leben für die Schafe. Und wie Jesus sein Leben für die Schafe läßt und warum er das tut, dem bleiben die persönliche Superlative im Halse stecken. Einen kleine Ahnung dessen, wie Jesus diesen Satz für Dich und mich durchbuch-stabieren mußte, erlebte ich zwischen Karfreitag und Ostern. Bei meiner Schwiegereltern nahe Pforzheim haben dekorativ begabte Menschen einen Kreuzesweg im Gemeindehaus aufgebaut. Mit vielen Tüchern, Israelsouvenirs, Pflanzen und vielem mehr wurde von Palmsonntag bis Ostern alles nachgebildet. Pro Tag kamen über 200 Personen, am Karfreitag 400. Bei Jesu Richtstätte hatten sie ein rechtwinkliges Brett aufgestellt, mit einer Dornenkrone und einer Papierwand überzogen. Ein Schulklasse wurde aufgefordert, mit einer mehrschwänzige Peitsche sinnbildlich Christus zu schlagen. Das ließen sich Jungs nicht zweimal sagen und hieben kräftig drauf. Da die Peitsche aber im nassen Gras lag, wurde das Papier feucht und eine rötliche Farbe vom Holz schien durch. Erschreckt schrie ein Mädchen auf: das ist ja Menschenhaut. Der Junge liess die Peitsche sofort fallen. Die Klasse stand schweigend vor ihrem Werk. In der nächsten Station, ein dunkler Raum, stand ein Kreuz. Der Christus wurde aus Müll gebastelt. Da sagte einer der Erwachsenen, der mit dem Glauben nichts am Hut hat, er habe das Bedürfnis, das Vater unser zu beten.
Hirtenliebe. Vergessen wir die lieblichen Darstellungen strahlend hergerichteter Christusse auf Hirtendarstellungen. Der gute Hirte in diesem Kapitel spricht von Karfreitag. Und er macht deutlich, dass er nicht fliehen wird, wenn wir ganz tief im Dreck stecken. Und der größte Dreck sind nicht unsere Probleme, unsere Enttäuschungen und das Unrecht, das wir erleiden und wir uns fragen, wo der Hirte bleibt. Der größte Müll ist die Sünde, der Ungehorsam gegen den himmlischen Vater. Diesen Müll hat der Hirte ans Kreuz getragen. Er ist nicht geflohen. Und er wird auch nicht fliehen vor den Problemen, die dich umgeben. Ich bin der gute Hirte. Ich bin und bleibe bei dir. Ich lasse zu, aber ich gehe nicht weg. Ich halte mich zurück, aber lasse dich nicht zurück. Ich schweige, doch rede ich zur rechten Zeit. Christus ist der gute Hirte. Er kennt unsere Namen und gibt uns, was wir wirklich brauchen. In Psalm 23 heißt es: Gutes und Barmherzigkeit werden Dir folgen ein Leben lang. Die Welt redet zu Dir im Superlativ. Christus tut das nicht. Aber die Werte der Welt sind heiße Luft, Christus bleibt.
2. Das Schaf liebt den Hirten
Das Christus Dich liebt, das er gut ist und die bleibende Konstante in Deinem Leben ist, das ist die eine Seite. Demgegenüber steht eine unsichere, eigenwillige und sich selbst verherrlichende Konstante-das Schaf. Was im Brehms Tierleben funktionieren mag, streikt bei der Übertragung auf uns Menschen. Also streichen wir auch die lieblichen Bilder der still haltenden Lämmchen, die im Arm des Hirten ruhn. Denn auch für die Schafe im Stall Gottes gilt, dass sie lieber auf der Weide von McDonalds sich gütlich tun und auch lieber im Verein guter Schafe bleiben, als mit dem Hirten hinauszugehen in die weite Welt. Die Welt vieler christlicher Schafe beschränkt sich auf das eigene Gehege, denn draußen sind die Wölfe, oft schwer zu erkennen, weil sie manchesmal Schafspelze haben. Es ist schon eigenartig, dass Jesus diese Realität, die er doch im Kreis seiner Jünger und später in seiner weltweiten Kirche erfahren mußte, in sein Bild nicht eingebaut hat. Jesus bleibt bei seiner Darstellung. Er verzichtet auf die Darstellung all dessen, was wir nicht leisten, was wir nicht sind und was wir nicht können. Denn dafür hat er ja sein Leben gelassen. Stattdesssen stellt er ein ungeheures Privileg heraus, ein Merkmal, an dem gemessen wird, dass das Schaf seinen Hirten liebt. Und dieses Merkmal läßt sich nicht primär an Taten messen, sondern Jesus sagt: die Schafe kennen mich. An anderer Stelle sagt er: sie hören meine Stimme und folgen mir! Die Schafe kennen Jesus und hören seine Stimme. Welch eigenartiger Zusammenhang besteht im Kennen und Hören? Da wir heute ein Kind getauft haben, möchte ich diesen Zusammenhang aus eigener Erfahrung schildern: als Judith mit unserem ersten Kind schwanger war, habe ich so manchesmal mit dem Kind durch die Bauchdecke gesprochen. Dabei habe ich stets den Namen des Kindes gerufen und jedesmal reagierte Joel mit lebhaftem Strampeln. Er kannte mich und hörte mich. Joels Geburt dauert sehr lange und war ungemein schwierig. Das Kind kam gestreßt und schreiend zur Welt. Als ich den Joel wusch, schrie er immer noch. Da rief ich ganz sanft seinen Namen. Indem Moment wurde er ganz ruhig und blickte mich mit großen Augen an. Im Bauch der Mutter spielt das Sehen für den Säugling keine große Rolle. Aber sehr früh das Hören. Das Kind er-kennt über das Hören. Jesus erkennt man ebenfalls nur über das Hören. Denn sehen können wir den Hirten nicht. Noch nicht.
Es war wohl Zinzendorf, der angesichts des Kreuzes die Stimme Gottes hörte, die zu ihm sagte: das tat ich für dich. Was tust du für mich? Wir kennen diesen Satz. Was Jesus für uns tat, ist im wirklichen Sinne super. Was aber ist meine Antwort an ihn? Was kann ich ihm geben? Wir denken vielleicht jetzt sofort, wir können Jesus nichts geben. Aber das stimmt nicht. Ich kann Jesus meine Aufmerksamkeit geben. Über das Hören auf Gott im Gebet und im Lesen der Bibel lerne ich Jesus näher kennen. Ich werde seine Stimme lieben lernen und diese geliebte Stimme wird mich leiten zu den Plätzen, wo der Hirte mich haben will. Und diese Stimme führt mich recht bald aus dem Stall hinaus zu jenen, die nicht meinen Stallgeruch haben. Sie brauchen nicht in erster Linie Action, Programme und Revue, sondern sie brauchen unser Ohr. Lernen wir wieder zu Hören. Jesus zu hören, seinen Nächsten zu hören.