Bibelarbeit zu 1Mose 37, 12 - 36 von Michael Strauch

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Inhalt:

  1. Ein hinterhältiger Mordplan und seine Vereitelung (V.12-24)
  2. Verkauft und verraten (V.25-36)

zu 1: Ein hinterhältiger Mordplan und seine Vereitelung (V.12-24)

Ingrid Noll, bekannte Krimiautorin sagte einem Radiointerview: „Jeder Mensch ist zu einem Mord fähig, wenn die entsprechenden Umstände einen tödlichen Mix ergeben!" Dieser Satz klingt ungeheuerlich und wirkt aufs Tiefste befremdend. Wenn man aber überlegt, dass z.B. im 2.Weltkrieg ursprünglich unbescholtene, normale Bürger als Soldaten Massaker angerichtet haben und wenn nicht Massaker, dann doch töten konnten, dann klingt es weniger verwerflich. Ich sage diese Sätze mit aller Vorsicht und vorurteilsfrei. Im übrigen, so Ingrid Noll, gibt es eine Reihe perfider Morde, die ein Gericht „nie" aufklären wird. Morde, die nicht durch Körperverletzung geschehen, sondern durch ein psychisches Zersetzen geschwächter Personen in der Familie, im Beruf etc. Eine katholische Mitarbeiterin einer Einrichtung, die ungewollte Säuglinge aufnehmen, weiß um erschreckende Details. Situationen, wo Männer ihren Frauen im Falle einer weiteren Schwangerschaft mit Mord drohen und die betroffenen Mütter ihre Kinder aufs Unfaßlichste „beseitigt" haben. Und so ist es nachvollziehbar, wenn der große Realist und Literaturnobelpreisträger John Steinbeck seine Romanfigur Lee in „Jenseits von Eden" sagen läßt, dass die Geschichten der Bibel darum die Jahrtausende überdauert haben, weil sie etwas mit dem Leben zu tun haben, sogar kulturübergreifend.

Die Brüder sind keine potentiellen Mörder oder sadistische, skrupellose Gesellen. Bei ihnen kamen viele Komponenten zusammen, die - und das sage ich nicht als Entschuldigung - bei Josef „explodierten. Die Geburt des Erstgeborenen der bevorzugten Frau Jakobs, der Rahel. Die offensichtliche Hauptsymphatie, die Jakob für diesen zeigte. Das ungeheure Selbstbewußtsein, oder war es Naivität des Josef, seine viel stärkeren Brüder beim Vater zu verpetzen. Dann der Herrschermantel durch Jakob und nicht zuletzt die Träume. Und statt, dass der Vater Jakob seinem Sohn eine gehörige Lektion erteilt, schimpft er kurz und geht nachdenklich davon. Was, wenn an den Träumen noch was dran wäre? Womöglich ahnen die Brüder, dass der Traum Wirklichkeit werden könnte? Nur gut, dass die Brüder eine Weile weg waren.Hier, weg von Hebron, nahe Sichem, war man etwas verschont von dem Träumer. Doch dann passierte es. Der kleine „König" kommt ihnen nachgelaufen. Was will er? Ausspionieren? Petzen? Schlimmer noch: der geht mit seiner feinen Robe uns besuchen.

Stünden wir unter den Brüdern, wir hätten das Zähneknirschen vernommen und die warnenden Blicke Rubens, der zur gefaßten Ruhe ermahnt. Und dann platzt es raus. Vielleicht hat es einer gesagt, aber alle dachten es: der Träumer kommt daher. Der Einzelgänger, der Möchtegernkönig. Nawarte, für diese Träume wirst du bezahlen.

Den ersten Mordgedanken faßten sie in Dothan, einige Kilometer nördlich von Sichem. Einer faßt sofort einen Plan, kalt und nüchtern: Umbringen, in die Grube werfen, vorgeben, dass er von einem wilden Tier zerrissen wurde. Der Plan ist schrecklich simpel und erschreckend glaubhaft. Wenn man bedenkt, dass man es als eine Gottesstrafe ansah, dass ein „Prophet" etwa von einem Löwen zerrissen wird (vgl. 1Könige 13, 26), wirkt der Plan niet-und nagelfest auch für einen Gottesmann wie Jakob.

Einschub:

Neid, Eifersucht, Missgunst zerfressen die Seele. Sie setzen sich fest und werden durch ständig neue Gelegenheiten genährt. Schlimmer noch, selbst solche Begebenheiten, die Anlass zum Neid gar nicht geben, werden aus dieser Brille betrachtet. Ist ein Mensch erstmaluntendurch", wird alles, was er tut, mit Argusaugen beobachtet, bewertet und verurteilt. Je nach Situation bleibt es nicht beim „Nicht-Grüßen" der betreffenden Person. Es kommt zur ersten Tat. Man diskreditiert die Person. Stellt ihr ein schlechtes Zeugnis aus. Der Rächer sucht sich Verbündete. Jesus sagt in seiner Bergpredigt, dass aus dem Herzen böse Gedanken kommen und diese Gedanken zur Tat werden. Üble Nachrede, oft jeder Objektivität bar führt bei den Brüdern zum Mordgedanken. Man kann auch mit Worten jemanden „umbringen". Zumindest in eine Grube werfen - das heißt für mich übertragen - aus der Gemeinschaft „der Brüder" auszusondern und ihn schließlich zu „verkaufen". Modern gesagt: man mobbt diese Person ins „Exil". Schon Kinder im Kindergarten sind Meister dieser brutalen Kunst.

Einschubende

Zwei Brüder kämpfen um Josephs Leben. Der Ältesten und Erstgeborenen der Lea: Ruben. Und das letzte und vierte Kind der Lea: Juda. Ruben, der als Ältester sich verantwortlich fühlt für den Jüngsten, will seine Brüder im Glauben lassen, dass man ihn einfach in eine trockenen Zisterne wirft und er dort seinem Schicksal überlassen bleibt. Somit hätten sie ihn nicht direkt ermordet. Später aber wollte er den Joseph befreien und ihn seinem Vater zurückgeben. Juda vereitelt den Plan des Ruben. Eines ist sicher: auch er will Joseph nicht töten. „Er ist unser Bruder, unser Fleisch und Blut!" Juda erinnert an die Blutbande und erinnert indirekt an Kain und Abel. Nein, nochmal einen Brudermord darf es nicht geben. Hätte er Rubens Gedanken erraten, wären sie sich sicher einig gewesen. Doch Juda suchte für sich einen Ausweg. Und so erweist sich der Verkauf Josephs als Sklave für unsere Augen zwar ungeheuerlich, brutal und niederträchtig. Auf der anderen Seite wird Joseph auf lange Sicht vor den Mordgedanken der Brüder geschützt! Zumal die „Ismaeliter" mit den Söhnen Jakobs ja verwandt sind! Joseph ist nun endlich bei der Gruppe angekommen. Wie ging es dann wohl zu? Hat er ausgerufen: „Toll, endlich habe ich euch gefunden. Ich soll euch Grüße sagen von Va...." Weiter kam er nicht. Zuerst riss man ihm das vom Leib, womit die Brüder Traum, Arroganz und Herrscherallüren verbanden: das Kleid. Weg mit der Krone, weg mit dem Mantel. Dann werfen sie den u.U. schreienden, weinenden Bruder in die Zisterne. Man kann davon ausgehen, dass es in der Wüste in solchen dunklen Löchern Schlangen, Skorpione und ähnliche Tiere hat. Das alles ging schnell, in einem brutalen Rausch der Gewalt, ein schreckliches Austoben, ein Möglichkeit, den Hassgefühlen Raum zu geben.

Einschub:

Ich komme nicht umhin: diese Szene erinnert an soviele Momente vor und nach dieser Begebenheit in der Bibel. Wie bereits erwähnt, denken wir an Kain und Abel. „Soll ich meines Bruders Hüter sein?" Der erste Mord in der Geschichte der Menschheit, von einem verübt, der Gott nicht mehr im Herzen zuließ. Nur um Haaresbreite erleidet Joseph nicht das Schicksal Abels. Gott läßt es nicht zu. Josephs Träume und sein Kleid erinnern an Christus. An seine Reden vom Himmelreich und von seinem Königtum. Es erinnert daran, dass „seine Brüder" ihn ans Messer liefern dafür, dass „er sich selbst zu Gottes Sohn gemacht hat". Ruben erinnert an Pilatus, der versucht, halbherzig den Unschuldigen von der Mörderhand zu befreien, was Beiden nicht gelingt. Nicht zuletzt erinnert das Kleid an Jesu Kleid, dass ihm kurz vor dem Kreuz ausgezogen wird und „zerrissen" wird. Dann folgt die Vollstreckung. Die Zisterne erinnert auch an den Propheten Jeremia, den man ebenfalls aufgrund seiner Prophetien einmal in eine Zisterne warf.

Einschubende

zu 2: Verraten und verkauft

Die Handlung der Brüder wirkt auf uns eigenartig. Da weint und schreit der Bruder in einem Wüstenloch, und die Brüder vespern. Wir kennen ähnliche groteske Situationen bei den schlafenden Jüngern im Garten Gethsemane. In der Kriminalistik kennt man solche Momente auch. Wo nach einem Verbrechen der Täter sofort „zum Alltag" übergeht. Ich glaube nicht, dass die Brüder kaltblütig waren und die Tat spurlos an ihnen vorbei ging. Es ist vielleicht eine Art Schutzmauer, die man aufzieht. Ein Mix aus Dickköpfigkeit, Rechthaberei und Feigheit, das Unrecht wieder rückgängig zu machen. Im Kleinen erleben wir es ja auch an uns. Wenn wir miterleben, dass es jemanden sehr schlecht geht und wir spüren, wir wären eigentlich gefordert, dann finden wir zahlreiche Ausreden, um dem Betreffenden nicht zu helfen. Wenn der Herr einmal wiederkommt, wird das ein Punkt des Gerichts sein: „ihr habt mich nackt gesehen, aber nicht bekleidet. Ihr habt mich hungernd gesehen, aber mir nichts zu essen gegeben." Die Betreffenden mögen sich an Menschen erinnern, aber an Jesus können sie sich nicht erinnern und haken nach. Und der Richter wird ihnen antworten: was ihr den Kleinsten nicht getan habt, das habt ihr mir nicht getan.

Eine Handelskarawane trifft ein. Vermutlich befinden sich die Brüder in einer Art Oase. Ismaeliter, Nachkommen des Ismael, des Sohnes Abrahams. Da Abraham für die Brüder der Urgroßvater war, sind sie alle miteinander verwandt. Die Ismaeliter erscheinen - und wiederum werden Bilder wach. Bilder an Hagar, die Abraham verstieß mit ihrem Sohn Ismael. Verstieß in die Wüste! In der Wüste begegnete ihr Gott und schenkte ihr und ihrem Sohn Wasser. Die Seitenlinie zu Abrahams Segenslinie wurde fortgeführt: die Stämme der Araber wuchsen auf. Wenn man bedenkt, dass seit Abrahams Tod über 150 Jahre vergangen sind, kann dieser Stamm beträchtlich an Zahl gewonnen haben. Ausgerechnet die Ismaeliter werden von Gott benutzt, um Joseph „zu retten". Die Karawane kamen von Gilead, entlang der Handelsroute von Beisan nach Jenin, und durch die Ebene von Dothan entlang der großen Karawanenstraße bei Megiddo durch Gaza nach Ägypten. In den Taschen der Kamele werden Handelswaren geführt: Spezereien, Balsam (für das Gilead berühmt war) und Myrrhe. (Die Hinweise auf die Geschenke Jesu bei seiner Geburt und die Spezereien bei seinem Begräbnis seien am Rand erwähnt). Judah ergreift die Gelegenheit und schlägt vor, Joseph zu verkaufen. Er tut das nicht aus Liebe zu Joseph, sondern weil es graut, das Blut seines Bruders zu vergießen. Wiederum graut ihm der Gedanke, dass Jakob (wie einst ungewollt Isaak) dem Jüngeren die Erstgeborenenrechte überträgt und Joseph zum Herrn seiner Brüder wird. Die beste Lösung scheint ihm zu sein, sich der Ismaeliter zu bedienen. Übrigens ist einmal von Ismaelitern die Rede (V.25), dann wieder von Midianitern (V,28). Beide Stämme ähnelten sich im Orient durch ihren „way of life", ihre Lebensart so sehr, dass sie oft in einem Atemzug genannt wurden, ja auch verwechselt wurden, besonders wenn sie als arabische Händler auftraten. Der Preis wurde schnell gefunden (vgl. dazu 3Mose 27,5). Der übliche Preis für einen Jungen zwischen 5-20 Jahren belief sich auf 20 Schekel. Der Durchschnittspreis für einen Sklaven waren 30 Silberschekel (der Verrat des Judas an die Pharisäer, der Erhalt der 30 Silberlinge - also einem „Sklavenpreis" drängt sich einem förmlich auf) - siehe dazu 2Mose 21,32. Das Geschäft muß in Abwesenheit von Ruben gemacht worden sein, denn er stößt danach auf die Brüder und sucht Joseph vergeblich. Vermutlich haben die Brüder Rubens Vorhaben durchschaut.

Ruben zerreißt sein Gewand - ein Bild intensiven Kummers. „Wo soll ich hin?" Man wird den Ältesten verantwortlich machen. Doch auch hier wissen sie sich zu helfen. Ein Ziegenbock (Sündenbock) wird geschlachtet, das Kleid in Blut getränkt und an den Vater geschickt. Die Brüder waren zum Mord fähig und zum Verkauf ihres eigenen Bruders. Aber sie waren zu feige, das Kleid selbst ihrem Vater zu bringen. Ruben war zu feige, dem Vater die Wahrheit zu sagen und so verbrachten die Brüder die nächsten Jahre mit diesem schrecklichen Geheimnis. Nun zerreißt ein zweiter sein Gewand: Jakob. Seinen Kummer und sein Leid sind kaum in Worte zu fassen. Der Gedanke, dass eine widerliche Bestie seinen schreienden Sohn angefallen hat und ihn, da ja nur sein Kleid da war, gefressen hat, ist für ein Elternteil Grund eines ungeheuren Schocks. Der Vater trauert lang, nimmt auch keinen Trost an. Er will trauern. Sein Blick wendet sich von den Lebenden ab. Er ist sprichwörtlich zu Tode betrübt. Ja, er will sogar selber sterben, damit er im Tod mit dem geliebten Kind vereinigt ist.

Wiederum werden wir erinnert an die Gleichnisse Jesu. Wei der Besitzer des Weinbergs seinen Sohn zu den Arbeitern schickt und diese sich sagen: das ist der Erbe, den bringen wir um. Es wiederholt sich vielemale. Joseph wird „in den Tod gegeben". Von Ägypten „wird der Retter kommen" und das Wiedersehen mit dem Vater gleicht der Auferstehung des Sohnes. Wir hören, wie die Engel sagen: er ist nicht tot, er lebt. Ob der Herr Jesus diese Linien gezogen hat, als er mit den Emmausjüngern sprach?

Das Kapitel endet damit, dass Joseph verkauft wird an einen ägyptischen Kämmerer und Obersten der Leibwache, also einem hohen Staatsmann, namens Potiphar.