Apostelgeschichte 15,36-41
Erfolgreich scheitern
Der folgende Beitrag ist dem Buch von Michael Herbst “Reden vom
heruntergekommenen Gott” entnommen – Abdruck mit freundlicher Erlaubnis des
Aussaat-Verlags
Kennen Sie die Renault-Werbung für diese familienfreundlichen
Großraumlimousinen? Man sieht etwas anderes, als man hört. Man sieht: eine
glückliche Familie auf der Urlaubsreise, lächelnde Menschen, friedliche Kinder,
sonnendurchflutetes Auto. Die Botschaft ist klar: So geht es euch mit diesem
Super-Auto. Man hört dagegen eine Durchschnittsfamilie mit Zoff im Auto: Die
Kinder giften sich an: „Du stinkst!” „Nein, du stinkst, nänenanenäna.”
Die Frau grantelt: „Super-Urlaub, ich lass mich
scheiden.” Auch dazu ist die Botschaft klar: So geht es euch ohne unser
Super-Auto.
Man könnte den Spot aber auch ganz anders lesen: Die Bilder zeigen, was wir uns
wünschen – nämlich Harmonie und Frieden, freundliche Menschen, die gerne
beieinander sind, wo einer auf den anderen Rücksicht nimmt, eine Gemeinschaft
voller Fröhlichkeit. Die Worte dagegen zeigen, wie es in Wahrheit ist: Zoff und
Ärger, zuerst kommt Ego.
Aus der Spannung kommen wir offenbar nicht heraus: Auf der einen Seite sind wir
darauf angelegt, in Gemeinschaft zu leben. In der alten Geschichte vom Anfang
der Welt heißt es, der erste Mensch sei unendlich unglücklich und einsam
gewesen, bis Gott ihm ein Gegenüber schuf, das zu ihm passte. Vollständig
Mensch, so meint es diese alte Geschichte, ist der Mensch erst mit dem
Mitmenschen. Allein geht er ein. Auf der anderen Seite tun wir uns gegenseitig
weh, und zwar umso mehr, je näher wir einander kommen. Martin Walser beschreibt
z.B. die Ehe im Bild zweier Chirurgen, die einander gegenseitig operieren, ohne
Narkose natürlich, und deren Kunst darin besteht, sich immer besser kennen zu
lernen, d.h. immer besser zu wissen, wo es wehtut.
Das ist die Ausgangssituation für unser Thema: der tiefe Wunsch nach
Gemeinschaft, nach Gespräch und Austausch, nach gegenseitiger Hilfe und
gemeinsamer Freude, nach Wärme und Geborgenheit, und die bittere Erfahrung,
dass es das offenbar nicht gibt ohne Streit und Konflikt, ohne
Auseinandersetzung und Enttäuschung, ohne Schuld und Verletzung.
In der Gemeinschaft mache ich einen besonderen Selbsterfahrungskurs:
Ich lerne mich kennen. Das ist ja eine besondere Form der Drohung: Du sollst
mich noch kennen lernen. In der Gemeinschaft muss es heißen: Du sollst dich
noch kennen lernen! Und zwar von einer Seite, die uns, wenn wir ehrlich sind,
nicht nur gut gefallen kann. Da schauen wir in den Spiegel und sehen nicht mehr
bloß den hilfsbereiten, gesprächsfähigen, netten Menschen, der zu sein wir uns
doch Mühe geben. Wir sehen auch das hässliche, streitsüchtige, eigensinnige, ich-besessene andere Gesicht und merken: Wir selbst sind
es, die oft genug kaputt machen, was sie lieben, die zutiefst gemeinschaftsunfähig
sind.
Beispiele könnte wohl jeder von uns in Hülle und Fülle aufbieten: Unsere
Beziehungen am Arbeitsplatz könnten davon etwas verraten, unsere Kinder könnten
Geschichten erzählen, traurige und wütende, unsere Ehepartner können etwas
davon verraten. Robert Schumann, der französische Außenminister, der nach dem
Krieg die deutsch-französische Aussöhnung vorantrieb, wurde einmal gefragt,
warum er nie geheiratet habe. Er erzählte, er habe einmal vor langer Zeit an
der U-Bahn einer fremden Dame versehentlich auf den Fuß getreten. Bevor er sich
entschuldigen konnte, kreischte sie ihn an: „Du Trottel, kannst du denn nicht
aufpassen, wo du hintrittst!“ Dann erst habe sie ihn angesehen, sei errötet und
habe gestammelt: „O entschuldigen Sie bitte, ich habe gedacht, es wäre mein
Mann!” In der engsten Beziehung vermögen wir einander am heftigsten zu
verwunden. Da schlägt tiefe Zärtlichkeit um in Zorn, dann in Respektlosigkeit
und Verachtung.
In der Bibel wird auch von solchen Erfahrungen berichtet. Es ist keine Geschichte
nach dem Motto: Ja, ja, so geht es in der Welt zu, aber bei uns Christen ist
alles viel besser. Es ist keine Geschichte, die denen, die an sich und ihren
unbewältigten Konflikten leiden, zumutet, nun auch noch einen Blick in eine
heile Welt zu tun, die für sie doch unendlich weit weg ist. Lukas, einer der
Chronisten der ersten Christengemeinden, erzählt von zwei Freunden. Der eine
heißt Paulus, ist ein gelehrter Jude und römischer Bürger, er kam erst spät mit
dem Glauben der Christen in Kontakt. Das aber stellte sein Leben auf den Kopf.
So leidenschaftlich er früher die Christen bekämpfte, so leidenschaftlich warb
er jetzt als Reisender in Sachen Jesus Christus für diesen Glauben. Er bereiste
die gesamte damals bekannte Welt rund um das Mittelmeer und gründete
christliche Gemeinden. Der andere hieß Josef Barnabas, ein reicher Jude aus
Zypern. Barnabas war auch irgendwann Christ geworden, und er fand den Mut zu
einem ziemlich radikalen Schritt: Er verkaufte sein Hab und Gut und stellte das
Geld der christlichen Gemeinde zur Verfügung. Diese beiden fanden irgendwie
zueinander; zusammen wurden sie auf die Reise geschickt, um zu predigen und
Gemeinden zu gründen. Zusammen erlebten sie, wie sich Juden und Heiden für den
neuen Glauben entschieden. Zusammen erlitten sie bittere Niederlagen, wurden
ins Gefängnis geworfen und aus den Städten gejagt. Zusammen kämpften sie in der
jungen Christenheit darum, dass es keine Schranken mehr geben dürfe. Jeder
Mensch solle ohne Bedingungen und Vorleistungen dazugehören dürfen und sich von
Gott geliebt und angenommen wissen. Zusammen freuten sie sich über den
Durchbruch in dieser Sache bei einer ersten großen Konferenz der Christen in
Jerusalem. Die beiden waren also wie Pech und Schwefel. Das war kein
Zweckbündnis auf Zeit, das war keine unfreiwillige Arbeitsgemeinschaft – da war
eine tiefe Verbindung aus gemeinsam Erlittenem und geteilter Leidenschaft.
Diese beiden saßen nun in der Stadt Antiochia und
planten die nächste große Reise: Sie wollten schauen, wie es den Gemeinden denn
nun gehe. Und da kommt es zum Bruch. Es geht um keine große Sache, es geht um
eine Beziehungskiste. Es geht um einen jungen Mitarbeiter, Johannes Markus, der
sie auf der ersten großen Reise im Stich gelassen hatte. Barnabas sagt: Der
muss doch eine zweite Chance kriegen! Paulus dagegen bleibt beinhart: Kommt
nicht in Frage, wir können uns nicht noch so eine Pleite leisten. Wir müssen
uns auf jeden verlassen, der mit auf die Reise geht. Der nicht!
Nun ist klar, das ist ja eine fromme Geschichte; wir wissen, wie es weitergehen
müsste: Sie haben sich tüchtig die Meinung gesagt und dann doch geeinigt. Sie
haben eine Weile miteinander gestritten, dann hat einer von beiden voller
Einsicht nachgegeben. Sie haben wahrscheinlich innig gebetet und sind sich dann
reumütig in die Arme gefallen. So müsste es doch weitergehen, und wenn sie
nicht gestorben sind, dann...
Doch genau so geht es nicht weiter. Sie geraten scharf aneinander, heißt es da.
Zoff in der Gemeinde, unfreundliche Reden, scharfe Worte, erhitztes
Gegeneinander – und am Ende: die Trennung. Eine Geschichte ohne Happyend:
Paulus geht seiner Wege und reist mit einem neuen Mitarbeiter nach Norden,
Barnabas schnappt sich den Johannes Markus und reist nach Westen, in die
zypriotische Heimat. Sie haben sich, soweit wir wissen, nie wieder getroffen.
Paulus wird später in Rom wegen seines Glaubens eingekerkert, die Spur des
Josef Barnabas verliert sich in Zypern. Keine Aussprache, keine Versöhnung.
Stattdessen: Scheitern im Streit, Scheidung als Ende eines gemeinsamen Weges.
Und so etwas steht in der Bibel.
Nun könnte man aber doch wenigstens annehmen, dass das christliche Management
sich blitzschnell und in aller Deutlichkeit von den beiden distanziert. Aber
auch davon hören wir nichts. Aber raten und denken könnten wir, dass sich
wenigstens der oberste Chef der beiden von ihnen distanziert, dass es ein
himmlisches Donnerwetter gibt und die beiden ein höllisches Feuer erwartet. Ist
er es nicht, der aufpasst, was wir tun, ist er es nicht, der kleine Sünden
sofort straft, größere etwas später? Ist er es nicht, der als oberster
Polizeibeamter an jedem Tatort zu finden ist, sorgsam alle Verfehlungen notiert
und uns irgendwann spüren lässt, dass wir unser Leben verfehlt haben? So denken
wir uns doch, wenn wir ihn uns denken. Er ist es, der den Guten belohnt und den
Bösen bestraft. Oder nicht?
Paulus und Barnabas leben davon, dass Gott so nicht ist. Paulus war ein Mensch,
der gelernt hat, in den Spiegel zu gucken. In einem seiner Bücher schreibt er
das auf: „Das Gute, das ich tun will, tue ich nicht; aber das Böse, das ich
nicht will, das tue ich“ (Röm 7,19). Und ist das nun
das Ende einer christlichen Laufbahn? Auch das hat Paulus durchdacht, und im
Blick auf das, was Gott von sich zu erkennen gegeben hat, sagt er: Wir
unterschätzen Gott, wenn wir meinen, er könne nur die Braven und die Guten
lieben. Nein, Gott macht vor, was es heißt, den Feind zu lieben. Gott tut es
weh, es schmerzt ihn, wenn seine Menschenkinder einander so wehtun und nicht im
Frieden miteinander auskommen. Die Scheidung zwischen den beiden Freunden tut
ihm weh, so wie ihn unsere Unfähigkeit zur Gemeinschaft schmerzt.
Aber er spielt das Spiel nicht mit: Er ist nicht so wie wir. Er lässt sich
nicht von uns scheiden. Im Gegenteil: Er unternimmt alles, um uns wieder auf
die Beine zu helfen, wenn wir gefallen sind. Wenn wir es mit ihm zu tun
bekommen, dann bekommen wir es mit dem Einen zu tun, der sich nicht von uns
scheiden lässt. Und wenn er um unser Vertrauen wirbt, dann nicht, um uns vorzuhalten,
wie viel in unserem Leben durch eigene und anderer Menschen Schuld
danebengegangen ist.
Dies ist übrigens keine fromme Spekulation. Es gibt eine Spur dieser Liebe
Gottes in der Welt. So nämlich feiern wir Weihnachten seinem ältesten Sinn
nach: weil Gott sich tief herabgebückt hat, weil er in der hilflosen Gestalt
eines Kindes auf diese Erde gekommen ist. „Ich überlasse euch nicht eurem
Schicksal – ich komme zu euch.“ Das ist die Botschaft des Weihnachtsfestes.
Was bedeutet das für unsere Geschichte? Paulus und Barnabas werden gewusst
haben, wie sehr sie den Willen Gottes mit Füßen getreten haben. Sie werden auch
getrauert haben um ihre Freundschaft. Aber sie haben erfahren, dass Gott sie
nicht abgeschrieben hat. Und damit werden die beiden zu einem Modell: Auch mit
Schuld und Scheitern sind wir bei Gott nicht abgeschrieben.
Gott ist der Eine, der uns kennt bis in die letzten Winkel unseres Herzens, der
unsere Stärken kennt, aber auch unsere Abgründe, und der uns dennoch nicht
verachtet und nicht ablehnt, der uns liebt mit unserer Geschichte und unseren
Geschichten. Wer das erlebt, bei dem wird sich auch etwas tun. Die alten
Geschichten können ausheilen. Und ein neues Zutrauen kann entstehen: Ich kann
mich wieder auf Menschen einlassen. Ich weiß, wie sie sind, und ich weiß, wie
ich bin. Aber ich habe eine Quelle der Kraft: Ich lerne es, dem anderen die
Hand entgegenzustrecken und den ersten Schritt zu tun. Und ich spüre, wie gut
das tut. Ich schäme mich, wenn ich daran denke, wie ich unsere Gemeinschaft
beschädigt habe. Ich lerne, meine Meinung zu sagen und auszudrücken, was ich
brauche; und ich lerne von dem großen Bergprediger, auch dem anderen zu gönnen,
was ich mir selbst erhoffe.
Ich lerne aber auch, den anderen zu sehen mit dem, was er braucht. Nicht eine
Gemeinschaft ohne Streit ist das Ziel, im Gegenteil. Ich werde immer ganz
nervös, wenn mir ein Brautpaar erzählt, es hätte sich noch nie gestritten. O
nein, Streiten muss sein, und ein Streit, der die Atmosphäre klärt, in dem die
Dinge nicht länger unter den Teppich gekehrt werden, der verbindet. Streiten
muss sein, aber ein Streiten, in dem wir den Respekt füreinander nicht
verlieren und das Augenmaß, ein Streiten, das einen gemeinsamen Weg sucht und
nicht einen Sieger und einen Besiegten.
Ich erfahre, wie Gott mein Versagen nicht aufrechnet, sondern mein
Schuldenkonto wieder ausgleicht, und ich lerne ganz allmählich, auch dem
anderen nicht wie ein Staatsanwalt die Verschuldungen der letzten Jahre hinterherzutragen. Dann werden wir immer noch aneinander
schuldig, und unser Bild voneinander wird ganz nüchtern. Aber die Schuld muss
uns jetzt nicht mehr voneinander scheiden. Wir lernen, einander zu verzeihen,
wie wir es selbst brauchen, dass uns Verzeihung widerfährt.
Professor Dr. Michael Herbst, Greifswald
Impulse zur Veranschaulichung für Kinder und Erwachsene:
· Kurzen Rückblick auf die 1. Missionsreise geben (wenn möglich mit Landkarte).
Wir staunen, dass Paulus Orte wie Lystra und Derbe
wieder besucht, trotz massiver Probleme beim ersten Besuch.
· Man kann ebenfalls staunen, wie Gott aus dem Streit von Paulus und Barnabas
noch Gutes macht, indem nachher zwei Teams statt einem in verschiedene
Richtungen los ziehen.
· Veranschaulichung zu V. 6-8: Einer soll mit verbundenen Augen durch einen
Parcours mit Hindernissen geführt werden. Ein anderer sagt ihm, wie er gehen
muss, während die übrigen Besucher ihn irritieren und ablenken – vielleicht
sogar falsche Dinge einsagen. Es kommt darauf an, auf die richtige Stimme zu
hören! Um Gottes „Stimme“ zu hören, muss man manchmal andere Stimmen
ausschalten (Radio, PC …) und sich Zeit zur Stille nehmen.
(aus dem Gemeinschaftsblatt der Apis http://www.agv-apis.de/main.jsp?navid=707
)