Predigt über Numeri (4. Mose)21, 4-9 am  Sonntag Judika, den 9. April 2000


Kanzelgruß
Predigttext: Die Israeliten brachen vom Berg Hor in Richtung Schilfmeer auf, um das Land Edom zu umgehen. Auf dem langen Weg (durch die Wüste) wurde die Seele des Volkes erschöpft. Das Volk sprach zu Gott und zu Mose: Warum bloß hast du uns aus Ägypten herauf geführt, damit wir in der Wüste sterben? Denn es gibt kein Brot! Es gibt kein Wasser! Unsere Seelen ist dieses ekligen Fraßes überdrüssig.“
Da schickte der HERR gegen das Volk Schlangen, die Serafinen – die Schlangen aus Feuer -. Sie bissen das Volk, und viel Volk aus Israel starb. Da kam das Volk zu Mose. Sie sagten: „Wir haben schwer geirrt, dass wir gegen den HEERN und gegen dich gesprochen haben. Bete zum HERRN (für uns), damit er die Schlange von uns wegtue. Mose tat Fürbitte für das Volk. 
Der HERR sprach zu Mose: „Mach dir einen Serafen – eine Schlange aus Feuer -! Befestige sie an die Fahnenstange. So soll es sein: Jeder, der gebissen wird und dahin sieht, der soll leben!“ 
Mose machte eine Schlange aus Bronze. Er befestigte sie an eine Fahnenstange. So geschah es: Wenn die Schlange einen Mann biss und er zur Schlange aus Bronze hinschaute, dann blieb er am Leben.

Liebe Gemeinde!
„Durch die Wüste“, so heißt einer der Bücher von Karl May. Da ist der Held Kara Ben Nemsi, der da etliche Abenteuer mit Bravour besteht und eigentlich nie seine gute Laune verliert. Zwar kommt er manchmal in Schwierigkeit, doch am Schluss kommt er da immer wieder heraus. 

„Durch die Wüste“ ist der jüdische Titel des vierten Mosebuches: „B‘ Midbar“ In diesem Buch wird eine Bestandsaufnahme gemacht. Da Volk Israel erhält neue Regeln. Das Volk erhält diesen wunderbaren Segen, den wir immer am Ende eines Gottesdienstes hören: „Der Herr segne dich und behüte dich.“ Und den Segen braucht das Volk Israel besonders auf seinem schweren Weg durch die Wüste!

Mehrmals ist  das Volk Israel erschöpft und wird ungeduldig. Auch jetzt ist das Volk entkräftet und erschöpft. Man fragt sich: „Wozu dieser Überlebenskampf? Wären wir doch bloß in Ägypten gewesen“ Und in der Verbitterung hagelt es auch schon heftige Vorwürfe gegen Gott und gegen Mose

Eigentlich verständlich, wie sich das Volk verhält. Es kann nun einmal nicht jeder so ein Held sein wie Kara Ben Nemsi. „Die Seele des Volkes ist erschöpft.“ Eine andere Übersetzung meint: „Der Atem des Volkes reicht nicht aus.“ Ich erinnere mich, wenn ich in Lima mit einem Bus durch Slumgebiete oder durch das alte Zentrum der Stadt fuhr. Dort in den Slums, wo die Menschen auf unvorstellbar engen Raum zusammenleben, da ist eigentlich jeder ständig müde und erschöpft. Dazu kommt auch das Klima, das an den Kräften zehrt. Und so war es kein Wunder, dass die Menschen in den Bussen oft vor Erschöpfung schliefen. Und wenn in der Kindertagesstätte Casa Belén die Kinder aus dem Elendsviertel mittags ins Bett gepackt wurden, schliefen sie sofort fest wie Murmeltiere. Welches vierjährige deutsche Kind lässt sich mittags so einfach ins Bett packen? Ein ganzes Volk ist erschöpft und ohne Kraft. So geht es vielen Völkern in der Dritten Welt. Ihnen fehlt zu oft die Kraft für eine bessere Zukunft!

Es gibt Durststrecken im Leben, da kommt man irgendwann an den Punkt, wo es nicht mehr weiter geht. Da folgt ein Misserfolg oder ein Schicksalsschlag dem nächsten: man kommt einfach nicht mehr zur Ruhe. Muss es da nicht erlaubt sein, einmal ganz laut hinaus zu schreiben: „Ich kann nicht mehr! Ich will nicht mehr!“? Es gibt in der Bibel genug Situationen, in denen Menschen ihr Leid laut hinausschreien. Der Prophet Jeremia hat oft genug sein hartes Schicksal verflucht. Viele Psalmen lassen laut die Not des Menschen hören, der diesen Psalm betet. Jesus hat im Garten Gethsemane geweint, während seine Jünger vor Erschöpfung schliefen.

Warum darf denn hier das Volk Israel nicht gegen Gott und gegen Mose reden? Warum reagiert Gott so heftig, dass er die Menschen reihenweise töten lässt? Gott schickt sogar seine Serafinen. Es sind himmlische Gestalten, die um seinen Thron herum versammelt sind und dort immerwährend rufen: „Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Landes sind seiner Ehre voll!“ Warum bloß reagiert Gott so hart und erschreckend?

Ich verstehe diese heftige Reaktion Gottes nicht! Ich will sie auch nicht verstehen! Ich muss auch nicht verstehen, warum Gott so schrecklich sein Volk bestraft. Auf der anderen Seite ist das Volk dabei, alles zu zerstören, was ihm bisher das Leben bewahrt hat. In Ägypten wäre das Volk Israel in elender Sklaverei untergegangen: in der Wüste leidet es Not, aber es lebt. Die tägliche Nahrung, wie eben das Brot von Himmel, wird als ekliger Fraß abgetan. Vielleicht ist die Versuchung eben groß, wenn sich Menschen in einer Wüste des Lebens befinden und die Durststrecke kein Ende hat: Schnell wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Zu leicht wird in der Not alles abgelehnt, was einem doch helfen könnte. Wie viele Menschen meinen in der Not, nicht mehr glauben und vertrauen zu können, und verlieren damit ihren letzten Halt.

Die Israeliten haben sicherlich viele Gründe, um sich über hartes Los in der Wüste zu beklagen. Man darf einem Menschen, dem es schlecht geht, auch nicht verbieten, wenn er klagt und stöhnt. Die Israeliten aber stellen die Heiligkeit Gottes in Frage. Sie stellen in Frage, dass der Heilige Gott sie gehört und befreit hat. Sie beschwerden sich ja nicht nur, sondern sie kündigen sogar ihr Verhältnis mit Gott auf. Das ist etwas anderes als ein Wehklagen oder sich beschweren.

Die Israeliten verachten das Gute, was er ihnen gegeben hat und gibt. Sie schauen von Gott weg!. Das Wegschauen von Gott bedeutet ihren Tod! Wer im Straßenverkehr seine Augen nicht mehr nach vorne richtet, begibt sich in Lebensgefahr. Die Naturgesetze kennen keine Gnade, wenn jemand im Verkehr nicht aufpasst. Wer sein Ziel aus den Augen verliert, begibt sich in Gefahr.

Die Israeliten erkennen in der Katastrophe, dass sie ihr Ziel aus den Augen verloren haben. Auch wenn ich diese harten Maßnahmen Gottes gegen sein Volk nicht verstehen kann: vielleicht aber haben Schicksalsschläge oder Rückschläge im Leben auch etwas gutes: Man kommt zur Besinnung; man denkt über manches neu nach. Vielleicht wächst und reift man auch darin. 

Unsere Geschichte endet, dass Mose ausgerechnet einen solchen Serafen aus Bronze anfertigt und an eine Fahnenstange befestigt. Wer diesen bronzenen Serafen anschaut, der bleibt am Leben. Dahinter verbirgt sich eine Botschaft auch an uns: Wer auf Gott schaut, der soll leben. Dieser Seraf als himmlischer Begleiter Gottes sollte die Israeliten wieder an die Heiligkeit Gottes erinnern.

Die Christenheit hat diese Geschichte von dem Serafen an der Fahnenstange immer als einen Hinweis auf die Kreuzigung Jesu verstanden. „Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.  Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.“ (Joh. 3,14-17) Wer auf Jesus Christus sieht, der soll trotz allem Leid und trotz aller Schuld leben. Wer das Kreuz Jesu vor Augen hat, der sieht hinter dem Kreuz auch den Beginn eines neuen Lebens und einer neuen Welt.                          Kanzelsegen! Amen

 

http://www.predigt.homepage.t-online.de/num2104.htm