Dieses Kapitel hat zwei sogenannte
Kernverse: Der erste ist Vers 1 und der zweite Vers 18. Diese Kernverse
machen die Bedeutung der Heiligkeit und der Heiligung des Gläubigen deutlich.
Die Heiligung ist dabei immer eng verknüpft mit der Person Gottes: Ihr sollt
heilig sein, denn ich bin heilig!...Du sollst
deinen Nächsten lieben wie dich selbst; ich bin der Herr!“
Daraus wird deutlich:
·
Die
Heiligung darf niemals losgekoppelt werden von Gott. Sie hat ihren Grund, ihre
Berechtigung und ihre Möglichkeit in Gott.
·
Wer
dieses „denn ich“ nicht verstanden hat, hat auch nicht das Prinzip der
Heiligung begriffen.
Was aber meint nocheinmal
„Heilig“. Grob gesagt meint es, dass jemand „abgesondert“ im guten Sinne ist.
Eine Kirche wird eingeweiht und damit ein „heilig“, weil sie für eine ganz
bestimmte Funktion geschaffen wurde: nämlich dass in ihr auf Gott hingewiesen
wird. Heilig heißt nicht „abgehoben“, heißt auch nicht „weltfremd“, sondern
meint, dass hier ein Mensch eine neue Bestimmung, einen – ich möchte sagen –
neuen Adel empfangen hat. Weil Gott heilig ist, was bei ihm noch viel mehr
impliziert, so sollen auch wir heilig sein. Der praktische Akt der Heiligung
geschah z.B. mit dem Auszug Israels aus Ägypten. Das erste Gebot macht es
deutlich, dass der erste Akt der Heiligung einen „Herrschaftswechsel“
voraussetzt. Israel war ein Knecht Ägyptens. Fremde Mächte konnten über es
bestimmten. Das Knechtshaus Ägypten wird neutestamentlich
wiederum zum Bild für die Knechtschaft der Sünde, unter der jeder Mensch steht,
der an Gott nicht glaubt. Gott hat sein Volk „in die Freiheit geführt“, damit
Israel ihm „in der Wüste diene!“
Im NT ist diese Freiheit in der Kindschaft Gottes begründet.
Johannes sagt, dass alle, die ihn (Christus) aufnahmen, von Gott die Macht
bekamen, Gottes Kinder zu werden, die an seinen Namen glauben!“ Wer aber ein
Kind Gottes geworden ist, der hat einen neuen Herrn. Und der ist berufen, sein
Leben nach Gottes Maßstäben auszurichten.
Israel ist damals durch das Schilfmeer gezogen, die Ägypter
sind gestorben. Das ist neutestament-lich ein Bild
für die Taufe. In der Taufe werden wir lt. Paulus „in den Tod getauft“ und
auferstehen als erneuerte Menschen. Die sterbenden Ägypter können ein Bild sein
für mein altes Leben, dass ich nun bereit bin, aufzugeben. Das andere Ufer, der
Weg durch die Wüste ist das Bild für meine Wanderschaft als Christ auf dem Weg
ins Paradies, ins ewige Leben. Nun kommt es: diese Wanderung durch die Wüste
ist der Weg, den der Christ noch heute geht. Gott ist nicht erlebbar wie im
Paradies, dennoch ist er mitten unter ihnen, sowie die Stiftshütte stets mit
ihnen zog. Neutesta-mentlich ist es der Heilige
Geist, der im Gläubigen wohnt und ihm hilft, den Weg als Christ durch-zuhalten. Diese ersten Schritte der Heiligung hat
Gott vollbracht! Er allein. Es steckt in den Worten drin: Ich bin heilig,
und ihr sollt auch heilig sein.
Doch nun folgt die Wüstenzeit. In der Wüste hat Israel
getanzt und Gott gelobt. In der Wüste hat Israel große Gotteserlebnisse
erfahren. In der Wüste ist Israel aber auch an Gott zerbrochen. Sie haben sich
an die „guten alten Zeiten in Ägypten“ gesehnt. Sie sind auch aneinander irre geworden.
Neutestamentlich ist die Gemeinde Israel die
christliche Kirche, in die der Christ hineingestellt ist. Die Gemeinschaft mit
Gott und den Mitchristen ist mit viel Freude und Tiefgang verbunden, oft genug
aber auch mit Frust und Elend. In der Wüste hat Aaron seine Söhne verloren. In
der Wüste wurde Miriam tödlich krank. In der Wüste war man sich durch jedes
Opfer, das man brachte, der Macht der Sünde bewußt,
die immer noch „vor der Tür lauert“.
Weil der Mensch nun Gott gehört, die Sünde und der Teufel
(man denke an die Versuchung Jesu in der Wüste) wollen aber den Gläubigen
„zurückgewinnen“ wollen, so stehen wir auch heute als Christen in einem
Kampfgebiet. Am Kreuz ist die Macht der Sünde besiegt. Dennoch ist die Sünde
nicht machtlos. Am Kreuz empfange ich Vergebung meiner Schuld, dennoch falle
ich immer wieder in Schuld. Um in diesem Zerreißfeld zweier Mächte zu bestehen,
braucht es die Heiligung. Und die Heiligung geschieht vor Gott und zwischen
meinen Mitmenschen!
Kapitel 19 greift nun konkrete Dinge auf, wo „Heiligung“
sich vollzieht.
1. Unter den Mitmenschen
Konkret
zusammengefaßt in Vers 18. Praktisch ausgeführt:
·
Ehren
der Eltern (V.3)
·
Fürsorge
für die Armen und Ausländer im Verbot der Nachlese (V.9-10)
·
Verbot
von Diebstahl, Lug und Betrug untereinander (V.11)
·
Verbot
des Mobbings jeglicher Art bei Untergebenen (V.13.33)
·
Verbot
jeglicher Gemeinheit mit Behinderten (V.14)
·
Gerechtigkeit,
kein Ansehen der Person bei Gerichtsfällen (V.15.36-36)
·
Verbot
des Mordes und Verbot der üblen Nachrede (V.16)
·
Verbot
des Hasses des Mitbruders und der Rache (V.17-18)
·
Verbot
des unehelichen Geschlechtsverkehrs (V.20)
·
Verbot
der Prostitution (V.29)
·
Achtung
der alten Menschen (V32)
·
Achtung
und Liebe für die Ausländer (V.32-34)
Konkret sind die Gebote Gottes eingebaut. Das Gebot der
Elternehrung, das Gebot der Nächstenliebe gerade auch gegenüber Fremden. Das
Gebot der Ehe und das Gebot der Gerechtigkeit gegenüber dem Besitz anderer, sei es materiell, seien es Menschen.
Weiter decken die Forderungen Gottes alle
Lebensbereiche ab:
1. Die Familie. Sie ist die Keimzelle
des Staates. Wo in der Familie die gegenseite Achtung
fehlt, wird es auch im Staat fehlen. Denn die Familie stellt den engsten und vertrautesten Rahmen dar. In der Familie „hat man nichts zu
verlieren“, daher verletzt man hier am ungestraftesten.
Wer es gelernt hat, hier den anderen zu achten, der ist vorbereitet für den
Umgang mit seinen Mitmenschen. Hier gilt beides, und das wird auch deutlich in
Vers 29: wo ein Vater seine Tochter missbraucht und sie gewinnbringend zur
Prostitution anhält, kann dieser nicht erwarten, dass er geehrt wird. Eltern
ehren ihre Kinder, Kinder ihre Eltern. Die geforderte
Gerechtigkeit, das geheiligte Leben ist besonders an die Erwachsenen gerichtet
und sie sollen natürlich zuallerst in der Familie
vorgelebt werden. Paulus sagt zurecht, wenn einer in
seiner Familie nicht gut vorsteht, wie will er es in der Gemeinde tun?
2. Wer gerecht und fürsorglich mit
seinen Kindern umgeht und seine eigene Frau achtet, der wird auch Respekt haben
wo weiteren Schutzbefohlenen: hier entstehen die Diakonie (Blinde etc.) -
sprich der ganze Bereich der Behindertenarbeit, der Umgang mit Ausländern
(Frage des Umgangs mit fremden Kulturen, Gewohnheiten etc.
Rassendiskriminierung ist eine zutiefst unheilige Haltung), der Umgang mit den
Alten in unserer Gesellschaft (Geriatrie, Altersheime, Achtung des Alten), der
Umgang mit Angestellten (Menschen, die materiell in einer Abhängig-keit
stehen) und der Umgang in der Justiz (Gericht, Ehrlichkeit etc.). In allen
Fällen geht es um Situationen, wo ich diakonisch, juristisch oder materiell
andere Menschen auf verschiedenste Weise missachte. Gott verlangt einen
barmherzigen, aber auch gerechten und angemessenen Umgang.
3. Hinzu kommt die Ebene der
Gleichheit. Hier gilt in der Welt wie unter den Christen leider auch das „probalte Mittel“ der Verleumdung. Nicht umsonst spricht man
auch vom „Ruf-Mord“.
2. In der Beziehung zu Gott
Alles steht in Beziehung zu Gott. Darum wird 16 x (Verse
2-4,10,12,14,16,18,25,28,30,31,32,34,36, 37) deutlich gemacht, dass Gott der
Herr ist. Ausgenommen Vers 14, wo der Herr im Bezug auf die Schwächsten in der
Gesellschaft (Schwerstbehinderte), da sagt der Herr, man solle ihn fürchten.
Auch wird deutlich, dass in allen Forderungen die zehn
Gebote auf unterschiedlichste Weise verarbeitet wurden.
Eingerahmt aber sind alle Dinge in Vers 1-4 und Vers 36-37.
Das Fundament bildet die Erkenntnis:
Gott ist heilig.
Weil er heilig ist, soll auch ich heilig sein.
Die Heiligkeit findet ihren ersten praktischen Ausdruck in
der Familie, in der Heiligung der Feiertage und in der Anbetung Gottes allein.
Der Gläubige lebt also in einer kleinen Familie in der Welt und in einer
geistlichen Familie mit Gott als Oberhaupt. In beiden Teilen darf kein fremdes
Glied die Achtung erfahren, die hier gelten. Gott muss angebetet werden. Ihm
allein gebührt die Ehre. Die Familie ist der Schutzrahmen untereinander. Gott
steht an erster Stelle. An zweiter Stelle die Familie. Direkt danach kommt die
Gemeinde. Das Leben der Gläubigen untereinander und mit den Menschen, die nicht
zur Gemeinde gehören. Hier gilt das Achten und Lieben, ausgedrückt im Gebot der
Nächstenliebe. Aber diese Gebote fließen aus der Funktionalität der
Gottesbeziehung und der Beziehung im engsten Kreis.
3. Wie kann man es vereinfacht
ausdrücken, was ist Hauptaussage?
So seltsam es klingt, aber ich glaube, dass Vers 19 einen
Hinweis auf die Hauptaussage ausdrückt:
„Meine Satzungen sollt ihr halten: lass nicht zweierlei Art
unter deinem Vieh sich paaren und besäe dein Feld nicht mit zweierlei Samen und
lege kein Kleid an, das aus zweierlei Faden gewebt ist.“
Wenn ich es recht verstehe, soll der Mensch nicht
verschiedene Tiere durch Paarungszucht so genetisch verändern, dass sie
wiederum mehr Gewinn bringen. Gott will reinrassige Wesen. Jegliches Klonen,
genetisch Verändern etc. straft Gottes Urteil über der Schöpfung. Doch mir geht
es mehr um das „zweierlei“. Gemeint ist ein „schillerndes“ Verhalten. Nicht
ganz Fleisch und nicht ganz Fisch. Sich Christ nennen, doch sich selber dienen.
Dieses Problem tritt bei der Heiligung schnell auf, wenn es losgelöst wird
von Gott und dem Nächsten.
Viele verstehen heute die Heiligung als ein Halten von
geistlichen „Praktiken“. Mehr stille Zeit, teuer Besuch von Stund und
Gottesdienst, das Lesen nur geistlicher Lektüre etc. Andere wiederum bevorzugen
nur neues christliches Liedgut, nur ein freies – der Welt offen stehendes –
Christenleben. Dies wird dann als „nicht gesetzliches“ und missionarisches
Leben oder noch besser, der Freiheit in Christus deklariert. Gerade junge
Menschen fallen darauf rein.
Andere wiederum leben nur noch in Hauskreisen. Sie bilden
kleine Zellen der Gemeinschaft.
In allen Fällen besteht eine Gefahr, ein Trick Satans, den
ein Prediger mal so ausgedrückt hat: Wenn ein Mensch außerhalb der Gemeinde
steht, sorgt der Teufel dafür, dass er draußen bleibt. Steht ein Mensch
innerhalb der Gemeinde, sorgt der Teufel dafür, dass er drinnen bleibt. Gemeint
ist, dass der Nichtchrist wie der Christ für sich ein Medium gefunden hat, wo
er sich wohlfühlt und wo er im Grund nur unter
jeweils anderer Flagge sein persönliches Leben führt. Schon das Wort „Kreis“
macht diese Geschlossenheit deutlich. Die Bibel spricht nicht von Kreisen,
sondern von Gemeinschaft und Versammlung. Das wiederum meint, dass alle Zugang
haben. Das ein Christ nach außenhin
als Christ gesehen wird, innerlich aber sein persönliches Leben führt, das
macht das ganze „zwei-deutig“, für viele Menschen „zwei-felhaft“ und damit unglaubwürdig.
Die Heiligung vollzieht sich nicht in dem Besuch kirchlicher
Kreise, sondern immer und ausschließlich in der Beziehung zu Gott und in der
Beziehung zum Nächsten. Der Nächste wiederum bin ich dem, der meine Hilfe
braucht! Nicht dem, der mich eh schon gern hat.
So geschieht Heiligung ganz konkret darin, dass ich mich dem
anderen zuwende. Denn dem anderen sich zuwenden heißt, Gott zu ehren. So
verwundert es nicht, dass in Matthäus 25,31ff das Augenmerk gesetzt wird auf
den praktischen Umgang mit Hilfsbedürftigen, in denen sich Christus offenbart.
Heiligung geschieht nicht darin, dass ich etwas für mich
leiste und tue. Sondern Heiligung geschieht, indem ich für andere Menschen
etwas tue.
Was kann das praktisch bedeuten?
1. Ihr Hauskreise, Stunden und
Gemeinden: Gluckt nicht zusammen, sondern öffnet euren Kreis. Bindet euch bewußt und klar an eine Gemeinde an. Denn die Gemeinde ist
„Zu-und Abfluss des Segens“, der aus
eurer Gemeinschaft entsteht.
2. Ihr Christen, wendet euch nicht ab
von der Not der Bedürftigen. Speist sie nicht ab mit frommen Bibelzitaten,
sondern helft praktisch, gezielt und konkret. Wo Mangel ist, da helft. Wenn jemand das Brot fehlt, hilft ihm dann ein
Bibelzitat? Und wenn jemand geistlich Not hat, hilft ihm Geld? Wenn jemand
einsam ist, hilft ihm die Fürbitte im Gebet? Sucht die Nähe zu den Menschen.
Segnet sie nicht in der Entfernung, sondern berührt sie.
3. Laßt uns die Diakonie wieder neu
entdecken. Mission – sprich die Verkündigung des Evangeliums – ist nur das
halbe Evangelium. Das haben die Väter des Pietismus begriffen und es ist heute
wieder verloren gegangen. Wenn wir Christen uns praktisch nicht helfen, wie
sollen wir Licht für die Menschen sein? Die „Aus-Länder“, die Außenstehenden
verstehen die Sprache der Bibel nicht. Aber sie verstehen sehr gut die
Sprache der Nächstenliebe! Die Nächstenliebe beginnt aber zuerst in der eigenen
Familie, in der Gemeinde. Wenn es dort nicht gelingt, wie will es draußen
gelingen?
4. Ich kann nicht Gott loben, wenn mein
Leben ein anderes Lied anstimmt (siehe Amos).
5. Zuletzt: zuerst steht die
Gemeinschaft mit Gott, dann die Familie, dann die Gemeinde. Stimmen diese drei
Dinge zusammen, so kann ich wirksam nach außen sein. Wo Christen aber den
Kontakt zu den Mitchristen im Ort verleugnen und aufgrund egoistischer Motive
den Kontakt zu den Nicht-Christen suchen, dort liegt kein Segen. Der Glaube
muss hier verkümmern. Denn wie kann ich meine Brüder und Schwestern in Christus
verleugnen, zugleich aber „missionarischen Kontakte“ haben? Hier prüfe sich
jeder selbst.