Bibelarbeit über Psalm 73

von Michael Strauch



  1. Gliederung:



Bibelarbeit:


Christen sind oft der Meinung, dass ihr Leben, ihre Angebote und das, was sie täglich beschäftigt, das Nonplusultra des Lebens darstellt. Sie glauben, dass Lobpreisabende, Gottesdienste, Bibellesen etc. das schöne Leben pur ist und wer das nicht kennt, etwas wesentliches verpasst. Wenn dann Gottesdienste auch und vielleicht gerade für Christen sehr langweilig sind, kommt Panikstimmung auf und man sagt dann schnell: Da kann ich aber keinen „Nicht-Christen“ einladen. Nunächst sei gesagt, dass ich persönlich der festen Überzeugung bin, dass wir – was das Vergnügungsangebot in der Welt angeht, auf christlicher Basis nicht mithalten können. Jede noch so schöne Veranstaltung sei es von Pop-Events, sei es Teestubenarbeit oder mehr stehen Mega-Veranstaltungen der Welt gegenüber. Ich habe als begeisterter Leser schöngeistiger Literatur auch nur herzlich wenig wirklich gut geschriebene Literatur im evangelikalen Bereich entdecken können. Was das Vergnügen anbetrifft, so haben Nicht-Christen in der nichtfrommen Szene viel mehr Angebote, als wir es je bieten könnten. Das war mal anders, als christliche Kunst gefördert, gesehen und auch sehr geprägt hat. Heute ist die christliche Kunst sicher präsent, aber eher beschaulich in ihrer Wirkung und Umfang. Vielleicht gehört das einfach dazu, dass wir das einsehen müssen und auch sollten, dass es nichts nützt, viele Angebote dieser Welt ein frommes Vorzeichen zu setzen und es nachzumachen. Vielleicht wäre es besser, sich als Christ in dieser Welt und auch in den Angeboten sicher zu bewegen. Denn vieles in dieser Welt ist nicht gleich „weltlich“. Es ist also nicht unser Angebot an Veranstaltungen, die einem Nicht-Christen das Gefühl geben müßte, er verpasse etwas.


Eine zweite, vielleicht schmerzliche Korrektur unserer Sichtweise ist die des „Glücks“ oder auch anders ausgedrückt, des „gelungenen Lebens!“ Hier gibt es viele unausgereifte Vorstellungen und nicht selten eine paradoxe, innere Haltung. Zum Beispiel kann man mit dem Alten Testament oft nicht mehr viel anfangen und hebt die großen Linien des Neuen Testamentes hervor. Zugleich aber haben Christen zutiefst alttestamentliche Vorstellungen z.B. vom Segen. Segen heißt nicht selten auch materieller Segen: Ein eigenes Haus, ein oder besser zwei Autos, eine gute Arbeitsstelle für sie und ihn etc. So wie Hiob „alt und lebenssatt“ sterben, reich an Jahren, das wünscht man sich. Von Jesu Armut will man nicht gerne hören. Das „alles gehörte allen“ Prinzip von Jerusalem wird sehr schnell in die „ersten Jahre“ der Gemeinde verfrachtet, aber ansonsten sucht man permanent nach den Charismata der Urgemeinde.


Man könnte viele dieser paradoxen Beispiele weiterspinnen, wo immer doch nur eines deutlich wird: ich picke mir als Christ heraus, was für mich gut ist und was mir nützt. Ich schweige, wo ich reden sollte, weil es meinem Ruf im Ort schaden könnte. Ich arbeite mit, wo mein Gewissen dagegen spricht und spende Geld, aber nicht gute Taten. Ich lebe im Grunde genommen wie jeder Mensch auf dieser Erde auch, nur vielleicht etwas eingeschränkter in der Begewegungs-und Ansichtsfreiheit. Und wie schnell zeigt man dann mit Fingern auf einen, der diesen Radius überschritten hat. Und selbst ist man vielleicht gar nicht so weit entfernt davon.


Jesus hat dieses paradoxe, fromme Verhalten oft zu schaffen gemacht. Vermutlich gehört es einfach zu unserem Menschsein, dass wir uns Schlupflöcher suchen, Gesetzeslücken etc., um dem Anspruch Jesu doch etwas zu entgehen.


Und dann gibt es Christen, die wie dieser Psalmdichter ganz und gar mit dem Herrn leben wollen. Sie sind nicht vollkommen, sie machen Fehler, sie geraten in Schuld. Aber in ihrem Herzen sind es „Eiferer“ (Vers 3). Sie geben und setzen sich ein. Sie sind fest davon überzeugt, dass alles, was ich an Zeit, Geld und Kraft für die Sache Jesu opfere, vom Herrn tausendfach vergolten wird. Und dann erleben sie folgendes:


Je engagierter sie sich für den Herrn einsetzen, desto mehr werden sie angegriffen. Je mehr sie investieren, desto müder werden sie. Sie erleben immer mehr Momente der Kraftlosigkeit, sind nicht selten am Rande des Burnout, haben zu kämpfen mit vielen, vielen Enttäuschungen. Die Jünger haben es treffend ausgedrückt: „Wir haben alles verlassen um deinetwillen, was wird uns nun dafür?“ Bezeichnend die Jünger im Garten Gethsemane. So haben sie sich das alles nicht vorgestellt. Auch ein Paulus kennt viele düstere Momente in seinem Leben. Dem Herrn nachfolgen kann einem einen hohen Preis abverlangen. Ich meine, die kompromisslose, ehrliche und rückhaltlose Nachfolge Jesu. Eine Nachfolge, die ganz auf Jesu Worte setzt und sich nicht doch heimlich weltlicher Methoden bedient (Vers 15). Ich habe oft den Eindruck, dass viele Christen sehr schnell für alles einen Bibelvers, eine biblische Erklärung und einen Kurs haben. Wer aber Jesus bedingungslos nachfolgt, der – wie es im Lied heißt – riskiert seine Träume!


Ein zerplatzter Traum ist, dass man für die Nachfolge Lohn empfängt. Wenn schon nicht materiell, dann doch gesundheitlich. Der Psalmdichter sieht sich aber damit konfrontiert, dass er „geplagt wird“ und „gezüchtigt“. Es gab Tage, da hat er die Nase so voll gehabt, da wollte er genauso fest auftreten wie die Mensche, die der Erfolg erwählt hat. Aber sein Herz und sein Gewissen machten ihm auch hier einen Strich durch die Rechnung. Der Dichter – über kurz oder lang – muss die Erfahrung machen, dass auf den ersten Blick gesehen „der Ehrliche der Dumme“ ist. Der Ehrliche wird ausgenutzt, missbraucht und die Unehrlichen bereichern sich. Mehr noch, wer Erfolg hat, der gilt als jemand und je kleiner und unscheinbarer das eigene Leben wird, desto schwächer wird auch der Glaubende. Ein Teufelskreis? Und doch vom Herrn Jesus verheißen. Wir treten in seine Fußstapfen. Wir sind Jesu „Nach-Folger“. Aber, mal Hand auf`s Herz, wer wollte schon das Leben führen, das Jesus geführt hat?


Gewiss, wer in einer kleinen überschaubaren Welt zufrieden ist, der kann es auch als Christ. Wer aber gerade als Christ mit offenen, interessierten und teilnehmenden Augen durch diese Welt gehen, der wird beim Psalm 73 ausrufen: „So ist es, genauso empfinde ich es. Hier finde ich mich wieder!“


Nun, wer so empfindet, wer wirklich um Christi willen leidet, wer leidet an der vielen Ungerechtigkeit, an Scheinheiligkeit und vieler Kompromisse, wer sich sagt: war das jetzt alles in meinem Leben als Christ? Wer den Herrn hier nicht versteht, diesem gelten die Einsichten des Psalmisten. Und diese Einsicht ist dreierlei:


  1. Es ist letztendlich nicht vom Menschen zu begreifen. Wir werden nie wirklich verstehen, warum Gott so handelt, wie er handelt. Genauso wenig werden wir verstehen, warum Gott wirklich alle liebt. Wir können es bejahen, dran glauben, aber ausloten – niemals. Würde es nicht heißen, dass der Herr auch einen Millionenmörder Hitler und Stalin liebte? Für alle ist der Herr gestorben. Er liebt den Tyrannen und läßt ihn wirken und zugleich läßt der Herr es zu, dass in Thailand und Sri Lanka viele tausend Kinder ohne Eltern sind durch die große Flutkatastrophe (Winter 2004). Das dürfen wir nicht fromm zur Kenntnis nehmen, sondern ein wirklicher Jünger Jesu leidet auch unter diesem Umstand.

  2. Es ist auch Unsinn, ein Christ hätte ein materiell oder vergnügungsbezogen qualitativ besseres Leben. Im Gegenteil. Ein Christ und sein Gewissen müssen sich mit vielem auseinandersetzen. In einem Kinderlied heißt es treffend: Es ist oft schwer, als Christ in dieser Welt zu stehen...

  3. Der Psalmist macht es deutlich. Und seine Erkenntnis ist für uns heute vielleicht wenig einsichtig. Aber ich finde, so ist es: „...und merkte auf ihr Ende“! Das ist der entscheidende Punkt. Ein Beispiel möge es erläutern:


Ich traf vor kurzem einen alten Freund. Ich bin verheiratet und er lebt mit einer Lebensgefährtin zusammen. Ich muss viel arbeiten und habe oft wenig frei, er arbeitet vergleichsweise wenig und hat viel Freizeit. Es wäre beliebig weiterzuführen. Wir erzählten uns, wie es uns so geht. Und ich ertappte mich oft bei dem Gedanken: Der hat`s gut. Er lebt in den Tag hinein, wirkt fröhlich und aufgeräumt, macht Urlaub und geht seinen Hobbys nach. Kein Stress mit den Kindern, keine der vielen Fragen als Christ und schon gar keine Gewissensbisse. Er krönte seine Ausführungen mit dem Satz der berühmten französischen Chansonsängerin Edith Piaff:“Je ne regruette rien!“ (Ich bereue nichts). Er würde sein Leben genauso wieder leben.

Und ich dachte, ich könnte ihn überzeugen von meinem Leben als Christ. Aber ich fühlte mich klein, müde und ausgepumpt. Doch dann sagte ich zu ihm: „Aber weißt du, wenn ich mal sterbe, dann will ich nicht, dass auf meinem Grabstein mal steht, dass ich bürgerlich gelebt hätte“! Ich meine damit, dass mein Leben nicht so verläuft, wie es bei fast allen abläuft, nur unter unterschiedlichen Vorzeichen. Ich will, dass mein Leben einen Sinn hatte. Er meinte, ihm genüge es, einfach das Leben zu genießen. Diese Partie glaubte ich verloren zu haben und fuhr bald nach Hause.

Erst Wochen später kam eine Mail. Sie hat mich sehr bewegt. Dort schrieb er, dass ich sein bester Schulfreund sei, dass er diese Freundschaft pflegen wolle, dass er sich auch ändern wolle. Das „Lotterleben“ müsse ein Ende haben. Er wollte seinem Leben eine neue Richtung geben!

Ich war sehr erstaunt und dachte: ich muss als Christ gar nicht immer sagen, wie toll das Christsein ist. Sondern ich darf sagen, wie sinnvoll das Christsein ist. Und der Sinn kann nur darin bestehen, dass es für mein Leben einen Plan gibt. Und dieser Plan macht Sinn. Durch diesen Plan werde ich vom Herrn geführt, direkt an seiner Hand (V.23), sogar seiner rechten Hand, sprich dem handelnden Arm Gottes. Er gibt mir Rat, er führt mich, er leitet mich. Durch was? Durch einen Weg, der genau für den Jünger Jesu konzipiert ist. So kann es passieren, dass meine Beine oft schlottern in schweren Momenten (V.2). So kann es passieren, dass ich für einen Moment nicht weiter weiß, wo Nicht-Christen ihr Leben selber planen und alles zu wissen scheinen. Dann kann es passieren, dass ich mich losreißen will und selber prahlen will und zugleich mein Gewissen mich plagt und denken muss: Christsein ist nicht einfach. Es ist nicht einfach, sein Leben jemanden zu übergeben, den man nicht sieht. Antworten zu erfragen und abzuwarten ohne per Telefon, E-Mail oder Post etwas Schwarz auf Weiß zu bekommen. Es bleibt beim Leiten Gottes. Und nicht selten hat man nichts mehr in der Hand. Das Verstehen der Wege Gottes ist einfach nur noch „schwer“ (V.16). Dann gilt und bleibt das Eine:


  1. Ich halte mich fest an diesen Herrn

  2. Ich werde fest gehalten von diesem Herrn (V.23)


Warum? Weil der Herr Trost, Freund, Vater ist. Weil er mich am Ende mit Ehren annimmt. Weil er bleibt, wo alles geht. Weil er beständig ist und meinem Leben Sinn und Richtung gibt. Und weil alles andere nur zu kurz gedacht ist und das Elend nur vorausschiebt.

Warum lohnt sich das Christsein? Nur wegen Jesus. Wegen ihm allein.