Bibelarbeit zu Psalm 36 von Michael Strauch
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Einleitende Bemerkungen:
Psalmen werden heute und zu allen Zeiten gerne gebraucht, um im Gebet Dinge
auszusprechen, für die man selber keine passenden Worte findet. Psalmen sind
große Gebetshilfen. Sie sind nicht gedacht, dass sie theologisch bis ins
kleinste Detail auseinanderdividiert werden, sondern es sind in erster Linie
Gebete, Lieder - hebräische Lyrik!
Zugleich werden Psalmen nicht zuletzt an einigen Stellen im NT auch von
unserem Herrn Jesus mehrfach zitiert in theologischen Streitigkeiten, etwa auf
die Frage seiner Gottessohnschaft. Psalmen sind oft
auch prophetische Lieder (z.B. Psalm 22). Sie enthalt
en große, weitgefaßte Wahrheiten, die den Gläubigen
gerade im Alltag aufbauen, trösten und stärken sollen. Die Psalmen haben nicht
zuletzt deswegen soviel Eingang in die Gebetswelt aller christlicher Kirchen,
weil sie aussprechen, was viele fühlen, empfind en, glauben.
Die Psalmen geben nicht der Sünde einen Namen, sondern auch dem entsetzlichen
Gefühl der Reue über begangener Schuld (Psalm 51). In den Psalmen steht der
Jubel nahe dem Schmerzensschrei. Die Psalmen lassen ein offenes Ende zu,
sprechen Zweifel und Angefochtensein offen aus - sprich: geben Worte vor, die
man als Christ so Scheu hätte, sie zu beten. Eines der großen Angriffe, die ein
Christ in seinem Leben erfährt ist, dass es ihm als Gläubigen nicht automatisch
besser ergehen muss als einem Nichtchristen. Di eses
Thema behandelt Psalm 36. Weil es hebräische Lyrik ist, gilt es wie bei aller
Lyrik dieser Welt, den thematischen Aufbau unter die Lupe zu nehmen. Den
formalen Aufbau müßte man gesondert im Grundtext
betrachten. Wo sind große, thematische Linien zu finden:
Am Anfang steht eine Beobachtung, eine empirische
Feststellung. Sie ist so ausgedrückt, dass sie nicht subjektiv, sondern als
objektive Wahrheit behandelt werden will. Was ist Davids Beobachtung?
Subjekte: „Die Übertreter (der Gebote)"
(V.2), „die Stolzen" (V.12), „die Gottlosen" (V.12), „die Übeltäter" (V.13)
Ob David grundsätzlich alle Heiden vor Augen hat,
wird nicht gesagt. Es sind die, die „Gott-los" sind.
Und weil sie Gott nicht kennen, akzeptieren sie auch nicht seine Gebote, es sind
„Übertreter". Und weil sie keinen Gott über sich dulden, sind sie sich selbst
der Maßstab (Stolze). Und weil sie ohne Gott leben, handeln sie übel. So erlebt
David die Menschen, die Gott nicht kennen, als eine Ansammlung von stolzen
Gockeln, wo jeder danach trachtet, höher als der andere zu sein. Heute sprechen
wir von der „Ellenbogengesellschaft". Würde Gott nicht in die Geschichte der
Menschheit eingreifen, indem er staatliche Instanzen beeinflußt (Rö 13), es wäre ein
einziges Morden und Schlagen. Das deutsche Wort für das „übeltun" und das Übertreten der Gebote ist „Korruption". Die
Mächtigen handeln korrupt. Und es sind wohl besonders diejenigen gemeint. Denn
es gibt viele „Gottlose", die gerade unter diesen Popanzen zu leiden haben.
Verben: „sinnen auf gottloses Treiben
(ideologische Grundhaltung) „falsche Worte" (Lügen) V.3, handeln unverständig
und böse (V.4), „trachten nach Schaden" (Machtmissbrauch), „stehen fest auf dem
bösen Weg und scheuen kein Arges" (gewis-senlos) V.5),
„unterdrücken Schwächere" (Bild des Fußes auf dem besiegten Feind), „vertreiben
Rivalen" (Mobbing) V.12.
Nun kommt der große Konflikt. Wieso greift Gott
nicht ein? Warum läßt er all das Unrecht zu? Warum
läßt er es zu, dass solche gottlosen Menschen formale
Macht auch über Christen haben? Die berühmte Theodizee-Frage" drängt sich hier auf: Gott, warum handelst
Du nicht? David drückt dies so aus: statt, dass diese Menschen ihr verdientes
Gericht bekommen, „ebnet Gott sogar noch ihre Bahn". Das Ebnen der Bahn enstammt der antiken Handlungsweise, dass man z.B. für
Herrscherprozessionen alles aus dem Weg geräumt h at, was stört. Es gibt
regelrechte Prachtstraßen, die von Felsen und Gestrüpp entblößt wurden. Der Weg
wird - wie ein Dampfwalze heute eine Straße platt macht
- sprichwörtlich geebnet. Also: diese gottlosen Mächtigen erleben es, dass ihnen
auf dem korrupte n Weg sogar erstaunlich wenig Widerstand geleistet wird. Der
Psalmist sagt sogar, dass Gott selbst den Weg ebnet, oder zumindest die Ebnung
evtl.durch den Satan (siehe Hiob) zuläßt.
Hier kann ein Christ sehr wohl in Konflikte
geraten. Da sagt sich ein Kaufmann: ich lüge nicht, weil Gottes Gebote es
verbieten. Und prompt verliert er seine Arbeitsstelle. Da sagt sich ein Christ:
ich rede nicht schlecht über andere und prompt muss er/sie erfahren, wie er/sie
geschnitten wird. Da sagt sich ein Bauarbeiter: ich mache abends bei den
Saufereien nicht mit. Und prompt muss er Hohn und Spott erleiden. Da sagt sich
eine Krankenschwester: ich lehne jede Beihilfe bei einer Abtreibung ab. Und
prompt muss sie erfahren, dass sie Opfer von Mobbing
wird.
Man kann es drehen und wenden wie man will, wer
bewußt als Christ lebt, der erfährt Widerstände. Und
diese Widerstände sind oft schwer zu ertragen. Und diese schweren Erfahrungen
können nicht mit frommen Floskeln kompensiert werden. Und es ist einfach eine
Tatsache, dass Menschen, die Gott nicht kennen, von diesen Gewissensbissen nicht
unbedingt geplagt werden. Sie leben schlichtweg leichter. Das Jugendlied: „Es
ist oft schwer, als Christ in dieser Welt zu stehn...", hat schon was für sich. Warum handelt Go tt so? Warum greift er nicht ein? Der Psalmist gibt zwei
Antworten:
Gott ist gütig. Sein Handeln, sein Wesen, seine
Eigenschaften werden im krassen Gegensatz dargestellt, wie die des Menschen
(V.6ff):
- Gottes Güte reicht, soweit der Himmel ist (des
Menschengüte reicht bis zum eigenen Ich)
- Gottes Wahrheit, so weit die Wolken gehen (der
Mensch handelt und redet falsch und korrupt)
- Gottes Gerechtigkeit ist unbestechlich und
standhaft wie ein Berg (der Mensch ist Übertreter)
- Gottes Recht ist unergründlich (vom Menschen
nicht zu fassen)
- Gottes Güte und Hilfe gilt zunächst allen
Menschen und allen Tieren!
Johannes 3,16: Darum hat Gott die Welt geliebt.....
Eine Antwort, warum Gott nicht jedem sofort sein verdientes Gericht gibt ist:
dass er alle Menschen grundsätzlich liebt. In seiner Güte ist viel Plazt und Raum für Umkehr, Sinnesänderung und Buße. Die
Gru ndwesensart Gottes ist
Liebe und Güte. Seine Gerechtigkeit liegt auch in Nichtansehen der Person.
Grundsätzlich läßt Gott regnen über Gute und Böse,
läßt gute Frucht wachsen auf dem
selben Acker wie das Unkraut. Der Gottlose lebt nur nach seiner Ideologie
ohne Gott. Tatsächlich könnte er ohne Gott keinen Atemzug tun. Die erste
Antwort: Gott liebt grundsätzlich alle Menschen. Ohne Unterschied.
Gott ist gerecht. Gottes Gerechtigkeit teilt
sich in zwei Bereiche auf: Dem Gottlosen mag es materiell gut gehen, obwohl er
böse und korrupt sich seinen Wohlstand erwirbt. Doch ein kostbares Gut hat er
nicht. Ein Gut, dass über allem materiellen Gut, die d en Menschen nicht
wirklich zufrieden stellen können, hervorhebt. Der Gläubige kennt Gott. Er
besitzt ein geistliches Gut, unabhängig von Werteverfall. Er besitzt den Schatz,
für den man alles andere verkaufen möchte: die Gotteserkenntnis! „In deinem
Licht sehen wir das Licht!" Und der Gläubige hat das Leben. Nicht das Leben, das
durch materiellen Wohlstand versüsst wird, und doch
innerhalb der Grenzen von Geburt und Tod sich abspielt, sondern er hat „ewiges
Leben". „Denn bei Dir ist die Quelle des Lebens!" (V.10). Hier werden wir an
Johannes 4 erinnert, wo Jesus einer Frau, die vom Hunger nach Leben, nach
Sexualität, nach menschlicher Wärme eine Enttäuschung nach der anderen erlebt
nun Jesus begegnet. Und dieser sagt zu ihr: die Welt gibt Dir etwas. Doch der
Genuß reicht nicht lange aus. Man muss immer wieder
sich „das Wasser holen!" Der Reiz muss immer größer werden, das Leben immer
abwechslungsreicher und anspruchsvoller in der Darbietung werden. Im Grunde
bleibt man immer durstig. In Jesus Christus wird de r Durst nach Leben einmal
gestillt. Kein Update, kein neuer Reiz ist erforderlich. Jesus ist die
Vollkommenheit.
Gottes Gerechtigkeit bedeutet aber auch, dass alle,
die ihn ablehnen, einmal zur Rechenschaft gezogen werden. Am Ende erweist es
sich, dass kein Mensch Gott einfach zur Seite stellen kann. So erweist sich der
scheinbar glatte Weg als Sackgasse (V.3). Der P salmist sieht die Zukunft eines jeden Menschen ohne Gott:
- sie sind gefallen
- sie sind gestürzt
- sie können nicht mehr aufstehen
Und trotzdem hebt dieses Wissen den momentanen
Konflikt, den der Christ erleidet, nicht unbedingt auf. Es ist nicht damit
getan, dass der leidende Christ mit einem „frommen Trostpflaster" auf die
Ewigkeit vertröstet wird. Der Christ lebt hier und jetzt in den Konflikten
dieser Zeit ("In der Welt habt ihr Angst..."). Darum darf der Christ Gott
bitten. Und so haben wir im Psalm folgende Bitten an den himmlischen Vater:
- Breite deine Güte (im Bild der Flügel aus V.8)
über die, die dich kennen (die Frommen) V.11
- Lass es nicht zu, dass ich Opfer
werden gemeiner Intrigen (V.12)
- Lass es nicht zu, dass man mich vertreibt und das
Unrecht triumphiert (V.12)
Schluss:
Der Christ, der recht die Heilige Schrift versteht, kennt nicht diesen
fatalen, frommen Fatalismus nach dem Motto: ich muss alles Unrecht um Christi
willen erleiden. Sondern er darf sich in angemessener Weise wehren, er darf Gott
bitten um Beistand und Rec ht, er darf Gott klagen und ihn bitten. Der Christ bittet
nicht, weil er ein Recht hätte, oder weil er unschuldig sei und die andren
schuldig. Sondern er beruft sich darauf, dass er Gott kennt, und er
beruft sich auf Gottes Güte! Der Psalm gibt all den gemobbten, unterdrückten,
Unrecht erlittenen Christen eine Stimme. Ob Gott die Gebete im Sinne des Beters
erhört, bleibt Gott überlassen. Nur das kein Unrecht unbestraft bleibt, es sei
denn durch Vergebung, das wird im letzten Vers bekräftigt.