Psalm 92 , erstellt von Michael Strauch


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Der Gottesdienst sollte in 15 Minuten beginnen. Ein letztes Gespräch mit dem Organisten, einem jungen Mann und Orgelbauer von Beruf. Gut, ein Vorspiel zu einem kirchlichen Choral zu Beginn wäre schön. Der Gottesdienst beginnt. Die Orgel setzt ein. Stark, laut, majestätisch. Ich ertappe mich dabei, wie ich in den Klängen geradezu zu schwimmen beginne. Die Töne scheinen sich gegenseitig zu verfolgen, in einem musikalischen Rausch zu verfallen. Und ...mitten im Wirbel der Akkorde taucht die Melodie des Liedes auf, das wir als Gemeinde singen wollen. Doch schon taucht sie wieder ab, verliert sich, gewinnt wieder die Oberhand um am Ende klangdominierend, doch gefühlvoll und harmonisch die Gemeinde aufzufordern, das Lob Gottes gemeinsam zu singen. Das hebräische Wort „tow" meint eigentlich „gut" oder auch „schön". Luther übersetzte mit „ein köstlich Ding", weil er die Größe und Tiefe ahnte, mit der Gott, als er die Welt erschuf, sein Werk ebenfalls als „gut" bezeichnete.

Gott zu loben und zu preisen ist gut. Gut auch für den Menschen, weil es ihn fröhlich macht. Schön, weil es Gott ehrt, wenn man ihn lobt. Der Psalmist lobt Gott für seine Werke. Um Gott dafür zu loben, brauchen wir Muse und Ruhe. Darum wird dieser Psalm auch am Sabbath gesungen. Am Ruhetag, an dem der Schöpfer all seine Herrlichkeiten noch einmal besah und die Engel in Jubel ausbrachen. Wie schön hat Gott alles geschaffen: die Tiere, die Pflanzen, der Reichtum des Universums, die Pracht der Farben. Und wie schön hat Gott den Menschen geschaffen als sein Ebenbild. Und wie Gott will auch der Mensch als Ebenbild Gottes schöpferisch tätig sein. Und so läßt Gott durch die Menschen die Schönheit der Musik, die Pracht der Malerei und die Fingerfertigkeit und das Genie menschlicher Kunstfertigkeit entstehen. Der Christ darf sich daran freuen. Einfach nur freuen. Wer im Theater eine Oper hört, der möge sich freuen an der Stimmgewalt eines menschlichen Resonanzkörpers. Welch eine Kraft, gegen ein Orchester anzusingen. Alles muß Gott ehren. Darum hatten die Kirchenväter auch keine Probleme, Trinklieder mit frommen Texten zu versehen. Wer Gott für alles dankt und ihn preist, wer in der Kunst, in der Musik, in der Schöpfung Gottes Unterschrift begreift, der wird zum Lob getrieben. Der muß das Lob nicht terminlich festlegen. Der wird nicht neue Anbetungslieder gegen alte Kirchenlieder austauschen. Der ist offen für die Lobklänge der Orgel wie für die Seiten der Gitarre. Entscheidend ist, dass es meine Sinne ganz auf Gott ausrichtet und eine Freude sich in mir ausbreitet, die echt und unverfälscht ist.

Von Wundern sprechen auch die Menschen, die Gott nicht kennen. So haben Bücher und Fernsehsendungen Titel wie „Wunder der Technik", „Wunderbare Welt der Tiere" oder das „Wunder Mensch!" Gepriesen wird die Natur, gelobt der menschliche Geist und bestaunt, was sich in keine Kategorie einordnen läßt. Doch können wir von einem Wunder sprechen, wenn wir bedenken müßten, dass die Majestät eines Adlers nur das einstweilige Fertigprodukt von tödlichen Grabenkämpfen in der Geschichte der Tiere sind? Lehrt der Mensch nicht, lernen unsere Kinder in den Schulen nicht, daß das Wunder darin besteht, dass der Starke sich behauptet und der Schwache unterliegt? Muss man sich da nicht eher wundern? Der Psalmist hat recht: „Ein Törichter glaubt das nicht, ein Narr begreift es nicht!" Und weil das Wunder darin besteht, daß das Starke bewundert wird, so geschieht ein ständiger Kampf um Ruhm und Ehre. Und tatsächlich: Gott hat ihnen so schöne Gaben geschenkt, sie so meisterhaft geschaffen, dass sie im Lob der Fangemeinde grünen. Doch können sie nach den Gesetzen dieser Welt nur solange grünen, solange sie gesund und stark sind. Das Alter wird ihnen zum Feind mit seiner Gebrechlichkeit und dem Verlust von Schönheit, wie sie die Welt gerne haben will. So streben sie nach Ruhm, ein Leben lang. Sie weisen auf sich, statt auf den Schöpfer. Sie genießen den Applaus und ahnen, dass es damit ein Ende haben wird. Es ist nichts von Bestand. Die vermeintliche Unsterblichkeit findet in Büchern, CD`s und Filmen statt. Ihre Freude verstummt, ihre Fans suchen sich neue Idole. Nichts von dem hat Bestand.

Bestand hat nur, was Gott ehrt. Gott allein gebührt alle Bewunderung, alle Anbetung und alles Schaffen. Wer ihn dafür preist, wird zu seiner großen Lust feststellen, dass eine tiefe Freude sich in ihm breit macht. Eine Freude darüber, dass dieses Lob kein Ende hat. Das es wie ein Rinnsal beginnt in meinem irdischen Leben, dann mit den Jahren zu einem breiteren Strom wird mit all den Windungen, Klippen, Strömungen und Gefällen und einst einmündet in das gewaltige Halleluja Gottes. Glücklich der Mensch, der jetzt schon darin geübt ist. Glücklich der Mensch, der jetzt schon wie ein Baum, wie eine Zeder mit weitausladenden Ästen sein Leben ausstreckt, Gottes Lob in seinen Werken entdeckt und sich in ihm verwurzelt. Wer hier Gott lobt, der wird es sprichwörtlich ewig tun dürfen. Wer hier schon sich freut an Gottes Werken, der wird - um es neudeutsch zu sagen - ausflippen, wenn er im ewigen Leben Gott in seiner Schönheit sieht.

Wer hier schon auf Gott zählt, wird auch im Alter und über den Tod hinaus auf Gott zählen können. In Gottes Liebe zu leben bedeutet ein ununterbrochenes Wachsen, das mich näher zu Gott hinführt. Wer sich selbst zum Maßstab macht und zum Gegenstand der Verehrung, der wird spätestens im Alter erfahren, dass er gemäß der Natur verwelken wird. Amen.