Richter 16, 15-22 Predigt
Bibelarbeit Andacht
Hannover, am 14.09.2003
(St. Johanniskirche Bemerode) |
Liebe Gemeinde!
Einer ungewöhnlichen Beziehungsgeschichte eines Mannes und einer Frau, die in
der Bibel berichtet wird, möchte ich mich heute mit Ihnen annähern, der
Geschichte von Simson und Delila.
Um sie uns noch ein wenig näher rücken zu lassen, stelle ich mir vor, wie es
wäre, wenn diese Geschichte sich heute ereignen würde. Dann müsste sich etwa
Folgendes zutragen: Der Anführer einer jüdischen Kampftruppe, von Geburt an zum
Kampf und zur Selbstbehauptung gegen die feindlichen Palästinenser erzogen, ein
draufgängerischer Mann mit ungewöhnlichen Kräften, begegnet bei einem Einsatz
einer palästinensischen Frau, in die er sich verliebt und an die er sein Herz
verliert.
Eine Liebe über den abgrundtiefen Graben zweier verfeindeter Völker hinweg.
Kann das gut gehen? Ist sie nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt? Und
doch hält sich die Liebe nicht unbedingt an von Menschen gesetzte Grenzen,
sondern oft genug überschreitet sie die Grenzen der nationalen und religiösen
Identität.
Das genau ist die Situation der Liebe zwischen Simson und Delila.
Sie ereignete sich in der Zeit, als die israelitischen Stämme sich in dem Land
Israel festsetzen wollten. Simson gehörte zum Stamm Dan, der westlich von
Jerusalem zwischen dem Gebirge und der Küstenebene Fuß zu fassen versuchte. Und
dabei stießen sie auf die erbitterte Abwehr der Bewohner der Küstenstädte, der
Philister, die sich vom Mittelmeer kommend etabliert hatten, die Vorfahren der
heutigen Palästinenser. Und ähnlich erbittert wie heute tobte der Kampf. Die
Bundeslade der Israeliten war geraubt, das Heiligtum in Silo zerstört, die
Männer des Stammes Dan entwaffnet.
Simson wird als Mann gezeichnet, der vor Männlichkeit strotzte. Ein
Draufgänger, mutig bis hin zur Leichtfertigkeit, der keinem Streit aus dem Wege
ging. Ein Mann von ungewöhnlicher Körperkraft und sicher einem entsprechenden
Körperbau. Entspricht er nicht in vielem dem Männlichkeitsideal, dem Männer zu
entsprechen suchen: gut gebaut, muskulös, mutig, stark, cool, lässig, wild und
ungebunden? Sicher allzu machohaftes Gehabe ist bei den Frauen auch nicht
angesagt. Aber ein Mann, der Stärke und Durchsetzungsfähigkeit verkörpert, ist
durchaus anziehend.
Diese Stärke hatte allerdings noch eine andere Seite: Simson war ein Gott
Geweihter, ein Nasir, dem zum Zeichen der Weihe die
Haare nicht geschnitten werden durften. Er hatte also einen langen Haarschopf.
Und er war von Geburt an einer heiligen Sache verpflichtet. So hatten es die
Eltern angekündigt bekommen und in dieser heiligen Pflicht hatten sie den Sohn
erzogen.
Bei aller Stärke hatte Simson aber offenbar eine große Schwäche. Er hatte einen
Hang gerade zu Frauen des verfeindeten Volkes. Die Schönheit der
Philisterfrauen zog ihn unwiderstehlich an. Und offenbar war seine Sinnlichkeit
genauso schwer zu steuern, wie seine physische Kraft.
Wohl gegen die Bedenken der Eltern heiratete er eine Frau aus dem verfeindeten
Volk. Über den Rat der Angehörigen setzte er sich hinweg. Er hörte nicht auf
den Einwand der Vernunft. Er folgte seinem inneren Antrieb. Was muss das für
eine Begegnung der beiden Sippen gewesen sein, von der wir eben in der Lesung
gehört haben! Schon die Hochzeit endet mit einem Eklat. Seine Frau verrät die
Lösung des von ihm gestellten Rätsels. Verärgert muss er die versprochene
Belohnung beschaffen. Die versprochenen Festkleider raubt er bei Unschuldigen,
die er in seinem Zorn tötet. Der Brautvater spricht die Tochter danach dem
Brautführer zu. Wieder kommt es zu einem Racheakt. Simson vernichtet deren
Ernte, indem er Füchse mit angezündeten Schwänzen durch die Felder jagt.
Doch Simson wird aus dieser Erfahrung nicht klug. Seine Schwäche bringt ihn
wieder in Unannehmlichkeiten. Warum verfällt er immer wieder dem Reiz der
fremden Frauen? Der Umgang mit einer Tempelprostituierten in Gaza wird ihm fast
zum Verhängnis. Doch er entkommt den Soldaten, die ihn fassen wollen und hebt
nebenbei die Flügel des Stadttores aus den Angeln und trägt sie fort.
Doch dann tritt eine Frau in sein Leben mit Namen Delila.
In der Beziehung zu ihr schwingt bei Simson offenbar mehr mit. Delila ist die erste Frau im Leben des Simson, von der es
heißt, dass er sie liebte. Während er von seiner Ehefrau nur sagte "sie
gefällt meinen Augen", heißt es nun "danach gewann er ein Mädchen
lieb". War bei den Frauen vorher nur die Sinnlichkeit und das sexuelle
Begehren im Spiel, so kommt es bei ihr zu einer tiefen Bindung des Herzens.
Aber wird diese Liebe auch erwidert? Hat sie eine Chance, wenn sie den Graben
einer tiefen Fremdheit, ja Feindschaft zu überwinden versuchen muss, der
zwischen der Religion, der Kultur, der Sprache, der nationalen Identität des
anderen besteht?
Ist die Liebe, die Bindung des Herzens an das Herz eines anderen nicht immer
der Versuch eines Brückenschlags über einen Abgrund hinweg? Muss nicht der
Graben der Angst überwunden werden, der Angst vor dem anderen, der Angst, er
könnte es nicht wirklich ernst meinen, er könnte die Liebe verraten, der Angst,
vom anderen enttäuscht und in der Tiefe verletzt zu werden? Aber ist nicht die
Kraft der Liebe auch die einzige Chance, solche Gräben zu überwinden und
miteinander vertraut zu werden?
Liebe lebt von dem Vertrauen. Liebe ist ein Öffnen des Herzens für den anderen.
Und darauf spricht Delila Simson an:
Im Buch Richter, Kapitel 16, 15 - 22 wird berichtet:
(Predigttext)
Delila stellt Simsons Liebe zu ihr in Frage. Wie
kannst du behaupten mich zu lieben, wenn du mir kein Vertrauen schenkst? Mit
diesem Vorwurf setzt sie Simson unter Druck, bringt ihn in Zugzwang. Diesem
seelischen Druck kann er nicht widerstehen.
Lässt es Simson nicht aufmerken, wie Delila versucht,
in sein Herz gewaltsam einzudringen? Weckt das nicht seinen Widerstand, wenn
sie das Vertrauen von ihm fordert? Hätte Simson nicht misstrauisch werden
müssen, nachdem sie das ihr Anvertraute schon dreimal preisgegeben hat? Macht
ihn die Liebe blind? Oder überträgt er etwas auf Delila,
ein Bild, das aus seinem Inneren stammt? Projiziert er seine Vorstellung auf
sie und nimmt sie selbst gar nicht wahr? Nimmt er nicht wahr, dass bei ihr
Absichten und Interessen im Spiel sind, die sich mit wirklicher Liebe nicht
vertragen? Oder Ist er dieser Frau verfallen, ihr hörig geworden? Haben seine
Gefühle seinen Verstand ausgeschaltet?
Gibt Simson etwas von sich aus der Hand, woran kein anderer rühren darf, was
nur er ganz allein zu verantworten hat, seine innerste Berufung, seine heilige
Pflicht? Nirgends sind wir verletzlicher, als wenn wir uns jemandem anvertrauen
mit unserem Innersten. Und wie tief kann es uns erschüttern, wenn das
Anvertraute preisgegeben wird!
Und das geschieht durch Delila. Sie schützt das
Anvertraute nicht mit ihrer Liebe. Delila verrät die
Liebe. Sie lässt sich missbrauchen für das politische Ränkespiel der Fürsten
ihres Volkes. Sie lässt sich kaufen und als Köder missbrauchen, um das
Geheimnis ihres Geliebten zu entlocken und die Stelle zu finden, an der er zu
besiegen ist. So wird Delila zu einer Mata Hari der Bronzezeit und die
Liebe wird verkauft, verzweckt, benutzt als
politisches Instrument. Die Schwäche des Simson wird ihm zum Verhängnis. Der
starke Simson wird besiegt durch die Macht einer Frau. Die Kraft der Anziehung
zwischen beiden wird missbraucht, um in die Falle zu locken.
Es ist eine tragische Beziehung, die auch tragisch endet. Die verletzte Liebe
endet in einem Gewaltakt, der viele in den Tod reißt. Als Simson bei der
Siegesfeier der Philister vorgeführt werden soll, reißt er die tragenden Säulen
der Halle um und bringt sie zum Einsturz. Dabei kommt auch er selbst ums Leben.
Die tiefe Bindung an eine Frau, die eigentlich schöpferische Kraft des Lebens
sein sollte, wird pervertiert, kehrt sich um zur zerstörerischen und selbst
zerstörerischen Kraft. Aus der Liebesgeschichte wird eine Hassgeschichte.
Beide, Simson und Delila scheitern an der Liebe.
Simson, weil er offenbar nur mit seiner starken, aktiven Seite vertraut ist. Im
Umgang mit seinen Gefühlen, mit den weiblichen Anteilen in ihm selbst,
erscheint er unsicher, abhängig. Und Delila, die ihm
dazu verhelfen könnte, missbraucht sein Vertrauen, erwidert die Liebe nicht in
gleicher Weise, sondern verrät sie.
Kein Happy End hat diese Geschichte. Sie entlässt uns nicht beruhigt, sondern
führt uns vor Augen, dass diese Grundkraft des Lebens auch zerstörerisch werden
kann, statt Mann und Frau zu vereinen und zusammen zu halten über alles
Trennende hinweg kann sie auch in einen Kampf gegenseitiger Vernichtung führen.
Da, wo die Vertrauensbasis zerbricht, wo Liebe enttäuscht wird, kommt es oft
genug zu solchen zerstörerischen Folgen.
Diese Geschichte zeigt einen der Gefahrenaspekte der Beziehung von Mann und
Frau. Sie zeigt, dass eine Liebe scheitern muss, wenn sie nicht beiderseitig
echt empfunden wird, dass Liebe unbedingt ist und aufs Ganze geht, beide
Partner ganz fordert. Sie darf nicht berechnenden Motiven ausgeliefert werden
und verträgt keine Doppelbödigkeit.
Zum Glück gibt es auch gelingende Beziehungen. Beim Besuch der elterlichen
Heimat trafen wir ein Ehepaar, deren Liebe die Zeit der Verfeindung und des
Krieges ihrer Herkunftsländer durchstanden hatte. Sie war Deutsche, er Pole.
Beide wurden damals angefeindet von ihren Landsleuten. Doch ihre Liebe war
stark genug.
Die alttestamentliche Geschichte findet offenbar Gefallen an den Verlusten, die
Simson den Feinden zufügt. Sie trauert nicht um eine betrogene Liebe. Das, was
sie kritisch anmerkt, ist, dass Simson in seiner Leichtfertigkeit von der
göttlichen Kraft verlassen wird. Wenn Liebe preisgegeben wird, dann spüren wir,
dass etwas Grundlegendes verletzt wird, verkehrt wird. Die vertrauensvolle
Beziehung von Mann und Frau ist eine tragende Grundbeziehung des Lebens. Was,
wenn sie erschüttert wird? Was kann vor den zerstörerischen Folgen einer
solchen Erschütterung bewahren? Nur ein tieferes Vertrauen, das auch dort noch
trägt, das uns Kraft gibt, zu vergeben und eigenes Versagen einzugestehen, weil
wir uns einer Liebe anvertrauen dürfen, die uns nicht enttäuscht, die zu uns
steht, mit der Gott uns begegnet.
Amen.
P.
Wilfried Teichmann (evangelisch) http://www.predigten.de/predigt.php3?predigt=3482