Einführung zu 1Mose 37-50 von Michael Strauch

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Inhalt:

  1. Zum Begriff der Toledoth Jakobs
  2. Der Rückgang göttlicher Offenbarungen
  3. Die Verwendung des Gottesnamens

1. Zum Begriff der „Toledoth Jakobs"

Wenn wir in Vers 1 lesen: „...dies ist die Geschichte Jakobs...", dann darf uns das nicht zu dem Denken verleiten, hier würde einfach nur eine „nette Geschichte, gar ein Märchen am Lagerfeuer erzählt". Das deutsche Wort „Geschichte" hat für mich den Beigeschmack des „Geschichtenerzählers", dessen Geschichten wiederum wenig zu tun haben mit Fakten und Historie. Das hebräische Wort, das hier mit „Geschichte" übersetzt wird, heißt „toledoth". Ein Wort, das schon bei Adam vorkommt. Es heißt eigentlich „Erzeugungen" (vgl. 1Mose 5,1), oder auch Geschlechterfolge. Es bedeutet die Entstehungsgeschichte eines Abschnittes in der Geschichte Israels, die fest verbunden ist mit Personen, mit denen Gott Geschichte gemacht hat.

In Gegensatz zu seinem Vater, dessen Toledoth (Kap 25) mit der Heirat Rebekkas und den Söhnen Esaus und Jakobs beginnt, beginnt Jakobs Toledoth in der Fremde. Nicht in der Heimat durfte er seine Lea und Rahel heiraten. Und als er nach Kanaan zurückkehrte, hatte erbenfalls nichts von seinem „geklauten Segen". Er blieb ein Fremder. Das Hauptgewicht seines Lebens, seiner Toledoth liegt auch nicht im Besitz von Land, sondern mit der Gründung seiner Familie. Denn die zwölf Söhne sind der Grundstein für das baldige Volk Israel.

Es ist die Toledoth Jakobs, und doch ist der eigentliche Akteur sein Sohn Joseph. Gott handelt an Jakob durch seinen Sohn Joseph. Gott prüft, Gott sendet Leid, Gott sendet Segen durch seinen Sohn Joseph. Jakob ist hier der Passive, Joseph das aktive Element in der Hand Gottes.

Es ist eigentlich die Geschichte Josephs, und doch geht es letztendlich um Jakob. Jakob ist die Ursache des Neides und der Eifersucht, damit auch der Beginn der ganzen Tragik und auch des Segens. Und er ist auch der Abschluss.

Neben Jakob und Joseph gibt es noch eine dritte Figur, die die HS hervorhebt: Juda! Auch er ist massgeblich beteiligt daran, dass die Geschichte so ihren Lauf nimmt (siehe Kap 38). Dieser zweite Abschnitt Jakobs ab Kap 37 ist geprägt davon, dass ein Zug nach Ägypten vorbereitet wird. Zum einen durch Joseph, der an die Midianiter verkauft wird und nach Ägypten gelangt, aber auch durch Juda, der mit den Kanaanitern einen Krieg provoziert (Kap 38). Da Jakob mit anderen Völkern in Frieden leben will, selbst kein Eigentum besitzt, ist solch eine Situation fatal. Wo soll er hin? Es ist die gleiche Situation des Volkes Israel wie einst vor 1948. Gott beginnt, den Weg freizumachen in Ägypten, wo er seinen Sohn Joseph die Kariereleiter hochklettern läßt, damit die Nachkommen Jakobs im Lande Goshem siedeln können. Ein dritter Grund für den Weg nach Ägypten war die Hungersnot. Also drei Kräfte ziehen den Patriarchen dorthin: Joseph, die Fehde mit den Kanaanitern und die Hungersnot.

Diese Periode wird abgeschlossen durch die Wiedervereinigung der Familie (K.45). Eine zweite Periode der Toledot Jakobs beginnt mit der Ausreise Jakobs nach Ägypten und der Ansiedlung in Goshen (K.46-47,27). Diese Periode endet mit den letzten Jahren des Patriarchen: seine Anweisungen, in Kanaan begraben werden zu wollen (K 47,28ff), seinem Segen und der Adoption seiner Enkel (von Joseph) und dem Segen, den er als Sterbender seinen Söhnen gibt. Es schließt sich Jakobs Tod, Begräbnis und Josephs Tod an in Kapitel 50.

2. Der Rückgang göttlicher Offenbarungen

  1. Abraham hatte vergleichsweise viele Offenbarungen von Gott, dem Schöpfer. Ihm und seinen Nachkommen wurde das Land Kanaan verheißen. Als Volk würden sie es einnehmen. Diese Verheißungen wurden dem Isaak weitergegeben, und über ihn wiederum dem Jakob. Jakob hat vergleichsweise wenig Offenbarungen Gottes. Er mußte lernen, im Glauben an die Zusagen Gottes an seine Väter zu leben. Dieser Glaube Jakobs wurde auf schwere Prüfungen gestellt und letztendlich hat Jakob den Weg nach Ägypten nicht verstanden. Ägypten war doch nicht das Land der Verheißung? Gott wollte aber in Ägypten aus Israel ein Volk machen. Als Volk würden sie wieder ausziehen und das verheißene Land in Empfang nehmen. Um diesen Glauben zu stärken, offenbart sich der Herr dem alten Jakob noch einmal in Kap 46,2f.
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3. Die Verwendung des Gottesnamens

  1. Der Gebrauch des Gottesnamens/begriffs fällt in den Kapiteln 37-50 in Art und Häufigkeit auf. So wird in Kapitel 37 der Name Gottes kein einzigesmal erwähnt. In Kapitel 38 sehr häufig und dann noch in Kapitel 39. Dann wird der Gottesname sehr selten gebraucht, wenn dann oft im Bezug auf Personen (Pharao und seine Träume etc.). In Kapitel 38 und 39 wird fast ausnahmslos der Bundesname Gottes erwähnt (Jahwe). Die Gottesbezeich- nung Elohim (Plural von Eloha, Gottesbezeichnung allgemein, wird für Gott gebraucht im Sinne des starken Gottes, des mächtigen Gottes, dem Gott über alle Götter), wird dagegen in den Kapiteln 40-50 gebraucht. So wird Gott von den Söhnen Jakobs auch erlebt. Als der Starke und Richter, der die Schuld der Brüder aufdeckt, als der Starke und Retter, der Joseph zum Regenten macht und die Familie vereint. Bis zuletzt gebraucht Joseph den Gottesbegriff Elohim, den als Elohim hat er Gott erfahren. Ich schließe daraus, dass weder ihm noch den Brüdern die Einsicht nahelag, die Abraham, Isaak und dem Jakob eigen waren: die Einsicht vom Heilsweg Gottes mit seinem Volk! So gebraucht Jakob beim Segnen auch den Namen Gottes El Shaddai. Im Sinne des Bundes ist Gott auch weder dem Joseph noch den Brüdern erschienen, wie einst dem Abraham, Isaak und Jakob. Als Jakob nach Ägypten ziehen sollte, mußten ihm Zweifel an der Richtigkeit dieses Weges gekommen sein. Ägypten war nicht das Land der Verheißung. So begegnet Gott dem greisen Vater Jakob in Kapitel 46 und öffnet ihm den Plan, den er mit seinen Nachkommen hat. Jakob hat die Verheißungen nicht aus den Augen verloren. Gott ist somit der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs und wird später mit Juda seinen großen Plan weiter verfolgen.
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In der Auslegung wird darauf zu achten sein, dass wir das nicht aus dem Auge verlieren. Es ist die Geschichte Jakobs und mit ihm die Geschichte Gottes, der mit Jakob die zwölf Stämme Israels gründete. Es ist die Geschichte Jakobs, wie er nach Ägypten kam und wie Gott dies über seinen Sohn Joseph vorbereitete.

Was aber in der Auslegung immer wieder nützlich ist, im Handeln an Joseph das Werk Jesu Christi zu sehen. Joseph ist nicht ein Urbild Jesu, aber vieles, was an ihm geschieht, ist exemplarisch auch am Herrn geschehen, was es im folgenden zu belegen gilt.

Eigene Gedanken:

Die Geschichte Josephs, seiner Bruder und im Besonderen die Geschichte Jakobs ist eingebettet in den großen Heilsplan Gottes mit seinem Volk. Stück um Stück werden wir Zeugen, wie Gott einst den Abraham aus seiner Heimat berief, dann über Isaak und Jakob beginnt, sich sein Volk zu sammeln. Was mich erstaunen läßt, sind die großen Zeiträume, in denen das geschieht. Gott, der Herr hat einen stringenten Gedanken. Diesen zieht er durch. Dabei gebraucht er nicht einen Menschen, sondern Generationen. Abraham, Isaak, Jakob, Joseph, die zwölf Brüder, ihre Nachkommen - später Mose, Aaron, Josua etc. Es vergehen noch viele Hundert Jahre, bis sich die Verheißung Gottes erfüllt, das Israel das Land sprichwörtlich einnimmt.

Dabei handelt Gott souverän. Diese Souveränität beweist sich darin, dass seine Werkzeuge keine glänzenden Figuren sind, sondern allzumenschlich. Wir haben alles: vom versuchten Brudermord, über Neid, Hass, Missgunst, Bevorzugung, Polygamie etc. Die Gründer der Stämme Israels waren rauhe Typen mit oft erschreckend magerem Gewissen. Hätten sie heute gelebt, niemand hätte über sie Denkschriften verfasst als die Gründer des Volkes Israel. Es ist, wie Joseph es sagt: sie haben es böse gemeint, Gott hat es gut gemeint. Das tröstet uns, dass Gott Dich und mich gebrauchen kann, trotz all dem Mist, trotz all der Scheinheiligkeit, der Eifersucht, des Neides, der Raffgier etc., die uns moderne Menschen heute bewegt. Das ist kein Freibrief zum Sündigen (siehe Römerbrief), es ist allein das Wissen, dass Gott auch mich gebraucht in einer langen Kette des Segens. Die Geschichte Josephs macht Gott groß, nicht die Fähigkeit oder Errungenschaften eines Menschen. Was von den Menschen erwähnt wird, ist nur Tragik und Tränen. Aber es ist auch die Geschichte von begangener Schuld und Reue. Es ist nunmal die Liebe Gottes, die den Menschen zur Umkehr treibt. Die Brüder werden über schwere Wege letztendlich zur Buße geführt. So ist die Spitze der Familiengeschichte die Vergebung. Und die Größe der Brüder liegt darin, dass sie die Vergebung erbitten und annehmen. So wird das größte auch in unserem Leben sein, die Vergebung Jesu anzunehmen, immer wieder neu. Nicht hoch und groß von sich zu denken. Gott weiß, wieviel Gemeinheit in mir steckt. Eine bekannte, fast 60-jährige Krimiautorin sagte in einem Interview, sie glaube, dass jeder Mensch, wenn er nur in der Situation stünde, fähig zum Mord wäre. Wir sollten dankbar sein, wenn wir nicht in die Versuchung kämen.