Psalm 73 Bibelarbeit Predigt

 

"Psalm 73 – Das "Dennoch" des Glaubens

"Gott ist dennoch Israels Trost für alle,
die reinen Herzens sind...
Dennoch bleibe ich stets an dir,
denn du hältst mich bei meiner rechten Hand,
du leitest mich nach deinem Rat
und nimmst mich am Ende mit Ehren an.
Wenn ich nur dich habe,
so frage ich nichts nach Himmel und Erde.
Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet,
so bist du doch, Gott,
allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.
Denn siehe, die von dir weichen,
werden umkommen;
du bringst um alle
(bringst zum Schweigen),
die dir die Treue brechen.
Aber das ist meine Freude, daß ich mich zu Gott halte
und meine Zuversicht setze auf Gott, den Herrn,
daß ich verkündige all dein Tun!"
Verse 1 + 23 – 28

Von manchen Liedern mit vielen Strophen singen wir immer nur die ersten und die letzten Verse – und bekommen oft gar nicht mit, daß dem Liederdichter gerade die Strophen dazwischen ganz wichtig waren! Genauso ist es mit diesem Psalm: Man darf nicht nur die ersten und die letzten Verse betrachten. Sie bekommen nämlich erst so richtig ihr Gewicht, wenn man die Verse dazwischen anschaut!

Es scheint ganz klar und unangefochten zu sein: Gott ist gut zu allen, die ihm vertrauen, darum tun wir gut daran, in Gottes Nähe zu bleiben! (So könnte man vielleicht den Anfang und das Ende des 73. Psalm zusammenfassen.) Aber die Verse dazwischen erzählen davon, welchen Kampf Asaph, der Psalmdichter, durchgemacht hat, um diese Wahrheit nicht nur einmal zu erkannt zu haben, sondern sie auch festzuhalten und immer wieder neu mit Überzeugung zu bekennen! In der Lutherübersetzung wird dieser Kampf angedeutet durch das am Anfang und am Ende gebrauchte Wort "dennoch". "Gott ist dennoch Israels Trost..." und "Dennoch bleibe ich stets an dir...!"

Wieso "dennoch"? Haben es die, die Gott vertrauen, nicht besser, leichter, schöner, bequemer, heiler, friedlicher, problemloser als andere?

Asaph beobachtet etwas, was ihn fast zu Fall gebracht hätte. Fast hätte er Schiffbruch erlitten mit seinem Glauben in die Güte Gottes.

"Ich aber hätte beinahe an ihm gezweifelt, fast hätte ich den Glauben aufgegeben. Denn ich beneidete die überheblichen Menschen. Ihnen geht es gut, obwohl Gott ihnen völlig gleichgültig ist!" (V. 2 + 3 nach "Hoffnung für alle")

Und dann zählt er auf, was er entdeckt hat und was vor seinen Augen immer reizvoller und schillernder wurde und was ihn neidisch und unzufrieden zu machen begann:

"Ihr Leben lang haben sie keine Schmerzen, sie strotzen vor Gesundheit und Kraft. Sie müssen sich nicht abplagen wie andere Menschen, und die täglichen Sorgen sind ihnen ganz und gar fremd. Sie sind stolz auf ihren Stolz und tragen ihn zur Schau, ja, sie prahlen sogar mit ihren Gewalttaten. In ihren feisten Gesichtern spiegelt sich die Bosheit ihres Herzens wider. Mit Verachtung schauen sie auf andere herab und verhöhnen sie, mit zynischen Worten setzen sie jeden unter Druck. Sie tun, als kämen ihre Worte vom Himmel; sie meinen, ihre Sprüche seien für die ganze Menschheit wichtig. Darum läuft sogar Gottes Volk ihnen nach, es hängt an ihren Lippen und glaubt alles, was man ihm vorsetzt. Denn diese eingebildeten Leute sagen: `Gott kümmert sich um nichts – wie sollte er auch? Er thront so weit oben und weiß nicht, was sich hier unten abspielt Selbstsicher und sorglos leben sie in den Tag hinein, ihr Vermögen und ihre Macht werden immer größer." (V. 4 - 12)

Durch die moderne Sprache der Übersetzung "Hoffnung für alle" hat man fast den Eindruck, schon zu Asaphs Zeiten hätte es die vielen Quizsendungen und Talkshows gegeben, die heute vielfach die Meinung prägen, Trends erzeugen und Neid und Unzufriedenheit schüren.

Auf die Frage: "Wie wird man Millionär?" heißt die Antwort heute eben nicht mehr: "Arbeite hart, bete viel, zeige dich großzügig gegenüber anderen und sei treu im Kleinen, so wird Gott dir Großes anvertrauen!"

sondern es heißt:

"Bewirb dich bei einer Fernsehshow, sei nicht ganz blöd und habe Glück (vielleicht kannst du ja mit ein bißchen Aberglauben und Daumen drücken nachhelfen), dann wird dir das Geld hinterher geworfen!"

Durch die Gier und den Neid derer, die es auch gerne kriegen würden und die darum für hohe Einschaltquoten und satte Werbeeinnahmen sorgen, kommen die Fernsehsender dabei bestimmt nicht zu kurz. Es sind nur einzelne, die absahnen, aber Millionen anderer beneiden sie und finden das alles ungerecht und werden in ihrer eigenen Lebenssituation immer unzufriedener – auch Christen, auch Menschen, die eigentlich die Fürsorge Gottes kennengelernt und seine anderen Maßstäbe entdeckt und bejaht haben.

Wenn man den Psalm liest, hat man wirklich den Eindruck, er wäre heute geschrieben worden: Da beruft unsere Regierung einen hoch dotierten nationalen Ethik-Rat ein, der darauf achten soll, daß z.B. die Genforschung bestimmte ethische Grenzen nicht überschreitet – eigentlich ein lobenswertes Geschehen. Nur fragt man sich, wer denn die bestimmten Grenzen bestimmt!? Hört man dann den öffentlichen Äußerungen von verantwortlichen Forschern genau zu, merkt man schnell: Von Gott gesetzte Grenzen sind längst überschritten! Da wird von Güterabwägung gesprochen, und gemeint ist damit, es müsse genau geprüft werden, ob das Lebensrecht "überschüssiger, nicht zur Fortpflanzung produzierter Embryonen" (Zitat eines Professors, der am 4.5.2001 in der Sendung "heute journal" interviewt wurde; man beachte: hier wird von kleinen, ungeborenen Menschen geredet!) wirklich ein höheres Gut sei als der Anspruch kranker Patienten auf Behandlungen, die man durch die Erforschung der Stammzellen der ungeborenen Kinder entwickeln zu können erhofft. Schon allein die Sprache ist grotesk. Ähnlich grotesk ist die Entwicklung zum Thema "Sterbehilfe", die in den Niederlanden schon viel weiter ist als bei uns. Nicht ohne Grund warnt auf einer Konferenz zum Thema "Medizinische Ethik im 21. Jahrhundert", die z.Zt. in Kühlungsborn stattfindet, laut "Ostseezeitung" vom 5.5.2001 (S. 4) Dr. Christian Berg von der Technischen Universität Clausthal vor einer aktiven Sterbehilfe: "Es sei zu befürchten, dass der gesellschaftliche Druck auf ältere Menschen wachse, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, um niemandem zur Last zu fallen."

Wie treffend sind die Worte von Asaph, wenn er die beschreibt, die sich selbst für wichtig halten und meinen, eigenmächtig die Maßstäbe für gut und böse setzen zu können. Und Asaph gibt es zu; er hat sich zu fragen begonnen:

"War es denn völlig umsonst, daß ich mir ein reines Gewissen bewahrte und mir nie etwas zu schulden kommen ließ? Jeder Tag wird mir zur Qual, eine Strafe ist er schon am frühen Morgen!"

(V. 13 + 14)

Wir wissen nicht, welche vielleicht schwierigen Lebensumstände Asaph gerade zu bewältigen hatte, was es ihn kostete, gradlinig und wahrhaftig und ehrlich zu bleiben – aber viele von uns kennen so heimliche Gedanken, manchmal leise Zweifel, eine Mischung aus Unzufriedenheit, Erschöpfung, Selbstmitleid, Neid und Traurigkeit. Gedanken, die wie ein schleichendes Gift langsam ihre Wirkung entfalten und uns zu lähmen beginnen können. Gedanken, die uns die Motivation nehmen und uns auf Abwege führen können.

Asaph wird durch die Gemeinschaft mit anderen Glaubenden davor bewahrt, einfach alles hinzuwerfen, aber die Fragen bleiben.

"Hätte ich mir vorgenommen: `Ich will genauso vermessen reden wie sie dann hätte ich dein ganzes Volk verraten. Also versuchte ich zu begreifen, warum es dem Gottlosen gut und dem Frommen schlecht geht, aber es war viel zu schwer für mich." (V. 15 + 16)

Was tun? Wohin, um eine neue Sicht zu bekommen, um herauszukommen aus dem Strudel solcher Gedanken, um nicht weggerissen zu werden vom Sog der Unzufriedenheit und Bitterkeit?

"Auf nach Mallorca!" sagen einige. "Greif zur Flasche!" sagen andere. "Mach Urlaub im Weltraum!" sagt sich einer, der nicht weiß, wohin mit dem Geld, und nicht weiß, wohin mit seinem ungestillten Lebensdurst. "Zieh dich zurück, kümmere dich nicht um andere, sieh zu, wie du selbst einigermaßen durchkommst!" sagen sich viele. Und Asaph? Er erzählt:

"Da ging ich in Gottes heiligen Tempel, und dort wurde mir klar: entscheidend ist, wie ihr Leben endet!" (V. 17)

Asaph sagt sich nicht los von Gott, weil er unzufrieden ist, sondern er geht mit seiner Unzufriedenheit hin zu Gott und bekommt eine neue Sicht. Er begreift, er war viel zu kurzsichtig. Gott muß ihm eine neue Brille aufsetzen, damit er wieder klar und weiter sieht!

 

- Ich weiß, was Kurzsichtigkeit ist. Meine alte Brille reicht noch aus zum Lesen und zum Arbeiten am Computer. Aber in der Stadt lauf ich an Leuten vorbei und erkenne sie nicht – und die denken: "Was hat der eigentlich gegen mich, daß er so an mir vorbei rennt?" und beim Autofahren muß ich manchmal meinen Beifahrer fragen: "Du, was steht da auf dem Schild?" und auf der Kanzel brauche ich inzwischen eine Großdruckbibel. Nein, inzwischen habe ich eine neue Brille, mit der ich viel weiter sehe! -

Wir sind manchmal so kurzsichtig, wenn etwas in uns Neid weckt und wir uns fragen, ob es sich denn überhaupt lohnt, Christ zu sein. Wir gucken nicht weit genug!

Mit unseren Fragen zu Gott gehen, unsere Unzufriedenheit ihm hinhalten, auf sein Wort hören in Andacht und Gottesdienst – das kann uns eine neue Sicht schenken. Nein, Gott ist nicht egal, was Menschen mit der Schöpfung und den Mitgeschöpfen anstellen, ihm ist nicht egal, was sie in ihrer Anmaßung alles anrichten und auf wessen Kosten sie sich bereichern. Daß er nicht jetzt schon einfach dazwischen schlägt, hängt mit seiner Geduld und seinem Erbarmen zusammen. Aber es kommt der Tag, wo Er ein Machtwort spricht und sagt: "Es reicht!"

Asaph beschreibt das so:

"Du stellst sie auf schlüpfrigen Boden und wirst sie ins Verderben stürzen. Ganz plötzlich wird sie das Entsetzen packen, sie werden ein Ende mit Schrecken nehmen. Wie ein Traum beim Erwachen verschwindet, so vergehen sie, wenn du dich erhebst, o Herr!"

(V. 18 - 20)

Jetzt erkennt Asaph, in welcher Gefahr er schwebte: Fast hätte er das Wertvollste im Leben überhaupt weggeworfen – den Frieden mit Gott und die Geborgenheit bei Ihm; nur, weil er Gott nicht verstehen konnte, nur, weil er geblendet war vom Glitter und Glitzer der Oberflächlichkeit! Nun aber hat sein Vertrauen neue Nahrung und sein Bekenntnis neue Kraft. Jetzt kann er sagen: Dennoch!

"Als ich verbittert war und mich vor Kummer verzehrte, da war ich dumm wie ein Stück Vieh, denn ich verstand dich nicht. Jetzt aber bleibe ich immer bei dir, und du hältst mich bei der Hand. Du führst mich nach deinem Plan und nimmst mich am Ende in Ehren auf. Herr, wenn ich nur dich habe, bedeuten Himmel und Erde mir nichts (da verzichte ich auf Mallorca und Sekt und die Weltraumstation und sogar auf die Jauch-Million und vertraue darauf, dass du der Herr bist auch über Krankheit, Leid und Tod!). Selbst wenn alle meine Kräfte schwinden und ich umkomme, so bist du doch, Gott, allezeit meine Stärke – ja, du bist alles, was ich habe! Eines ist sicher: Wer dich ablehnt, wird zugrunde gehen; du vernichtest jeden, der dir die Treue bricht. Ich aber darf dir immer nahe sein, mein Herr und Gott; das ist mein ganzes Glück! Dir vertraue ich, deine wunderbaren Taten will ich weitererzählen!" (V. 21 – 28)

Unser Vertrauen zu Gott und die Überzeugung, das es das größte Glück ist, zu ihm zu gehören und unter seiner Regie zu leben, mögen erschüttert werden. Solche Lebenssituationen und Anfechtungen kommen immer wieder. Dann gilt es, nicht weg zu laufen, sondern hin zu laufen zu Ihm, zu Gott, um eine neue Sicht und wieder Durchblick zu bekommen.

Asaphs Psalm, sein ehrliches Erzählen und Zugeben und Beten, will uns zu einer solchen Sicht verhelfen.

 

 

V. Glöckner 2001

http://www.baptisten-rostock.de/2005/Gem/Predigten/psalm_73.html