Auslegung von 1Mose 44, 1 -
34
von Michael Strauch
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Inhalt:
Exegese:
zu 1:) Jakob und seine
Söhne - ein Wiedersehen mit Tränen der Angst (V.1-14)
Die Brüder brechen auf.
Erleichtert, dass alles so gimpflich abgelaufen ist. Auch ihre größte Sorge hat
sich nicht bestätigt: der Verlust Benjamins ist nicht eingetreten. Doch Josef
ist mit seiner „Therapie" noch nicht am Ende. Wie in Shakespeares Dramen
treibt Josef das Verwirrspiel auf die Spitze. Er lässt das Geld erneut
hineinlegen und in Benjamins Becher einen „magischen" silbernen Becher.
Die Brüder sind kaum „aus dem Hause", da ereilt sie auch schon eine
ägyptische Eskorte und bringt sie in eine äußerst peinliche Situation. Man hat
ihnen Gutes getan, fürstlich haben sie gespeist, warum haben sie diese Güte mit
Diebstahl vergolten? Die Brüder sind fassungslos. Dem Leser tun sie geradezu
leid. Sie geraten von einer Misere in die andere. Jetzt ging es ihnen so gut,
nun fallen sie so tief. Ob Josef auch hier sie belehren wollte, was er
durchgemacht hat? Damals, als es ihm bei Potiphar gut ging, die besten Speisen
und Kleider geniessen durfte und dann das Vertrauen Potiphars fälschlicherweise
missbrauchte und ins Gefängnis mußte? Der silberne Becher, ist er ein Bild für
Potiphars Frau? Der Becher, aus der er „wahrsagt", sprich der „Teil"
im Haushalt, der für jeden unantastbar ist? Die Brüder beteuern ihre Unschuld,
ähnlich wie es Josef vermutlich auch getan hat. Ohne Erfolg. Sie führen an, dass
sie das Geld doch wieder zurückgebracht haben (nicht ahnend, dass es ja wieder
in den Säcken lag).
Die Brüder fühlen sich
sicher. Die Brüder, die ihren eigenen Bruder Josef töten wollten, ihn verkauft
hatten, dem Vater alles verschwiegen hatten fühlten sich mit geschwellter Brust
sicher: wir sind keine Diebe. Wir stehlen nicht. Als Beweis für die Wahrheit
ihrer Worte sind sie sogar bereit, „den Weg Josefs" zu gehen, also den Weg
der Sklaverei. Soweit hat Gott die Brüder gebracht.
Einschub:
Ich habe folgenden
Sachverhalt des öfteren beobachten können. Da hat ein junges Ehepaar in den
größten Tönen davon gesprochen, dass - wenn sie Kinder haben werden - es mit
der Erziehung alles leicht gehen würde. Sie seien gut vorbereitet. Als es
soweit war, die ersten Nächte kurz ausfielen, das Sauberwerden nicht klappte,
die Zornausbrüche zu ertragen waren etc., verstummten diese Worte schnell. Was
aber fast immer parallel wuchs war mehr Menschlichkeit. Ich habe Menschen
kennengelernt, die in ihrem Beruf erfolgreich waren, nebenher einen Laden
führten und das Leben genossen. Dann wurden sie schwer krank. Ein Elend und ein
schwerer Moment im Leben eines Menschen. Aber was meist parallel wuchs, war ein
Stück mehr Menschlichkeit. Plötzlich konnte ich mit meinem Kollegen anders
reden. Er empfand anders, verhielt sich anders. Das Leid kann einen Menschen
verzagt machen, auch überdrüssig, verbittert, wenn es nicht enden will. Das
Leid kann aber aus Menschen wertvolle Charaktere schaffen. Menschen, die
plötzlich wissen, wie es anderen in Notzeiten geht. So gebraucht Gott das Leid,
um Menschen zu formen. Im ursprünglichen Sinne: menschlicher werden zu lassen.
Einschubende
Zurück zu den Brüdern. Das
Furchtbare passiert, der Albtraum wird wahr, das Totgeglaubte ersteht zu neuem Leben:
Benjamin hat den Becher. Alle wissen, was das bedeutet. Hier sind die Brüder
am Höhepunkt ihrer Verzweiflung, ihrer Angst, ihrer Not! Josef tot, der
Vater wird sterben, Benjamin ein Sklave - schrecklich wird es sein, mit dieser
Schuld zu leben. Der kalte Tod wäre womöglich hier ein angenehmerer Tröster.
Wie schwer lag das Versprechen Judas auf seinen Schultern. Ich will die Schuld
tragen mein Leben lang. Christus trug die Schuld. Nicht eines Einzelnen,
sondern einer ganzen Menschheit. Das Gewicht der Sünde hat den Herrn in tiefste
Nöte getrieben. Die Schuld tragen, Bürge sein - Juda hat es gut gemeint. Doch
die Last ist zu schwer. Sie kehren zurück. Zurück in das Land ihres schlechten
Gewissens. Zurück ins Land, wo sie irgendwo die längst verweste Leiche ihres
Bruders vermuten. Irgendwo auf den Sklavenvierteln im Sand verscharrt. Die
Worte der Alten drangen in ihren Ohren: das Blut deines Bruders Abels schreit
zu mir! Nun treten sie dem Totge- glaubten gegenüber. Josef könnte sie von
ihrer schrecklichen Ungewissheit erlösen. Nur ein Wort hätte genügt. Aber die
Brüder haben ihren armen Vater 20 Jahre lang nicht erlöst. Ein Wort hätte
genügt. Nun müssen sie die Bitterkeit auch dieses Verbrechens schmecken - wenn
auch gnädigerweise im Zeitraffer. Das macht Gottes Güte aus, der nicht
vergelten will, sondern erziehen, heilen, verändern will.
zu 2. Josef und sein Bruder - die
große Fürbitte Judas (V.16-34)
Die
Formulierung in Vers 14 fällt auf: „Und Juda ging mit seinen Brüdern in
Josefs Haus..." Warum wird er extra erwähnt? Ich weiß es nicht. Aber hier
erscheint ein durch das Leid der vergangenen Jahre gereifter Mann. Aus einem
Mann, der in seinem Zorn sprechen konnte: „Was hilft`s uns, dass wir unsern
Bruder töten und sein Blut verbergen? Kommt, lasst uns ihn den Ismaelitern
verkaufen...." (K.37,27f). Der Mann, der zuerst seines ersten Sohnes
selbst beraubt wurde (K.38,7), dann auch seinen zweiten Sohn verlor (!),
schließlich unwissentlich mit seiner eigenen Schwiegertochter schlief und am
Ende gebrochen sagen mußte: „Sie ist gerechter als ich (V.26). Wieviel muss
geschehen sein - und es scheint - als wäre Juda besonders hart geprüft worden,
bis er sagen konnte: Gib mir den Benjamin in meine Obhut. Ich will Bürge für
ihn sein. Damit wir leben und nicht sterben! Der Mann, der mit seinem
furchtbaren Vorschlag den Rettungsversuch Rubens vereitelte, dieser wird zum
Werkzeug der Rettung Josefs. Er geht voran, wirft sich vor dem Bruder nieder
und beginnt mit einer - ich möchte sagen herzzereissenden - Fürbitte. Hier
bittet ein Kind um seinen alten Vater. Hier steht er vor dem großen Mann
Ägyptens, von dem alle Welt sagt, dass er die Zukunft vorausgesagt habe. Es
ist, als würde er vor einem überirdischen Wesen stehen, dessen Augen alles
durchschauen, vor dessem flammenden Blick (Offb. 1) keine Lüge bestehen kann.
(Vers 16)
Juda beginnt seine Rede mit seiner Ohnmachtserklärung und seiner Kapitulation.
Was kann ich meinem Herrn sagen? Wie soll ich mich rechtfertigen? Später wird
Jesaja ausrufen (Kap 6), dass er unreine Lippen hat und sich fürchtet, dass das
Antlitz des Herrn ihn verderbe. Hier feiert Gott seinen schönsten Triumph. Ein
Mensch kapituliert. Er gibt seinen Stolz auf, seinen Lügen, seine Hochachtung
von sich selbst. Ich bin vor Gott nichts. Nichts habe ich zu bringen als mein
schweren Säcke voller Schuld. Was soll ich meinem Gott sagen, wenn ich vor ihm
steh? Das ich das Evangelium gepredigt habe? Das Menschen durch mich zum
Glauben kamen? Das ich immer in der Bibel gelesen habe? Ich weiss, wenn ich den
Herrn sehe, werden mir meine Werke in den Händen zerrinnen. Was bleibt, ist das
große Ja des Christus zu mir. Diesen habe ich erlöst aus lauter Gnade. Was kann
ich dem Herrn sagen? Das, was Juda sagt: Siehe, ich bin des Herren Knecht. Mir
geschehe, wie Du willst.
Vers 19-29:
Die große Beichte Judas
Dieser
Abschnitt gehört in Gold gerahmt und täglich vor Augen geführt. Hier beichtet
ein Mann und ringt um die Seele seiner Lieben. Juda berichtet, was Josef weiß.
Und doch darf Juda alles erwähnen. Josef unterbricht ihn nicht. Er sagt nicht:
spare Dir die lange Rede. Meine Zeit ist kostbar. Er hört geduldig zu, voller
Mitleid und Barmherzigkeit. Und Juda erzählt die Geschichte des Kindes Josef,
geliebtes Kind des Jakob und der Rahel. Und er erzählt die Geschichte
Benjamins, wiederum geliebtes Kind des Jakob. Er erzählt von den schrecklichen
Konflikten, die der Vater durchmacht und zeichnet das Bild eines gebrochenen
Mannes. Juda schließt seine Erzählung mit den Worten, das Vater Jakob den
Verlust Benjamins nicht überleben würde.
Vers 30-34:
Juda tritt in die Bresche
Juda kann nach all den Jahren sagen: wie soll ich nach Hause gehen und den
Jammer meines
Vaters
ertragen? Über 20 Jahre lang konnte er das stille Wimmern, den hohlen Blick,
die zerstausten Haaare des Leidenden sehen, verdrängen und fand keinen Trost.
Gott kann Menschen verändern. Juda ist verändert. Er ist bereit, seine
Bürgschaft einzulösen. Sein Leben, seine Freiheit für das Leben des Sohnes
Rahels. Nicht mehr, nicht weniger vermag er zu geben.
Josef ist
von Juda tief getroffen. Seine Beichte dringt tief in seine Seele ein.
Juda war bereit, sein Leben zu geben an jemanden, den er nicht kannte. Josef
aber kannte ihn. Bin auch ich bereit, mein Leben dem zu geben, der mich kennt?
Den ich zwar kenne, aber nicht sehen kann? Bin ich bereit, Christus zu geben,
was ich zu geben habe? Mein Leben: nicht mehr und nicht weniger. Meine Schuld
und Sünde. Meine Vergangenheit und all die Menschen, die durch meine Taten
verletzt wurden. Gott kann heilen. Gott kann verändern. Gott kann! Wenn ich zu
meinem Herrn mal komme, dann wird er gewiss wie Josef mich in seine Armen
nehmen und wird vielleicht auch weinen. Weil er weiß: Einst warst Du verloren,
nun bist du gefunden, nun auch gerettet. Du bist am Ziel.