Predigt über Numeri (4. Mose)21, 4-9 am Sonntag Judika,
den 9. April 2000
Liebe Gemeinde! „Durch die Wüste“ ist der jüdische Titel des vierten Mosebuches: „B‘ Midbar“ In
diesem Buch wird eine Bestandsaufnahme gemacht. Da Volk Israel erhält neue
Regeln. Das Volk erhält diesen wunderbaren Segen, den wir immer am Ende eines
Gottesdienstes hören: „Der Herr segne dich und behüte dich.“ Und den Segen
braucht das Volk Israel besonders auf seinem schweren Weg durch die Wüste! Mehrmals ist das Volk Israel erschöpft und wird
ungeduldig. Auch jetzt ist das Volk entkräftet und erschöpft. Man fragt sich:
„Wozu dieser Überlebenskampf? Wären wir doch bloß in Ägypten gewesen“ Und in
der Verbitterung hagelt es auch schon heftige Vorwürfe gegen Gott und gegen Mose. Eigentlich verständlich, wie sich das Volk verhält. Es
kann nun einmal nicht jeder so ein Held sein wie Kara
Ben Nemsi. „Die Seele des Volkes ist erschöpft.“
Eine andere Übersetzung meint: „Der Atem des Volkes reicht nicht aus.“ Ich
erinnere mich, wenn ich in Lima mit einem Bus durch Slumgebiete oder durch
das alte Zentrum der Stadt fuhr. Dort in den Slums, wo die Menschen auf
unvorstellbar engen Raum zusammenleben, da ist eigentlich jeder ständig müde
und erschöpft. Dazu kommt auch das Klima, das an den Kräften zehrt. Und so
war es kein Wunder, dass die Menschen in den Bussen oft vor Erschöpfung
schliefen. Und wenn in der Kindertagesstätte Casa Belén
die Kinder aus dem Elendsviertel mittags ins Bett gepackt wurden, schliefen
sie sofort fest wie Murmeltiere. Welches vierjährige deutsche Kind lässt sich
mittags so einfach ins Bett packen? Ein ganzes Volk ist erschöpft und ohne
Kraft. So geht es vielen Völkern in der Dritten Welt. Ihnen fehlt zu oft die
Kraft für eine bessere Zukunft! Es gibt Durststrecken im Leben, da kommt man irgendwann
an den Punkt, wo es nicht mehr weiter geht. Da folgt ein Misserfolg oder ein
Schicksalsschlag dem nächsten: man kommt einfach nicht mehr zur Ruhe. Muss es
da nicht erlaubt sein, einmal ganz laut hinaus zu schreiben: „Ich kann nicht
mehr! Ich will nicht mehr!“? Es gibt in der Bibel genug Situationen, in denen
Menschen ihr Leid laut hinausschreien. Der Prophet Jeremia hat oft genug sein
hartes Schicksal verflucht. Viele Psalmen lassen laut die Not des Menschen
hören, der diesen Psalm betet. Jesus hat im Garten Gethsemane
geweint, während seine Jünger vor Erschöpfung schliefen. Warum darf denn hier das Volk Israel nicht gegen Gott und
gegen Mose reden? Warum reagiert Gott so heftig,
dass er die Menschen reihenweise töten lässt? Gott schickt sogar seine
Serafinen. Es sind himmlische Gestalten, die um seinen Thron herum versammelt
sind und dort immerwährend rufen: „Heilig, heilig, heilig ist der HERR
Zebaoth, alle Landes sind seiner Ehre voll!“ Warum bloß reagiert Gott so hart
und erschreckend? Ich verstehe diese heftige Reaktion Gottes nicht! Ich
will sie auch nicht verstehen! Ich muss auch nicht verstehen, warum Gott so
schrecklich sein Volk bestraft. Auf der anderen Seite ist das Volk dabei,
alles zu zerstören, was ihm bisher das Leben bewahrt hat. In Ägypten wäre das
Volk Israel in elender Sklaverei untergegangen: in der Wüste leidet es Not,
aber es lebt. Die tägliche Nahrung, wie eben das Brot von Himmel, wird als ekliger
Fraß abgetan. Vielleicht ist die Versuchung eben groß, wenn sich Menschen in
einer Wüste des Lebens befinden und die Durststrecke kein Ende hat: Schnell
wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Zu leicht wird in der Not alles
abgelehnt, was einem doch helfen könnte. Wie viele Menschen meinen in der
Not, nicht mehr glauben und vertrauen zu können, und verlieren damit ihren
letzten Halt. Die Israeliten haben sicherlich viele Gründe, um sich
über hartes Los in der Wüste zu beklagen. Man darf einem Menschen, dem es
schlecht geht, auch nicht verbieten, wenn er klagt und stöhnt. Die Israeliten
aber stellen die Heiligkeit Gottes in Frage. Sie stellen in Frage, dass der
Heilige Gott sie gehört und befreit hat. Sie beschwerden sich ja nicht nur,
sondern sie kündigen sogar ihr Verhältnis mit Gott auf. Das ist etwas anderes
als ein Wehklagen oder sich beschweren. Die Israeliten verachten das Gute, was er ihnen gegeben
hat und gibt. Sie schauen von Gott weg!. Das
Wegschauen von Gott bedeutet ihren Tod! Wer im Straßenverkehr seine Augen
nicht mehr nach vorne richtet, begibt sich in Lebensgefahr. Die Naturgesetze
kennen keine Gnade, wenn jemand im Verkehr nicht aufpasst. Wer sein Ziel aus
den Augen verliert, begibt sich in Gefahr. Die Israeliten erkennen in der Katastrophe, dass sie ihr
Ziel aus den Augen verloren haben. Auch wenn ich diese harten Maßnahmen
Gottes gegen sein Volk nicht verstehen kann: vielleicht aber haben
Schicksalsschläge oder Rückschläge im Leben auch etwas gutes:
Man kommt zur Besinnung; man denkt über manches neu nach. Vielleicht wächst
und reift man auch darin. Unsere Geschichte endet, dass Mose
ausgerechnet einen solchen Serafen aus Bronze
anfertigt und an eine Fahnenstange befestigt. Wer diesen bronzenen Serafen anschaut, der bleibt am Leben. Dahinter verbirgt
sich eine Botschaft auch an uns: Wer auf Gott schaut, der soll leben. Dieser Seraf als himmlischer Begleiter Gottes sollte die
Israeliten wieder an die Heiligkeit Gottes erinnern. Die Christenheit hat diese Geschichte von dem Serafen an der Fahnenstange immer als einen Hinweis auf
die Kreuzigung Jesu verstanden. „Und wie Mose in
der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden,
damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. Denn also hat
Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die
an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn
Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte,
sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.“ (Joh.
3,14-17) Wer auf Jesus Christus sieht, der soll trotz allem Leid und trotz
aller Schuld leben. Wer das Kreuz Jesu vor Augen hat, der sieht hinter dem
Kreuz auch den Beginn eines neuen Lebens und einer neuen
Welt.
Kanzelsegen! Amen |