Apostelgeschichte 22 Bibelarbeit Predigt Andacht

 

 

Apg 22,1 A.Christlieb Drei naheliegende Fehler, die Paulus in der Rede nach seiner Gefangennehmung vermied. Apostelgeschichte 22, 1 - 6.

1. Paulus klagt nicht über die ihm widerfahrene Ungerechtigkeit.

Nachdem Paulus von dem Hauptmann die Genehmigung zu einer Ansprache an das Volk erhalten hatte, hielt er eine längere Rede (Vers 1 - 21). In dieser ist nicht nur das, was er sagte, für uns lehrreich, sondern auch das, was er nicht sagte. Zuerst hätte Paulus mit vollem menschlichen Recht über die geradezu empörende Behandlung, die ihm widerfahren war, Klage führen und den Zuhörern darüber Vorwurfe machen können. Wie ungerecht und roh war er überfallen, verleumdet und geschlagen worden!

Bis dahin hatte Paulus noch gar nicht zu Worte kommen und auf alles antworten können. Nun er aber jetzt das Wort ergreifen konnte, hätte mancher es nach allen Vorkommnissen für selbstverständlich gehalten, daß er nun alle Verleumdungen mit Entrüstung zurückgewiesen hätte und zum Gegenangriff in Vorhaltungen über ihr Benehmen übergegangen wäre. Nichts davon hat Paulus getan. Kein Wort der Klage und Beschwerde ist in seiner ganzen Rede zu finden. Kein Ton des Zornes oder des Unwillens klingt irgendwo durch.

Laßt uns hier vom Paulus lernen! Er war ein rechter Schüler des Meisters, ,,der ein solches Widersprechen von den Sündern wider sich erduldet hat" (Hebräer 12, 3). Er folgt dem, ,,welcher nicht wiederschalt, da er gescholten ward, nicht drohte, da er litt" (1. Petrus 2, 23). Wohl allen, die ihm darin nachfolgen! (Römer 12, 19).

2. Paulus triumphierte nicht über das Mißlingen des Planes seiner Feinde.

Die Juden aus Asien und die durch sie erregte Menge hatten die Absicht gehabt, Paulus zu töten (Kap. 21, 31). Dieser Plan war durch das Dazwischentreten des römischen Wachkommandos vereitelt worden. Paulus war ihrer Macht entrissen und unter militärische Deckung gestellt worden. Wie sehr sich die Feinde über das Mißlingen ihres Planes ärgerten, beweist ihr ohnmächtiges Wutgeschrei bei seiner Fortschaffung (Vers 36).

Nun hätte Paulus aus seiner gesicherten Lage heraus irgendwelche Schadenfreude über dieses Mißlingen ihres Planes zeigen können, wenn auch in feinerer Form. Unserer natürlichen menschlichen Art hätte dieses recht naheliegen können. Aber dadurch wären die jüdischen Gegner noch mehr gereizt, verbittert und in maßlose Wut versetzt worden. Paulus vermied diesen Fehler. Er kränkte niemand durch einen spöttischen Hinweis auf das abermalige Entrinnen aus ihrer Macht.

Auch darin wollen wir in seine Fußstapfen zu treten suchen. Wenn Gott einen Plan unserer Feinde gegen uns zuschanden macht, so haben wir nie die Aufgabe, diese unsere Gegner noch mehr zu erregen durch Bespötteln ihrer mißlungenen Absicht (Epheser 5, 15; Kolosser 4, 5).

3. Paulus flehte nicht ängstlich um Rücksichtnahme auf seine Person und um Befreiung.

Paulus war der Freiheit beraubt worden. Was seiner in der Gefangenschaft wartete, wußte er nicht. Jedenfalls hätte er mit großer Sorge in die Zukunft schauen und um sein Leben und seine Freiheit besorgt sein können. Unter diesen Verhältnissen lag es wohl recht nahe, die zahlreichen Zuhörer um Mithilfe anzuflehen, daß er bald wieder in Freiheit gesetzt und vor jeder Verurteilung bewahrt würde.

Auch dies geschah nicht. Paulus zitterte nicht für sein Leben. Er wußte sich nicht von der Stellungnahme seiner Zuhörer, sondern von seinem Gott abhängig. Das verleiht seinen Worten eine getroste Festigkeit, die allein geeignet war, auf diese Hörer Eindruck zu machen. Auch wir wollen Gnade suchen, daß wir in Stunden großer Gefahr nicht in eine Ängstlichkeit und Furcht hineingeraten, die der Gotteskinder unwürdig ist. Wer sich in Gottes Hand weiß, redet getrost, auch wenn drohende und wutschnaubende Feinde ihn umgeben (Psalm 118, 11 - 13; Nehemia 6, 9 11).

 

Apg 22,2 A.Christlieb Eine dreifache Rücksichtnahme des Apostels auf seine Zuhörer. Apostelgeschichte 22, 2.

Es ist lieblich zu beobachten, mit welch zarter Rücksichtnahme Paulus seine erregten Zuhörer behandelt. Das sehen wir an der Sprache, in der er zu ihnen redet, an der freundlichen und ehrerbietigen Anrede und an dem Hervorheben des ihnen gemeinsamen Bodens.

1. Er redet in hebräischer Sprache.

Während Paulus mit dem Kommandanten der Tempelwache zu dessen Verwunderung in der für die Gebildeten üblichen griechischen Sprache geredet hatte (Kap. 21, 37), wendet er sich jetzt an seine Volksgenossen in hebräischen Worten, die ihnen am geläufigsten und auch den einfachsten Hörern am besten verständlich waren. Schon diese Sprache, in der er redete, beweist eine Rücksichtnahme und ein freundliches Entgegenkommen des Apostels. Wir wissen es ja auch in unserer Zeit, wie wohltuend es auf die Menschen wirkt, wenn man sie in der Mundart anredet, die sie von Haus aus gewohnt sind. Der heimatliche Klang der gleichen äußeren Sprechweise kann eine verbindende Wirkung ausüben. So war es hier. Hätte Paulus zu der Volksmenge griechisch gesprochen, so hätten ihn viele längst nicht so gut verstanden, besonders unter den geringen Leuten.

Laßt uns auch darin von dem Apostel lernen! Nicht jeder von uns hat die Sprachkenntnis eines Paulus. Darum kann auch nicht jeder so gewandt wie er den einen in dieser, den andern in anderer Sprache anreden. Aber wir alle können uns bemühen, zu jedem so zu sprechen, wie es für sein Verständnis am angemessensten ist (1. Korinther 10, 32. 33; 13, 4; Römer 14, 13 b).

2. Seine Anrede war freundlich und ehrerbietig. Apostelgeschichte 22, 1 - 3.

Paulus beginnt seine Ansprache mit den Worten: ,,Ihr Männer, liebe Brüder und Väter". Die angeredeten Personen hatten sich in ihrem Benehmen gegen Paulus gerade nicht als ,,liebe Brüder und Väter" bewiesen. Sie hatten sehr unbrüderlich gegen ihn gehandelt und die Weisheit des Alters sehr vermissen lassen. Dennoch redet sie der Apostel mit diesen Worten an. Seine Volksgenossen blieben trotz all ihrer unfreundlichen Stellung seine Brüder. Die mitanwesenden Priester und Mitglieder des Hohen Rates redet er besonders in der damals üblichen Weise als ,,Väter" an.

Mit dieser brüderlich freundlichen und zugleich ehrerbietigen Anrede sagt Paulus gleichsam: Wenn ihr mir auch alle Liebe entzogen habt und mich ausstoßt von euch, so will ich euch dennoch weiter lieben. Wenn ihr mir auch alle Ehre abschneidet und mich als einen todeswürdigen Verbrecher hinstellt, so will ich euch dennoch die Ehre, die euch zukommt, willig erweisen.

Die Anrede des Apostels war wie feurige Kohlen für das Haupt der Feinde (Sprüche 15, 1; 25, 22; Römer 12, 20. 21; Matthäus 5, 44 - 48). Wohl uns, wenn wir diese im Gespräch mit Widersachern stets zur Hand haben!

3. Er stellt das in den Vordergrund, was ihn mit seinen Zuhörern verbindet.

Zwischen Paulus und seinen Zuhörern war eine große Kluft. Ihre Anschauung von den Wegen und dem Willen Gottes war ganz verschieden von der seinigen. Nun suchte Paulus eine Brücke zu schlagen zu den Herzen seiner Volksgenossen. Zu diesem Zweck läßt er zunächst die trennenden Gedanken ganz auf der Seite und beginnt mit dem, was er mit all seinen Zuhörern gemeinsam hat. Er ist ihr Volksgenosse (,,Ich bin ein jüdischer Mann"). Er ist wie sie in der gleichen Religion erzogen und aufgewachsen. Er war wie sie von gleichem Eifer für das Gesetz beseelt. Durch Hervorhebung dessen, was sie gemeinsam hatten und sie verband, gewann er ihr Ohr für das Neue, das er nun zu berichten hatte und ihrem Verständnis nahezubringen suchte.

Hier wollen wir von ihm lernen. Unsere menschliche Ungeduld läßt uns bei dem Gegner in religiösen Fragen oft zu schnell das Neue hervorkehren, wovon wir ihn überzeugen möchten, und unterläßt das liebevolle Hervorkehren dessen, was uns noch irgendwie mit ihm verbindet. Wenn wir uns mit unbekehrten und unerleuchteten Menschen über die wichtigsten Fragen auseinandersetzen, so sollten wir in diesem Stück in die Fußstapfen von Paulus treten. Wenn wir ihnen erzählen, daß wir früher einmal genau so dachten und handelten wie sie, so kann sie dies willig machen, weiteres zu hören (Philipper 4, 5; Sprüche 25, 15; Kolosser 3, 12).

(siehe Apostelgeschichte 22, 3 - 16)

 

Apg 22,3 A.Christlieb Ein Blick in den Werdegang des jungen Saulus. Apostelgeschichte 22, 3.

Paulus geht in seiner Verteidigungsrede auf sein vergangenes Leben zurück und gibt seinen Hörern einen Einblick in die Ausbildungszeit seiner Jugendjahre. Laßt uns den religiösen Unterricht des jungen Saulus betrachten.

1. D e r E r t e i l e r d e s U n t e r r i c h t s

war Gamaliel, der angesehenste Schriftgelehrte und Gesetzeslehrer seiner Zeit, der ,,in Ehren gehalten war vor allem Volk" (Kap. 5, 34). Er war der beste Lehrer, den man ihm aussuchen konnte.

2. D e r G e g e n s t a n d d e s U n t e r r i c h t s

war das ,,väterliche Gesetz" (,,gelehrt mit allem Fleiß im väterlichen Gesetz" ). Damit ist das Alte Testament gemeint, welches die Grundlage der religiösen Unterweisung eines rechten Israeliten und besonders eines künftigen Lehrers in Israel bildete. Kann man sich einen schöneren Unterrichtsgegenstand denken? Welch eine Fülle von Gottesgedanken liegt in dem Alten Testament! Welch eine Weisheit der Wege Gottes konnte er in den Propheten kennen lernen. Hat doch der Herr selbst einst dem Josua zu Beginn seiner Laufbahn nur den einen Rat gegeben, er solle im Buch des Gesetzes immer forschen, damit es ihm gelinge, und er weise handeln könne (Josua 1, 8). Ist doch alle Schrift, von Gott eingegeben, nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit (2. Timotheus 3, 16).

3. Welches war der E r f o l g d e s U n t e r r i c h t s ?

Er bestand darin, daß der junge Saulus ein fanatischer Gegner und Verfolger der Leute war, die Jesus liebten und nachfolgten, und dabei Gottes Willen zu erfüllen glaubten (,,ich war ein Eiferer um Gott, gleichwie ihr heute alle seid").

Die Tatsache, daß Saulus vom besten Lehrer seines Volkes in dem besten Gegenstand, nämlich im Wort Gottes, unterwiesen und trotzdem ein verblendeter Kämpfer gegen Gottes Weg wurde, gibt uns zu denken! Man kann die Schule der besten und tüchtigsten Gelehrten durchlaufen und viel äußere Erkenntnis über Gottes Wort gesammelt haben und trotzdem der wahren Erkenntnis des göttlichen Willens fern bleiben (2. Korinther 3, 14 - 16; Johannes 16, 13).

 

Apg 22,12 A.Christlieb Die Sendung des Ananias zu Saulus. Das gute Gerücht des Ananias. Apostelgeschichte 22, 12.

Es ist nicht gleichgültig, was für einen Menschen man zu einer wichtigen Aufgabe wählt. Der Herr wählte Ananias zu seinem Boten an Saulus. Wenn dieser auch kein Apostel oder dergleichen war, so war er doch ein ,,Mann, der ein gutes Gerücht hatte".

Ein guter Ruf wird in der Schrift höher eingeschätzt als großer Reichtum (Sprüche 22, 1) und gute Salbe (Prediger 7, 1).

1. W i e w a r A n a n i a s z u d i e s e m g u t e n G e r ü c h t g e k o m m e n?

,,Er war gottesfürchtig nach dem Gesetz". Gewiß erwähnt Paulus dies zunächst aus dem Grund, weil er die Menge, zu der er nach Apostelgeschichte 22 redet, beruhigen und ihr zeigen wollte, daß das Werkzeug seiner Bekehrung ein streng an das Gesetz sich haltender Mann gewesen sei. Aber doch läßt uns diese Bemerkung zugleich einen Blick in Leben und Wandel des Ananias tun. Er war ein Mann, der in der Furcht Gottes lebte und Gottes Wort zur Richtschnur nahm.

Dies ist auch heute noch der sicherste Weg zur Erlangung eines guten Rufes. Wer Gott fürchtet und sich an sein Wort hält, der wird auch auf die Dauer Anerkennung finden, sollte es auch erst nach dem Tod sein. (Lukas 23, 47. 48; Apostelgeschichte 10, 22; 16, 2; Ruth 3, 11.).

2. Der Text erzählt uns auch, w i e w e i t d a s g u t e G e r ü c h t r e i c h t e .

,,B e i a l l e n J u d e n " stand Ananias im Ansehen. Es gab in der Judenschaft von Damaskus Gegner und Anhänger des Christentums. Es wird auch sonst allerlei Unterschiede unter ihnen gegeben haben. Aber wie auch die einzelnen gesonnen sein mochten, in der Hochachtung vor dem Wandel des Ananias waren sie einig. Welch ein herrliches Zeugnis für diesen Mann! Wie wurde die Sache Jesu durch ihn empfohlen. Sein Leben war eine Einladung zu dem, an den er glaubte! (Römer 1, 8; 1. Thessalonicher 1, 7.)

3. Zuletzt laßt uns darauf achten, w o s i c h s e i n g u t e r R u f a l s e c h t e r w i e s .

Ananias bekam einen Auftrag, der ihm nicht paßte. Er sollte einen Weg machen, vor dem er zurückschrak. Dennoch war er gehorsam und ging. Hier merkt man, daß seine Frömmigkeit und sein Ruf übereinstimmten.

Gott ehrt die, die ihn ehren durch ihren Gehorsam, auch durch den Ruf, den er ihnen gibt.

 

Apg 22,14 A.Christlieb Die Erkenntnis des göttlichen Heilswillens. Apostelgeschichte 22, 14 und 15.

Von der wichtigsten Erkenntnis, die es gibt, redet unser Text. Es ist die Erkenntnis des göttlichen Heilswillens, die Saulus zuteil werden sollte.
( ,, D a ß d u s e i n e n W i l l e n e r k e n n e n s o l l t e s t ".)

1. Woher stammt diese Erkenntnis?

Sie kommt von oben. Kein Mensch kann sie uns geben. Wohl kann Gott Menschen benutzen, durch deren Wort er uns zur Erkenntnis führt. Aber er selbst ist es, der sie uns schenken muß. Als Petrus sein großes Bekenntnis ablegte: ,,Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes", zeigte ihm Jesus, woher diese Erkenntnis stamme: ,,Fleisch und Blut hat dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel" (Matthäus 16. 15 - 18); d. h. nicht aus dir selbst oder von anderen Menschen, sondern von Gott hast du dies bekommen. So hatte auch Saulus nach unserem Text die Erkenntnis des göttlichen Willens nicht dem Studium bei Gamaliel, nicht dem Ananias, sondern ,,dem Ratschluß des Gottes seiner Väter" zu danken.

2. Worin besteht die Erkenntnis des göttlichen Heilswillens?

Saulus ,,sollte den Gerechten sehen und die Stimme aus seinem Mund hören". ,,Der Gerechte" ist Jesus. Als Saulus ihn kennenlernte, bekam er Erkenntnis des göttlichen Willens. Vorher hatte er diese noch nicht. Erst durch seine Begegnung mit dem Heiland drang er in das wahre Verständnis des Willens Gottes ein.

So ist es auch heute noch. Erst wenn man Jesus kennenlernt, wenn die persönliche Gemeinschaft mit ihm uns das Liebste und Wichtigste wird, lernen wir seinen Willen recht verstehen (Kolosser 2, 9; Johannes 1, 14).

3. Wozu dient diese Erkenntnis?

Gott schenkte dem Saulus diese Erkenntnis, damit er ,,sein Zeuge sei zu allen Menschen". Also nicht um seinetwillen, damit er großen Genuß davon habe, sondern um der andern willen, damit auch sie durch ihn zu gleicher Erkenntnis geleitet würden, dazu gab Gott dem Saulus dieses Licht. Er sollte sie weiter verbreiten zu allen Menschen. Saulus wurde durch die ihm verliehene Erleuchtung befähigt, anderen Menschen zu dienen, indem er nun von Jesus zeugen konnte und sollte.

Zu diesem Zweck gibt der Herr auch heute noch sein Licht in die Herzen hinein, damit sie auch anderen durch dasselbe zurechthelfen. Wenn wir auch nicht wie Saulus zu Missionaren bestimmt sind und in die Völkerwelt hinausgehen sollen, so sind wir doch alle, die wir zum Glauben an ihn gelangt sind, berufen, seine Zeugen zu sein da, wo Gott uns hingestellt hat. Wir sind Schuldner der anderen. ,,Gott hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, daß d u r c h u n s entstünde die Erleuchtung von der Erkenntnis der Klarheit Gottes" (2. Korinther 4, 6; 1. Mose 12, 2; Lukas 5, 29; 14, 23).

 

Apg 22,16 A.Christlieb Ananias stellt Saulus vor die Entscheidung. Apostelgeschichte 22, 16.

Unser Text zeigt uns, wie Ananias den Saulus vor die Entscheidung stellte. Laßt uns diese wichtige Tatsache anschauen.

I. Wann Ananias den Saulus vor die Entscheidung stellte.

Ananias hat die entscheidende Aufforderung nicht zu früh an Saulus gerichtet. Er drängte ihn nicht vorzeitig, etwa gleich bei seinem Eintritt ins Zimmer. Erst brachte er dem Saulus Hilfe durch die Heilung von der Blindheit. Dann verkündigte er ihm die gute Botschaft von der Gnadenabsicht Gottes mit ihm (Kap. 22, 13 - 15), und dann erst forderte er ihn auf, ein Christ zu werden. Saulus war jetzt innerlich reif. Er hatte die innere Kraft, den Entscheidungsschritt zu tun. Vorher hätte eine solche Aufforderung ihm Schaden und Verwirrung bringen können.

Wie viel wird oft dadurch geschadet, daß man in menschlicher Ungeduld vor dem richtigen Zeitpunkt Menschen zur Entscheidung drängen und treiben will, und dadurch in Gottes Werk störend hineingreift! Dies rächt sich oft furchtbar. Wie manche Kinder gläubiger Eltern sind dadurch innerlich geschädigt worden! Gott bewahre uns vor ,,K n o s p e n f r e v e l" (Hebräer 10, 36; Epheser 4, 2; Kolosser 3, 12)! Doch laßt uns das Ananiaswort: ,,Und jetzt, was zögerst du" (wörtl. Übersetzung) auch zu der Zeit gebrauchen, wo es angebracht ist.

II. Wie Ananias den Saulus vor die Entscheidung stellte.

1. Ananias warnt vor Verzug.

Mit den Worten: ,,Und nun - was zögerst du noch? Stehe auf, laß dich taufen!" (Übersetzung von Menge) ruft Ananias den Saulus zur Entscheidung. Er zeigt ihm in seinen Worten den falschen Weg, den er meiden und den richtigen, den er gehen soll.

Welches ist der falsche, der zu vermeidende Weg? Es ist der Weg des Zauderns und Zögerns, des Wartens und Hinausschiebens.

Weil gerade in Zeiten innerer Entscheidung so viele auf diesen Abweg geraten, müssen wir uns mit dieser Gefahr des Verziehens auseinandersetzen. Gewiß gibt es Fälle, wo das Zögern richtig ist und von Gottes Wort empfohlen wird. Wenn ein Christ beleidigt wird und seine Natur ihn zu heftiger Antwort hinreißen will, so gilt es zu zögern, ,,denn des Menschen Zorn tut nicht, was vor Gott recht ist" (Jakobus 1, 20). Wenn junge Menschen von einer Neigung erfaßt werden und sogleich den Schritt zu einer bleibenden Verbindung tun wollen, so darf man ihnen oft Zögern anraten, damit sie nicht in ihr Unglück rennen (1. Mose 26, 34. 35). Oder wenn jemand eigenmächtig sein Kreuz abschütteln, etwa eine Stelle wegen gewisser Unannehmlichkeiten verlassen will, so gilt es zögern und warten, bis Gott selbst das Kreuz abnimmt (Lukas 14, 27). Oder wenn Menschen uns zurufen: ,,Siehe, hier ist Christus, da ist er!" (Markus 13, 21), wenn sie uns zu Parteileuten machen wollen, die sich einer Sonderart und -Meinung anschließen sollen, so gilt es wiederum zu zögern und über solcher Frage erst stille zu werden, ehe man sich anschließt und wieder eine neue Spaltung anrichtet (Galater 5, 2; Apostelgeschichte 15, 1). In allen diesen und vielen anderen Fällen ist Zögern gut und empfehlenswert.

Aber es gibt auch andere Fälle, wo die Schrift uns vor jedem Verzug warnt. Wenn ein Israelit dem Haustier eines feindlich gesinnten Volksgenossen begegnete, das sich verirrt hatte oder unter seiner Last zusammenbrach, so sollte er alsbald seine eigenen Interessen und seine Tätigkeit zurückstellen und helfen (2.
Mose 23, 4. 5; 5. Mose 22, 1. 4). I n d e r A u s ü b u n g v o n L i e b e l a ß t u n s n i c h t z ö g e r n !

Wenn ein Wächter vom Turm aus das Herannahen eines Feindes bemerkte, so durfte er nicht zaudern. Er mußte alsdann die Drommete blasen, um die Einwohner vor der Gefahr zu warnen (Hesekiel 33, 1 - 3). Eine Unterlassung dieser Pflicht hätte ihn das Leben kosten können. Wenn wir Brüder von innerer Gefahr bedroht sehen, so laßt uns bei aller Vorsicht doch nicht zögern, zu warnen! Im Gebrauch der Wächterposaune gilt es, keine Zeit zu verlieren.

Wenn jemand ,,seine Gabe auf dem Altar opfern" wollte und ,,allda eingedenk würde, daß sein Bruder etwas wider ihn habe", so sollte er nicht warten. Er sollte unverzüglich die Aussöhnung mit seinem Bruder suchen und erst nachher sein Opfer darbringen (Matthäus 5, 23 - 26).

Vor allen Dingen ist das Zögern dann bedenklich, wenn Gottes Geist uns zur Entscheidung treibt. Wenn er uns mahnt: ,,Wache auf, der du schläfst und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten" (Epheser 5, 14), so dürfen wir nicht weiterschlummern. Wenn Ananias dem Saulus zuruft: ,,Und nun, was verziehest du?", dann gilt es zuzufahren (Galater 1, 16) und nicht zu verziehen.

D i e W a r n u n g d e s A n a n i a s v o r Z ö g e r n w a r n i c h t u n b e g r ü n d e t .

So manche Erwägungen konnten Saulus zum Zögern veranlassen: Wie viele Vorteile verließ er doch, wenn er nun ein Christ wurde! Welch glänzende Stellung und Laufbahn ging ihm verloren! Welches Stadtgespräch konnte in Jerusalem entstehen! Mit wievielen Verwandten war ein Bruch zu befürchten! Was konnten seine Kollegen im Hohen Rat denken? Welcher Unwille würde beim Hohenpriester entstehen! Tausend derartige Bedenken konnten ihn zum Zögern veranlassen.

Auch wenn er noch einmal rückwärts auf den großen Berg seiner Schuld schaute, so konnte er von dem Zweifel erfaßt werden, ob Christus wirklich alles vergeben werde. Oder wenn er auf seine Schwachheit oder sein Temperament blickte, konnte er ängstlich fragen, ob er auch den neuen Weg werde durchführen können. Wieviel tausend Gründe zum Zögern lagen hier vor!

2. Ananias weist Saulus den Weg, den er gehen soll. Ananias zeigte Saulus in wenigen Worten den Weg, den er beschreiten sollte. Es war ein Weg, der seinem bisherigen Pfad ganz entgegengesetzt war. Wollte er vorher die Christengemeinde ausrotten, so sollte er jetzt selbst zu ihr gehören (,,laß dich taufen"). Suchte er bisher durch seinen Gesetzeseifer vor Gott gerecht zu werden, so soll er sich nun als Sünder bekennen und sich von seinen Sünden abwaschen lassen (,,und abwaschen deine Sünden"). Verfluchte er früher den verhaßten Namen Jesu, so soll er nun denselben anrufen und im Umgang mit ihm seine wichtigste Beschäftigung sehen! (,,und rufe an den Namen des Herrn"). Welch ein Wechsel! Welch eine Umkehr seines bisherigen Weges!

So bringt auch heute noch eine gründliche Bekehrung einen großen Wechsel im Leben und Wandel mit sich. Was wir früher aufsuchten, das fliehen wir heute. Was wir einst nicht leiden mochten, das ist nun unser Teuerstes geworden. Aber nicht nur bei der Bekehrung, sondern im ganzen Christenleben gilt der von Ananias bezeichnete Wegweiser. Es gilt täglich gewissermaßen seinen Taufbund erneuern und sich zu Jesu und seinem Volk zu bekennen; immer wieder sich von den Sünden abwaschen zu lassen und allezeit den Gebetsumgang mit ihm zu pflegen (1. Thessalonicher 5, 17). Der von Ananias gezeigte Weg bleibt der richtige.

(s.a. ,,Mit welchem Erfolg stellte Ananias den Saulus vor die Entscheidung?" -> Apostelgeschichte 9, 19 und 20.)

 

Apg 22,17 A.Christlieb Die Vision des Saulus im Tempel zu Jerusalem. Apostelgeschichte 22, 17 - 21.

Unser Text redet von einer außerordentlichen Erfahrung, die Paulus machen durfte (,,ich ward entzückt und sah ihn"). Weil immer wieder manche nach solch besonderen Erlebnissen trachten, mag es lehrreich sein, dreierlei zu beachten. Wir fragen, wem, wann und wozu sie geschenkt wurde.

I.

Wir wissen aus der Schrift, welch ein Meer von Nöten und Schwierigkeiten den jungen Saulus umgab. Verfolgung an den verschiedensten Seiten bedrohte ihn. Wenn man sein Leben nach der Damaskusstunde betrachtet, könnte man fast sagen: ,,Das war ja nicht zum Aushalten!" Was dieser Mann an Verfolgung, an Mißtrauen, an Unannehmlichkeiten und Nöten zu durchkosten hatte, das mußte ihn ja fast zur Verzweiflung treiben!

Hier aber vernehmen wir, daß Saulus nicht nur Verfolgung, Haß, Verkennung und dergleichen nach seiner Bekehrung erlebte, sondern daß er auch Erquickungen und Stärkungen besonderer Art empfing.

So macht es der Herr auch heute. Wo seine Jünger in Zeiten der Verfolgung und Drangsale stehen, weiß er ihnen Labsale zu senden, von denen die Welt keine Ahnung hat. Wenn Elias von der Isebel verfolgt wird und unter dem Wachholder matt zusammensinkt, empfängt er eine Engelspeise und ein Wort, das ihn aufrichtet (1. Könige 19, 5 ff.).

Gerade in der Zeit, als neidische Nachbarn ihm alle Brunnen zustopften, empfing Isaak die Zusicherung Gottes, daß er mit ihm sei und ihn segnen werde.

So erfuhr auch Saulus gerade in jener Zeit der ersten Nöte und Verfolgungen nach seiner Bekehrung eine himmlische Labung in der Entzückung, die ihm zuteil wurde.

Merkt das, ihr Seelen, die ihr mehr als andere in Leidenstiefen hineinkommt: Der Herr weiß die Elenden zu erquicken zur rechten Zeit. Ihnen sendet er die Hilfe, die sie brauchen. Er erfüllt das Wort: ,,Ich will eine Hilfe schaffen dem, der sich danach sehnt" (Psalm 12, 6).

II.

Wann wurde diese besondere Erfahrung dem Saulus zuteil?

Unser Text nennt uns Zeit und Umstände, unter denen Saulus das Gesicht empfing. ,,Es geschah, da ich betete, daß ich entzückt ward".

Saulus bekam also diese besondere Erleuchtung, während er das Angesicht Gottes in der Stille suchte und mit Gott Gemeinschaft pflegen wollte.

Gewiß kann Gott zu allen Zeiten die Seinen erquicken. Aber er tut es doch besonders oft, wenn sie beten. ,,Welche sein Angesicht suchen, die werden erquickt" (Psalm 34, 6).

 

Apg 22,18 A.Christlieb Eine aussichtslose Arbeit. Apostelgeschichte 22, 17 - 21.

Wenn wir der wunderbaren Unterredung zwischen Jesus und Paulus im Tempel zu Jerusalem lauschen, so fällt uns auf, daß - menschlich geredet - eine Meinungsverschiedenheit zwischen Jesus und Paulus entstand. Worin bestand dieselbe? Der Herr erklärte die Tätigkeit des Saulus in Jericho für aussichtslos. Saulus dagegen hielt sie für hoffnungsvoll. Bei diesem Unterschied laßt uns verweilen.

I.

Wenn wir die Einwendung des Saulus hören (,,Herr, sie wissen selbst, daß ich gefangen legte ..."), so ist das eine menschliche Berechnung. Saulus denkt, weil seine frühere feindliche Stellung gegen das Christentum stadtbekannt sei, so müsse gerade s e i n Zeugnis besonderen Eindruck machen und Frucht bringen.

Diese Berechnung schien richtig zu sein. Sollte man nicht annehmen, daß die Sinnesänderung eines solch fanatischen Christusfeindes ihre Wirkung nicht verfehlen könne? Sollte da nicht die Stellung aller übrigen Christusfeinde erschüttert werden, selbst die der Mitglieder des Hohen Rates?! Wie oft ist es späterhin auch wirklich so gewesen, daß die Bekehrung eines Hauptgegners Christi Anlaß zur Erweckung wurde! Die Berechnung von Paulus schien also richtig zu sein.

Dennoch verwirft der Herr sie. Er sagt: ,,Sie mögen noch so viel wissen von deiner früheren und jetzigen Stellung. Trotzdem wird dein Wort bei ihnen nicht angenommen werden." Hier wollen wir die erste Lehre aus dieser Mitteilung ziehen: I m R e i c h G o t t e s i s t m e n s c h l i c h e B e r e c h n u n g e t w a s s e h r U n s i c h e r e s . Wir können mit unserem Verstand noch so feine Pläne entwerfen und noch so sicher auf Erfolg rechnen. Wenn Gott einen anderen Weg geht, so nützt unsere beste und klügste Berechnung gar nichts. Darum: ,,Verlaß dich auf den Herrn und verlaß dich nicht auf deinen Verstand" (Sprüche 3, 6).

Berechnen konnte auch ein kluger Ahitophel. Berechnen konnte auch ein raffinierter Judas. Berechnen konnte auch ein gewissenloser Kaiphas. - Menschliche Klugheit aber macht Bankrott.

Wie klug berechnet ein Mose: Wenn ich als Sohn der Tochter Pharaos mich auf die Seite des unterdrückten Sklavenvolkes stelle, so werden sie das hören und mir jauchzend zufallen. (Apostelgeschichte 7, 25). Die Berechnung schien richtig. Aber es kam anders. Sie vernahmen nichts und lehnten ihn als Führer und Retter ab!

Laßt uns doch niemals allzu fest auf unsere Klugheit und unsere menschlichen Berechnungen bauen.

II.

Nicht nur eine kluge Berechnung wird zuschanden. Eine zweite Beobachtung drängt sich uns auf: Auch die richtigste und vollkommenste Arbeit kann fruchtlos bleiben. Der Herr sagt: ,,Sie werden nicht annehmen d e i n Z e u g n i s v o n m i r ."

Was ist die beste und richtigste Arbeit im Reich Gottes? Ein wirkliches Zeugnis von Jesus, wie Saulus es gewohnt war. Er hielt nichts von klugen Vorträgen, sondern bezeugte den Heiland, den er aus Erfahrung kennengelernt hatte.

War diese Arbeit nicht mustergültig? Sollte man nicht sagen: Solch ein Zeugnis von Jesus muß Frucht schaffen, weil Jesus selber gesagt hat: ,,Ihr sollt meine Zeugen sein!" (Apostelgeschichte 1, 8). Und doch! Wohl wird des Saulus Arbeit nicht getadelt und keine Änderung derselben verlangt. Der Herr aber teilt ihm mit: ,,Man wird dein Wort nicht annehmen."

Das sagt uns: Nicht jede Arbeit, ob sie auch der Vorschrift Jesu entspricht, muß Frucht schaffen. Man kann Arbeit tun, an der keiner etwas auszusetzen vermag, die Jesus zum Inhalt hat, deren Träger ein lauterer Zeuge Jesu ist, und dennoch bleibt eine Erweckung zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten aus.

Es ist sehr heilsam, seine Arbeit zu prüfen, ob sie ein wirkliches Zeugnis für Jesus ist. Es ist aber nicht gut, zu verzweifeln, falls diese Arbeit nicht das ausrichtet, was wir erhofften und wünschten.

Hat nicht auch Jesus in seiner Vaterstadt kaum etwas ausrichten können? Haben nicht Jeremia und andere Propheten das lautere Wort Gottes richtig gebracht? Und doch mußten sie betrübende Erfahrungen machen.

Nicht jede richtige Arbeit hat in jedem Falle die Verheißung des von uns gewünschten Erfolges. Trotzdem bleibt es dabei: ,, M e i n W o r t s o l l n i c h t l e e r z u r ü c k k o m m e n " (Jesaja 55, 11).

III.

Eine noch schmerzlichere Erfahrung macht Saulus. Seine Einwendung enthielt eine stille Bitte, ob ihm nicht doch ein Fruchtbringen im eigenen Volk geschenkt werden könne. Glühende Liebe zu seinem Volk legt ihm die Worte auf die Lippen. Wird er wohl erhört?

Nein! Die in seinen Worten liegende Bitte wird abgeschlagen.

Auch daraus wollen wir lernen. Nicht jede Berechnung, ob sie noch so richtig erscheint, nicht jede Arbeit, ob sie noch so gut sein mag, auch nicht jede Bitte, ob sie noch so dringend ist, erreicht das von uns gewünschte Ziel. Gewiß ist Gebet das wirksamste Mittel im Reich Gottes und hilft mehr als alle Klugheit, Begabung und Anstrengung. Wir wollen auch allzeit das Gebet als Hauptwaffe führen und uns durch nichts davon abbringen lassen.

Aber wir wollen nie meinen, daß wir durch unser Gebet gerade den von uns gewünschten Erfolg in jedem Fall erzielen müßten.

Einem Mose wird die Bitte abgeschlagen, in das Land der Verheißung zu kommen. Einem Elias wird versagt, unter dem Wacholder zu sterben. Einem Paulus wird die erbetene Wegnahme des Pfahles im Fleisch nicht zuteil. Aber der Herr hat auch einen herrlichen Trost für Paulus. Er erteilt ihm den kostbaren Auftrag, Apostel der Heiden zu werden!

Nun ist es dem Paulus nicht mehr so bitter und schmerzlich, daß Jesus ihm seine eigenen Pläne zerschlägt! Nun ist er mehr als getröstet!

Auch wir wollen uns nicht entmutigen lassen, wenn der Herr Jesus unsere Berechnungen durchkreuzt und unsere Pläne verwirft. Nimmt er uns etwas, so gibt er uns Besseres dafür wieder. Wir werden ihn treu erfinden nicht nur darin, daß er unsere Gebete, Berechnungen und Arbeiten gelingen läßt, sondern auch darin, daß er uns zuweilen auch zuschanden werden läßt. Das mag treue Jünger und Zeugen Jesu in bestimmten Lagen trösten, damit sie nicht mutlos werden.

 

Apg 22,22 A.Christlieb Drei Lehren aus dem Wutgeschrei der Feinde. Apostelgeschichte 22, 22. 23.

Aus dem Wutausbruch und dem Toben der Volksmassen gegen Paulus wollen wir drei stärkende und tröstende Lehren für die Jünger Jesu entnehmen:

I.

Niemals braucht sich ein Christ durch Behauptungen großer Volksmassen schwankend und unsicher machen zu lassen. Wir leben in einer Zeit großer Massenkundgebungen. Wir wollen über dieselben keinerlei Urteil fällen. Aber soweit dieselben sich mit Fragen der Religion oder des Glaubens befassen, sagen wir: Niemals lassen wir uns in diesem Gebiet durch irgendwelche Behauptungen großer Volksmassen beeinflussen und fortreißen. Wir prüfen die Richtigkeit aller Aussagen nicht nach der Menge und dem Eifer ihrer Verfechter, sondern allein nach der Übereinstimmung mit dem Wort Gottes.

II.

Kein Zeuge Jesu braucht den Mut zu verlieren, wenn einmal jeder sichtbare Erfolg seines Zeugnisses ausbleibt. Paulus hatte eine Rede voll göttlicher Kraft und Weisheit gehalten. Man hätte tiefe innere Segnungen, Erweckungen und Bekehrungen bei den Zuhörern erwarten können. Stattdessen war Unwille, Wut und Zorn das Resultat seines Zeugnisses. Das mag manchem Knecht Gottes zum Trost dienen, der die gewünschte Frucht des Wortes nicht zu sehen bekommt. Es mag auch andere davor bewahren, allzu schnell über einen Zeugen Jesu ein Urteil zu fällen, dessen Wort nicht gleich von Erfolg begleitet ist. Niemand sage von einem solchen, es müsse irgendetwas bei ihm nicht stimmen, weil seine Verkündigung nicht sichtbare Frucht bringt. Paulus wandelte und redete sicherlich vor Gott, dennoch richtete hier sein Wort, soweit Menschenaugen sehen, nichts aus.

III.

Ein dritter Trost, den wir dieser Szene entnehmen, sei der, daß niemand den Mut zu verlieren braucht, wenn es einmal um die Sache des Wortes Gottes schlimm zu stehen scheint.

Wenn man sich die Volksmenge vergegenwärtigt, die den Tod des Paulus wünscht, so war hier - menschlich gesprochen - viel Anlaß zu Sorge und Angst für die Sache des Herrn Jesu. Das ganze Volk verwarf ja das Evangelium in Grund und Boden. Dennoch hat dies alles den Lauf des Wortes nicht aufgehalten.

Was erreichte der ganze Wutausbruch? Er bekräftigte die Wahrheit des W o r t e s J e s u (,,Sie werden nicht aufnehmen dein Zeugnis von mir"). Er half, den P l a n J e s u verwirklichen, nach welchem Paulus vor Könige den Namen Jesu tragen und auch in Rom von ihm zeugen solle. Er brachte dem Knecht Jesu mannigfache neue Glaubenserfahrungen. Laßt die Feinde ruhig toben. Sie müssen zuletzt die Sache Jesu nur fördern und seine Befehle ausrichten helfen.





A.Christlieb Drei Irrtümer der gegen Paulus tobenden Volksmenge. Apostelgeschichte 22, 22. 23.

,,Warum toben die Heiden, und die Völker reden so vergeblich?" Dieser zweite Psalm, den Israel oft im Blick auf die Heidenvölker sang, darf hier auf ihr eigenes Volk angewendet werden. Der Juden Geschrei gegen Paulus ist im Grunde ein Toben ,,wider den Herrn und seinen Gesalbten". Seine Bande wollen sie zerreißen (Psalm 2, 1 - 3). Aber es gelingt ihnen nicht. Ein dreifacher Irrtum beherrscht sie. Drei Wahrheiten sind ihnen verborgen:

I.

Sie halten sich für berechtigt, über Paulus ein entscheidendes Urteil zu fällen. Sie erklären ihn für einen todeswürdigen Verbrecher, der nicht wert sei, von der Erde getragen zu werden. (,,Hinweg mit diesem von der Erde ..."). Das war eine Selbstüberschätzung. Nicht bei ihnen, sondern beim Herrn allein steht das Recht, das endgültige Urteil über Wert und Unwert eines Menschen zu fällen. Daß Gottes Urteil ganz anders war, wissen wir (Apostelgeschichte 9, 15).

II.

Sie meinen bestimmen zu können, wie lange Paulus leben und wirken dürfe.

Auch das ist ein Irrtum. Darüber bestimmt nicht diese Volksmenge, sondern der Herr allein. Er weiß, wann das Tagewerk vollendet ist, und wann die Hütte abgebrochen werden soll.

Laßt es uns ihm überlassen, wie lange und wie weit er diesen und jenen Menschen leben und wirken läßt, ob er auch nach unserer Meinung besser bald hinweg wäre.

III.

Sie meinen auch darüber befinden zu können, wohin die Heilsbotschaft des Wortes Gottes getragen werden dürfe und wohin nicht. (Ihr ganzes Geschrei ist ja ein Protest gegen die Wortverkündigung in der Völkerwelt).

Auch darin liegt ein Irrtum. Nicht sie, sondern der Herr bestimmt, wohin sein Wort gesandt werden soll.

 

Apg 22,23 A.Christlieb Wie das Toben der Feinde der Sache Jesu dienen mußte.

Schadenfreude ist etwas Schlechtes und Verwerfliches. (Hiob 31, 29; Psalm 22, 18 b; 35, 15. 21; 69, 27; Klagelieder 1, 21; 2, 16; Sprüche 17, 5; Hesekiel 25, 6. 7; Obadja 12, 13).

Eine andere Freude aber ist erlaubt und stärkt den Glauben, die Freude im Blick darauf, daß den Feinden des Wortes Gottes ihre Pläne gegen die Sache des Herrn nicht nur mißlingen, sondern ins Gegenteil umschlagen (Apostelgeschichte 11, 19 - 21; Philipper 1, 12 - 14).

Der natürliche Mensch freut sich, wenn er recht behält, wenn seine eigenen Pläne durchgeführt und seine eigenen Interessen befördert werden. Der neue Mensch freut sich, wenn J e s u s recht behält, wenn Jesu Pläne gefördert werden. Dies letztere war hier der Fall.

I.

Paulus hatte soeben das Wort Jesu erwähnt: ,,Sie werden nicht aufnehmen dein Zeugnis von mir" (Vers 18). Nun beweist ihr wütendes Verhalten, wie richtig und wahr der Herr geredet hatte. So mußten sie, ohne es zu wissen, die Wahrheit des Wortes Jesu bestätigen.

II.

Auch mußten sie gegen ihren Willen den P l a n J e s u b e f ö r d e r n helfen. Nach Jesu Plan sollte Paulus den Namen Jesu vor Könige und Fürsten tragen und auch in Rom von ihm zeugen (Kap. 23, 11). Das Toben der Feinde hat dazu beigetragen und den Weg bahnen müssen, daß diese Gedanken Jesu verwirklicht wurden.

Laßt uns den Herrn rühmen, der sich seiner wütenden Gegner bedient, um seine heilsamen Gedanken hinauszuführen. ,,Er herrscht mitten unter seinen Feinden" (Psalm 110, 2).

III.

Endlich mußte dieses Wüten der Feinde d e m K n e c h t J e s u allerlei Segen und neue Glaubenserfahrung bringen. Zunächst war es natürlich ein Leidensweg, den sie ihm verursachten. Dennoch bekam der Apostel jetzt nach langer, anstrengender Reisetätigkeit Tage der Ruhe und Stille, Gelegenheiten zum Zeugen vor hohen und höchsten Machthabern und Erfahrungen von gnädiger Bewahrung vor den Mordplänen der Feinde. Alles mußte ihm zum Besten dienen.

Laßt uns freuen und fröhlich sein, daß das Toben der Feinde den Jüngern Jesu nicht Schaden, sondern Nutzen einbringen muß!









A.Christlieb Finden sich die Sünden der gegen Paulus tobenden Menschen in uns wieder? Apostelgeschichte 22, 22. 23.

Bei der Betrachtung der gegen Paulus tobenden Volksmasse könnte der stolze Gedanke in uns auftauchen: Ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie jene wutentbrannte Menge! Ich liebe und verehre den Apostel, den jene haßten, und ich fördere das Werk der Heidenmission, das jene bekämpften. Mit solchen Gedanken wären wir auf dem Weg des Beters von Lukas 18, 11.

Stattdessen wollen wir den Anblick jenes fanatischen Haufens als Spiegel benutzen und fragen: Findet sich in unserem Innern nicht auch etwas von dem, was wir bei jenen tadeln müssen?

I.

Die Ursache für den Zorn der Juden war der Neid auf die Völker, denen sie das Vorrecht der Heilsbotschaft nicht gönnen wollten. Ist von solchem Neid nichts in uns?

Wenn wir auch gewiß der ganzen Welt das Evangelium gönnen und seine Verbreitung befördern, so müssen wir doch bekennen, daß da, wo in anderen Gemeinschaften, Vereinen oder Gemeinden eine gesegnete Verkündigung des göttlichen Wortes stattfand, sich in uns der schlimme Gedanke regte: Dieser Segen hätte sich eigentlich nur in meinem Verein, in meiner Gemeinschaft, in meiner Kirche und nicht bei jenen einstellen sollen. Da zeigt sich der Keim jener Giftpflanze, die dort so üppig emporschoß.

II.

Wenn wir über einen Bruder, der ganz anders geführt ist als wir, ein Urteil abgeben, so haben wir ihn zwar nicht gleich als todeswürdigen Verbrecher hingestellt, wie jene es taten; aber wir wurden ihm doch nicht gerecht in unseren Worten. Weil er nicht genau in unseren Bahnen ging, glaubten wir, ihn verurteilen zu müssen (Markus 9, 38).

Wie oft ist es in früheren Jahren vorgekommen, daß ein Lutheraner seine reformierten Glaubensgenossen oder der Reformierte seine lutherischen Glaubensgenossen als minderwertige oder gar als gefährliche Menschen hinstellte. Hier liegen aber die Anfänge des Irrweges jener ungerecht über Paulus urteilenden Massen. Weg mit solchem Fanatismus!

III.

Wir entsetzen uns darüber, daß jene Menschen dem Apostel, der ihnen untragbar erschien, den sofortigen Tod wünschten. Aber müssen wir nicht bekennen, daß auch wir schon bei gewissen Menschen, die unsern Unwillen auf das heftigste erregten und unsere Arbeit störten und schädigten, den stillen Wunsch im Herzen trugen, daß sie doch nicht mehr lange leben möchten?!

Wir sind oft ähnlicher den Donnerssöhnen gewesen, die Feuer vom Himmel fallen lassen wollten, als dem David, der den Saul in der Höhle verschonte! (Lukas 9, 54; 1. Samuel 24; 26).

Darum wollen wir uns nicht über jene gegen Paulus schreiende Menge erheben, sondern demütig bekennen, daß ihr Fehler auch in uns steckt.

Nicht zu anderen Mitmenschen, sondern zum Pharisäerstolz im eigenen Herzen wollen wir sagen: ,,Hinweg mit diesem! Denn es ist nicht billig, daß er leben soll."

 

Apg 22,24 A.Christlieb Fanatismus. Apostelgeschichte 22, 22 - 24.

Die wild schreienden Juden, die in rasender Wut Staub in die Luft sprengen, sind ein besonders charakteristisches Beispiel von Fanatismus.

Wir Menschen neigen von Natur zum Fanatismus. Selbst Gotteskinder können noch dahineingeraten.

Fanatismus ist ein falscher, aus eigenem Geist stammender Eifer, der mit einer von Gott gewirkten Festigkeit nichts zu tun hat, obwohl beides manchmal verwechselt wird. Es gibt allerlei Arten von Fantismus. Man kann fanatisch für seine Lehrmeinung oder für seine Organisation und dergleichen kämpfen und dabei meinen, für Gott zu streiten. Laßt uns in diesem Text den Eifer jener Juden näher anschauen, damit wir derartigen Fanatismus vom gottgewollten, heiligen Eifer unterscheiden lernen. Wir sehen: die Entstehung, die Handlungsweise und die Folgen des Fanatismus der Zuhörer Pauli.

I.

Wie kam es zu diesem Ausbruch blinden Eifers? Das letzte Wort des Paulus, der Bericht über seine göttliche Sendung in die Heidenwelt, berührte einen wunden Punkt in den Herzen der Hörer. Er tastete ihr Vorrecht, ihren Stolz, ihre eigene Gerechtigkeit an. Wenn der himmlische König den Saulus mit der Heilsbotschaft zu den Heiden sandte, so waren sie nicht mehr das allein von Gott bevorzugte Volk, sondern wurden auf gleiche Stufe mit den verachteten Heiden (,,Gojim") gestellt. Sie verloren ihre Sonderstellung vor Gott, auf die sie sehr viel hielten. Das ging ihrer Ehre zu nahe. Wenn Paulus recht hatte mit seiner Botschaft von Jesus als dem Herrn der Herrlichkeit, dann waren sie ja alle, die das Christentum ablehnten, auf dem Irrweg, und dann waren sie Sünder und Gottlose. Das ließen sie sich nicht gefallen. Hatten sie bis dahin ruhig zugehört, so brach nun ihre Wut los. Wie ein Zahnkranker den Arzt ruhig arbeiten läßt, bis dieser mit seinem Bohrer den Nerv berührt, so ging es bei diesen Zuhörern. Als es an ihren Stolz und ihre eigene Gerechtigkeit ging, da wurde der Nerv berührt, und sie schrien laut auf.

Geht es nicht auch heute noch so, daß manche Zuhörer sich die Wortverkündigung ruhig gefallen lassen und still anhören. Sobald aber ihre kranke Stelle berührt wird, sobald sie zu ,,S ü n d e r n " gemacht werden oder ihr Stolz sonstwie angetastet wird, ist ihre Geduld zu Ende. Dann geraten sie in wütenden Eifer gegen den Verkündiger, der solches zu tun wagte.

Wer die g a n z e Wahrheit bezeugt, muß sich stets darauf gefaßt machen, den fanatischen Eifer der Leute gegen sich zu erregen.

II.

Wie handelt der Fanatismus?

Die fanatisch erregten Zuhörer unterbrachen den Apostel. Sie wollten kein Wort mehr von ihm hören. Der Fanatismus trägt immer das Kennzeichen der Ungeduld. Er verschließt sich gegen ruhige, besonnene Unterweisung. Er ist unbelehrbar.

Weiter fällten die Zuhörer ein völlig ungerechtes Urteil über Paulus. Sie erklärten ihn für einen todeswürdigen Menschen (,,Hinweg mit solchem von der Erde! Denn es ist nicht billig, daß er leben soll".)

Der Fanatismus trägt Scheuklappen. Darum ist er ungerecht im Urteil gegenüber Andersdenkenden. Das schärfste Urteil ist dem Fanatiker kaum streng genug. An seinem Gegner erscheint ihm a l l e s als Sünde.

Was für Urteile werden oft von denen gefällt, die ihre religiöse Sondermeinung oder ihre Partei und Organisation gegen andere verteidigen wollen!

Endlich schrien jene Volksmassen, warfen ihre Kleider ab und wirbelten den Staub in die Luft. Das Benehmen ließ nicht nur jede ruhige Besonnenheit vermissen, sondern mußte bei einem unbeteiligten Fremden den Eindruck erwecken, als habe man es mit Tollhäuslern zu tun. Welch ein trauriges Bild, diese Volksmasse von tobenden, schreienden Menschen, die den Staub in die Luft wirbeln!

H e i l i g e r Eifer, g e r e c h t e r Zorn wird stets auch in den Schranken des Anstandes und der guten Sitte bleiben. Wo man mit wüstem Geschrei, mit Niederbrüllen des Gegners und mit wildem Toben etwas zu erreichen sucht, da sehe man wohl zu, ob man nicht in dem Fanatismus jener Juden steckt, die in ihrer Erregung jede Besonnenheit und jeden Anstand vermissen ließen.

III.

Welche Folgen zog dieser Fanatismus nach sich? Nicht nur brachten jene Zuhörer sich selbst um jede weitere Belehrung, sie rissen auch einen ruhigen, sachlichen, unparteiischen Menschen in die Ungesetzlichkeit mit hinein. Der Führer der Tempelwache gab Befehl, den Paulus auszupeitschen. Man wollte sicherlich nicht ungesetzlich handeln. Er wollte sachlich und richtig die Streitfrage prüfen. Aber der Fanatismus der Menge riß ihn doch so weit mit fort, daß er irgendwelche schlimme Schuld bei Paulus vermutete.

Wie oft trübt der blinde, ungerechte Eifer das sachlich ruhig urteilende Denken des nüchternen Menschen.

Wie anders gebärdet sich die ruhige, geheiligte Festigkeit des Apostels, die er in dieser Rede zeigte.

Gott erfülle uns alle mit heiligem Eifer, bewahre uns aber vor jeder Art von Fanatismus.





A.Christlieb Der Befehl des Hauptmanns, Paulus zu geißeln, Apostelgeschichte 22, 24,

zeigt uns einen dreifachen Fehler, der sich auch bei uns wiederholt:

I.

Falsch war zunächst seine Beurteilung des Paulus. Der Hauptmann meinte, irgendeine schlimme Tat von Paulus müsse die Wut der ganzen Bevölkerung hervorgerufen haben. Diese Meinung war begreiflich, aber irrig. Obwohl die äußeren Anzeichen dafür sprachen, daß Paulus etwas Schlimmes getan habe, war er doch völlig unschuldig.

Wie oft haben auch wir uns in der Beurteilung eines Mitmenschen geirrt! Laßt uns doch behutsam im Urteil werden und nicht schnell einen anderen für einen Übeltäter halten, weil allerlei Gründe darauf hinzudeuten scheinen.

II.

Aus diesem ersten Fehler entstand der zweite: u n g e r e c h t e S t r e n g e u n d S c h ä r f e in der Behandlung des Apostels.

Es war damals ein Rechtsbrauch, einen Verbrecher, der seine Tat nicht eingestehen wollte, durch Geißelung zum Geständnis zu zwingen.

Diesen Rechtsbrauch wandte der Oberhauptmann hier bei Paulus an. Das war eine große Ungerechtigkeit. Wenn auch das römische Reich bei gewissen Übeltätern die Folterung beim Verhör erlaubte, so durfte man dies Verfahren doch nicht ohne weiteres bei einem Mann anwenden, dessen Schuld noch gar nicht erwiesen war. Der Hauptmann durfte nicht ohne jegliche Schuldprüfung den Apostel in eine Linie mit schlimmen Verbrechern stellen. Solche Schärfe war voreilig.

Beim Anblick dieses zweiten Fehlers müssen wir eingestehen, daß er auch von uns mannigfach begangen ist. Jeder Leiter einer Gemeinde, einer Schule, einer Gemeinschaft oder eines Vereins kann in diesem Punkte leicht fehlgreifen und dadurch oft für lange Zeit bei Jungen oder Alten das Vertrauen verlieren. Auch für Väter und Mütter gilt es, bei der Untersuchung einer Sache nie voreilig zu strengen und scharfen Maßnahmen zu greifen, die Schaden anrichten könnten.

III.

Bei seinem übereilten Vorgehen machte sich der Oberhauptmann, ohne es zu wissen und zu wollen, selbst einer Gesetzesübertretung schuldig. Er ahnte nicht, daß der Gefesselte das römische Bürgerrecht besaß. Mit seinem Befehl, den Paulus zu geißeln, hatte er seine Befugnisse überschritten und sich strafbar gemacht.

Wie leicht übertreten auch wir, besonders in Zeiten der Unruhe und Aufregung die bestehende Rechtsordnung und müssen für die Folgen einstehen.

Was bei dem Hauptmann vorkam, kann auch uns begegnen. Nur einer hat niemals gefehlt in der Beurteilung und Behandlung anderer Personen. Seine bewahrende Hand wollen wir suchen, daß des Hauptmanns Irrungen nicht die unsrigen werden.

 

Apg 22,25 A.Christlieb Die Berufung des Paulus auf sein römisches Bürgerrecht. Apostelgeschichte 22, 25 - 30.

Das römische Bürgerrecht war ein großer Vorzug. Ein römischer Bürger brauchte sich nicht ohne weiteres eine entehrende Behandlung seitens eines Richters gefallen zu lassen. Ein Bürger durfte nicht ohne Untersuchung gefesselt werden (Vers 29 b). Auch konnte ein solcher sich auf den Kaiser berufen, d. h. verlangen, daß seine Sache unmittelbar vor dem Richterstuhl des römischen Kaisers entschieden werde (Kap. 25, 10-12). Dieses Bürgerrecht besaß Paulus. Unser Text erzählt uns: wie er es bekommen hatte, welchen Gebrauch er davon machte, und welche Wirkung dadurch erzielt wurde.

I.

Erlangt hatte Paulus das Bürgerrecht nicht durch irgendwelche Bemühungen. Er hatte es ererbt (Vers 28). Schon von Kindesbeinen an besaß er es.

Darin dürfen wir eine Fürsorge Gottes erblicken, der im Leben des Apostels alle Umstände im Blick auf seinen späteren Beruf leitete. Wie die Bildung, die ihm zuteil wurde, so mußte auch das angeborene römische Bürgerrecht zur Erfüllung seiner späteren Aufgaben dienen.

Laßt uns die Vorsehung Gottes, die sich im Leben seiner Kinder erweist, anschauen, und unsern Glauben dadurch stärken.

II.

Wie gebraucht Paulus dieses Bürgerrecht?

Die mit demselben verbundenen Vorrechte brachten für den Besitzer die Gefahr des Stolzes und falschen Selbstbewußtseins mit sich. Wie konnte man da verächtlich herabsehen auf die, welche dieses Recht nicht hatten. Selbstverständlich hat Paulus seinen Vorzug nicht in diesem Sinne mißbraucht. Er ließ nie da und dort prahlerisch durchblicken, daß er römischer Bürger sei. Nur da, wo die Umstände es rechtfertigten, machte er von diesem Vorrecht Gebrauch. Hier, wo er widerrechtlich gegeißelt werden sollte, nachdem er schon körperliche Mißhandlungen durch den Volkshaufen erfahren hatte (Kap. 21, 30 - 32), machte er sein römisches Bürgerrecht geltend.

Eigensinnige und rechthaberische Menschen, die immer wieder ihr eigenes Recht - nötigenfalls mit Gewalt - durchzudrücken versuchen, haben kein Recht, sich auf diese Stelle und das Beispiel des Paulus zu berufen.

Andererseits dürfen Jünger Jesu hier lernen, daß sie kein unnötiges Märtyrertum auf sich zu nehmen brauchen. Es gibt Fälle genug, wo sie sich still und duldend - ohne zu widersprechen - verhalten müssen. Das Wort Jesu: ,,Daß ihr nicht widerstreben sollt dem Übel" (Matthäus 5, 39), behält voll und ganz seine Gültigkeit. Paulus hat dies gewiß befolgt.

Hier aber, wo er, ohne einen andern zu schädigen und zu verletzen, unnötige Qualen vermeiden konnte, tat er dies. So dürfen auch wir, wenn wir in der Liebe bleiben, andere auf ein Unrecht hinweisen und von dem uns zustehenden Recht Gebrauch machen. Laßt uns nur zusehen, daß wir dies, so wie Paulus, nicht in Zorn und in fleischlicher Erregung, sondern in gebührender Weise tun. Laßt uns in Pauli Fußstapfen treten, wie er Jesus nachfolgte (Johannes 18, 23).

III.

Die Wirkung des Hinweises auf das römische Bürgerrecht äußert sich in einem heilsamen Erschrecken des Oberhauptmannes. ,,Der Oberste hatte einen Schrecken bekommen, als er erfuhr, daß er ein römischer Bürger sei, und weil er ihn hatte fesseln lassen" (Übersetzung Menge).

Er sah ein, daß er voreilig gehandelt habe. Er wußte nun, daß der vermeintliche Übeltäter nicht wie irgendein Sklave behandelt werden durfte, sondern unter besonderem Schutz der römischen Staatsgesetze stehe. Er mußte befürchten, daß die ganze Angelegenheit wegen der Überschreitung seiner Befugnisse für ihn üble Folgen haben könne. Dieses Erschrecken war heilsam und gut. Es machte ihn behutsam und vorsichtig in der ferneren Behandlung seines Gefangenen.

Auf Menschen, die wenig oder gar kein geistliches Verständnis haben, macht auch heute noch der Hinweis auf eine bestehende Rechtsordnung - etwa die Erwähnung eines gewissen Gesetzesparagraphen - mehr Eindruck als alles andere. Was jede höfliche Bitte und jede sittliche Belehrung nicht bewirken könnte, das bringt bisweilen ein Hinweis auf ,,das römische Bürgerrecht" in einem Augenblick fertig.

Welch ein Vorzug war doch das römische Bürgerrecht! Nicht jeder von uns kann solch äußeren Vorzug erlangen. Aber ein anderes Bürgerrecht, das unendlich wichtiger ist als jenes, besitzt jeder wahre Christ im Glauben. ,,Unsere Gemeinde, in der wir das Bürgerrecht haben, ist in den Himmeln" (Philipper 3, 20; Übersetzung Schlatter). So rühmt der Apostel, der sein römisches Bürgerrecht nur selten hervorkehrt. Wenn schon ein römischer Bürger angesehen war und nicht angetastet werden durfte, wenn er den Schutz des großen römischen Weltreiches genoß, wie viel höher steht dann ein wahrer Untertan und Bürger des unbeweglichen Reiches (Hebräer 12, 28). Wohl allen, die dieses ewige Bürgerrecht besitzen und achthaben, daß sie desselben nicht verlustig gehen.

 

Apg 22,30 A.Christlieb Das unerschrockene Auftreten des Paulus vor dem Hohen Rat. Apostelgeschichte 22, 30; 23, 1.

Als Paulus von dem Oberhauptmann vor den Hohen Rat gestellt wurde, hatte er viel Grund, ängstlich zu werden.

Vor ihm stand die oberste Gerichtsbehörde seines Volkes. Da waren die Männer beisammen, die einst Jesus und Stephanus verurteilt hatten. Er wußte als früheres Mitglied dieses Kollegiums genau, welchen Haß sie gegen seinen Glaubensstandpunkt einnahmen. Seine Lage war nicht rosig.

Dennoch war er mutig und getrost. Das sehen wir in dem Blick seiner Augen und den Worten seines Mundes. Nicht scheu und furchtsam blickte er auf die Versammelten, sondern ,,er sah sie fest an" (wörtliche Übersetzung).

D i e s e r B l i c k d e s P a u l u s i s t b e a c h t e n s w e r t. Er zeigt uns, wie völlig sicher er seiner Sache war. Keinen Augenblick wurde er schwankend im Blick auf die Richtigkeit des ihm befohlenen Weges. Auch die Macht und das Ansehen der hohen Behörde machten ihn nicht irre. - Was sind sterbliche Menschen für einen wahren Knecht Christi! (Jesaja 51, 12. 13; Psalm 56, 5. 12; Hebräer 11, 27; 1. Könige 17, 1; 2. Könige 3, 13. 14).

Wo lag das Geheimnis dieser Unerschrockenheit bei Paulus? Das zeigen uns seine ersten Worte: ,,Ich habe mit allem g u t e n G e w i s s e n gewandelt ..." Wer ein gutes Gewissen hat, der darf auch vor die höchste Behörde ruhig und getrost hintreten. Das zeigt uns ein Luther in Worms. Wer aber von einem schlechten Gewissen verklagt wird, den können die schwächsten Menschen in Angst bringen.

Laßt uns auf das gute Gewissen acht haben! (Kap. 24, 16; 2. Korinther 1, 12; 1. Timotheus 1, 19; 3, 9; 4, 2; Titus 1, 15; 1. Petrus 3, 16; Hebräer 13, 18).

Dann wird Gottes Gnade auch uns zur rechten Stunde die nötige Unerschrockenheit verleihen, die sich von der Dreistigkeit und Frechheit des natürlichen Menschen wie der Tag von der Nacht unterscheidet.

 

 

Entnommen aus „Life is Morehttp://www.life-is-more.at/index1.php