Gedanken zum Psalm 63, 2-4 und 7-9

von Michael Strauch


home





Sie wurde als Baby von ihrer Mutter abgegeben. Das Mädchen wuchs in Heimen auf. Irgendwann wurde es von liebevollen Adoptiveltern angenommen. Doch als junge Erwachsene brannte die Frage immer mehr in ihr: wer war ihre leibliche Mutter. Das Mädchen hatte es gut gehabt, trotzdem hatte sie das Gefühl, nicht sich selbst zu verstehen, wenn sie nicht ihre leiblichen Eltern finden würde. Sie machte sich auf die Suche, was sich als sehr schwierig herausstellte. Doch dann, nach 1 Jahr, macht die junge Frau ihre Mutter ausfindig. Sie erinnert sich noch gut an die Aufregung, als sie die Telefonnummer wählte und zum ersten Mal in ihrem Leben die Stimme ihrer Mutter hörte. Sie machten einen Besuchstermin aus. Das Mädchen berichtete nach ihrer Begegnung mit der Mutter: "Ich habe sie sofort erkannt, obwohl ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. Wir verstanden uns sofort. Ich bin der glücklichste Mensch auf Erden!"

Diese Frau hatte, obwohl es ihr gut ging, das Gefühl, nicht "vollständig" zu sein. Sie verstand sich nicht, wenn Sie nicht herausfand, wer ihre Eltern und Vorfahren waren. Sie suchte mit großem Fleiß und wurde beschenkt. Sie wird vielleicht als erstes gesagt haben: "Mutter, du bist meine Mutter, die ich solange gesucht habe. Wie sehr habe ich mich nach Dir gesehnt!"

 

·         Im Grunde beschreibt der Psalm 63 genau diese Situation. David sucht jemanden. Er sucht mit einem brennenden Verlangen. Er weiß, ohne diese Person versteht er sich nicht, versteht er seine Situation nicht, fühlt er sich halb und sein Leben wirkt leer und ohne Sinn. Er sucht diese Person, wie ein Mensch in der Wüste verzweifelt nach Wasser sucht. Er sucht nach der Quelle.

·         Im Heiligtum wird er fündig. Nach langer Stille und Einkehr wird er fündig. Er berichtet später über dieses Erlebnis: "So hab ich Dich im Heiligtum geschaut. Ich habe deine Macht und Herrlichkeit gesehn!" David hatte etwas, was man eine Theophanie nennt: eine Gottesbegegnung der besonderen Art.

·         Und wie er Gott begegnet, kommen seine Worte aus den Tiefen seiner Seele. Es sind nicht mehr irgendwelche Formeln. Es ist ein Erkennen, ein Gott- und damit Sichselbst- Erkennen. Er spricht: Gott, du bist mein Gott, den ich suche. Meine Seele dürstet nach dir.

 

Kennen wir das? Eine Gottesbegegnung der besonderen Art? Ist für uns das Gebet nicht eher mühselig? Nicht etwas, was man ständig tun möchte. Oder vielleicht denken sie: solche Gottesbegegnungen haben nur besondere Leute. Die Pfarrer und sonstige geistlichen Muskelprotze erleben so etwas bestimmt. Ich aber nicht. Für mich ist das Gebet etwas, was immer ein wenig fremd ist. Mir gehen die Worte nicht so fließend von den Lippen. Ich verstehe mich nicht so sehr auf`s Beten und bin froh, dass es vorgeschriebene Gebete gibt. Außerdem kann ich mich nur schwer konzentrieren.

Jetzt würde ich ihnen gerne sagen: kein Problem. Es gibt das Gebet auch in der "Du darfst"-Version. Also eine Art Diät-Gebet. Es reicht völlig, wenn sie im Gottesdienst bei den Gebeten mit die Hände falten. Lassen Sie es ruhig die Profis machen. Oh, nein. Damit bringen sie sich um eine ganz großartige Begegnung mit Ihrem Gott. Gott will ihnen ganz persönlich begegnen. Er will ihre Worte hören. So wie sie sprechen, wie sie es können, die Themen, die ihnen wichtig sind. Er will, dass sie mit ihm reden und er möchte mit ihnen sprechen. Sie brauchen nicht hier zu beten, sie können das auch zuhause machen. Nur eines möchte ich vorausschicken. Das Gebet ist keine Pflichtübung. Das Gebet ist nicht etwas, was man als Christ tun muss. Im Grunde ist das Gebet das Selbstverständlichste der Welt. Das Gebet ist vergleichbar mit der Begegnung der Tochter und ihrer Mutter. Beide begegnen sich. Beide reden miteinander. Wahrscheinlich quer Beet, ohne Punkt und Komma. Sie haben einfach Gemeinschaft miteinander. Und beide erfahren, was der andere für einen selbst bedeutet. Das Gebet ist quasi ein Besuch bei Gott. Er ist da. Er will ihnen sagen, wie viel sie für ihn bedeuten. Er will ihnen sagen, was er für sie getan hat. Und je mehr Gemeinschaft sie mit ihm haben werden, desto selbstverständlicher werden sie beten. Denn in der Gemeinschaft mit Gott begreifen sie ihr Leben und den Plan, den Gott mit ihnen verfolgt. So ist Gebet innigste Gemeinschaft mit Gott. Amen.